Reste keltischer Religion / Kultur?

Guten Tag,

gibt es in Mitteleuropa noch Reste keltischer und oder germanischer Religion und Kultur? Ich meine nicht selbsternannte Neudruiden und „Ich war mal eine“ - Hexen und glatzentragende runenmalende Dumpfbacken, sondern Rituale / Reste von Ritualen, in denen autochthon mitteleuropäisches Brauchtum unreflektiert fortlebt.

Angeblich sollen der Weihnachtsbaum und das Osterei so etwas sein. Gibt es noch mehr Traditionen, die in und neben der abrahamitischen orientalischen Importreligion Christentum weiterleben? Oder stimmt das mit Weihnachtsbaum und Osterei gar nicht? Was ist mit dem Mistelzweig der Briten, dem auf Holz klopfen bei Nennung eines glücklichen Zustandes?

Auf der Suche nach kulturellen Wurzeln - dalga

Hallo,
ich will nicht versuchen, Vollständigkeit zu erreichen. Sondern mal anfangen, vielleicht machen andere weiter:

SPUREN kann man sicher viele finden:
Die Namen der Wochentage: Dienstag= Ziustag, Donnerstag=Donars-Tag, Freitag=Tag der Freija , auf Englisch auch noch Wednesday= Wotanstag.

Ostereier und Weihnachtsbaum sind sicher auch auf der Linie. Allerdings vermutlich erstspätmittalterlich eingeführt. Mistelzweig (christl umbenannt als Barbarazweig?) gibt’s nicht nur in England.

Ich möchte als Spur noch vorschlagen: Die verschiedenen Sonnwendfeiern, auch die Feuer um Lichtmess und Fasching.

Dazu käme noch der Brauch/der Gedanke der „Losnächte“: 12 Nächte nach Weihnachten - das Wetter der entsprechenden Tage soll dem Wetter der kommenden Monate entsprechen. Das ist zwar an ein christl. Datum angehängt, dürfte aber ältere Vorstellungen transportieren. Und das christliche Datum (25. Dezember) ist ja mal Tag der Wintersonnwende gewesen (hat sich nur wegen Kalenderungenauigkeiten auf 21.Dez. verschoben).

Ebenso wie die Wahrsagerei mit den Losnächten dürften andere Bauernregeln auch sehr alt sein - auch dann, wenn sie sich an christl. Kalenderbezeichnungen anhängen.

Man kann natürlich nicht von allem, was heute sich noch in Aberglauben/Bauernregeln ff manifestiert, behaupten, das müssten verdrängte Reste germanischer oder keltischer Religion sein. Beispielsweise Bleigießen/Angst vor schwarzer Katze: derartige Vorstellungen dürften einfach „international“ sein, also keine spezielle Ursprungskultur haben. Siehe auch die Astrologie. Nach den Sternen haben auch die Germanen und Kelten geschaut; aber eben nicht nur sie.

Na ja, jetzt sollen/können mal andere weiter machen -
macht’s gut.
Basty

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Hallo,

Dazu käme noch der Brauch/der Gedanke der „Losnächte“: 12
Nächte nach Weihnachten - das Wetter der entsprechenden Tage
soll dem Wetter der kommenden Monate entsprechen.

Von meiner Oma kenne ich die Losnächte etwas anders. Die Träume in diesen Nächten sollen auf das Geschehen in dem jeweiligen Monat hindeuten.

Gruß Steffi

Hi Dalga,

gibt es in Mitteleuropa noch Reste keltischer und oder
germanischer Religion und Kultur?

viele scheinbar christliche Traditionen basieren auf vorchristlichen Traditionen.
Sonnenwendfeiern, Karneval und die Riten darum, der Weihnachtstermin, die Marienverehrung, die Heiligenverehrung und noch viele Dinge mehr gehen (eigentlich) auf vorchristlich/keltisch/germanische Ursprünge zurück, die von der christlichen Kirche adaptiert wurde.

Gandalf

Danke für Eure Antworten!

Habe noch ein interessantes Gespräch geführt gestern. Danach sind der röhrende Hirsch im Wohnzimmer, die Gartenzwerge Relikte keltischer Götter bzw. Andersweltlicher. Auch die Redewendung „Schwein gehabt“, die schwarzen Madonnen, zu Zuordnung der Wettermachfunktion zu Petrus (war früher ein anderer Gott), Osterfeuer, das Gänseessen im November, Maibaum, ja gar der Stammtisch als Ort der Entscheidungsfindung sollen keltische Relikte sein.

Schaut man genau hin, ist unsere Welt wohl voll von verfremdeten, überdeckten, unverstandenen Kulturresten der alten Europäer. Der christliche Überbau ist dünner, als man denkt, wenn sogar die gotische Kathedrale in ihrer Architektur eine Nachbildung des Buchenwaldes sein soll, viele christliche Sakralbauten auf alten heiligen Plätzen und über heiligen Quellen stehen, um diese umzuwidmen.

Viele Traditionen und selbst die Jägermeisterwerbung erscheinen in ganz anderem Licht!

Freudige Grüße, dalga

Hallo Dalga,

ja gar der Stammtisch als Ort der
Entscheidungsfindung sollen keltische Relikte sein.

man sollte vorsichtig sein, jetzt allzuviel einem Kulturkreis zuzuordnen, denn es gibt viele Riten, die sehr verbreitet sind.
Der Stammtisch ist sicher keine exklusiv keltische Einrichtung die an den Thing erinnern soll. In anderen Kulturen traf man sich auch um Entscheidungen zu treffen.

Auch Tage wie Sonnenwenden etc. dürften weltweit verbreitet sein.

Gandalf

Kulturelle Relikte und Synkretismen
Hi,

der röhrende Hirsch im Wohnzimmer, die Gartenzwerge
Relikte keltischer Götter

das ist Unsinn. Der Hirsch spielt in den meisten (Jägerei-)Kulten des indogermanischen Kreises eine mythologische Rolle. Der Gartenzwerg ist eine Erfindung der österreichischen Adelsschickeria. Außerdem gehören Zwerge, Gnome, Kobolde usw. usw. der germanischen Mythologie an, sowie der römisch/italienischen als Ausläufer und Relikte ursprünglich etruskischer Götter.

Redewendung „Schwein gehabt“

Dazu schau mal im „Schwarzen Netz“ unter „Schwein haben“, du wirst dich wundern:
http://www.sungaya.de/schwarz/allmende/tiere/eber.htm

die schwarzen Madonnen

kommen aus Mondgöttin-Kulten des Mittelmeerraumes: Der Neumond.

Zuordnung der Wettermachfunktion zu Petrus (war früher ein anderer Gott)

Wettergötter gibt es in ALLEN Kulten. Die Wettermacherrolle von Petrus ist ein Synjretismus mit dem 1. griechischen Zeus und 2. germanischen Donar.

Osterfeuer

gibt es als Requisite des Frühlingsfestes in ALLEN Kulturen. Allein der österliche Hase und das Ei hat was mit der keltischen _Ostara zu tun.

das Gänseessen im November

Du meinst sicher, weil der Hahn, der wohl kaum ein Ganter ist, bei (auch) den Kelten (Gallier ← lat. gallus) eine mythologische Rolle spielte? :smile:

Maibaum

ist ebenso wie der Richtfest-Baum eine interkulturelle Requisite

ja gar der Stammtisch als Ort der Entscheidungsfindung

ist 1. interkulturell und 2. ein Relikt des germanischen thing , von dem sich sowohl das „denken“ (= beraten, erwägen) als auch das „Ding“ (= Ratsbeschluß, Festlegung, Bestimmung) ableitet.

Schaut man genau hin, ist unsere Welt wohl voll von
verfremdeten, überdeckten, unverstandenen Kulturresten der alten Europäer.

Nicht nur der Europäer! Hierzu empfehlenswert der Klassiker:
Mircea Eliade: Das Okkulte und die moderne Welt
ISBN 3701305625 Buch anschauen

wenn sogar die gotische Kathedrale in ihrer Architektur
eine Nachbildung des Buchenwaldes sein soll

Erstaunlich, welche Kapriolen meoderen Mythenbildung schlagen kann.

viele christliche Sakralbauten auf alten heiligen Plätzen und über heiligen Quellen stehen, um diese umzuwidmen.

Das ist völlig richtig. Den Aufbau von Heilgtümern auf Heilgtümern früherer Kulten bzw. Kulturen haben sich ebenfalls ALLE Religionen geleistet, bis in die Altsteinzeit hinein. Auch der schwarze Stein in der Kaaba ist ein altarabisches-vorislamisches Heiligtum.

Gruß

Metapher_

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Hallo Gandalf,

man sollte vorsichtig sein, jetzt allzuviel einem Kulturkreis
zuzuordnen, denn es gibt viele Riten, die sehr verbreitet
sind.

Das ist sicherlich richtig, ich habe auch nicht das Wissen, um meinerseits Zuordnungen herzustellen, (Religions-)geschichte ist nicht mein Fachgebiet. Dann würde ich auch Fragen beantworten, statt sie zu stellen :wink:. Mich interessiert hier vorrangig „was war schon vorher da“, vor den römischen Eroberern, die ihre Religion nach Mitteleuropa brachten. Ob das, was „schon vorher“ da war, nun keltisch oder germanisch oder skythisch war, ist aufgrund der Quellenlage wohl nicht in eine eindeutige Schublade zu packen.

Der Stammtisch ist sicher keine exklusiv keltische Einrichtung
die an den Thing erinnern soll.

Wohl weder „exclusiv“ noch „soll“. In der Eingangsfrage ging es mir gerade um unreflektierte Ritualreste, nicht um solche, die absichtsvoll und wissend (soll!)ausgeübt werden.

In anderen Kulturen traf man
sich auch um Entscheidungen zu treffen.

Kein Zweifel. Nur, bei uns treffen sich die wichtigen :wink: Männer nicht zum Schwitzhüttengang oder im Frühtau zu Berge, um die Entscheidungen zu treffen, die andertags im Vorstand oder Kreistag abgesegnet werden sollen. Sie treffen sich regelmäßig (!) am Stammtisch, der durchaus nicht aus Eiche bestehen muss, sondern ein Designerteil im Golfclubcasino sein kann.

Auch Tage wie Sonnenwenden etc. dürften weltweit verbreitet
sein.

No doubt. Mich interessiert die Abgrenzung zum CHristentum. Feiert das Christentum, dort, wo es autochthone Religion ist, die Sonnenwenden?

grüße, dalga

Hallo dalga,

Mich interessiert die Abgrenzung zum CHristentum.
Feiert das Christentum, dort, wo es autochthone Religion ist,
die Sonnenwenden?

wer ist „das Christentum“?

Fundamentalistische Christen feiern keine Sonnenwende.
Auch kein Ostern oder Weihnachten in der bekannten Art.

Christen feiern das Abendmahl und die Auferstehung. Bei der Geburt Jesu gehen die Meinungen schon auseinander, weil der Geburtszeitraum nicht bekannt ist.

Gruss Harald

Hallo Harald,

wer ist „das Christentum“?

Fundamentalistische Christen feiern keine Sonnenwende.
Auch kein Ostern oder Weihnachten in der bekannten Art.

Wie interessant. Warum feiern dann „die Christen“ - also die Getauften und ausgetretenen Getauften und Leute um mich herum diese Feste???

Christen feiern das Abendmahl und die Auferstehung. Bei der
Geburt Jesu gehen die Meinungen schon auseinander, weil der
Geburtszeitraum nicht bekannt ist.

Das ist ja echt wenig und irgendwie gar nicht lustvoll. Schlage ich einen handelsüblichen Kalender auf, hagelt es dort Feiertage, christliche wohl. In manchen Kalendern hat gar jeder Tag einen zuständigen christlichen heiligen.

Zufällig nahm ich mal an einem Gottesdienst (ev.) teil. Der Priester (?) oder Prediger (wie heißt der richtig?) sprach davon, man würde an diesem tag den Weltlepratag „feiern“. Er sagte wörtlich „feiern“. Aber weder war es feierlich in der Veranstaltung noch finde ich den Anlass feierlich. Und seine Wortwahl fand ich ziemlcih daneben. Aber das ist jetzt ein ganz anderes Theman…

danke für deine Antwort, dalga

No doubt. Mich interessiert die Abgrenzung zum CHristentum.
Feiert das Christentum, dort, wo es autochthone Religion ist,
die Sonnenwenden?

Liebe Dalga,

kannst Du mir ein Land nennen, wo das Christentum „autochthon“ ist?
Es hat sich überall dor, wohin es sich verbreitete, gegen andere, ältere Religionen durchsetzen müssen.
Oder habe ich ein eingeschränktes Verständnis von „autochthon“?

Gruß - Rolf

Hallo, da ich mich wegen einer religösen Frage im Geschi-Brett, bzw. die Reaktionen auf meine Antwort schon glaubte mich verlaufen zu haben, hab ich auch mal hierreingeschaut und nur per Zufall diese ganz und gar prähistorische Frage gefunden…
Wie wärs mal mit nem Buch?
Müller Karpe: Grundzüge antiker Menschheitsreligion. 1. Jh v. Chr.-5. Jh aus dem Jahr 2000
oder ders. Geschichte der Gottesverehrung von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart aus dem Jahr 2005

Der Knabe ist Prähistoriker und hat ein Standardwerk geschrieben, wozu der obere Band eine ergänzung darstellt (drum glaub ich dass die Datenangabe im UB-Katalog aus dem ich die hab falsch ist und es 1. Jtsd heißt): Grundzüge früher MEnschheitsgeschichte (mehrere Bände von Steinzeit bis eben 5. Jh. n. Chr)in denen auch die funde zu Begräbniszereminien und so zu finden sind.

Dann hab ich auch noch einen Ausstellungskatalog:
Die Religion der Kelten : fromm, fremd, barbarisch ; [eine Sonderausstellung der Universität Leipzig ;
/ Hans-Ulrich Cain. - Mainz am Rhein : von Zabern, 2002

und da rituale sich nicht so leicht im Archäologischen Fundgut wiederfinden lassen hilft evtl auch
Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen : Sammlung, Übersetzung und Kommentierung
/ Andreas Hofeneder. - Wien : Verl. der Österreichischen Akad. der Wiss., 2005-

Zu den beiden letzen kann ich aber nicht allzuviel sagen, da ich sie noch nicht angeschaut hab, aber die Verlage zeigen schon mal dass es was ordentliches ist (also archäologisch und nicht esoterisch)

Und nicht vergessen, Kelten ist ein dehnbarer Begriff, dazu gibts auch noch gute Literatur, bei den Verlagen von theiss oder Zabern und sicher auch noch anderswo…
Gruß Susanne