Hallo Steffi
Meine Frage war: Wann wird Religion zur Kirche?
Allgemein, nicht auf christlich bezogen!
Durkheims Ansatz, den ich erläutert habe, ist der, „dass die Idee der Religion von der Idee der Kirche nicht zu trennen ist“. Vielleicht ist es hier hilfreich, zwischen ‚Religiosität‘ (ersatzweise der modischeren ‚Spiritualität‘) als einer individuellen, persönlichen Angelegenheit und ‚Religion‘ als einer sozial bestimmten Angelegenheit zu unterscheiden. Jemand, der sich selbst als ‚Christ‘, als ‚Buddhist‘, als ‚Muslim‘ versteht und bezeichnet, tut damit kund, dass er sich einer Gruppe zugehörig fühlt, die sich aufgrund gemeinsamer Merkmale definieren lässt. Wenn jemand also sagt, er sei ‚Christ‘, ‚Buddhist‘, ‚Muslim‘, ‚Hindu‘ usw. zeigt er seine Verbundenheit mit bestimmten religiösen Ideen, die von anderen Menschen geteilt werden und grenzt sich damit gleichzeitig von anderen Gruppen ab, deren gemeinsames Merkmal andere, mit seinen in Widerspruch stehende religiöse Ideen und Vorstellungen sind. Die gemeinsamen Ideen und Vorstellungen (und damit verbundene Praktiken) sind nun das, was Durkheim als ‚Religion‘ bezeichnet und die Gruppe, die diese teilt, bezeichnet er als ‚Kirche‘.
Religion wird also nicht zur Kirche - nicht in dem Sinne, dass da eine Religion als Ursache existiert und in der Folge daraus eine Kirche entsteht. Beides ist untrennbar in Wechselwirkung miteinander verbunden. Der Ursprung, die Ursache in zeitlicher Folge, liegt vielmehr idR in den persönlichen Ideen eines Individuums (seiner ‚Religiosität‘). Sobald diese Ideen von anderen aufgenommen und geteilt werden, entsteht daraus etwas Gemeinschaftliches, Soziales: eine Religion und eine Kirche.
Er definiert die Eigenschaften der Religion außerhalb der religiösen
Inhalte und bezeichnet das als Kirche.
Nicht ganz. ‚Kirche‘ ist nach seinem Verständnis die soziale Gestalt von Religion - jeder Religion. Nur so wird ‚Religion‘ auch fassbar - als etwas, das im sozialen Verband tradiert, gelehrt, praktiziert wird. Die rein persönliche, individuelle „Metaphysik des kleinen Mannes“ ist, soweit sie außerhalb eines kollektiven Systems von Überzeugungen und Praktiken steht, keine Religion, sondern allenfalls eine mehr oder weniger diffuse persönliche Religiosität, eine „Privatreligion“. In den konkreten Formen von derartigen ‚Kirchen‘ - mehr oder weniger starker Organisationsgrad, mehr oder weniger ausgeprägte Hierarchie oder Binnendifferenzierung usw. usf. gibt es natürlich ebenso große Unterschiede wie zwischen den Religionen selbst. Das zugrunde liegende Muster jedoch ist dasselbe.
die man aber nicht als Kirche bezeichnet, obwohl man es noch obiger
Definition müßte
Wer ist denn „man“? Durkheim schrieb „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ 1912 und spätestens seither ist es zumindest unter Sozial- und Religionswissenschaftlern durchaus nicht unüblich, dass „man“ den Begriff ‚Kirche‘ in seinem Sinne verwendet - wobei natürlich bei Verwendung dieses Begriffs zunächst deutlich zu machen ist, was „man“ darunter verstanden haben möchte.
Insofern habe ich Deine Frage
Wann, unter welchen Bedingungen, wird eine religiöse Gemeinschaft
Kirche genannt?
beantwortet. Wenn man ‚Kirche‘ in dem von mir dargelegten Sinne versteht, dann ist jede religiöse Gemeinschaft eine Kirche. Es bedarf dazu keiner weiteren, speziellen Bedingungen.
Wenn Du den Sinn von ‚Kirche‘ in engerem Sinn verstanden haben möchtest und in Bezug auf die Religion inhaltliche Kriterien mit heranziehst, dann ist ‚Kirche‘ natürlich etwas anderes, nämlich die religiöse Gemeinschaft der Christen. So wie ‚Sangha‘ die entsprechende Gemeinschaft von Buddhisten, ‚Umma‘ die von Muslimen usw. usf. ist. Differenzierst Du noch stäker, dann hast Du eben die katholische Kirche, die evangelische Landeskirche Hessen-Nassau, die Siebenten-Tags-Adventisten, Du hast die dGa’-ldan lugs und die Sôtôshû, Du hast Sunniten, Imamiten, Ismailiten, Zaiditen …
Dann gibt es auf Deine Frage
Wann, unter welchen Bedingungen, wird eine religiöse Gemeinschaft
Kirche genannt?
eigentlich nur noch eine sinnvolle Antwort: wenn sie selbst es tut.
Oder bezieht sich der Begriff Kirche wirklich nur auf christliche
Gemeinschaften?
Wie schon gesagt hängt das davon ab, wie und zu welchem Zweck man den Begriff verwendet. Deswegen hatte ich geschrieben, man könne die hier gestellten
Fragen gar nicht sinnvoll […] beantworten, wenn man nicht klar
offenlegt, was man denn nun unter ‚Christentum‘ einerseits
und ‚Kirche‘ andererseits versteht bzw. verstanden haben will.
Freundliche Grüße,
Ralf