Seltsame Reaktionen/ Effekte

Hallo Chemiker,

ich versuche mit einer DSC (Differenzkalorimeter) in kleinen, druckfesten Edelstahltiegeln (kleine verschraubbare Zylinder, ca. 10 mm hoch und 8 mm Durchmesser) die Verdampfungstemperatur und Verdampfungsenthalpie eines Ethanol-Wasser-Gemisches (40:60) zu bestimmen. Dazu wird eine kleine Probe (15 mg) im Tiegel verschlossen und im Gerät langsam aufgeheizt, bis die Probe vollständig verdampft ist. Das Gerät bestimmt über die dafür benötigte Heizleistung die Enthalpie.

The Tricky Thing:
Die Messungen werden bei 20 bar Druck durchgeführt. Dazu haben wir ein Loch in den Tiegeldeckel gebohrt und mit Hartlot (AgCuSnZk) eine Stahlkapillare eingelötet. Über diese Kapillare wird die Probe während der ganzen Messung mit Stickstoffgas 5.0 mit 20 bar Druck beaufschlagt.

Das Problem:
Bei 20 bar Druck sollte das Gemisch bei ca. 200°C verdampfen und dabei eine Verdampfungswärme von ca. 1700 J/g aufnehmen (endotherme Reaktion). Der gemessene Wert Betrug jedoch volle 5700 J/g, was also gigantisch.
Ich habe dann mit einem neuen, identisch präparierten Tiegel eine zweite Messung durchgeführt, den Messtiegel jedoch vorher ewig lange mit Aceton und einem Wattestäbchen geputzt. Dabei löste sich insbesondere von der Lötstelle brauner ‚Schmutz‘. Ich nehme an, das waren durchs Hartlöten entstandene Metalloxide von Tiegel und/oder Lot. Alles lies sich leider wohl nicht entfernen. Mit dem so gereinigten Tiegel kam ich bei der Reproduktion der Messung auf eine Enthalpie von nunmehr 3000 J/g, was deutlich weniger ist - aber immer noch doppelt so hoch, wie für das Verdampfen der Mischung erwartet.

Frage:
Was kann die Ursache sein? Können bei 20 bar Druck im Temperaturbereich von 200°C - 350°C irgendwelche endothermen Reaktionen von Wasser und/oder Alkohol (beides als Dampf) mit Metalloxiden (oder von diesen katalysiert) auftreten, welche solche hohen Reaktionsenthalpien erklären würden?
Der Tiegel fasst ca. 30 µl und es sind 6 mg Ethanol und 9 mg Wasser darinnen, Metalloxid allenfalls im µg-Bereich. Und das ganze nimmt 87 Joule Wärme auf, wovon die Verdampfung allenfalls ~26 Joule benötigt.

Gespannte Grüße,
Jesse

Moin,

ich versuche mit einer DSC

es wird ja gegen einen Referenztigel gemessen.
Wurde bei dem die gleiche Mimik angebracht und wenn ja, wie wurde sichergestellt, daß dieser Tigel thermisch identisch ist?!

Gandalf

Hallo Gandalf,

es wird ja gegen einen Referenztigel gemessen.
Wurde bei dem die gleiche Mimik angebracht und wenn ja, wie
wurde sichergestellt, daß dieser Tigel thermisch identisch
ist?!

ja, so über mehrere Wochen haben wir die ganze Sache soweit optimiert, dass das System so symmetrisch ist, wie es geht - d.h. beide Tiegel mit Kapillare über ein T-Stück mit der Gaszuleitung gekoppelt und bis zur Kopplungsstelle absolut gewichtsgleich und mit soviel thermischer Masse versehen, dass die Basislinie (Messung mit zwei leeren Tiegeln)- soweit die Frickelei das zulässt - stabil und frei von temperaturabhängigen Effekten ist.
Erst bei der Messung mit Probe treten die unerwunschten Effekte auf. Bei der ersten Mesung sah man im Thermogramm zunächst den Ethanolpeak und dann kam zwischen 215 - 325°C ein seltsamer Koloss von Peak hinterher, der den Löwenanteil der riesigen Enthalpie brachte. Nach dem Tiegelputz war dieser deutlich kleiner geworden und gab einen davorliegenden, ziemlich ledierten Wasserpeak frei. Offenbar läuft da also mit bzw. nach der Verdampfung des Wassers ein stark endothermer Vorgang ab, der energetisch mit der Menge an ‚Dreck‘ (=Oxid?) korrespondiert. Eine andere Erklärung hab ich nicht, denn die Basislinie ist okay und die zu bestimmenden Effekte sehr robust.

Gruß, Jesse

Sind die theo. Daten druckkorrigiert?
Wenn ihr ein Druckreservoir am anderen Kapilarende habt, habt ihr ein offenes System.
Bei dem Druck und Temp. könnte der Edelstahl reagieren. Ist ja ne empfindliche Methode. Edelstahl hat eine dünne Oxidschicht, die auch reagieren kann (wäre endotherm).

Sind die theo. Daten druckkorrigiert?

Ja, sind sie. Die Enthalpiewerte sollten auch kleiner werden mit steigendem Druck, nicht um ein Vierfaches größer. Wasser braucht bei 1 bar so ca. 2200 J/g, um zu verdampfen, bei 20 bar nur noch ca. 1800 J/g. Alkohol liegt deutlich darunter. Die gemessenen 5700 J/g bzw. 3000 J/g sind viel, viel zu hoch und man sieht im Thermogramm auch, dass da noch was anderes passiert. Fragt sich nur, was…

Wenn ihr ein Druckreservoir am anderen Kapilarende habt, habt
ihr ein offenes System.

Ja, irgendwie schon. Das sollte aber kein Problem sein für die Verdampfungsmessung. Ich habe die Mischung bei Normaldruck in ganz normalen Alu-Tiegeln gemessen und zwar einmal verschlossen und einmal offen (mit Loch in Deckel), da hat die Enthalpie in beiden Fällen gut gepasst.

Bei dem Druck und Temp. könnte der Edelstahl reagieren. Ist ja
ne empfindliche Methode. Edelstahl hat eine dünne Oxidschicht,
die auch reagieren kann (wäre endotherm).

Hmmm, die Edelstahl-Drucktiegel an sich sind für DSC-Messungen bis 600°C gedacht und werden routinemäßig für so etwas verwendet. Da sollte chemisch nicht viel passieren, das Material ist ziemlich inert. Und sollte es eine nm-dicke Oxid-Schicht haben, hat die sicher keinen messbaren Einfluss (denke ich). Die Verdampfung von 15 mg Wasser ist ein extrem robuster Effekt, da fallen irgendwelche Mikrospirenzchen nicht ins Gewicht.
Die difflizielsten Probleme begannen m.E. erst mit dem Anlöten der Kapillaren für die Druckmessung, darum führe ich es darauf zurück. Man findet man auch braune Rückstände beim säubern des Lötbereiches, der Tiegel an sich ist blank wie geleckt. Mein Verständnisproblem liegt in der Größe des Effekte, der das Verdampfen des Ethanol-Wassers deutlich dominiert, dafür hab ich keine Erklärung.

Gruß, Jesse

Tach,

Mein
Verständnisproblem liegt in der Größe des Effekte, der das
Verdampfen des Ethanol-Wassers deutlich dominiert, dafür hab
ich keine Erklärung.

gibt es ähnliche Effekte bei reinem Wasser, reinem Ethanol oder bei (Mischungen) anderer Chemikalien, oder nur bei EtOH/Wasser-Mischungen?

Gandalf

Moin Gandalf,

gibt es ähnliche Effekte bei reinem Wasser, reinem Ethanol
oder bei (Mischungen) anderer Chemikalien, oder nur bei
EtOH/Wasser-Mischungen?

wir haben bisher nur 3 ‚scharfe‘ Messungen gemacht, da sie sehr teuer und arbeitsaufwändig sind und wir haben weder Zeit noch Geld. ^^ Eine Messung war mit Wasser, da war die Enthalpie sogar 40% zu niedrig. Dort war aber auch die Verdampfungstemperatur zu niedrig und das Thermogramm seltsam, so dass möglicherweise etwas schief gegangen war (ungeklärter Druckverlust?). Daher betrachte ich das Ergebnis mit großen Vorbehalten. Letztlich bleibt also Rätselraten.

Ich muss mir jetzt auch gut überlegen, welche Tests ich noch mache. Mein Material reicht nur noch für 7 Messungen und ich brauche 6 gute Messungen für den Auftrag. Darum muss ich versuchen, meine verbleibenden Tiegel für optimierte, ‚scharfe‘ Messversuche einzusetzen, die mir - falls sie schiefgehen - eine Aussage bringen und nicht zur Reproduktion von verunglückten Testläufen mit anderen Substanzen.

LG, Jesse

Hallo Jesse,

bei den untenstehenden Überlegungen denke ich zur Vereinfachung nur an Wasser.
Die Werte für die Verdampfungsenthalpie Δhv von Wasser, die du nennst, gelten für den Sättigungszustand.
Im VDI Wärmeatlas 3. Auflage (1997) werden für 1,0132 bar Druck ca. 2260 J/g und für
19,08 bar ca. 1900 J/g Verdampfungsenthalpie für Wasser angegeben.

Die Bedingungen des Sättigungszustandes von Wasser für obige Messung (geschlossener Tiegel mit Wasser + Dampf) liegen bei deinem Versuchsaufbau nicht vor. Es führt eine Leitung hinein bzw. hinaus.

a) Sieh dir einmal die Seite 182 in Atkins: „Physikalische Chemie“, 2. Auflage unter dem Kapitel: „Die Druckabhängigkeit des Dampfdruckes“ an.
„… Der erforderliche Druck kann mechanisch oder mit Hilfe eines unter Druck stehenden Inertgases erreicht werden (Abb. 6.11); im letzten Fall ist der Dampfdruck der Partialdruck der gasförmigen Phase, die sich mit der kondensierten Phase im Gleichgewicht befindet. Wenn letztere eine Flüssigkeit ist, muß man mit einer Komplikation rechnen, die wir hier nicht weiter diskutieren wollen: das Inertgas kann sich in der Flüssigkeit lösen und so deren Eigenschaften verändern.
Weitere Probleme entstehen durch die zwischenmolekulare Anziehung der Spezies in der Gasphase, wodurch der Flüssigkeit Moleküle entzogen werden können (diesen Effekt nennt man Gassolvatation )“.

Mit der von Atkins genannten Komplikation kann man bei deinem Versuchsaufbau mit dem Inertgas rechnen.
Ich würde mich mit dem Effekt der Gassolvatation und seiner eventuellen Auswirkung auf die DSC-Messungen befassen.

b) Im Sättigungszustand für Wasser bei 19,08 bar liegt die Temperatur um 210 °C und die Verdampfungsenthalpie bei ca. 1900 J/g (siehe oben).
Bei Messung der Verdampfungsenthalpie müssen flüssige und dampfförmige Phase gleichzeitig vorliegen (= Definition des Sättigungszustandes).
Im hier speziellen Versuchsaufbau wird irgendwann die flüssige Phase verschwunden sein und als Dampf vorliegen, da der Dampf in die Kapillare des N2 – Anschlusses hineindiffundieren kann und den verschraubten Edelstahlzylinder - mit dem genannten ca. 30 µl Füllvolumen - still und heimlich verläßt.
Steigert man – bei mit N2 konstant gehaltenen 19,08 bar Druck im Zylinder - die Temperatur nun über 210 °C hinaus, nimmt der – noch einige Zeit lang im Probenzylinder
konzentrierte - Dampf weiterhin Wärme auf und man kommt in das Gebiet des überhitzten Dampfes.
Das könnte dem entsprechen: „ … und dann kam zwischen 215 – 325 °C ein seltsamer Koloß von Peak hinterher, …“

Es wird also zusätzlich eine Art: „Überhitzungsenthalpie“ gemessen.
Für das Gebiet des überhitzten Wasserdampfes gibt es Diagramme und Zustandsgleichungen, die dir aber letztlich nicht weiterhelfen werden.

Die beste Lösung des Problems wäre nach der oben von Atkins genannten Möglichkeit, den erforderlichen Druck mechanisch zu erzeugen.

Gruß

watergolf

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