Seinslehren von Parmenides bis Buddhismus
Hi.
„Sein“ ist ein denkbar weiter Begriff, der immer auch im Kontrast zu den Begriffen „Seiend“ und „Schein“ gesehen werden muss. Zunächst einmal ist Sein die Bedingung des Seienden: dieses Seiende sind die Einzeldinge sowie deren Beziehungen zueinander (Tatsachen).
Das Sein ist also (einigen Lehren zufolge) etwas anderes als das Seiende: es ist allgemein und unbestimmt, anders als das Seiende, das bestimmte Eigenschaften hat: groß, klein, hart, weich, heiß, kalt, alt, jung, rot, blau usw. usf. Zumindest kann man das Sein nicht positiv bestimmen. Sagt man etwas über es aus, dann nur in Begriffen der Negation: es ist un-endlich, zeit-los, un-vergänglich, form-los usw.
PARMENIDES, einer der ersten antiken Philosophen, interpretierte das Sein als das Unbewegliche, Unveränderliche. Das Seiende wiederum, das der Zeit und damit dem Wandel unterworfen ist, hielt er für illusorisch, für reinen Schein, im Unterschied zum wahren Sein hinter der Oberfläche des Vergänglichen.
PLATON ließ sich davon inspirieren und sprach einzig den „Ideen“ wahres Sein zu. Diese Ideen (eidos, Wesen - hat zunächst nichts mit dem Alltagsverständnis von „Idee“ zu tun) bestehen jenseits der Welt der Erscheinungen (des Seienden), sie sind die zeitlosen vollkommenen Urbilder, nach deren Ideal sich die unvollkommenen Dinge der Erscheinungswelt herausbilden. Einen Zwischenstellung hat die „Seele“, die die Wahrheit der Ideen zu schauen vermag, ohne doch selbst diesem wahren Sein anzugehören.
DESCARTES, der Begründer der modernen Subjektphilosophie, unterschied ebenfalls drei Dimensionen des Seins: „Gott“ als das wahre, absolute Sein (die einzige wahre Substanz) sowie das Denken (res cogitans) und das Materielle (res extensa). Gott (so nannte Descartes das wahre Sein, da er sonst heftigen Gegenwind seitens der Kirche gespürt hätte - er hatte mit ihr schon Ärger genug), also, Gott ist das absolute Sein, aus dem die relativen Seinsformen, der denkende Geist sowie das ausgedehnte Materielle, hervorgehen. Diese drei Substanzen (Gott absolut, Denken und Materie relativ) sind drei von einander getrennte Dimensionen.
SPINOZA ging über Descartes hinaus und beschränkte alles Sein auf eine einzige Substanz (die er Gott nannte, andernfalls auch er Ärger bekommen hätte). In dieser Substanz, dem wahren Sein, ist alles andere enthalten, und zwar 1) als Attribute (Merkmal, Eigenschaft) dieses Seins: das sind hier, in Anlehnung an Descartes, Denken und Ausdehnung, sowie 2) als Modi (die Einzeldinge, also das Seiende, das immer in Kausalverhältnissen zueinander steht). So gesehen, war Spinoza ein Monist, also jemand, der alles Seiende als direkt aus dem einzig wahren Sein (Substanz, Gott) hervorgehend sieht, und zwar immer und überall. Das nennt man Pantheismus (Gott - bzw. das wahre Sein - ist nicht getrennt vom Seienden, sondern in ihm).
Im HINDUISMUS steht der Begriff „Brahman“ für das wahre Sein. Dieses Brahman kennt weder Zeit noch Raum, weder Geburt noch Tod. Demgegenüber steht die trügerische Welt der Dinge (Maya):
„Dieses… nennen die Kenner des Brahman das Unvergängliche. Es ist nicht grob, nicht fein; nicht kurz, nicht lang; blutlos, fettlos; schattenlos, finsterlos; windlos, raumlos; ohne Haftung; ohne Tastsinn, ohne Geruchssinn, ohne Geschmackssinn, ohne Gesichtssinn, ohne Gehörsinn; ohne Sprachfähigkeit, ohne Denkfähigkeit; ohne Wärme, ohne Atem, ohne Mund; ohne Name, ohne Geschlecht; nicht alternd, nicht sterbend; bedrohungslos, unsterblich; ohne Raum, ohne Laut; nicht geöffnet, nicht geschlossen; nicht folgend, nicht vorangehend; nicht außen, nicht innen. Nichts langt hin zu ihm, niemand langt hin zu ihm…“
(Brhadaranyaka-Upanisad (3.8.8)
Zitat ENDE.
Im BUDDHISMUS bietet sich der Shunyata-Begriff als Synonym für das (wahre) Sein an. Shunyata besagt: Leerheit, aber nicht das Nichts. Sie (die Shunyata) ist das Leersein von Begriffen, von Illusionen. Wer also meditativ sich von diesen trügerischen Elementen freimacht, erlangt die Schau des wahren Seins. Unterscheiden muss man zwischen zwei Ebenen des Shunyata-Begriffs: zum einen meint er die Welt des abhängigen Entstehens. Soll heißen, die Dinge sind in dem Sinne leer, als sie keine Eigennatur, kein Selbst, keine feste Identität, keine wesenhafte Dauer haben. Allerdings ist diese Ebene nicht vollkommen leer, sie haftet noch am Begriff des Entstehens und der Kausalität. Ein konsequenterer Begriff der Leerheit negiert jeden Dualismus und weist auf eine Dimension hin, die ausschließlich negativ bestimmt werden kann, da alle Begriffe, auch der der Kausalität, menschengemacht sind, also nur relative Geltung haben.
Gruß