Schlingern Zugwagone hinten mehr als vorne?

Ich bin viel-Zugfahrerin und habe feststellen müssen, dass mir in den sehr langen Garnituren des ÖBB-RailJet (hier sind zwei lange Züge hintereinandergehängt)wegen dem Schlingern des Wagons übel wird. Die Wagone schwanken nach meinem Gefühl links-rechts, also 90° zur Fahrtrichung. Kann es sein, dass Wagone, die weiter vorne gereiht sind stabiler bzw. ruhiger fahren und das Schlingern besonders in den letzgereihten Wagonen zu spüren ist? Wie sieht die Sache physikalisch aus?
Dankeschön!
Liebe Grüße A

Hi,

das scheint mir eher Zufall zu sein. Wenn ein Wagen schlingert, liegt es meist daran, daß der konische Schliff der Räder, der dafür sorgt, daß der Wagen sich immer über der Gleismitte befindet, abgefahren ist. Die Räder müssen dann wieder nachgeschliffen werden (im Fachjargon „Fußpflege“ genannt).

Gruß S

Hallo,

ich kann Dir nur meine Beobachtungen aus diversen Achterbahnen schildern: wenn Du da den bsonderen Kick haben willst, musst Du hinten sitzen, es ist dort wesentlich unruhiger als vorne.
Du wirst mehr aus dem Sitz gehoben als vorne. Wer es gerne ruhiger haben will setzt sich mehr nach vorne hin.
MFG
Pluto

Servus,

der Railjet ist im Vergleich zu Zügen, die aus einzelnen Wagen zusammengestellt sind, hauptsächlich in zwei Punkten anders konstruiert: Die Drehgestelle lenken die Wagenkästen nicht hauptsächlich in der Mitte über die Drehzapfen, sondern auch wesentlich an den Außenkanten an - wie auch bei ICE, Thalys, TGV, Eurostar. Außerdem sind die Wagen nicht klassisch mit Schraubenkupplungen und Puffern verbunden, sondern mit Schalenmuffenkupplungen kurzgekuppelt.

Beide Elemente sind vom ICE übernommen - die schon seit vielen Jahren eingesetzten Drehgestelle für die deutschen ICE-Züge kommen aus Österreich, aus der gleichen Schmiede wie die für den Railjet. Das heißt aber nicht, dass sie in einem lokbespannten Wendezug, der eine ganz andere Dynamik hat als ein Gliedertriebzug mit integrierten Triebköpfen, genau so gut funktionieren.

Wegen dem im Vergleich zu Wagenzügen viel engeren Kraftschluss über den ganzen Zug hinweg kommt es bei kurzgekuppelten Einheiten leichter zu einer rhytmischen Schwingung des ganzen Zuges, die, einmal in Gang gebracht, von jedem leichten Stoß aufrecht erhalten und gar verstärkt wird. Es ist eine Herkulesarbeit, möglichst alle Frequenzen zu berechnen, die dabei auftreten können, und den Zug insgesamt so zu konstruieren, daß es bei den üblichen Geschwindigkeiten zu möglichst wenigen Interferenzen kommt. Bei den ersten kurzgekuppelten Niederflurstraßenbahnen, bei denen die Achsen ohne Drehgestelle einzeln aufgehängt waren, kam es zu „Schwänzelbewegungen“, die bis zu Entgleisungen in Kurven und auf Weichen führten.

Das wird beim Railjet sicher nicht passieren, aber dennoch kann man Erfahrungswerte aus ungefähr hundert Jahren Wagenzugverkehr bei so einem Zug nicht mehr anwenden: Alle auftretenden Kräfte und Schwingungen und das Verhältnis ihrer Frequenzen zueinander müssen neu berechnet werden; weil der Taurus selber mit normalen Schraubenkupplungen und Puffern mit dem Railjet verbunden ist, kann man auch die Messwerte aus dem ICE nur ganz eingeschränkt verwenden.

Ob das stärkere Schwänzeln hinten beim Railjet subjektives Empfinden ist, oder mit der Dynamik eines kurzgekuppelten Wendezuges zu tun hat, lässt sich feststellen, wenn man die Fahrt im letzten Wagen mit Taurus vorne mit der Fahrt im letzten Wagen mit Taurus hinten vergleicht: Es müsste in Schubfahrt mit Taurus hinten viel weniger auftreten, wenn es von der Dynamik des Zuges kommt, weil der ja den ganzen Zug auf den Hörnern hat, wenn der Steuerwagen vorne fährt, und auf diese Weise mit seiner Schubkraft alle Schlingerbewegungen dämpft, die der Wendezug entwickelt.

Möglich ist natürlich auch, dass es sich um ein subjektives Empfinden handelt, das etwa damit zu tun hat, daß die Geschwindigkeit des Railjet auf österreichischem Netz etwas Neues ist, und auch damit, daß den Railjet niemand so recht mag.

Schöne Grüße

MM