Hallo Mirea,
zur Erläuterung im Einzelnen:
Der Hintergrund ist, dass ab 17. Juli 1940 die Armee der nach der Niederlage Frankreichs von den Achsenmächten vollständig eingekreisten Schweiz in das Zentralgebiet des „Réduit national“ zurückgezogen wurde; im Mittelland verblieben bloß relativ schwache Kräfte, die im Fall einer deutschen Invasion zur „Verzögerung“ verheizt werden sollten.
Gleichzeitig sollten alle Brücken und Tunnel mit Sprengeinrichtungen versehen werden und Selbstzerstörungspläne für alle wichtigen Industriewerke erarbeitet werden, so dass die Deutschen bei einer Invasion damit rechnen mussten, nicht bloß keine Zielfernrohre für ihre Mausergewehre und Uhrwerkzünder für ihre Flakmunition mehr zu bekommen, sondern auch keine Transporte mehr über den Gotthard und den Simplon zu ihren Waffenbrüdern in Italien fahren zu können (der Brenner alleine hätte nicht ausgereicht).
General Guisan ist für diesen Plan zu einer Art Nationalheiligem stilisiert worden, und es war schon fast eine Art Gotteslästerung, wenn man behauptete, dass die in die Alpen zurückgezogene Armee zwar weitläufige Bunkerstellungen, aber viel zu wenig Lebensmittel hatte, um im Réduit eine Weile auszuhalten, und für eine Kriegführung in den Alpen weder ausgebildet noch ausgerüstet war. Außerdem dauerte es bis ungefähr 1944, dass wenigstens die wichtigsten Sprengvorrichtungen fertig wurden - die deutsche Wehrmacht hätte nach Besetzung des Mittellandes sozusagen an der Nase der Schweizer Armee vorbei durch den Gotthardtunnel nach Italien fahren können; außerdem war die Zusammenarbeit der Schweizer Rüstungsindustrie mit den Nazis so gut, dass die für die deutsche Rüstung wichtigen Fabriken wahrscheinlich vollständig funktionstüchtig unter deutscher Leitung und mit Schweizer Eigentümern weiter gelaufen wären. Ein Detail zur für den Krieg im Gebirge damals nicht ausgerüsteten Armee: Max Frisch berichtet aus der Zeit seines Aktivdienstes als Kanonier ab 1939, dass man die damaligen Kanonen der Schweizer Artillerie im Gebirge nur einsetzen konnte, wenn man sie mühsam von Hand auf Podeste aus Holzbohlen hievte, weil sonst der Verschluss der Kanone ein Richten in dem nötigen steilen Winkel unmöglich gemacht hätte.
Es gab in Deutschland Pläne, die Schweiz gemeinsam mit den Italienern gleichzeitig von Norden und Süden her anzugreifen und ungefähr entlang der Sprachgrenze zwischen Deutschland und Italien aufzuteilen. Dass diese nicht durchgeführt wurden, hängt wahrscheinlich eher damit zusammen, dass es für die Deutschen billiger kam, die Schweiz in Ruhe zu lassen, weil sie dort (technisch, wirtschaftlich und leider auch politisch) die Kollaborateure hatten, die sie brauchten, und auch ohne Invasion bekamen, was sie aus der Schweiz für den Krieg nötig hatten.
Über diesen weiten Bogen zurück zur „Alpenfestung“: Das Konzept der Réduit sah vor, dass die einzelnen Truppenteile in den verschiedenen Alpentälern unabhängig voneinander operieren konnten; trotzdem brauchte man natürlich Möglichkeiten zum Kontakt untereinander, mit dem Generalstab und mit der im Fall einer deutschen Invasion schnell aus Bern in die Alpen zurückgezogenen Regierung. Dafür war es notwendig, ein Netz von UKW-Sendern, Relaisstationen und Empfängern zu installieren, die Verbindungen mit den Tälern nur herstellen konnten, wenn sie auf exponierten Lagen stationiert waren. Funk auf Ultrakurzwelle braucht eine direkte Verbindung „durch die Luft“, damit er ohne Störungen funktioniert - vom Jungfraujoch lassen sich UKW-Verbindungen nach Interlaken (Norden), etwa Kandersteg (Westen), etwa Meiringen (Nordosten), Brig (Südwesten) und Andermatt (Osten) herstellen, gleichzeitig lässt es sich mit Infanterie nicht gut einnehmen: Wahrscheinlich konnten sich die Funker da oben vorstellen, dass sie bei einer deutschen Invasion zu den ersten Zielen für die deutschen Sturzkampfbomber gehört hätten - kein beruhigendes Gefühl, zumal es ziemlich viele Bombenangriffe in Folge gebraucht hätte, die Bunker in den Alpen zu knacken, so dass die Mannschaften ihre eigene Vernichtung ganz langsam und zäh hätten erleben müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, der dabei war, später nicht davon gesprochen hat: Es hätte ihn sowieso niemand verstanden, der nicht mit da drin saß. Dass man dann später so eine Art „Ersatzgeschichten“ erzählt, die immer am Kern des Erlebten vorbei gehen, ist typisch für diese traumatisierten Jahrgänge.
Nungut - immerhin hat Guisans Konzept vom „réduit national“ dazu geführt, dass in den langen Jahrzehnten des kalten Krieges nach 1945, als die Schweizer Armee nach und nach dieser Strategie angepasst wurde, die Neutralität auch mit militärischer Stütze gewahrt werden konnte: Wer sich in dieser Zeit die Schweiz hätte einverleiben wollen, hätte das sicherlich geschafft, aber sich dabei eine arg blutige Nase geholt und nachher auch nichts mehr in der Hand gehabt, was eine Eroberung wert ist. 1940 - 1945 war es eher Propaganda als wirklich möglich, „den Igel zu machen“, aber später dann schon.
Aber es ist schon gut, dass es anders gekommen ist, deucht mir.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder