H wie Hola.
Hochbegabte Kinder haben aber - wenn ihre Begabung nicht
erkannt und gefördert wird - wohl häufig starke
Leistungsprobleme
Nur kurz: Dem ist nicht so.
Erstens.
Unser Breitenbildungssystem hat weitaus größere Probleme als explizite Hochbegabtenförderung (2% der Menschen).
Zweitens.
Im Gegensatz zu der gern kolportierten Assoziation, Hochbegabte
würden sich ständig langweilen und zu Minderleistenden werden:
Viele Hochbegabte, erkannt oder nicht ist irrelevant, liefern in
der Schule gute bis sehr gute Leistungen ab.
Drittens.
Forschungen belegen: Minderleistende, die nicht durch neuronalen
Defekt zuwenig bringen, sind praktisch immer Opfer einer mangelhaften Erziehung.
In den ersten 6 Jahren nimmt die Förderung im sozialen Umfeld
(Kinderkrippe, Kindergarten, Elternhaus) eine zentrale Rolle bei
der Ausprägung von Intelligenz ein.
Aber. Ein großes Aber.
Noch gewichtiger ist der Einfluß auf das kindliche Verhalten.
Kinder, die Strebsamkeit, Leistungswillen, Spaß am Lernen,
Hilfbereitschaft für das Kollektiv, Tugenden wie Diziplin,
Leistungsdisziplin, Ordnung, Benehmen, Höflichkeit und Anstand im
zwischenmenschlichen Umgang des täglichen Lebens et cetera
nicht anerzogen bekommen, DIE werden in der Tat „gestört“.
(Gilt übrigens auch für normale Kinder.)
Viertens.
Der Lehrer muß wenigstens so auf Zack sein, daß er erkennt,
wenn ein cleverer Bursche vor ihm hockt. Der Lehrer muß nicht
wissen, daß ein Kind hochbegabt ist.
Ich bin wesentlich durch das DDR-Schulsystem geprägt –
als Kind war es normal für mich, mein geistiges Potential im Sinne
des Klassenkollektivs einzusetzen. Meine Unterstufenlehrer
verstand es prächtig, die Leistungsstarken für den Unterricht
einzusetzen. Zweimal wöchentlich mußte ein guter Schuler den Stoff
mit einem schlechten Schüler wiederholen und üben.
Man wurde auch als Guter konstruktiv beschäftigt, hatte niemals Leerlauf oder wurde bei zu verteilenden Aufgaben „vor den Karren gespann“.
Auf diese Weise konnte die Lehrerin (die sowieso didaktisch-pädagogisch
auf Grund der andersgearteten Lehrerausbildung in der DDR besser befähigt war als ein Grundschullehrer „im Westen“) sowohl
recht kreativ den guten Schüler fordern (!!) & fördern, als auch
genug Zeit für die Schwachen freimachen.
Entgegen der landläufigen Meinung ist es daher nicht schwer,
ein hochbegabtes Kind vernünftig zu beschäftigen.
Das ist kein Problem der Hochbegabung, sondern ein Problem des Bildungssystems.
(Ohne explizite Begabtenförderung veranschlagen zu müssen.)
Fünftens.
Mit Rückbezug auf 3.:
Intelligenz und Charakter entwickeln sich losgelöst voneinander.
Das heißt, auch hochbegabte Kinder benötigen Zeit, um geistig reif
zu werden. (Weswegen das gegliederte Schulsystem ja auch für
schnelle Schüler eine Katastrophe ist, da die charakterliche
Komponente eines Kindes unberücksichtigt bleibt.)
Das bedeutet allerdings, ein hochbegabtes Kind ist schlicht und
ergreifend verzogen, wenn es sich nicht in der Lage zeigt, soviel
Geist aufzubringen, um wenigstens 2en zu erwirtschaften.
Es gibt keinen Grund („Unterforderung“ ist kein Argument!),
warum das Kind auf Durchzug schalten sollte. Wenn es mit einem
angemeßnen Aufwand 2 oder 1 stehen kann, muß besonders von
elterlicher Seite das auch eingefordert werden.
Stichpunkt Werte: In dem Moment, in dem ein hochbegabtes Kind
abschaltet, und zwar so, daß es abstürzt, handelt es dumm und unreif.
Geistige Reife kann jedoch nicht durch intellektuelle Förderung
aufgebaut werden, sondern nur durch Erziehung.
Kinder, denen Werte anständig vorgelebt und so früh wie möglich
beigebracht werden, zeigen so gut wie keine Ausfallerscheinungen.
Weder in der Grundschule, noch in der Mittelschule.
Sechstens.
Nicht jede Hochbegabung geht mit überdurchschnittlichen geistigen
Leistungen einher. IQ > 130 äußert sich nicht zwangsläufig oder
hat Auswirkungen auf schulrelevante Dinge.
Es geht schon damit los, daß Hochbegabung kein einheitliches
Phänomen ist, wie es sich die Normalen gerne vorstellen, sondern
das Spektrum ein breitgefächertes ist.
Logisch-analytische Hochintelligenz, sprachliche Hochintelligenz,
soziale Hochintelligenz, motorisch-mechanische Hochintelligenz,
autistische Inselbegabung (präziser: ASPERGER-Syndrom) oder sogar
Hochintelligenz auf mehreren Intelligenzfeldern usw. usf…
Mitunter tauchen Fälle auf, wo Kinder sogar höchstbegabt zu sein
scheinen (IQ 150+) und vernichtend schlechte Schulleistungen
zeigen, da sie intellektuell überfordert sind.
Deswegen eine Bitte: Nicht ständig bei jeder Debatte zum
Bildungssystem oder zur Schule die Hochbegabung aus dem Schrank holen.
Es ist ein seltenes Phänomen, doch es wird der Eindruck vermittelt (insbesondere von Eltern),
daß jedes zweite Kind in Deutschland - und natürlich immer das eigene -
immer totaaaaaal superunterfordert ist.
In der Praxis ist eher das Gegenteil der Fall.
Hin und wieder über Hochbegabung reden: in Ordnung.
Doch mir als „Betroffenem“ hängt es dermaßen zum Halse raus!
Speziell, wenn eine Horde „Normaler“ besser über einen Bescheid
wissen will, als man selbst.
Unser Land hat in punkto Bildungspolitik solche Probleme in der Breitenbildung!
Da sind die Bedürfnisse einer verschwindenden Minderheit, der es
intellektuell vergleichsweise gut geht, schlicht und ergreifend
irrelevant.
Eliten- & Talenteförderung kann man intensiv besprechen,
wenn die Breitenbildung der anderen 98% optimal läuft.
Von diesem Zustand ist die BRD Lichtjahre entfernt.
Hmmm, irgendwie gewann der Text an unbeabsichtigter Länge.
Viele Grüße