ZMR 2004 Heft: 1 Seite: 1
Von Prof. Dr. Martin Häublein, FU-Berlin
Ordentliche Kündigung von Zeitmietverträgen? – Ein Beitrag zur Auslegung der Zeit-mietabrede im Wohnraummietrecht
I. Der Zeitmietvertrag nach der Mietrechtsreform
Durch Einführung des § 575 BGB hat der Gesetzgeber den „einfachen“ Zeitmietvertrag abgeschafft. Damit wurde nicht nur die Regelung über den Zeitmietvertrag vereinfacht, sondern zugleich eine gewichtige Akzentverschiebung vorgenommen: Der Zeitmietvertrag in seiner geltenden Form ist nach der lex scripta ein Instrument zum Schutze des Rückgewährinteresses1 des Vermieters.2 Liegen vom Gesetz anerkannte Befristungsgründe nicht vor, d. h. erfüllt der Vertrag nicht die Voraussetzungen eines („qualifizierten“) Zeitmietvertrages i.S. des § 575 BGB (§ 564 c Abs. 2 BGB a. F.), gilt er als auf unbestimmte Zeit geschlossen (§ 575 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Andere von den Parteien eventuell verfolgte Interessen, die im Schrifttum3 im Zusam-menhang mit dem Abschluß eines Zeitmietvertrages angeführt werden, vermögen die-sen also nicht mehr zu rechtfertigen. Insbesondere ist es nach Ansicht des Gesetzge-bers kein Befristungsgrund, daß der Vermieter sich vor ständig wechselnden Mietern zu schützen beabsichtigt oder der Mieter sich die Wohnung über eine bestimmte Zeit sichern möchte. Wörtlich heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs:4 „Liegt bei Vertragsschluß kein Befristungsgrund auf Vermieterseite vor, so kann dem Interesse des Mieters an einer langfristigen Bindung . . . dadurch Rechnung getragen werden, daß die Parteien einen unbefristeten Mietvertrag schließen und für einen vertraglich festgelegten Zeitraum das ordentliche Kündigungsrecht beiderseits ausschließen.“ Damit ist deutlich gesagt, daß Zeitmietvertrag und langfristige Bindung der Parteien im Wohnraummiet-recht zwei unterschiedliche Problemfelder sind.
Beruft man sich demgegenüber darauf, daß die Zeitabrede stets zugleich einen wech-selseitigen Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts beinhalte, führt dies für die Wohnraummiete zu schwer nachvollziehbaren und durch den Gesetzgeber nicht be-gründeten Ergebnissen:
Warum, so muß man bspw. fragen, sollte die Tatsache, daß der Vermieter die Wohnung für sein in sechs Jahren mit dem Studium beginnendes Kind benötigt und dies gemäß § 575 BGB bei Vertragsschluß auch so angibt, die Annahme rechtfertigen, die Parteien hätten zugleich das Kündigungsrecht des Mieters ausschließen wollen? Während die Frage, ob die Parteien das Kündigungsrecht des Mieters bei einem auf unbestimmte Zeit eingegangenen Wohnraummietvertrag befristet ausschließen können, zu den gegenwärtig am heftigsten diskutierten Fragen des Mietrechts gehört,5 wird beim Zeitmietvertrag zumeist ohne weiteres davon ausgegangen, daß selbiges in den Grenzen der §§ 138, 242 BGB zulässig sei.6 Dies ist vor dem Hintergrund des Art. 3 GG deswegen nur schwer verständlich, weil weder das Gesetz noch dessen Begründung erkennen lassen, inwiefern sich das Mobilitätsinteresse des Mieters dadurch verringern sollte, daß der Vermieter in absehbarer Zeit über die Mietsache anderweitig zu disponieren beabsichtigt. Hier besteht nicht der geringste Zusammenhang. Vielmehr ist der durch § 575 BGB verwirklichte Schutz des Rückgewährinteresses zu unterscheiden von dem Interesse des Vermieters, den Mieter auf bestimmte Zeit zu binden. Letzteres ist nicht abhängig davon, ob auf seiten des Vermieters die Voraussetzungen des § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen. Die dort in Ziffer 1 bis 3 genannten Fallgruppen beschreiben ausschließlich Fälle, in denen das Rückgewährinteresse das Nutzungsinteresse des Mieters überwiegt. Das Mobilitätsinteresse des Mieters wird in die Abwägung gar nicht einbezogen.
Das wird im Ansatz auch im Schrifttum erkannt und jedenfalls bei Abschluß eines For-mularvertrags die Ansicht vertreten, die Zeitabrede sei unwirksam, sofern die Laufzeit mehr als 5 Jahre betrage, weil der Mieter, dem die Möglichkeit genommen werde, sich vom Vertrag zu lösen, unangemessen benachteiligt werde.7 Auch hier überzeugt das Ergebnis aber nicht, wenn man die Ausrichtung des § 575 betrachtet: Will ein Vermieter leerstehende Gebäude vermieten, die er – wie dies etwa im Zusammenhang mit dem Regierungsumzug nach Berlin der Fall war – in einigen Jahren voraussichtlich vollständig benötigen wird, ist nicht zu erkennen, warum der Abschluß von formularmäßig befristeten Zeitmietverträgen dann unwirksam sein sollte, wenn der prognostizierte Zeitpunkt länger als 5 Jahre nach Vertragsschluß liegt. Ganz im Gegenteil verringert sich der aus dem Zeitmietvertrag für den Mieter resultierende Nachteil je länger die Laufzeit ist, weil sich die Kosten der Wohnungssuche, des Umzugs und der Einrichtung der Wohnung über die längere Laufzeit eher amortisieren können.
Schwerlich nachzuvollziehen ist schließlich, warum ein Vermieter, der die Wohnung erst mehr als 4 Jahre nach Vertragsbeginn benötigt, daran gehindert wird, einen derartigen Zeitmietvertrag mit einer Staffelmiete zu versehen. Dies aber ist die Folge des § 557 a Abs. 3 BGB. Allein das Rückgewährinteresse des Vermieters ist schwerlich geeignet, den Mieter, der eine Staffelmietvereinbarung unterzeichnet hat, zu benachteiligen. Daß der Vermieter die Mietsache beispielsweise nach 5 Jahren benötigt und das Mietverhältnis daher zu diesem Zeitpunkt enden soll, bedeutet aus Sicht des Mieters zunächst einmal nur, daß die Mietstaffelung zeitlich nach oben begrenzt ist. Dies ist im Vergleich mit einem unbefristeten Staffelmietvertrag kein die gesetzliche Regelung rechtfertigender Nachteil für den Mieter, jedenfalls wenn man den Schutz des Mieters vor zu hoher finanzieller Belastung in den Blick nimmt.
Die Beispiele, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß der Gesetzgeber die eintreten-den Rechtsfolgen mit keinem Wort begründet, geschweige denn rechtfertigt, sollen ver-deutlichen, daß die Verknüpfung von Zeitmietvertrag und Kündigungsausschluß im Wohnraummietrecht zu hinterfragen ist, weil Rückgewährinteresse und Bindungsinte-resse selbständig nebeneinander stehen und § 575 nur ersteres schützt.8 Dies ist bei anderen Dauerschuldverhältnissen, bei denen das Kündigungsrecht einer Partei nicht in einer durch die §§ 573 ff. BGB bestimmten Art und Weise eingeschränkt ist, anders.