Schriftliche Testverfahren zur Diagnose?

Hallo zusammen,

gibt es schriftliche Testverfahren, die aus sich heraus umfassende Diagnosen über den psychischen Gesundheitszustand ermöglichen?

Oder ist es notwendig Testergebnisse mittels persönlicher Gespräche einzuordnen?

Beispiel:
Herr X macht den MMPI-2 Test.
Als Ergebnis erhält er eine „Testinterpretation“ mit einer Auflistung der kritischen Items.
Die Interpretation sprich von ihm als Patienten, der seine Erkrankung verleugnet, paranoide Persönlicheitszüge aufweist und als Mann viele weibliche Persönlichkeitsmerkmale aufweist.

Herr X ist bisher kein Patient der Pychiatrie gewesen und befindet sich in der Abwicklung einer gescheiterten Ehe.

Die Test-durchführende Psychologin diagnostiziert wortwörtlich aus der Testinterpretation. Die Auswertung des Testes fand durch einen externen Dienstleister statt.

Gruß
Bori

Moin,

gibt es schriftliche Testverfahren, die aus sich heraus
umfassende Diagnosen über den psychischen Gesundheitszustand
ermöglichen?

‚aus sich heraus‘ … was genau meinst du damit? Ohne weitere Berücksichtigung der akuten Lebensumstände? Ohne Interpretation?

Es gibt Tests die eine relativ hohe Reliabilität in Bezug auf bestimmte Fragen haben. Z.B. kann mit einem IQ-Test eine bestimmte Denkfähigkeit bestimmt werden, mit einem Mini-Mental-Status-Test (MMST) werden Hinweise auf eine Demenz bestimmt.

Die Stabilitätskoeffizienten beim MMPI-2 (Minnesota Multiphasic Personality Inventory; 2 heißt es wurde mit der überarbeiteten Version getestet) liegen nach Einschätzung der Testautoren „am oberen Rand dessen, was man bei Persönlichkeitsfragebögen erwarten kann“. Diese Einschätzung kann allerdings von Überprüfungen nicht bestätigt werden. Da lagen die Stabilitätskoeffizienten im mittleren Bereich.

Oder ist es notwendig Testergebnisse mittels persönlicher
Gespräche einzuordnen?

Meiner Ansicht nach ‚JA‘ und nicht nur das. Ich denke entsprechende klinische Erfahrung und Übung in der Interpretation ist auch wichtig um den Test interpretieren zu können.

Beispiel:
Herr X macht den MMPI-2 Test.

Dieser Test wird bei der Diagnose von psychischen Störungen in der klinischen Psychologie und Psychiatrie eingesetzt und nicht als allgemeiner Persönlichkeitstest.
Auch ohne Fragestellung sagt imo ein solcher Test nichts aus. Gab es denn eine Fragestellung?

Wenn wirklich keine weiteren Gespräche und Ausführungen statt gefunden haben sollte Herr X sich imo nach einem anderen Psychologen umschauen.
…lux

N’abend!

gibt es schriftliche Testverfahren, die aus sich heraus
umfassende Diagnosen über den psychischen Gesundheitszustand
ermöglichen?
Oder ist es notwendig Testergebnisse mittels persönlicher
Gespräche einzuordnen?

Die Frage ist halt, was „umfassend“ sein soll.
In der Regel sollten Persönlichkeitstests (wie der angesprochene MMPI) ergänzt werden durch weitere Daten, z.B. der Beobachung verbaler und non-verbaler Interaktion im Patientengespräch.
Im Rahmen psychiatrischer Diagnosestellung wäre der MMPI bestenfalls ein Hilfsmittel bzw. eine Ergänzung (dürfte aber wenig eingesetzt werden, weil die meisten Psychiater allergisch gegen solche standardisierte Testverfahren sind).
Im Rahmen klinisch-psychologischer Diagnostik wird der Test sehr häufig eingesetzt und kommt prinzipiell auch ohne weitere Daten aus.
Ob seine „Ergebnisse“ so wahnsinnig informativ sind, ist eine andere Frage. Ein allgemeiner „psychischer Gesundheitszustand“ ist damit aber mit Sicherheit nicht zu erheben.
Es geht eben um Persönlichkeitsmerkmale, die einen Hinweis auf psychische Probleme liefern können, aber keine Bestätigungen.

Beispiel:
Herr X macht den MMPI-2 Test.
Als Ergebnis erhält er eine „Testinterpretation“ mit einer
Auflistung der kritischen Items.
Die Interpretation sprich von ihm als Patienten, der seine
Erkrankung verleugnet, paranoide Persönlicheitszüge aufweist
und als Mann viele weibliche Persönlichkeitsmerkmale aufweist.

Ob der MMPI erfassen kann, dass der Proband Krankheiten verleugnet, ist fragwürdig.
Zu den beiden anderen Aspekten gibts offenbar die entsprechenden Skalen.
Das überrascht mich wenig.

Herr X ist bisher kein Patient der Pychiatrie gewesen und
befindet sich in der Abwicklung einer gescheiterten Ehe.

Wozu hat er diesen Test denn überhaupt gemacht?

Die Test-durchführende Psychologin diagnostiziert wortwörtlich
aus der Testinterpretation. Die Auswertung des Testes fand
durch einen externen Dienstleister statt.

Beim MMPI ist alles (Durchführung, Auswertung und Interpretation) hochgradig standardisiert-objektiv und computergestützt.
Deshalb brauchts dem Grund nach keine Psychologen dafür.

E.T.

Hallo,
höre ich heraus, dass die Interpretation nicht „geglückt“ ist?

Tests sind hochstandarisiert und können in sehr eindeutigen Fällen ein solides Ergebnis anzeigen, die auch von Externen Menschen interpretiert werden können. Wenn es aber schwierig, uneindeutig und vielschichtig ist, muss man von diesem standarisierten Weg abweichen und, um zu einer aussagekräftigen und für weitere Behandlungen notwendigen Beurteilung zu kommen, Gespräche mit der Person führen.

Viele Grüße

Hogrefe TestSystem
Für den Sozialpsychiatrischen Dienst kaufte und iinstallierte ich das Hogrefe TestSystem. Die zuständige Psychologin überredete mich zu einem Test. Danach verzichtete ich auf weitere Experimente, ich fühlte mich aber echt durchleuchtet, wollte ich nicht wiederholen.
Wenn Du mehr zu diesem System lesen willst: „http://www.testzentrale.de/hogrefe-testsystem/“.
Ich folge der hier angemerkten Notiz: Viele Systeme sind standardisiert, sie sind über viele Jahre entwickelt worden und sie stellen wohl eine große Hilfe für die Psychologen dar.
Ich folgte dem Test aufmerksam, ich sah die verdrehten Wiederholungen, die auf eine Verifizierung der Antworten auswaren und ich war verblüfft, wie wenig man sich dem „bewusst“ entziehen konnte.
Aber unheimlich ist es mir immer noch …
Gruß
dineu

Hallo zusammen,

erstmal danke für die Antworten.
Man muss nicht krank sein um so einen Test zu machen. Es reicht wenn man um das Sorgerecht kämpft oder Steuerfahnder (s. Hessen) ist.

Mein Grundgedanke möchte ich mit einer Analogie deutlich machen:

Bei zwei Männern wird die Körpertemperatur gemessen. Ein Fieberthermometer ist ein wissenschaftlich normiertes Gerät. Beide haben eine erhöhte (die gleiche) Temperatur.
Mann A saß den ganzen Tag auf dem Sofa.
Mann B hat unmittelbar vorher 2 Stunden Sport betrieben.

Oder der BMI. Reine Zahlen, aber ein Bodybuilder sprengt den BMI.

Erhöhte Körpertemperaturen liegen über der Norm, sind aber keine besorgniserregende Erkrankung.

Analog sind paranoide oder depressive (o.ä.) Persönlichkeitszüge laut Testverfahren keine Erkrankung sondern erhöhte Temperatur.
Und dafür kann es unterschiedliche Gründe geben.
Ein Laie wertet diese Begrifflichkeiten aber vielleicht anders.

Jemand der gerade ein enges Familienmitglied verloren hat könnte erhöhte Werte im Bereich Depression zeigen ohne depressiv zu sein.
Jemand in gerichtlichen Verfahren nach einer Trennung macht vielleicht Erfahrungen dass ihm jemand feindlich gesonnen ist oder er beleidigt wird ohne paranoid zu sein.

MMPI-2 Items wie „Man sagt, ich habe ein Alkoholproblem, aber ich sehe das nicht so“ sind nicht reliabel zu bewerten.

Sehe ich das subjektiv falsch oder ist die Problematik nachvollziehbar?

Gruß
Bori

Hallo!

Sehe ich das subjektiv falsch oder ist die Problematik
nachvollziehbar?

Doch, das ist schon nachvollziehbar (auch wenn die Analogien vielleicht nicht alle gepasst haben).

Offenbar gehts dir doch darum, dass du glaubst, die Ergebnisse würden mehr die aktuelle belastende Situation der Testperson „messen“ statt dessen Persönlichkeit.
Grundsätzlich stimmt die Überlegung schon.
Eben das sollte die angesprochene Psychologin beurteilen können, ob zum gegebenen Zeitpunkt bzw. beim gegebenen Allgemeinzustand des Probanden ein solcher Test überhaupt sinnvoll durchführbar ist. Vermutlich stehen dazu auch einige Hinweise im Testmanual drin.
Aus eben diesem Grund führt ihn ein Psychologe durch und nicht ein dressierter Affe, der die reine Durchführung fast auch schon hinbekäme, so objektiviert ist diese.

Generell gesagt, sind im MMPI selbst aber bereits a) mehrere sog. Validitätsskalen eingebaut, die systematische Antwortverzerrungen erfassen können, und b) ist mW auch sogar eine eigene Skala für Belastungsreaktionen drin, die die Interpretationen dann entsprechend beeinflussen sollte.
Z.B. bei einer Person mit akuter Belastungsreaktion würde er gewiss entsprechend „anschlagen“.

Interessant wäre halt zu wissen, wozu das Testergebnis überhaupt gebraucht wird.
Aus Interesse - naja, nicht darüber ärgern
Im Rahmen einer Stellungnahme in einem Sorgerechtsprozess - isoliert wenig wert
Im beruflichen Feld - Ärgerlich (ggfalls schauen, ob überhaupt legal)

E.T.
E.T.

Hallo Bori74,

es gibt verschiedene sehr weit standardisierte Verfahren, die direkt als Testergebnis mögliche Diagnosen ausgeben. Dazu gehören strukturierte Interviews wie das Diagnostische Interview bei psychischen Störungen (DIPS) sowie das Strukturierte Klinische Interview für DSM-V (SKID). Falls es dir jetzt speziell auf Persönlichkeitsstörungen ankommt, gibt es eine Erweiterung des SKID, den SKID-II, der genau nur Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert. Beide Verfahren können nur von erfahrenen Diagnostikern oder Psychotherapeuten und nach einem einführenden Training angewandt werden, da sie als strukturierte Interviews dem Diagnostiker im Verfahren nötigen Freiraum geben, um weiter nach eigenem Ermessen vorzugehen (Fragen können z.B. angepasst werden). Dafür brauchts halt ein bisschen Erfahrung. Ergebnis der Tests sind Vorschläge für mögliche Diagnosen, dabei sind aber natürlich trotzdem ein persönliches Urteilsvermögen des Diagnostikers und weitere Infos (z.B. anamnestische) wichtig.

Noch standardisierter ist das sogenannte DIA-X Interview. Kann per Paper-Pencil Verfahren oder gleich per Computer durchgeführt werden, die Auswertung des Verfahrens erfolgt immer computerisiert und spuckt am Ende die möglichen Diagnosen aus (ich glaube sowohl DSM-IV als auch ICD-10). Da das Interview komplett standardisiert ist, kann es auch von nicht psychologisch Erfahrenen eingesetzt werden. Allerdings muss man sich natürlich trotzdem mit dem Verfahren auskennen, Testmanual lesen und so weiter.

Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen!

Vg,
Inka