'schlicht und ergreifend' - seit wann und wo?

Hallo,

inzwischen sehr gängig ist die Redewendung "Es ist schlicht und ergreifend so, dass … " - weiß jemand, wann diese Redenwendung „schlicht und ergreifend“ zum erstenmal aufgetreten ist, und evtl. bei welcher Gelegenheit?

Danke für Hinweise.

Lieben Gruß
Dantis

Servus, Dantis,

wann diese Redenwendung „schlicht und ergreifend“ zum erstenmal
aufgetreten ist, und evtl. bei welcher Gelegenheit?

Ich weiß weder wann, noch wo…:smile:) aber ich bin absolut der Überzeugung, dass diese Redewendung ein irgendwann mal entstandener Murks aus:

„schlicht, ABER (dennoch) ergreifend“

ist. Diese Formulierung, die sich öfter in älteren Buchbesprechungen findet, oder zur Illustration, wie ein Text formuliert ist, erklärt sich m.E. dann von selbst - oder ?

Gruß aus Wien, jenny

Tja, in diesem Text von 1926 ist noch die wörtliche Bedeutung klar erkennbar:

„In der von Walter Wohllebe gewandt geleiteten Aufführung trat am bedeutendsten der Rigoletto - Theodor Scheidls - hervor. Scheidl gibt ihn schlicht und ergreifend, menschlich wahrer und ohne die reißerischen Effekte, in denen sich besonders italienische Sänger oft nicht genug tun können.“

Berliner Tageblatt (Abend-Ausgabe) 05.03.1926, S. 3:

Das ist der älteste Beleg, den ich nachweisen konnte; in Online-Quellen des 19. Jh. (grimm, google books, gutenberg) war nix zu finden. Dass aber „s&e“ zunächst eine Feuilletonphrase des 20. Jahrhunderts ist, wäre mit einem einzigen Beleg etwas mutig zu behaupten.

Noch ein Lesetipp aus Röhrichs Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Stichwort schlicht, über Wendungen zur Verstärkung: O. Hauschild, „Dicht an dicht“ und „schlicht um schlicht“, in: Muttersprache 53 (1938), S.76-77.

Grüße d.

Servus, Dietmar:smile:

"In der von Walter Wohllebe gewandt geleiteten Aufführung trat
am bedeutendsten der Rigoletto - Theodor Scheidls - hervor.
Scheidl gibt ihn schlicht und ergreifend, menschlich wahrer

Berliner Tageblatt (Abend-Ausgabe) 05.03.1926, S. 3:

Das ist der älteste Beleg, den ich nachweisen konnte;

In deinem Beispiel zeigt sich sehr schön, was ich meinte - trotz des „und(s)“:smile:

In Zeiten, in denen „ergreifend“ oft schwülstig, pathetisch und (auch offenbar schon aus damaliger Sicht) überladen war, setzt sich „schlicht“ als Synonym für " es geht auch einfacher - weniger ist mehr" durch.

Heute steht „schlicht und ergreifend“ ja ganz einfach für „einfach“:smile:

Lieben Gruß aus Wien, jenny

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Tach Jenny,

also, wenn du so genau diskutieren willst … stimme ich deiner Argumentation nicht zu.

In Zeiten, in denen „ergreifend“ oft schwülstig, pathetisch
und (auch offenbar schon aus damaliger Sicht) überladen war,
setzt sich „schlicht“ als Synonym für " es geht auch einfacher

  • weniger ist mehr" durch.

Du unterstellst, „ergreifend“ habe in einem Gegensatz zu „schlicht“ gestanden. Da ergibt die Kombination keinen Sinn. Das Gegenteil scheint mir der Fall: „Schlicht“ müsste der Reiz gewesen sein, „ergreifend“ die Reaktion. Dann wird es auch zum „verstärkenden Ausdruck“ in Röhrichs Sinn (mein erstes Posting).

Die schlichte Wortbedeutung „einfach“ ist mir auch zu einfach, es gehört noch ein Hinweis auf etwas Abwesendes, „schnörkellos, unter Verzicht auf Pompöses oder Formelhaftes“, hinein.

Merkwürdig allerdings, dass, wer „schlicht und ergreifend“ sagt, eben n i c h t auf Ergriffenheit rauszuwollen scheint. Mein Kollege, der die Formel am häufigsten verwendet, suggeriert damit etwas ganz Perfides: Er selbst war von der Schlichtheit ergriffen, aber jetzt, wo er es sagt, braucht man selbst nicht ergriffen zu sein, er hat einem praktisch die Erkenntnisarbeit abgenommen, was besonders überzeugend wirken soll. Die Verwendung von s&e enthält eine autoritäre Konnotation.

Grüße aus dem dicken B, Dietmar

Hallo, Dietmar,
nichts anderes hat Jenny behauptet.
nach einer Zeit, in der nur das als „comme il faut“ galt, was elaboriert, künstlich oder gekünstelt war, entdeckte man plötzlich wieder die ergreifende Schönheit der einfachen Dinge. (Vgl. z.B. Manierismus Klassizismus)

Und siehe da, man entdeckte Dinge, die zwar schlicht waren, aber gerade ob ihrer Schlichtheit den Betrachter zu ergreifen imstande waren.

Nichts anderes will das zur Redewendung erstarrte „schlicht aber/und ergreifend“ ausdrücken. Dass natürlich mit häufiger Verwendung auch eine Sinnentleerung einhergeht, können wir bei fast allen zur Formel erstarrten Redewendungen feststellen.

Gruß
Eckard

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immer noch nö :smile:
Hallo Eckart, über die Semantik von „schlicht und ergreifend“ sind wir wohl alle einer Meinung. Mir kam es auf einen anderen, kleineren Punkt an, dazu nochmal das Zitat von Jenny:

In Zeiten, in denen „ergreifend“ oft schwülstig, pathetisch
und (auch offenbar schon aus damaliger Sicht) überladen war,
setzt sich „schlicht“ als Synonym für " es geht auch einfacher

  • weniger ist mehr" durch.

In den Zeiten, von denen wir hier sprechen, war das Überladene, Schwülstige, Pathetische eben nicht mehr ergreifend; nur deswegen konnte sich die Ergriffenheit beim Einfachen wieder zeigen.

Zur Periodisierung: Ich glaube, dass es sich hier um den Abschied vom spätklassizistisch-neobarocken Wilhelminismus dreht. Novitäten in Theater, Oper, Musik usw. waren in der Weimarer Republik durch ihre schnelle Aufführbarkeit sehr viel moderner als etwa die pompöse Architektur, die noch immer komplett kriegs-unzerstört herumstand und ein merkwürdiges Spannungsfeld zur Moderne aufbaute. Erst dieses Spannungsfeld erlaubte den Ausdruck „schlicht und ergreifend“.

Aber, anders als eben Jenny schrieb: weil das Ergreifende bereits nicht mehr im Pompösen lag.

Bestegrüße
Dietmar

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Danke …
… für die schlichten und ergreifenden Erläuterungen.

Lieben Gruss
Dantis