Schweiz 2.ter Weltkrieg/Funker Jungfrau-Region

Hallo zusammen,

mein Grossvater (geb. 1917) war während des 2.ten Weltkrieges ein Aktivdienstler und ich erinnere mich sehr gut, wie er viele Geschichten darüber erzählte. Er war ein Funker, und er erzählte darüber, wie er beim Aufstieg auf die Jungfrau in einer Wand eine Art elektronisches Feuer erlebte, da gibt es ein Name dafür, kann mich leider nicht mehr daran erinnern.

Was ich Euch gerne fragen möchten ist, warum finde ich niergends auf Google, dass es auf der Jungfrau in der Schweiz während des 2.ten Weltkrieges eine Funkstation gegeben hat? Ich könnte so viele Geschichten von meinem Grossvater zitieren, wie er seinen Kammeraden aus einem Bunker gezogen hat, als der beim Tretradfahren zur elektronischen Erzeugung fast erstickt wäre… wie sie sich zerknüllte Zeitungen in die Kleidung gesteckt haben, um nicht bei -30 Grad zu erfrieren etc. etc.

Ich habe schon so lange gegoogelt, aber leider finde ich absolut nichts darüber. Gab es auf der Jungfrau überhaupt eine Funkstation? Kann mir irgendwer einen Tipp geben? Ich wäre Euch sehr dankbar.

Lieben Gruss,
Mirea

Moin,

Er war ein Funker, und er
erzählte darüber, wie er beim Aufstieg auf die Jungfrau in
einer Wand eine Art elektronisches Feuer erlebte, da gibt es
ein Name dafür, kann mich leider nicht mehr daran erinnern.

das nennt sich Elmsfeuer.

Gandalf

Salü Mirea,

es ist ziemlich wahrscheinlich, dass spätestens ab Juli 1940 auf dem Jungfraujoch eine Funkeinrichtung der Armee bestand: Im Zentralbereich des „réduit“ kam nur UKW-Funk in Frage, weil Kurz- und Mittelwelle in den Tälern nicht empfangen werden konnte; für UKW-Funk ist das Jungfraujoch wegen der exponierten Lage ideal: Erste Funktelefonverbindung des SAC Konkordia-Hütte - Jungfraujoch bereits Ende der 1930er Jahre; später, nach dem Krieg, am Jungfraujoch-Ostgrat eine wichtige Richtstrahlstation der PTT als eine Art „Drehscheibe“ für die Nord-Süd und Ost-West-Verbindungen, weil in beiden Achsen optische, somit ungestörte UKW-Verbindungen möglich sind.

Dass davon wenig dokumentiert ist, zumindest nicht in breit zugänglichen Internet-Quellen, leuchtet ein: Noch im Oktober 1940 wurde bei der deutschen Führung ein Plan „Tannenbaum“ zur Invasion und Aufteilung der Schweiz zwischen Deutschland und Italien gemacht, der der Verlegung der Schweizer Armee in den Zentralbereich überhaupt nicht Rechnung trug und ganz auf das Mittelland und Bern orientiert war - offenbar hatte, so unrealistisch die Strategie Guisans auch war (die Zeitungen in den Hosen sprechen für sich - man kann nicht innerhalb von Wochen und Monaten aus einem Feldheer ein Gebirgsheer machen), immerhin die Geheimhaltung weitgehend funktioniert.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass es beim SAC konkrete Dokumentationen zu dem Thema gibt: Da hat es ja genug pensionierte Lehrer unter den Ehrenamtlichen, die sich für diese Art Archivarbeit interessieren!

Schöne Grüße

Dä Blumepeder

das nennt sich Elmsfeuer.

Ich dank Dir Gandalf, ja genau, das war ein Elmsfeuer, dass er da in dieser Wand erlebte und wonach ich suchte.

Lieben Gruss, Mirea

Sali Blumepeder,

ich danke Dir für Deine Antwort.

es ist ziemlich wahrscheinlich, dass spätestens ab Juli 1940
auf dem Jungfraujoch eine Funkeinrichtung der Armee bestand:
Im Zentralbereich des „réduit“ kam nur UKW-Funk in Frage, weil
Kurz- und Mittelwelle in den Tälern nicht empfangen werden
konnte; für UKW-Funk ist das Jungfraujoch wegen der
exponierten Lage ideal: Erste Funktelefonverbindung des SAC
Konkordia-Hütte - Jungfraujoch bereits Ende der 1930er Jahre;
später, nach dem Krieg, am Jungfraujoch-Ostgrat eine wichtige
Richtstrahlstation der PTT als eine Art „Drehscheibe“ für die
Nord-Süd und Ost-West-Verbindungen, weil in beiden Achsen
optische, somit ungestörte UKW-Verbindungen möglich sind.

Ich verstehe nur die Hälfte, von was Du da sprichst und auch mein Grossvater war immer sehr geheimnisvoll, wenn er über Einzelheiten erzählte. Obwohl ich mit ihm im selben Haus aufgewachsen bin und er wie ein Vater zu mir war.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass es beim SAC konkrete
Dokumentationen zu dem Thema gibt: Da hat es ja genug
pensionierte Lehrer unter den Ehrenamtlichen, die sich für
diese Art Archivarbeit interessieren!

Ich hoffe, Du meinst mit SAC den Schweizer Alpen Club? Sonst weiss ich nicht, wen Du damit meinst. Ich werde versuchen, mich an den Schweizer Alpen Club zu wenden, vielleicht wissen die mehr.

Ich dank Dir für Deine Antwort,
lieben Gruss, Mirea

Hallo Mirea,

zur Erläuterung im Einzelnen:

Der Hintergrund ist, dass ab 17. Juli 1940 die Armee der nach der Niederlage Frankreichs von den Achsenmächten vollständig eingekreisten Schweiz in das Zentralgebiet des „Réduit national“ zurückgezogen wurde; im Mittelland verblieben bloß relativ schwache Kräfte, die im Fall einer deutschen Invasion zur „Verzögerung“ verheizt werden sollten.

Gleichzeitig sollten alle Brücken und Tunnel mit Sprengeinrichtungen versehen werden und Selbstzerstörungspläne für alle wichtigen Industriewerke erarbeitet werden, so dass die Deutschen bei einer Invasion damit rechnen mussten, nicht bloß keine Zielfernrohre für ihre Mausergewehre und Uhrwerkzünder für ihre Flakmunition mehr zu bekommen, sondern auch keine Transporte mehr über den Gotthard und den Simplon zu ihren Waffenbrüdern in Italien fahren zu können (der Brenner alleine hätte nicht ausgereicht).

General Guisan ist für diesen Plan zu einer Art Nationalheiligem stilisiert worden, und es war schon fast eine Art Gotteslästerung, wenn man behauptete, dass die in die Alpen zurückgezogene Armee zwar weitläufige Bunkerstellungen, aber viel zu wenig Lebensmittel hatte, um im Réduit eine Weile auszuhalten, und für eine Kriegführung in den Alpen weder ausgebildet noch ausgerüstet war. Außerdem dauerte es bis ungefähr 1944, dass wenigstens die wichtigsten Sprengvorrichtungen fertig wurden - die deutsche Wehrmacht hätte nach Besetzung des Mittellandes sozusagen an der Nase der Schweizer Armee vorbei durch den Gotthardtunnel nach Italien fahren können; außerdem war die Zusammenarbeit der Schweizer Rüstungsindustrie mit den Nazis so gut, dass die für die deutsche Rüstung wichtigen Fabriken wahrscheinlich vollständig funktionstüchtig unter deutscher Leitung und mit Schweizer Eigentümern weiter gelaufen wären. Ein Detail zur für den Krieg im Gebirge damals nicht ausgerüsteten Armee: Max Frisch berichtet aus der Zeit seines Aktivdienstes als Kanonier ab 1939, dass man die damaligen Kanonen der Schweizer Artillerie im Gebirge nur einsetzen konnte, wenn man sie mühsam von Hand auf Podeste aus Holzbohlen hievte, weil sonst der Verschluss der Kanone ein Richten in dem nötigen steilen Winkel unmöglich gemacht hätte.

Es gab in Deutschland Pläne, die Schweiz gemeinsam mit den Italienern gleichzeitig von Norden und Süden her anzugreifen und ungefähr entlang der Sprachgrenze zwischen Deutschland und Italien aufzuteilen. Dass diese nicht durchgeführt wurden, hängt wahrscheinlich eher damit zusammen, dass es für die Deutschen billiger kam, die Schweiz in Ruhe zu lassen, weil sie dort (technisch, wirtschaftlich und leider auch politisch) die Kollaborateure hatten, die sie brauchten, und auch ohne Invasion bekamen, was sie aus der Schweiz für den Krieg nötig hatten.

Über diesen weiten Bogen zurück zur „Alpenfestung“: Das Konzept der Réduit sah vor, dass die einzelnen Truppenteile in den verschiedenen Alpentälern unabhängig voneinander operieren konnten; trotzdem brauchte man natürlich Möglichkeiten zum Kontakt untereinander, mit dem Generalstab und mit der im Fall einer deutschen Invasion schnell aus Bern in die Alpen zurückgezogenen Regierung. Dafür war es notwendig, ein Netz von UKW-Sendern, Relaisstationen und Empfängern zu installieren, die Verbindungen mit den Tälern nur herstellen konnten, wenn sie auf exponierten Lagen stationiert waren. Funk auf Ultrakurzwelle braucht eine direkte Verbindung „durch die Luft“, damit er ohne Störungen funktioniert - vom Jungfraujoch lassen sich UKW-Verbindungen nach Interlaken (Norden), etwa Kandersteg (Westen), etwa Meiringen (Nordosten), Brig (Südwesten) und Andermatt (Osten) herstellen, gleichzeitig lässt es sich mit Infanterie nicht gut einnehmen: Wahrscheinlich konnten sich die Funker da oben vorstellen, dass sie bei einer deutschen Invasion zu den ersten Zielen für die deutschen Sturzkampfbomber gehört hätten - kein beruhigendes Gefühl, zumal es ziemlich viele Bombenangriffe in Folge gebraucht hätte, die Bunker in den Alpen zu knacken, so dass die Mannschaften ihre eigene Vernichtung ganz langsam und zäh hätten erleben müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, der dabei war, später nicht davon gesprochen hat: Es hätte ihn sowieso niemand verstanden, der nicht mit da drin saß. Dass man dann später so eine Art „Ersatzgeschichten“ erzählt, die immer am Kern des Erlebten vorbei gehen, ist typisch für diese traumatisierten Jahrgänge.

Nungut - immerhin hat Guisans Konzept vom „réduit national“ dazu geführt, dass in den langen Jahrzehnten des kalten Krieges nach 1945, als die Schweizer Armee nach und nach dieser Strategie angepasst wurde, die Neutralität auch mit militärischer Stütze gewahrt werden konnte: Wer sich in dieser Zeit die Schweiz hätte einverleiben wollen, hätte das sicherlich geschafft, aber sich dabei eine arg blutige Nase geholt und nachher auch nichts mehr in der Hand gehabt, was eine Eroberung wert ist. 1940 - 1945 war es eher Propaganda als wirklich möglich, „den Igel zu machen“, aber später dann schon.

Aber es ist schon gut, dass es anders gekommen ist, deucht mir.

Schöne Grüße

Dä Blumepeder