Hallo,
heute morgen in der S-Bahn hatte ich gerade die Überlegung, ob
Schwarzarbeit wirklich sooo schlimm für die Volkswirtschaft ist.
Wir kennen ja alle die Aussagen wie „Milliardenausfälle bei den Steuereinnahmen“, „Gefährdung von Arbeitsplätzen“ etc.
Der Finanzminister spricht regelmäßig von Verlusten von 70 Mrd. die dem Staat dadurch angeblich entstünden.
Nun frage ich mich, ob dies wirklich stimmt, oder man sich hierbei die Sache „schön rechnet“.
Die erste Frage wäre dann naturgemäß, wie das gerechnet wurde. Wenn es so gerechnet wird, wie Politiker meistens rechnen, dann ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit „schön“ gerechnet.
Fördert „klassische“ Schwarzarbeit nicht auch die regionale Wirtschaft und hilft evtl. sogar diese zu stabilisieren?
Durch den kleinen Raum, in dem die „klassische“ Schwarzarbeit jeweils durchgeführt wird, bleiben die getätigten Geschäfte doch in der Region, statt ins Ausland oder in Finanzmarkttransaktionen abzuwandern. Wird dadurch nicht evtl. sogar der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland entgegengewirkt?
Naja, wenn die Schwarzarbeiter auch aus der Region kommen und die schwarz arbeiten Lassenden ansonsten ihr Geld im Ausland ausgeben würde, könnte man das bejahen.
Rechnet der Finanzminister außerdem nicht falsch, wenn er für seine Berechnungen annimmt alle in Schwarzarbeit verrichteten Arbeiten würden offiziell versteuert und angemeldet werden?
Also zumindest wäre diese Annahme falsch. Aber wie es nun tatsächlich gerechnet wird, wissen wir ja nicht. Ich frage mich schon allein, woher die genau den Umfang der Schwarzarbeit wissen wollen. Da fängt die Unsicherheit wohl schon an.
Ich kann mir vorstellen, dass mindestens ein Drittel der Schwarzarbeiten dann gar nicht erst durchgeführt würden (also keine Steuereinnahmen oder Sozialabgaben),
Sehr wahrscheinlich. Hinsichtlich des Anteils habe ich aber keine Vorstellung.
ein weiteres Drittel in Eigenregie (also mit Hilfe von Freunden und Bekannten) von statten ginge (also ebenfalls keine
Steuereinnahmen oder Sozialabgaben),
Ebenfalls sehr wahrscheinlich. Viele basteln ja heute schon selbst an Auto, Haus usw. selber rum.
und wahrscheinlich ein weiteres Drittel der Arbeiten zumindest aufgeschoben würde(also weniger Steuereinnahmen oder Sozialabgaben, weil seltener durchgeführt).
Na das gehört dann mit in die erste Kategorie.
Und ganz sicher würde ein Teil der jetzigen Schwarzarbeit dann eben offiziell ausgeführt. Das hast du irgendwie vergessen.
Ich gebe mal ein aktuelles Beispiel. Tausende von Familien haben schon seit Jahren schwarz Menschen aus Osteuropa in ihrem Haushalt beschäftigt. Meist zur Plege von Angehörigen, die eben rund um die Uhr Betreuung und Pflege benötigen. Das fand bisher schwarz statt, weil diese Leute zum Einen gar nicht hier arbeiten durften. Und dank aller Abgaben und Steuern wäre eine offizielle deutsche Kraft auch so teuer gewesen, dass man sie sich zum Anderen auch gar nicht hätte leisten können. Hierfür benötigt man schließlich gut und gerne vier vollzeitbeschäftige Angestellte.
Jetzt nachdem diese Leute hier ohne Weiteres arbeiten dürfen werden sie plötzlich angemeldet.
Wie viele Bauvorhaben z.B. würden ohne Schwarzarbeit gar nicht erst bzw. einfacher, seltener oder erst zeitverzögert realisiert?
Bestimmt nicht allzuviele. Dann würde eben anders gebaut. Noch mehr Fertigteilbuden usw.
Und wie viele Menschen würden gerade im Niedriglohn-Sektor arbeitslos, wenn man die Schwarzarbeit sofort abschaffen würde?
Niemand. Wie sollte jemand dadurch arbeitslos werden, weil Schwarzarbeit abgeschafft wird. Der schwarzarbeitende Hartz-IV-Empfänger wäre weiter arbeitslos. Und demjenigen, der bisher einen Job hatte, wird ja dadurch auch nichts weggenommen.
Also wäre es doch durchaus denkbar, dass effektiv die Arbeitslosenzahlen sogar steigen würden, wenn es gelänge die Schwarzarbeit vollständig zu bekämpfen, oder?
Nee. Das sehe ich so nicht kommen. Eher das Gegenteil. Ein paar Schwarzarbeiten würden dann eben angemeldet ablaufen.
Somit müsste der Staat ohne Schwarzarbeit evtl. sogar mit höheren Belastungen seitens der Sozialausgaben rechnen, oder?
Nö.
Und wird das in der Schwarzarbeit erwirtschaftete Geld nicht schneller dem Konsumkreislauf wieder zugeführt, als wenn es keine Schwarzarbeit gäbe?
Ein Schwarzarbeiter hat ja mehr Geld zur Verfügung, welches er direkt in Konsumgüter umsetzen kann und, da es sich in der Regel um Geringverdiener handelt, vielleicht sogar sofort wieder ausgeben muss.
Wenn diese letzte Annahme korrekt ist, dann ja. Geringverdiener haben in der Tat eine höhere Konsumneigung als Vorstandsvorsitzende.
Somit fließen dem Staat doch über Mehrwertsteuer etc. indirekt dann doch wieder Steuereinnahmen zu, oder?
Nur wenn der Auftraggeber ansonsten sein Geld im Ausland ausgegeben hätte. Ansonsten wäre es auf einem anderem Weg in den Kreislauf gekommen. Der Mehrwertsteuer ist es egal, ob sie vom Schwarzarbeiter oder seinem Auftraggeber kommt.
Wurde das alles mal untersucht und wirklich objektiv
- Steuerverluste auf der einen Seite und Steuermehreinnahmen
auf der anderen Seite
- Verluste bei den Sozialabgaben auf der einen Seite und
mögliche Mehrbelastung der Sozialversicherung durch erhöhte
Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite
- Destabilisierende Effekte aufgrund von Wettbewerbsvorteilen
und regional stabilisierende Effekte aufgrund von regionaler
Förderung der Wirtschaft etc. gegeneinander aufgerechnet?
Ich vermute mal nein. Das kann man schon aufgrund der sehr unsicheren Datengrundlage nur grob schätzen.
Und zuletzt: Ist vor diesem Hintergrund der Aufwand überhaupt gerechtfertigt, den der Staat bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit betreibt?
Also wenn ich so manchmal die Gerüstschüttler sehe, frage ich mich das auch. Einerseits wurde hier eine Beschäftigung für Leute gefunden, die nichts mehr zu tun haben, aber trotzdem noch bis an ihr Lebensende Anspruch auf Besoldung haben. Da wäre die Frage angebracht, ob die woanders sinnvoller eingesetzt werden könnten. Andererseits verursacht Schwarzarbeit auch Schäden, die hier bisher fehlen. Ich kann hier nur Arten aufzählen ohne eine Vorstellung von den Dimensionen zu haben.
Mir fallen da Arbeitsunfälle ein, die dann normalerweise von der Berufsgenossenschaft gegen Bezahlung beglichen werden, die dafür wiederum Beiträge kassiert und auch ein bißchen dafür sorgt, dass weniger davon passieren. Beim Schwarzarbeiter fällt das den Krankenkassen zu. Nirgendwo wird soviel gepfuscht wie beim Bau. Wenn dort nachher Schäden auftreten sind die nicht versichert und es kann volkswirtschaftlich gesehen mehr kaputt gehen, als durch die Schwarzarbeit gespart wurde.
Sollte der Staat vielleicht primär nur die „Schwarzarbeit im großen Stil“ bekämpfen und „klassische private Schwarzarbeit“ aufgrund der genannten Effekte ignorieren?
Dies scheitert bestimmt schon an der Abgrenzung. Außerdem habe bisher noch nichts von den Gerüstschüttlern im Privathaushalt gehört. Die werden ohnehin erst aufmerksam, wenn es sich um Schwarzarbeit in größerem Stil handelt.
Ich fände in diesem Zusammenhang den Ansatz interessanter Arbeit weniger stark durch Abgaben zu belasten. Denn wenn ich auf die Lohnfortzahlung im Fall von Krankheit, Urlaub und Feiertagen auch noch SV-Beiträge für die KV, RV, PV und AV bezahlen soll und auf alles auch noch 19% Umsatzsteuer draufhaue, dann wird eben die Stunde ziemlich teuer. So teuer, dass sich das viele nicht leisten können und noch mehr nicht wollen, wenn sie dies ihrem eigenen Nettolohn gegenüberstellen. Ich denke mal, dass das der Knackpunkt ist, da Schwarzarbeit ja in der Regel ein sehr arbeitsintensives Geschäft ist. Der Staat sollte also die Anreize zur Schwarzarbeit reduzieren anstatt sie immer weiter zu erhöhen und dann versuchen gegen die Folgen anzukämpfen. Als Ausgleich müßte dann eben die Umsatzsteuer erhöht werden.
Aber das wäre eine so einfache Lösung, dass sie wohl schon allein deshalb auf keinen Fall in Frage kommen kann. Dann eher noch Schwarzarbeitsbekämpfungsarbeitskreise auf Länderebene und eine zentrale Schwarzarbeitsbekämpfungkoordinierungsstelle auf Bundesebene, wo sich dann Leute, die nie in ihrem Leben gearbeitet haben und auch von der Wirtschaft möglichst wenig verstehen, schlaue Gedanken machen können.
Grüße