Hallo
Kann es möglich sein, dass letztendlich sämtliche Religionen
der Menschheit nur ein Teil der Evolution sind? Der Gedanke
erscheint mir durchaus plausibel.
Hängt m.E. davon ab, wie du „Evolution“ verstehst. Streng wissenschaftlich - also im biologischen Sinne, ist Religion eine kulturelle Angelegnheit und hat mit Genen so mal nichts zu tun. Allerdings kann die Voraussetzun für Religion, nämlich eine sehr ausgeprägte Fähigkeit zu vernetztem Denken vulgo: höhere Intelligenz, sicherlich in der Evolution gesucht werden. Zu der Frage, welche Faktoren bewirkt haben, dass eine bessere Denkfähigkeit von selektivem Vorteil war, gibt es nur Theorien. Eine sicherlich nicht unwichtige besagt, dass bessere soziale Fähigkeiten (durch Intelligenz begünstigt) die Koalitionsfähigkeit untereindander gefördert und somit dazu geführt haben, dass Männchen/Männer, die im Stande waren, Pakte mit anderen zu schliessen, zu einem besseren Status innerhalb einer Gruppe gelangen konnten und somit auch ein Vorrecht hatten, sich mit den Weibchen zu paaren (und somit ihren Genpool besser verbreiten konnten).
Denn:
Zu irgendeinem Zeitpunkt haben unsere Urahnen die Erfahrung
gemacht, dass sie geboren werden, - eine eigene Persönlichkeit
haben - einige Zeit leben werden - und schließlich sterben
müssen.
Meineserachtens war dies der entscheidendste Schritt der
menschlichen Evolution.
Wie man mit einfachen Tests nachweisen kann, haben auch Menschenaffen, namentlich bekannt ist es mir vom Schimpansen, ein Selbstbewusstsein. Es ist sicherlich so, dass Deine Schilderung stark vereinfacht ist - vermutlich gibt es bezgl. der Frage nach Selbstbewusstsein nicht nur die Antworten „vorhanden“ oder „nicht vorhanden“. Letzteres kann in Graduierungen auftreten. So würde ich für den Schimpansen behaupten: Erkennen im Spiegel - ja, komplexere Selbstreflexion - nein, verlgeichbar mit einem Menschenkind.
Elefanten sollen sich ja auch dessen bewusst sein, wenn ein Mitglied der Gruppe gestorben ist (ohne Gewähr).
(Kein Tier ist in der Lage, diese Zusammenhänge zu erkennen.)
Mit der Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit taten sich für
den Menschen einige unangenehme Wahrheiten auf, z.B. das
Verlieren geliebter Angehöriger, oder das Ertragen müssen von
Ungerechtigkeiten.
Wie oben beschrieben, glaube ich nicht, dass die Sache so einfach ist. Was Du schreibst deutet auf eine Vorstellung hin, die davon ausgeht, dass da irgendwann ein Sprung stattgefunden hat - plötzlich ist all das Bewusstsein da. Das widerspricht m.E. der Evolutionstheorie.
Die Evolution hat an dieser Stelle ja keine Pause gemacht,
sondern ihre konsequente Auslese mittels Mutation und
Selektion fortgesetzt. Ich könnte mir vorstellen, dass in
dieser Phase der menschlichen Entwicklung diejenigen mit einem
Hang zur Esoterik einen Vorteil hatten. Vielleicht begann in
dieser Zeit so etwas wie ein Glaube an ein höheres Wesen, das
alles lenkt.
Ich denke, zu der Zeit hatten religiöse Vorstellungen nichts mit „einem Hang zu Esoterik“ zu tun. Noch weniger glaube ich, dass, als die Voraussetzungen für rel. Vorstellungen vorhanden waren, es die ersten Atheisten gab. Vielmehr wächst der Umfang und die Komplexität derselben mit der intellektuellen Entwicklung der Spezies. Und religiöse Vorstellungen scheinen mir grundsätzlich Teil der menschlichen Existenz zu sein, das hat sich erst in der Neuzeit mit dem Individualismus und den exakten Wissenschaften gewandelt. Für die ersten Menschen war Religion vermutlich etwas natürliches, das dazu diente, Dinge zu erklären, die man anders nicht erklären konnte und die in religiöse Vorstellungen verwobenen magischen Handlungen (z.B. Opfer für eine erfolgreiche Jagd) sollten das beeinflussen, was rational nicht zu beeinflussen war. Ich halte auch die Angst für ein wesentliches Motiv; Angst vor unerklärbaren Dingen, die auch bedrohlich sind und waren. Hinzukommt, dass die alten Gesellschaften mit grosser Wahrscheinlichkeit sehr traditionalistische Gesellschaften (und nicht individualistische, wie etwa heute) waren - wie es bis vor einiger Zeit noch bei Naturvölkern etwa in Afrika und Amerika zu beobachten war. Areligiosität scheint mir in diesem Licht für prähistorische Zeiten absolut undenkbar und ein Produkt morderner, individualsitischer Denkweise zu sein.
Jemand der positiv denkt und frohen Mutes in die Zukunft
blickt wird von der Evolution eher begünstigt als jemand der
schwermütig und mutlos ist.
Dass religiöse Vorstellungen einen nur positiv denken lassen halt ich für eine Idee deinerseits. Das ist de facto überhaupt nicht so; indem sie unerklärliche Dinge erklärt, schürt sie genauso neue Ängste. Wenn ich mir z.B. vorstelle, dass Krankheiten von Geistern verursacht werden und nicht von irgendwelchen Viren, finde ich das ganz schön beängstigend.
Auch die irdischen
Ungerechtigkeiten werden besser erträglich angesichts eines
Jenseits, in dem jedem Gerechtigkeit widerfahren wird.
Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass sich im Laufe der
Jahrhunderttausende der Glaube selektiv in unsere Hirnstruktur
eingebrand hat, und wir nichts anderem unterliegen als einer
gigantischen evolutionären Gehirnwasche.
Wie Du vielleicht gesehen hast, schreibe ich überall "ich glaube " und „meiner Meinung nach“. Wie sich genau die geistige/kulturelle Entwicklung abgespielt hat, werden wir für schriftose Zeiten vermutlich nie mit Sicherheit wissen. Ich empfinde Deine Theorie und die Vorstellungen dazu als recht romantisch (das soll kein Angriff sein) - das ist allerdings meine bescheidene Meinung, vielleicht hast Du ja recht.
Dass die Religion „erfunden“ wurde, halte ich für höchst unplausibel. Vielmehr denke ich, dass sie sich mit dem (Vor-)Menschen und dessen biologischer Evolution als Notwendigkeit entwickelt hat und gewachsen ist. Die freie Wahl, ob wir religiös sein wollen oder nicht, hat der homo sapiens m.E. erst seit sehr kurzer Zeit.
Mit freundlichen Grüssen
Wiesel