Kleines Gedankenexperiment:
Nehmen wir mal an wir könnten in der Zeit zurück reisen. Wie weit könnte ich im heutigen Deutschland zurückreisen um mich mit den Menschen noch auf Hochdeutsch verständigen zu können?
Kleines Gedankenexperiment:
Nehmen wir mal an wir könnten in der Zeit zurück reisen. Wie weit könnte ich im heutigen Deutschland zurückreisen um mich mit den Menschen noch auf Hochdeutsch verständigen zu können?
Servus,
das sagt nichts über die gegenseitige Verständigung. Wenn Du mal Quellen aus dem frühen 16. Jahrhundert studierst, wie z.B. die Lutherbibel oder die Zwölf Artikel der Schwäbischen Bauern von 1525, wirst Du sehen, dass man sich bei einer „Zeitreise“ mit Leuten von etwa 1400 schon verständigen könnte.
Wie ich ja auch schon auseinandergesetzt habe, wird in D südlich des 48. Breitengrades (im Schwarzwald und der Oberrheinebene auch noch ein Stück nördlich davon) heute noch eine Art Mittelhochdeutsch gesprochen - wenn Du in Tettnang einem beliebigen Passanten das Nibelungenlied in die Hand drückst, kann er es Dir vom Blatt lesen und versteht es, weil er selber fast genauso redet (soweit er aus Tettnang oder Umgebung stammt). Wenn Du einmal z.B. zum Bluaschtmanot nach Kandersteg kommst, kannst Du dort etwas hören, live und draußen, das sogar noch Althochdeutsche Elemente in sich trägt.
Nun ist aber zu den von Dir genannten Jahreszahlen nicht jeweils ein Kippschalter umgelegt worden und man hat zum 01.01.1650 oder sowas plötzlich anders gesprochen - Sprache entwickelt sich. Seit der letzten Aufnahme detaillierter Sprachkarten in den 1930er Jahren hat sich beiläufig die Grenze vom Scbhwäbischen (einem fränkischen Dialekt, der zum Neuhochdeutschen zählt) zum Alemannischen (einem Dialekt, der zum Mittelhochdeutschen zählt) nördlich des Bodensees um rund zehn Kilometer nach Süden verschoben. Ich selber habe eine Bauernfamilie aus dem Tettnanger Hinterland gekannt, in der der Großvater noch „gsî“ sagte, einer seiner Söhne „gsei“ und einer (mit vielen Kontakten nach Ravensburg) „gwäa“: Ungefähr sechshundert Jahre Sprachgeschichte in einer Generation!
Wenn ich auf dem Heustock oben war, und mir der Senior unten aus dem Stall heraufgebrüehlat hat: „Heee! Hesch it gloset, wian i Dir ghärat hong, kennasch hera!“, musste ich - knapp nördlich der Dialektgrenze zum Schwäbischen aufgewachsen - schon einen Moment überlegen, was er denn meinte.
Wenn ich aber heute ins Elsaß südlich des Haguenauer Waldes komme und mein damals so leidlich angelerntes Alemannisch ausgrabe, schwatze dî Lît öppen-it uf Dîtsch mit mir; it dîsarweag - derweag! Wia dî alte Lît gseit hont.
Es ist also, wie Du siehst, nicht so ganz umsonst, was ich in diesem Thread zum „Zeitreise“-Thema erzählt habe.
Schöne Grüße
MM
Das kommt ganz auf den Bildungs- ud Intelligenzgrad des Gesprächspartners an.
Unser aktuelles Hochdeutsch ist durchsetzt mit Vokablen allen möglichen Ursprungs.
Andersrum: Grob gesagt versteht fast jeder dein (Alltags-) Hochdeutsch dessen Althochdeutsch du auch selber verstehst. Auch wenn du einzelne völlig fremde Vokabeln nur durch den Zusammenhang „interpolierst“. Das „Verstehen“ kann so gerne bis vor das 12. oder 13. Jahrhundert gehen. Das hängt auch davon ab, in welcher Region das ist. (Hoch-) Deutsch war und ist nie wirklich grossflächig einheitlich.
Servus,
ja schön. Und wie sieht es mit der vorgelegten Frage aus?
Schöne Grüße
MM
Servus,
diese Einschätzung halte ich für ziemlich heroisch.
Jemand, der Althochdeutsch spricht, verstünde jemanden, der modernes Hochdeutsch spricht, überhaupt nicht - auch nicht, wenn er Abt, Bischof oder Gelehrter ist. Sonst ginge das umgekehrt ja auch - und Althochdeutsch kann niemand lesen, wenn er es nicht explizit gelernt hat. Es geht nicht um das Vokabular: Im wohlbekannten „sunufatarungo“ ist kein irgendwie romanisches oder sonstwie fremdes Wort enthalten, und trotzdem versteht man es nicht, wenn man nicht weiß, was es heißt.
Leute, die heute in Deutschland eine Art Mittelhochdeutsch sprechen (die wohnen südlich des 48. Breitengrades) verstehen modernes Hochdeutsch nur, weil sie in der Regel zweisprachig aufwachsen und Standarddeutsch aus dem Alltag zumindest passiv kennen.
Weiter als etwa 1350 dürfte man nicht zurückgehen, wenn man mit modernem Hochdeutsch verstanden werden wollte.
Schöne Grüße
MM
ûf jädafâl kai ûslander
Servus,
wie ich odo01 eben auseinandergesetzt habe: Weiter als ungefähr 1350 dürftest Du nicht zurückgehen.
Aus dem Stand Althochdeutsch und, falls Du nicht aus dem südlichen Oberschwaben, Hegau, Südschwarzwald oder südlichen Oberrheingraben kommst und daher von Haus aus Mittelhochdeutsch sprichst, auch Mittelhochdeutsch zu verstehen ist aussichtslos.
Bis etwa 1530 (von jetzt aus gesehen) hättest Du in keiner Gegend Deutschlands Schwierigkeiten, wo Lutherische wohnen: Das moderne Standarddeutsch und das Deutsch der Lutherbibel ähneln sich ziemlich, und eine der nicht beabsichtigten, aber gegebenen wirklich bedeutenden Wirkungen dieser Übersetzung war, dass man sich überall, wo es Lutherische gab, unabhängig von Dialekten verständigen konnte, weil sie alle die Schrift kannten.
Schöne Grüße
MM
ja, klar ist es nicht so zu verstehen, dass genau ab dem Jahr nur noch Neuhochdeutsch und am besten noch ind er heutigen Variante gesprochen wurde. Die Sprache verändert sich. Das kann man sehr gut an jährlichen Berichten von Duden sehen. Es werden „Unworte“ des Jahres bestimmt, Jugendsprache untersucht u.s.w., u.s.f. Aber irgendwie mussten ja die Sprachwissenschaftler die Entwicklungsetappen bestimmen, deshalb wurde diese Unterteilung festgelegt.
Das, was du „Mittelhochdeutsch im Schwarzwald und der Oberrheinebene auch noch ein Stück nördlich davon“ nennst, sind Dialekte, die am besten die alte Sprache wiedergeben. Aus diesem Grund untersuchen viele Sprachwissenschaftler grade verschiedene Dialekte, wenn sie mehr über die alten Sprachen erfahren wollen.
Die Geschichte der (hoch-)deutschen Sprache wird häufig in vier Abschnitte (Sprachstufen) unterteilt:
750–1050: Althochdeutsch
1050–1350: Mittelhochdeutsch
1350–1650: Frühneuhochdeutsch
ab 1650: Neuhochdeutsch
die heutige deutsche Sprache gibt es demnach seit 1650. Und das wäre in diesem Fall das Neuhochdeutsch
Was das Hochdeutsch angeht, hier schon mal ein kleiner Tipp:
Gruß,
Eva