Wenn einer „Stellvertreter“ war oder ist, dann der Papst, zu
dessen zahlreichen Titeln auch der „Vicarius Christi“ gehört.
Der Kaiser war also ganz gewiss nicht Gottes Stellvertreter,
und für die Einheit der Kirchen war er auch nicht
verantwortlich.
Es gehörte aber zu seinen vornehmsten Aufgaben, den christlichen Glauben zu verteidigen. Luther war für Karl nun aber gerade ein Gegner des wahren christlichen Glaubens. Insoweit stimme ich deinem Einwand zu und auch wieder nicht. Nach Karls Selbstverständnis gehörte der Kampf gegen Luther durchaus zu seinem Amt. Die Aussage allerdings, Karls eigene Religion habe in dem Konflikt keine Rolle gespielt, finde ich auch recht gewagt. Ich wollte dazu erst nichts schreiben, weil sie von einem Historiker kommt, der es im Zweifel besser weiß als ich. Aber mir fällt nichts ein, womit man das begründen könnte.
Karl V. hat die Protestanten deswegen so heftig bekämpft, weil
er selbst natürlich tiefgläubig katholisch war und er zweitens
die Einheit seines Reiches nicht durch verschiedene,
auseinanderdriftende Konfessionen gefährden wollte.
Im Grunde war Karls Leidenschaft im Kampf gegen Luther zunächst relativ begrenzt. Auf dem Reichstag zu Worms stand die Angelegenheit Luther auf dem letzten Punkt der Tagesordnung. Karl hielt auch sein Wort und ließ Luther ziehen, obwohl wir spätestens seit Hus wissen (und auch Luther wusste), dass man sich auf ein kaiserliches Versprechen dieser Art nicht immer verlassen kann. Man kann sich schon fragen, ob Karl nicht später gedacht hat, er hätte Luther sofort unschädlich machen müssen. (In einer Luther-Verfilmung äußert er sich später: „Ich hätte ihn verbrennen sollen!“)
Ich schlage folgende Betrachtungsweise vor:
Karl war gegen Luther, maß ihm aber zunächst nicht sonderlich viel Bedeutung zu. Das änderte sich spätestens, als sich die Bauern erhoben und (wenn auch zu Unrecht) auf Luther beriefen, denn nun drohte das Gefüge zu wanken. Und da ich mit Gefüge hier das HRR meine, war das ohnehin kein sonderliches stabiles Gefüge.
Den eigentlichen Knackpunkt sehe ich aber ganz woanders:
Die Kaiserwürde hat Karl nicht sonderlich viel Macht verliehen. Er hat sich vielmehr auf seine Hausmacht gestützt, die natürlich beachtlich war, unter anderem weil er König von Spanien war. Die römisch-deutsche Zentralgewalt hatte den Zenit ihrer Macht längst überschritten. Im Grunde ging es nur noch bergab. Die letzten römisch-deutschen Kaiser hatten ja fast nur noch die Macht eines deutschen Bundespräsidenten (von der Hausmacht abgesehen).
Und warum das alles? Weil - bis heute erkennbar - die Deutschen völlig dezentralisiert lebten. Die Fürsten waren keine treu ergebenden Kaiseranhänger, sondern sie suchten selbst nach Festigung und Erweiterung ihrer Macht. Luther war in diesem Zusammenhang eine äußerst willkommene Möglichkeit, die Opposition gegen den Kaiser zu begründen und als gerechte Sache darzustellen. Ich bin praktisch sicher, dass zumindest einige Fürsten zumindest auch genau dies im Hinterkopf hatten, als sie ihre Konfession wechselten (wobei etwa Friedrich der Weise das nicht einmal getan hat und trotzdem keine Anstalten zeigte, sich dem Kaiser in Sachen Luther mehr als nötig zu unterwerfen.)