Religion -> Kirche

Hallo,

Branden schrieb im unten stehenden Tread:

Die großen Weltreligionen haben natürlich eine gewisse Struktur, :Charisma oder innere Schlüssigkeiten, deswegen halten sie länger.
Ob sie deswegen zu Kirchen o.ä. werden müssen, sei dahin gestellt.

Da frage ich mich:
Wann wird eine Religion zu dem, was man eine Kirche nennt?
Was macht Kirche aus? Was unterscheidet sie von „nur“ Religion?

Gruß Steffi

Wann wird eine Religion zu dem, was man eine Kirche nennt?

Hallo,

Steffi!

Ob man so generell antworten kann, weiß ich nicht.
Bei der christlichen Kirche war es so, dass infolge des Zerfalls der Staatsmacht im (west-)römischen Kaiserreich und in den Wirren der Völkerwanderung die „Funktionäre“ des Christentums (Diakone, Priester, Bischöfe) für die Grundbedürfnisse der Menschen sorgten: Getreideversorgung und Armenpflege, Wasserleitungen, Straßen usw. Die Herausbildung des Papsttums erfolgt gleichzeitig mit der Übernahme der Herrschaft über Rom (Anfänge des späteren Kirchenstaates).
Die sog. Fälschungen der entsprechenden Urkunden (z. B. Konstantinische Schenkung) im Mittelalter haben den Zweck, für die Vorgänge in der Spätantike nachträglich die Legitimierung zu besorgen.
Im Reich von Ostrom/Konstantinopel/Byzanz war die Entwicklung anders. Dort gab es den kulturellen Bruch zwischen Altertum und Mittelalter als Folge von Eroberung und Zerstörung nicht. Da kam es dann sehr früh zu der Erscheinung des „Byzantinismus“, des Bündnisses von Thron und Altar.
Gruß!
Hannes

Wann wird eine Religion zu dem, was man eine Kirche nennt?

Hallo,

… also in beiden Fällen die Kirche eine hierarchische Struktur entwickelte in Anlehnung an die des Staates. Sogar die Bezeichnung für die Verwaltungseinheit (dioíkesis/Diözese) wurde übernommen.
H.

Hallo Steffi,

Da frage ich mich:
Wann wird eine Religion zu dem, was man eine Kirche nennt?
Was macht Kirche aus? Was unterscheidet sie von „nur“
Religion?

wenn Du dies wirklich wissen willst dann tippe mal bei Deiner Such-
maschine Wikipedia den Begriff „Kirche“ ein.
Für den Anfang wird es reichen.

Hier wirst Du leider bei Fragen zu Kirche oft nur mit polemisierenden
Beiträgen bedient.
Gruß VIKTOR.

Hallo Viktor,

Wann wird eine Religion zu dem, was man eine Kirche nennt?
Was macht Kirche aus? Was unterscheidet sie von „nur“ Religion?

wenn Du dies wirklich wissen willst …

Ja will ich.

…dann tippe mal bei Deiner
Suchmaschine Wikipedia den Begriff „Kirche“ ein.

Hab ich gemacht

Für den Anfang wird es reichen.

Nein reicht nicht.
Einerseits heißt es: soziale Organisationsform einer Religion
Andererseits wird als Kirche nur definiert, was auf Christus gründet.

Haben andere Religionen keine soziale Organisation?

Hier wirst Du leider bei Fragen zu Kirche oft nur mit
polemisierenden Beiträgen bedient.

Leider auch, aber bei weitem nicht nur.

Gruß Steffi

Hallo Steffi

…dann tippe mal bei Deiner
Suchmaschine Wikipedia den Begriff „Kirche“ ein.

Hab ich gemacht

Für den Anfang wird es reichen.

Nein reicht nicht.
Einerseits heißt es: soziale Organisationsform einer Religion
Andererseits wird als Kirche nur definiert, was auf Christus
gründet.

Haben andere Religionen keine soziale Organisation?

Doch, aber Du hast explizit nach dem Bergriff Kirche gefragt welcher
eben fast ausschließlich für die religiösen Organistionsformen
christlichen Konfessionen gebraucht wird.
Deine weitergehende Frage war ja in etwa „wann wird Religion zu
Kirche ?“
Tja ! Wann wird Sport zum Sportverein ?
Banaler Vergleich ,aber richtig - im Prinzip.
Thema, Anliegen,Organisation,Gemeinschaft, Indentifikation usw.
Aber dies kannst Du Dir doch alles selber denken, Deine Frage
daher überflüsig - wenn , wie ich vermute, nicht hinter Deiner
Frage eigentlich eine andere Frage steht welche Du nicht ausgesprochen
hast !!
Diese Frage mußt Du selbst formulieren damit Dir klar wird, was
wirklich Dein Anliegen ist.
Die richtige Frage zu stellen ist oft schwieriger als die
richtige Antwort zu geben - und - ob Du es glaubst oder nicht -
wenn man die richtige Frage gefunden hat braucht man sie
oft nicht mehr zu stellen.(außer man will plaudern)
Gruß VIKTOR

Hallo,
einleitend möchte ich bemerken, dass die Eröffnung eines neuen Threads eigentlich überflüssig war, zumal im Eröffnungsposting Bezug auf eine Antwort im alten Thread ‚Kirche‘ genommen wurde. Ich bitte, meinen Beitrag als auf beide Threads (‚Kirche‘ und ‚Religion -> Kirche‘) bezogen aufzufassen. Ein Doppelposting im gleichen Brett würde seitens der Moderation wohl kaum gern gesehen :wink:.

Zunächst einmal sind Junktors und Steffis Fragen gar nicht sinnvoll zu beantworten, wenn man nicht klar offenlegt, was man denn nun unter ‚Christentum‘ einerseits und ‚Kirche‘ andererseits versteht bzw. verstanden haben will. So lange diese grundlegenden Definitionen nicht klar sind, sind alle Antworten mehr oder weniger beliebig und man redet aneinander vorbei - da meint der eine mit ‚Christentum‘ ein anhand mehr oder weniger fundierter Bibelexegese rekonstruiertes ‚Urchristentum‘ (eher eine literarische Fiktion), ein anderer meint damit die von anerkannten Autoritäten der von ihm bevorzugten theologischen Tradition formulierte Doktrin, wieder ein anderer die konkreten Formen persönlichen Glaubens und rituellen Handelns von Menschen, die sich selbst als ‚Christen‘ bezeichnen. ‚Kirche‘ wiederum versteht der eine als mystischen Leib Christi, der andere als Oberbegriff der typischen sozialen Organisationsform, die Menschen christlichen Glaubens entwickelten und wieder ein anderer als die generalisierende Bezeichnung für religiöse Gemeinschaften, also als religionssoziologische Kategorie und von der spezifischen Religion (z.B. ‚Christentum‘) unabhängig.

Um meinen grundsätzlichen Ansatz darzulegen, zitiere ich (wieder einmal) Émile Durkheim, eine der großen Gestalten der Soziologie und speziell der Religionssoziologie:

Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören. […] wenn man zeigt, dass die Idee der Religion von der Idee der Kirche nicht zu trennen ist, dann kann man ahnen, dass die Religion eine im wesentlichen kollektive Angelegenheit ist.
(Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Suhrkamp 1981, ISBN: 3518287257 Buch anschauen)

Nun hat diese Definition aus meiner Sicht den Schönheitsfehler, dass sie ganz offensichtlich anhand des Christentums als Muster entwickelt wurde und sich christlicher Terminologie (i.e. ‚Kirche‘) bedient und es daher in einigen speziellen Religionen eines gewissen argumentativen Aufwandes bedarf, um ihre Gültigkeit für diese darzulegen. Aber in diesem Thread hier geht es ja speziell um die christliche Religion, so dass sich dieses Problem hier nicht stellt. Da die deutsche Übersetzung grammatisch verunglückt ist (mE müsste es heißen: „die ihm angehören“, nicht " ihr") noch einmal paraphrasiert:

  1. eine Religion ist „ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken“. D.h. die Überzeugungen (‚Glaubenssätze‘) und Praktiken (Riten) sind aufeinander bezogen, sie bilden mithin ein System - und sie werden von einer mehr oder weniger großen Gruppe geteilt bzw. praktiziert; das erwähnte System ist also ein solidarisches.

  2. die genannten Überzeugungen und Praktiken beziehen sich nicht auf praktische (wissenschaftliche, technische, soziale, politische …) Aspekte des Lebens, nicht auf das Pro-Fane, sondern auf das „Abgesonderte“, Heilige - das ‚Fanum‘.

  3. die Gruppe von Menschen, deren Merkmal die (Selbst-)Zuordnung zu diesem solidarischen System ist, bildet eine „moralische Gemeinschaft“ - was heisst, dass sie neben den Überzeugungen und Praktiken, die sie teilt, auch gemeinsame Kriterien für soziales Verhalten (also eine Moral) akzeptiert.

  4. diese Gruppe, die also definiert ist durch
    a) gemeinsame Überzeugungen in Bezug auf das Fanum
    b) gemeinsame Praktiken in Bezug auf das Fanum und
    c) eine gemeinsame Moral
    bezeichnet Durkheim als ‚Kirche‘.

Es ist unschwer zu sehen, dass religiöse Inhalte hier bewusst außer Acht gelassen werden - ‚Religion‘ ist hier nur ein Begriff, der im Konkreten äußerst unterschiedliche Dinge bezeichnet. Er passt auf die rituellen Folterungen und Menschenopfer der Assyrer oder Azteken genauso gut wie auf die Vogelpredigt eines Franz von Assisi. Was Durkheims Religionsbegriff in der hier zitierten Form außer Acht lässt, das ist, dass das so definierte „System“ ebenso wie die so definierte „Kirche“ selbstverständlich nicht statisch sind, sondern einer historischen Entwicklung unterliegen. Die religiösen Überzeugungen und Praktiken eines Christen des 3. Jahrhunderts sind wie seine Moral sicherlich nicht zu 100% die eines zeitgenössischen Christen (gleich, welcher Konfession er angehört) und noch mehr gilt dies für die Gestalt seines religiösen sozialen Verbandes, seiner Kirche. Religiöse Überzeugungen und Riten (und damit natürlich auch Institutionen) haben zwar eine beachtliche Widerstandskraft gegen historischen Wandel, da sie in der Regel großen Wert auf Verankerung in einer Tradition möglichst hohen Alters legen, was wiederum ihre überzeitliche Gültigkeit signalisieren soll. Trotzdem ist es unvermeidlich, dass die religiöse Tradition permanent einer Selbstvergewisserung durch Auslegung bedarf. D.h. bedingt durch den historischen Wandel des ‚Profanen‘ (politische, soziale, wirtschaftliche, demographische Umwälzungen …) entstehen Inkongruenzen, die einen Bedarf nach einer zeitgemäßen Interpretation und Auslegung der religiösen Tradition begründen.

Natürlich sind diese Modfikationen, die Anpassungen an veränderte historische Bedingungen, bei weitem nicht so tiefgreifend und auffällig wie die Veränderungen der Bedingungen selbst. Aber sie sind unausweichlich. Die Notwendigkeit, die heiligen Schriften zu übersetzen, weil ihr Original (oder eine ältere Übersetzung) irgendwann nur noch von wenigen Spezialisten verstanden wird, ist ein Beispiel für eine solche Modifikation. Ist schon die Übersetzung eines Textes (zumal eines religiösen) in eine andere Sprache immer auch eine Interpretation, so gilt dies natürlich in weit höherem Maße für die Auslegung und Deutung der religiösen Überlieferung (die selbstverständlich auch mündlich sein kann), ohne die sie nicht vermittelt und tradiert werden kann. Diejenigen, die nun in der religiösen Gemeinschaft, der „Kirche“ mit der Tradierung, also der Interpretation und Ausdeutung der Religion befasst sind, haben in eben dieser Kirche einen hohen Stellenwert. Sie sind soziale Leitbilder, Modelle - am augenfälligsten im Archetypus des ‚Heiligen‘.

Zusammenfassend: die Interpretation, Ausdeutung und Tradierung einer Religion unterliegt gesamtgesellschaftlichen Bedingungen. So wie diese sich wandeln, wandelt sich auch die Religion selbst - wenn sie auch auf den gesamtgesellschaftlichen Wandel im Normalfall stark verzögert und abgeschwächt reagiert. Die Träger dieses Wandels sind Leitfiguren der religiösen Gemeinschaft, der Kirche - idR durch spezielle Ausbildung dazu qualifiziert und durch Weiheriten autorisiert. Der Wandel kommt also aus der Kirche; er wird notwendig durch Anpassung der Kirche als sozialer Verband an den historischen Wandel der Gesamtgesellschaft (durch äußeren Druck) und er wird betrieben von Angehörigen der Kirche, die sich durch soziales Prestige und/oder religiöses Charisma auszeichnen (innerer Druck). Eben die Letzgenannten wirken durch ihre soziale Leitbildfunktion auch auf die Kirche als Ganzes bzw. deren Angehörige zurück - die Reformer (die sich in aller Regel als ‚Restauratoren‘ einer entarteten Tradition zu legitimieren suchen) reformieren nicht nur die Religion, sie reformieren damit immer auch die Kirche - oder doch Teile davon. Diese Reform ist idR ein kontinuierlicher Prozess und überschreitet aufgrund seiner Langsamkeit nur selten die Wahrnehmungsschwelle der meisten Menschen. Bei hohem Anpassungsdruck in Verbindung mit einem ‚Reformstau‘ kann sich der Wandel allerdings auch spektakulärer vollziehen - zumindest aus der Rückschau späterer Generationen. Beispiele dafür wären nicht nur die Reformation Luthers, Calvins und Zwinglis, sondern auch die Reformation / Restauration des Rabbi Jeschua und das Herauslösen der christlichen Gemeinschaft aus der jüdischen ‚Kirche‘ (hier natürlich im Durkheim’schen Sinne verstanden) und Bildung einer neuen Kirche als ‚Ableger‘ der alten.

Freundliche Grüße,
Ralf

…langes Referat…

Hallo Ralf,
meinst Du wirklich, daß Dein langes Referat hier im
Zusammenhang mit der Fragestellung und der Fragestellerin
einen Sinn macht ?
Auch können die Ansichten von irgendwem oder dessen
Definition von Religion welche Du hier diskutierst oder
analysierst (sie waren garnicht gefragt) nicht dazu beitragen
irgendetwas zu klären.
Richtig ist natürlich, daß oft nicht ersichtlich ist wovon
der Fragesteller eigentlich wirklich spricht.
Nicht böse sein wegen meiner Kritik !
Gruß VIKTOR

Hallo Viktor,

…langes Referat…

niemand ist gezwungen, es zu lesen …

meinst Du wirklich, daß Dein langes Referat hier im
Zusammenhang mit der Fragestellung und der Fragestellerin
einen Sinn macht ?

Die Fragen lauteten:

Wann wird eine Religion zu dem, was man eine Kirche nennt?
Was macht Kirche aus? Was unterscheidet sie von „nur“ Religion?

und

„Ohne Kirche gäbe es kein Christentum“ […]
Wie sieht das im Vergleich mit den anderen Weltreligionen
aus? Gibt es dort ein Pendant zur kath. Kirche,

  • und ich denke, dass ich auf eben diese Fragen nach einer angebrachten Begriffsklärung Auskunft gegeben habe. Wer sich aus Interesse am Thema die Mühe macht, die Argumentation nachzuvollziehen oder vielleicht sogar Durkheim selbst zu lesen, wird zumindest Stoff zum Nachdenken haben.

Für sinnvoller als einen Hinweis auf Wikipedia (diese Adresse dürfte allgemein durchaus bekannt sein) oder die Unterstellung, die Fragestellerin wolle eigentlich etwas anderes wissen als das, was sie gefragt hat, halte ich meine Antwort allemal. Dies ist ein religionswissenschaftliches Diskussionsbrett, keine Metasuchmaschine und auch keine psychologische Beratungsstelle.

Was Deine Anspielung von wegen „im Zusammenhang mit … der Fragestellerin“ bedeuten soll, solltest Du vielleicht einmal etwas näher erläutern. „Im Zusammenhang mit der Fragestellerin“ gehe ich genauso wie im Zusammenhang mit dem Fragestelle Junktor davon aus, dass sie bzw. er eine fundierte Antwort wünscht - und die kann man nun einmal bei manchen Fragestellungen nicht in zwei, drei Sätzen geben. Wenn ich mir die Mühe mache, ausführlich zu antworten, dann kannst du Du ruhig annehmen, dass ich auch davon ausgehe, dass der eine oder andere am Thema Interessierte sich auch die Mühe macht, die Antwort zu lesen und zu verstehen. Auch wenn sie eine etwas größere Aufmerksamkeitsspanne beansprucht als ein TV-Werbespot. Zerbrich Dir da mal nicht meinen Kopf.

Nicht böse sein wegen meiner Kritik !

Gleichfalls,
Ralf

2 „Gefällt mir“

Hallo Viktor,

eben fast ausschließlich für die religiösen Organistionsformen
christlichen Konfessionen gebraucht wird.

fast? wann ja, wann nein?

Tja ! Wann wird Sport zum Sportverein ?

Wenn 7 Gründungsmitglieder eine Satzung beschließen, einen Vorstand wählen, einen Namen bbestimmen und den Verein beim zuständigen Amtsgericht eintragen lassen.

Kirche ist so wahrscheinlich nicht entstanden.

…wenn , wie ich vermute, nicht hinter Deiner
Frage eigentlich eine andere Frage steht welche Du nicht
ausgesprochen hast !!

Nein, dahinter steht keine persönliche Frage. Mit meinen Glaubensinhalten bin ich im reinen.
Es war eine ganz pragmatische Wissensfrage.

Gruß Steffi

Hallo hannes,

Bei der christlichen Kirche war es so, …

Diese Entwicklung ist gut nachzuvollziehen.

Das würde bedeuten:
Staatsersatzfunktionen => Kirche
keine Staatsersatzfunktionen => Religion

Doch haben alle anderen Religionen, außer den christlichen, ausschließlich nur Glaubensinhalte?

Gruß Steffi

Hallo Ralf,

nun habe ich die Muße, mich mit deiner Antwort zu beschäftigen.

einleitend möchte ich bemerken, dass die Eröffnung eines neuen
Threads eigentlich überflüssig war,…

Das empfand ich anders.

…was man denn nun unter ‚Christentum‘ einerseits und ‚Kirche‘
andererseits versteht bzw. verstanden haben will.

Genau da fängt meine Frage an.

…‚Kirche‘ wiederum versteht der eine … der andere
… und wieder ein anderer als

Eben!

Nun hat diese Definition aus meiner Sicht den
Schönheitsfehler, dass sie ganz offensichtlich anhand des
Christentums als Muster entwickelt wurde …

:… und es daher in einigen

speziellen Religionen eines gewissen argumentativen Aufwandes
bedarf, um ihre Gültigkeit für diese darzulegen.

Genau das ist die Frage, die Gültigkeit in anderen Religionen.

Aber in diesem Thread hier geht es ja speziell um die christliche
Religion, …

Meine Frage war: Wann wird Religion zur Kirche?
Allgemein, nicht auf christlich bezogen!

  1. diese Gruppe, die also definiert ist durch
    a) gemeinsame Überzeugungen in Bezug auf das Fanum
    b) gemeinsame Praktiken in Bezug auf das Fanum und
    c) eine gemeinsame Moral
    bezeichnet Durkheim als ‚Kirche‘.

Es ist unschwer zu sehen, dass religiöse
Inhalte hier bewusst außer Acht gelassen

Er definiert die Eigenschaften der Religion außerhalb der religiösen Inhalte und bezeichnet das als Kirche.

… passt auf die
rituellen Folterungen und Menschenopfer der Assyrer oder Azteken

die man aber nicht als Kirche bezeichnet, obwohl man es noch obiger Definition müßte.

… der religiösen Gemeinschaft, der Kirche

Womit wir doch eigentlich wieder bei meiner anfänglichen Frage sind.

Wann, unter welchen Bedingungen, wird eine religiöse Gemeinschaft Kirche genannt?

Oder bezieht sich der Begriff Kirche wirklich nur auf christliche Gemeinschaften?

Gruß Steffi

Hallo,

Zunächst einmal sind Junktors und Steffis Fragen gar nicht
sinnvoll zu beantworten, wenn man nicht klar offenlegt, was
man denn nun unter ‚Christentum‘ einerseits und ‚Kirche‘
andererseits versteht bzw. verstanden haben will. So lange
diese grundlegenden Definitionen nicht klar sind, sind alle
Antworten mehr oder weniger beliebig und man redet aneinander
vorbei

Wohl wahr, der neuralgische Punkt unseres
„Aneinandervorbeiredens“, liegt im Stichwort „Emergenz“

http://emergenz.hpfsc.de/html/node8.html

Durkheim ist mir bekannt, auch Weber, die Amerikaner, Luhmann
oder Willke.

Es freut mich, dass du doch noch Zeit gefunden hast zu antworten!
Danke dafür!

Mit freundlichem Gruss

Junktor

Hallo Steffi

Meine Frage war: Wann wird Religion zur Kirche?
Allgemein, nicht auf christlich bezogen!

Durkheims Ansatz, den ich erläutert habe, ist der, „dass die Idee der Religion von der Idee der Kirche nicht zu trennen ist“. Vielleicht ist es hier hilfreich, zwischen ‚Religiosität‘ (ersatzweise der modischeren ‚Spiritualität‘) als einer individuellen, persönlichen Angelegenheit und ‚Religion‘ als einer sozial bestimmten Angelegenheit zu unterscheiden. Jemand, der sich selbst als ‚Christ‘, als ‚Buddhist‘, als ‚Muslim‘ versteht und bezeichnet, tut damit kund, dass er sich einer Gruppe zugehörig fühlt, die sich aufgrund gemeinsamer Merkmale definieren lässt. Wenn jemand also sagt, er sei ‚Christ‘, ‚Buddhist‘, ‚Muslim‘, ‚Hindu‘ usw. zeigt er seine Verbundenheit mit bestimmten religiösen Ideen, die von anderen Menschen geteilt werden und grenzt sich damit gleichzeitig von anderen Gruppen ab, deren gemeinsames Merkmal andere, mit seinen in Widerspruch stehende religiöse Ideen und Vorstellungen sind. Die gemeinsamen Ideen und Vorstellungen (und damit verbundene Praktiken) sind nun das, was Durkheim als ‚Religion‘ bezeichnet und die Gruppe, die diese teilt, bezeichnet er als ‚Kirche‘.

Religion wird also nicht zur Kirche - nicht in dem Sinne, dass da eine Religion als Ursache existiert und in der Folge daraus eine Kirche entsteht. Beides ist untrennbar in Wechselwirkung miteinander verbunden. Der Ursprung, die Ursache in zeitlicher Folge, liegt vielmehr idR in den persönlichen Ideen eines Individuums (seiner ‚Religiosität‘). Sobald diese Ideen von anderen aufgenommen und geteilt werden, entsteht daraus etwas Gemeinschaftliches, Soziales: eine Religion und eine Kirche.

Er definiert die Eigenschaften der Religion außerhalb der religiösen
Inhalte und bezeichnet das als Kirche.

Nicht ganz. ‚Kirche‘ ist nach seinem Verständnis die soziale Gestalt von Religion - jeder Religion. Nur so wird ‚Religion‘ auch fassbar - als etwas, das im sozialen Verband tradiert, gelehrt, praktiziert wird. Die rein persönliche, individuelle „Metaphysik des kleinen Mannes“ ist, soweit sie außerhalb eines kollektiven Systems von Überzeugungen und Praktiken steht, keine Religion, sondern allenfalls eine mehr oder weniger diffuse persönliche Religiosität, eine „Privatreligion“. In den konkreten Formen von derartigen ‚Kirchen‘ - mehr oder weniger starker Organisationsgrad, mehr oder weniger ausgeprägte Hierarchie oder Binnendifferenzierung usw. usf. gibt es natürlich ebenso große Unterschiede wie zwischen den Religionen selbst. Das zugrunde liegende Muster jedoch ist dasselbe.

die man aber nicht als Kirche bezeichnet, obwohl man es noch obiger
Definition müßte

Wer ist denn „man“? Durkheim schrieb „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ 1912 und spätestens seither ist es zumindest unter Sozial- und Religionswissenschaftlern durchaus nicht unüblich, dass „man“ den Begriff ‚Kirche‘ in seinem Sinne verwendet - wobei natürlich bei Verwendung dieses Begriffs zunächst deutlich zu machen ist, was „man“ darunter verstanden haben möchte.

Insofern habe ich Deine Frage

Wann, unter welchen Bedingungen, wird eine religiöse Gemeinschaft
Kirche genannt?

beantwortet. Wenn man ‚Kirche‘ in dem von mir dargelegten Sinne versteht, dann ist jede religiöse Gemeinschaft eine Kirche. Es bedarf dazu keiner weiteren, speziellen Bedingungen.

Wenn Du den Sinn von ‚Kirche‘ in engerem Sinn verstanden haben möchtest und in Bezug auf die Religion inhaltliche Kriterien mit heranziehst, dann ist ‚Kirche‘ natürlich etwas anderes, nämlich die religiöse Gemeinschaft der Christen. So wie ‚Sangha‘ die entsprechende Gemeinschaft von Buddhisten, ‚Umma‘ die von Muslimen usw. usf. ist. Differenzierst Du noch stäker, dann hast Du eben die katholische Kirche, die evangelische Landeskirche Hessen-Nassau, die Siebenten-Tags-Adventisten, Du hast die dGa’-ldan lugs und die Sôtôshû, Du hast Sunniten, Imamiten, Ismailiten, Zaiditen …

Dann gibt es auf Deine Frage

Wann, unter welchen Bedingungen, wird eine religiöse Gemeinschaft
Kirche genannt?

eigentlich nur noch eine sinnvolle Antwort: wenn sie selbst es tut.

Oder bezieht sich der Begriff Kirche wirklich nur auf christliche
Gemeinschaften?

Wie schon gesagt hängt das davon ab, wie und zu welchem Zweck man den Begriff verwendet. Deswegen hatte ich geschrieben, man könne die hier gestellten

Fragen gar nicht sinnvoll […] beantworten, wenn man nicht klar
offenlegt, was man denn nun unter ‚Christentum‘ einerseits
und ‚Kirche‘ andererseits versteht bzw. verstanden haben will.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Junktor

Wohl wahr, der neuralgische Punkt unseres
„Aneinandervorbeiredens“, liegt im Stichwort „Emergenz“

danke - die Zielrichtung Deines Einwandes ist mir damit klarer geworden. Trotzdem denke ich nicht, dass der neuralgische Punkt die Emergenz war/ist, sondern eine unterschiedliche Ziehung der Systemgrenze. Das, was einem System als emergent zuzurechnen ist und was nicht (mehr), ist natürlich wesentlich bestimmt durch die Definition der Systemgrenze.

http://emergenz.hpfsc.de/html/node8.html

Danke - hilfreiche Definition auch in Hinsicht dessen, was Durkheim in Hinblick auf Religion unter ‚System‘ versteht.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

wenn du die Entwicklung der Soziologie, also von Durkheim bis
Willkes „Global Governance“ z.B. analog zu unserer Diskussion
betrachtest, wird es vielleicht noch klarer, um was es
mir geht. Vielleicht noch ein Link:

http://de.wikipedia.org/wiki/Soziales_System

Luhmann betrachtet die strukturellen Elemente eines
sozialen Systems aus Kommunikationen(!) geschaffen…

Auch hier bestehen selbstredend Differenzen und die
Soziologie ist nicht ohne Kritik. Willke sieht sich
in einem Mittelding zwischen positivistischer
Naturwissenschaft und spekulativer Philosophie.

Punkt die Emergenz war/ist, sondern eine unterschiedliche
Ziehung der Systemgrenze. Das, was einem System als emergent
zuzurechnen ist und was nicht (mehr), ist natürlich wesentlich
bestimmt durch die Definition der Systemgrenze.

Das ist richtig. Ich halte eben solche (das Ausgangsposting)
reduktionistischen Ansätze apriorisch für falsch oder
zumindest problematisch, wenn man z.B. sieht mit welchen
Schwierigkeiten man in der Systemsteuerung konfrontiert
wird.

http://www.transcript-verlag.de/ts457/ts457.php

Mit freundlichem Gruss

Junktor

Hallo Junktor,

Ich halte eben solche (das Ausgangsposting)
reduktionistischen Ansätze apriorisch für falsch oder
zumindest problematisch, wenn man z.B. sieht mit welchen
Schwierigkeiten man in der Systemsteuerung konfrontiert
wird.

diese Generalkritik an ‚reduktionistischen‘ Ansätzen vermag ich nicht ganz nachzuvollziehen. Die Definition einer Systemgrenze ist sicher immer problematisch - sie sollte jedoch jedenfalls dem Untersuchungsgegenstand angemessen sein. Wenn ich etwa den Zitronensäurezyklus untersuche, macht es wenig Sinn, dies anhand des Ökosystems ‚amazonischer Regenwald‘ zu tun - ich beschränke mich sinnvollerweise auf eine ausgewählte Pflanze. Untersuche ich wiederum die Beeinträchtigung der Stabilität von Ökosystemen durch Brandrodung, wäre der amazonische Regenwald ein geeignetes System. Nicht sinnvoll wäre hingegen das System der Flora und Fauna Brasiliens - das Ökosystem des Sertao beispielsweise ist völlig anders geartet und auch nicht nennenswert durch Brandrodung betroffen. Eine unzweckmäßige Ausweitung der Systemgrenze führt notwendig zu unscharfen Ergebnissen.

Wirklich problematisch wird es erst, wenn man ein abgegrenztes und definiertes System ohne guten Grund als ‚geschlossen‘ deklariert.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

diese Generalkritik an ‚reduktionistischen‘ Ansätzen vermag
ich nicht ganz nachzuvollziehen.

reduktionistische Ansätze sind ja durchaus legitim,
aber wenn/weil sie sich auf einfache kausale Aussagen
beschränken, lassen sie die Komplexität des Systems
(Interaktionen etc.)
ausser acht und bleiben deshalb immer hypothetisch.
Du kannst ein wenig googeln, wenn es dich interessiert.
In unserem Fall wurde aber ausserdem der logische
Fehler gemacht, die Prämisse vorzugeben und versucht
mittels Induktionsschlüssen nachzuweisen. Eine grobe
Form von Meinungsmache und Vorverurteilung.
Denn auch hier finden/fänden sich widersprüchliche
„Induktionsschlüsse“, wenn man denn wollte.

Die Definition einer
Systemgrenze ist sicher immer problematisch - sie sollte
jedoch jedenfalls dem Untersuchungsgegenstand angemessen sein.

Absolut.

Wenn ich etwa den Zitronensäurezyklus…Eine unzweckmäßige
Ausweitung der Systemgrenze führt notwendig zu unscharfen Ergebnissen.

Ganz klar.

Wirklich problematisch wird es erst, wenn man ein abgegrenztes
und definiertes System ohne guten Grund als ‚geschlossen‘
deklariert.

Ganz klar, jetzt kommen wir auf den Punkt:

autopoietische, selbstreferenzielle Systeme evolvieren
durch eine Abfolge von eben solchen Strukturen, sie können grundsätzlich nicht in einer einzigen, statischen Struktur
verharren. Du hast das ja ganz wunderbar und kenntnisreich
analysiert. Die dogmatischen Herrscher und ihr Corpus
Kirche oder wie immer man das nennen mag, sind im soziologischen
Sinne nicht relevant, weil, wie ich schon sagte, es dort um
Kommunikationen, Interaktionen etc. geht, nicht um Akteure.
Nicht nur weil sie den ontologischen Gesetzmässigkeiten
unterworfen sind.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Unbestimmtheit,
die offene Evolution, wie man neuerdings annimmt.
Also keine teleologische oder teleonomische Suche.
Da kann man sich natürlich herrlich streiten. Vor allem
mit Dogmatikern.

Mit freundlichem Gruss

Junktor