Seminar: türkische Männer ich

Hallo zusammen,

wer im Unterrichtsbrett liest, weiß, dass ich gerade ein Seminar mit lauter türkischen Landsleuten betreue. Heute war der zweite Tag. Wir verstehen uns sehr gut und alles läuft wunderbar.

Nun hat mir gestern eine Bekannte den Tipp gegeben, dass ich als junge Frau nicht so persönlich oder gar kumpelhaft sein sollte, da das - besonders bei den älteren türkischen Männern nicht so gut ankomme. Obwohl ich nun in meiner Gruppe nichts dergleichen feststellen kann, leuchtet mir dieser Hinweis schon ein. Die meisten der Teilnehmer sind noch jünger - aber ein paar ältere Semester sind auch dabei.
Und ich kann mir schon vorstellen, dass die Situation (und auch meine unverblümte und direkte Art) für einige der Teilnehmer nicht so prickelnd ist - ich meine jetzt weniger vom tatsächlichen Umgang, das scheint okay, sondern mehr vom Gefühl: die Trainerin ist eine Frau, die noch dazu meine Tochter sein könnte - die jedoch in diesem Rahmen mehr oder weniger „das Sagen“ hat.

Meine Teilnehmer haben mich auch schon gestern und heute gefragt, ob ich denn verheiratet sei oder wenigstens einen Freund habe - und wie es mit Kindern aussieht. Wir haben uns dann ganz allgemein unterhalten - und auch mit den Jüngeren gescherzt, von wegen ich solle einen netten türkischen Mann heiraten, dann lerne ich schon kochen, weil ich das dann alles machen muss. Ich habe scherzhaft abgewunken und die Wahrheit gesagt - dass ich ja eigentlich einen Mann suche, der mir den Haushalt macht ;o) Das fanden sie zwar alle tierisch lustig - ganz ernsthaft haben wir auch darüber gesprochen, wie so die Unterschiede sind. Und wie normal es für sie alle sei, zu heiraten und Kinder zu haben und dass sich die Frau natürlich kümmert. (Das erwähne ich nur, weil durch das Gespräch besonders für meine älteren Teilnehmer ja hier auch noch was über mich zutage getreten ist, was sicherlich fremd oder auch nicht so gut ankommen könnte.)

Nun mache ich mir Gedanken - denn obwohl alles okay scheint, möchte ich vermeiden, dass ich unabsichtlich respektlos wirke oder gar bin - oder am Ende durch mein Verhalten jemanden beleidige. Es würde mich freuen, wenn Ihr ein paar Anregungen oder Tipps für mich hättet, damit ich mich nicht falsch oder unglücklich verhalte … also so ähnlich wie „Mach bloß nicht …“ oder „Gute wäre es, wenn …“.

Vielen Dank im voraus
und schöne Grüße
Gitte

Hallo, Gitte,

wirklich interssant, was du berichtest. Ich habe es mit großer Anteilnahme gelesen. Vor allem weil ich ja als Mann ganz anders vor Türken oder Arabern stehe und es in manchem vielleicht leichter habe. Dennoch muss man auch als Mann in vielen Dingen zurückhaltend sein.
Versuch die Themen „Religion, Stellung der Frau, Nah-Ost-Konflikte, Fundamentalismus“ möglichst zu vermeiden, oder wenn es sich nicht umgehen lässt, eine zurückhaltend verständnisvolle Position einzunehmen. So á la: Es ist klar, dass die Palästineser angesichts ihrer Situation …, aber Bomben auf Zivilisten …?
Ich habe die schlimmsten Reaktionen erlebt, als ich mich einmal frank und frei für einen Atheisten erklärte und alle Reliogionen für Schwindel.

Ein wichtiger Hinweis: Wenn ein Türke „jok“, vielleicht wird es auch „yok“ geschrieben, mit deutschen Jott gesprochen, zu dir sagt, dann hast du eine Grenze überschritten, ein Tabuthema berührt. Und dann ist es höchste Zeit zurückzurudern.

Gruß Fritz

Hallo Fritz

wirklich interssant, was du berichtest. Ich habe es mit großer
Anteilnahme gelesen. Vor allem weil ich ja als Mann ganz
anders vor Türken oder Arabern stehe und es in manchem
vielleicht leichter habe. Dennoch muss man auch als Mann in
vielen Dingen zurückhaltend sein.

Warum muß man?
Man soll tolerant sein, damit andere intolerant sein können?
Finde ich nicht.
Wenn man seinen Standpunkt höflich, aber bestimmt klar macht, wird das auch akzeptiert.
Gruß
Rainer

Hallo, Rainer,

es könnte sein, dass wir mit unseren Sätzen

Dennoch muss man auch als Mann in

vielen Dingen zurückhaltend sein.

Wenn man seinen Standpunkt höflich, aber bestimmt klar macht,
wird das auch akzeptiert.

gar nicht so unterschiedliche Haltungen meinen.

Selbstverständlich habe ich noch nie und würde auch nicht andere intolerante Meinungen tolerieren nur um des lieben Friedens willen.

Aber gegenüber deutschen, gegenüber westlichen ausländischen Schülern und selbst gegen Aussiedler aus der Ex-Sowjetunion kann ich offener, unverblümter reden, ohne deren Gefühle zu verletzen.

So ungefähr.
Fritz

Hallo Gitte u. a.,

meine Erfahrungen gehen in die Richtung, dass jeder Mensch, egal wo er herkommt, empfindlich reagiert, wenn man die Punkte kritisiert, die ihm selbst wichtig sind. In der Regel sind Türken sehr patriotisch, noch wichtiger aber ist die Familie, und vielen auch ihr Glaube. Wenn man diese Punkte zu stark kritisiert, ist es wohl selbstverständlich, dass ein gewisses Befremden auftritt. Mit einem überzeugten Christen würde man ja auch „vorsichtiger“ umgehen. Aber seinen eigenen Standpunkt zu den jeweiligen Themen kann man durchaus haben, genau so, wie du, Gitte, es geschildert hast. Gespräche über Familienstand, Haushalt und Kinder sind in der Regel einfach höflicher Smalltalk, da dies eben die Themen sind, die „man“ in türkischen Kreisen mit einer Frau bespricht. Eine Weile hat mich das selbst auch furchtbar genervt, weil alle Leute, die höflich sein wollten, gefragt haben, wann denn das nächste Kind kommt. Inzwischen kann ich drüber lachen. Es war ja nie böse gemeint.

Allerdings solltest du vielleicht trotzdem gewisse Dinge wenigstens wissen: Manche (beileibe nicht alle) türkischen Männer sind der Meinung, dass man eine „günstige Gelegenheit“ ausnützen m u s s , wenn man sein Gesicht nicht verlieren will. Solltest du je in eine entsprechende Situation kommen, ist es am besten, explizit dich in den „Schutz“ des Mannes zu stellen, so nach dem Motto: Die Welt ist für eine schutzlose Frau eine große Gefahr, aus der Sie mich bitte erretten sollten.

Ansonsten kann ich nur sagen: Wenn man sich offen und ehrlich benimmt, können beide Seiten eine Menge lernen. Ich bin selbst seit 17 Jahren mit einem Türken verheiratet und habe meine Lebensweise nicht ein winziges Fiezelchen geändert. Alle Verwandten und Bekannten haben es nach einer Phase der Verwunderung akzeptiert, dass ich so bleibe, wie ich bin.

Gruß

Irene

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Hallo Fritz,

herzlichen Dank für Deine Antwort und die Tipps.

Ja, das gilt natürlich generell - auch als „Mann unter Männern“. Geht halt immer um unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten … bisher habe ich hier geschäftlich schwerpunkmäßig mit Amerikanern, Engländern (und Hamburgern *g*) Erfahrungen gemacht - und finde es schon immer auch wichtig, ungefähr zu wissen, was Sache ist, um, wie gesagt, nicht jemandem unabsichtlich auf den Schlips zu treten.

Themen wie Religion, Stellung der Frau, Politik etc. kommen mir eh nicht in die Tüte. Da droht mir kein Fettnapf ;o)

Danke für den Hinweis mit jok/yok. Da hab ich dann einen Anhaltspunkt bzw. kann zumindest aufmerken. Wie gesagt: Bisher lief alles wunderbar … ich mache mir wahrscheinlich zu viele Gedanken. Aber lieber vorher informieren und drauf achten, als in was reinsteuern, was nicht sein muss.

Viele Grüße
Gitte

voneinander lernen
Hallo Irene,

vielen Dank für Deine hilfreiche Antwort.

Ja, da stimme ich voll mit Dir überein -> der Respekt gegenüber allen Menschen in puncto Religion und und und muss auf jeden Fall gegeben sein. Ich hatte das Beispiel mit der Familie auch deshalb noch erzählt, weil es ja bei meinen Teilnehmern auch ein Gesamtbild von mir gibt - vielmehr galt und gilt meine Sorge eher eben den älteren Teilnehmern. Ich denke, ich werde hier einfach etwas bewusster vorgehen und darauf achten, nicht so impulsiv zu sein.

Familienstand, Haushalt und Kinder sind in der Regel einfach
höflicher Smalltalk, […], weil alle Leute, die
höflich sein wollten, gefragt haben, wann denn das nächste
Kind kommt. Inzwischen kann ich drüber lachen. Es war ja nie
böse gemeint.

:o)
Ich fand’s auch lustig … auch wenn ich schon gestaunt habe: Die direkte Frage nach Mann/Kindern und nochmal Nachtarocken, ob nicht wenigstens ein Freund … so direkt hat mich jemand zu Beginn eines Seminars noch nie gefragt.
Leuchtet mir jedoch jetzt noch mehr ein, wo Du sagst, dass das einfach die „üblichen“ Smalltalk-Themen sind.

Vielen Dank für Deine weiteren Tipps und Erfahrungen. Das hilft mir schon gut weiter. - Und ja, ich finde auch, dass alle Seiten viel lernen können. Ich freue mich auch darauf noch einige Wochen mit der Gruppe zusammen zu sein … auch weil ich viel für mich lerne.

Vielleicht stoße ich im Lauf der Zeit noch auf Themen oder Fragen, wo ich nochmal auf Deinen (Euren) Rat zurückgreife, wenn ich darf.

Viele Grüße
Gitte

leicht off topic
Hallo Ihr,
das hat jetzt nicht mehr viel mit Gittes urspruenglicher Frage zu tun, aber es erinnert mich an mehrere Erlebnisse hier mit aelteren Saudis/Bedus. Wenn man auf’s Land geht und dort alte Bedus trifft (also nicht moderne Saudis, die englisch koennen und sich in der Geschaeftswelt bewegen), dann sind die im allgemeinen sehr hoeflich, sehr gastfreundlich, und manchmal, wenn man wirklich Glueck, trinken sie sogar mit einer westlichen Frau Tee, auch wenn’s sie’s nie mit einer arabischen Frau tun wuerden (ausser innerhalb der FAmilie, selbstverstaendlich). Und dann kommt natuerlich die Frage nach der Familie und den Kindern. Wenn ich dann zwei Jungs sage, das finden sie gut. Wenn sie dann nach dem Alter fragen (10+11), oder sie auch sehen, fragen sie, wann das naechste kommt, schon etwas kritisch oder auch besorgt, waere ja ein recht grosser Abstand. Und einmal hab ich dann ‚kalas‘ gesagt, also fertig. Der betreffende alte Herr hat mich fragend angeguckt, dann meinen Mann und „Kalas??“ gefragt, ich hab genickt, dann hat er mir sehr bedauernd zugenickt und meinem Mann bedauernd ueber den Arm gestrichen: Kalas, vorbei, es geht nicht mehr . Wie schlimm!!!
*gg

GRuesse, Elke

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Hallo Gitte,

Deine Einstellung über das Verhältnis der Geschlechter, Dein Umgang mit Glaubensdingen, Deine Art zu leben, müssen die Damen und Herren in der Seminargruppe akzeptieren. Wenn sie damit ein Problem haben, müssen sie es eben lernen. Umgekehrt gilt das natürlich auch. Hart ausgedrückt: Wer zur gegenseitigen Toleranz nicht bereit ist, kam vielleicht mit falschen Vorstellungen hierher, hat aber in diesem Land nichts zu suchen. Es muß möglich sein, daß wir zu unserer Lebensart stehen, ohne allerdings die bewußte Provokation zu suchen. Das wäre eine ohnehin zum Scheitern verurteilte Form der Missionierung.

Wir kennen auch unter Deutschen grundsätzlich unterschiedliche Lebenseinstellungen, auch in religiöser Hinsicht. So halte ich - auf einen verkürzten Nenner gebracht - Religionen aller Art für hirnverkleisternden Unfug. Gegenüber einem religiös geprägten Menschen werde ich diese Einstellung nicht in dieser Form äußern, werde aber auch nicht den gläubigen Christen heucheln. Letztlich führt es dazu, bestimmte Themen nur begrenzt zu vertiefen.

Es ist gewiß der Seminar-Atmosphäre nicht besonders förderlich, wenn die weibliche Seminarleiterin den türkischen Teilnehmern mitteilt, daß sie je nach Bedürfnis alle paar Wochen wechselnd männlichen Besuch bei sich nächtigen läßt. Es geht die Leute schlicht nichts an und bringt auch nichts, den Teilnehmern derart vor den Kopf zu stoßen. Es schadet aber rein gar nichts - im Gegenteil sogar - wenn die türkischen Seminarteilnehmer mitbekommen, daß z. B. Rollenverteilung der Geschlechter und die persönliche Lebensplanung nicht besser oder schlechter als in der Türkei üblich, sondern einfach nur anders sind.

Inhalt und vordergründiges Ziel des von Dir abgehaltenen Seminars kenne ich nicht. Ein Ziel sollte aber sein, Einblicke in hiesige Lebensweisen zu geben.

Toleranz beinhaltet Rücksichtnahme, nicht aber Verstecken.

Gruß
Wolfgang

missverstanden
Hallo Wolfgang,

danke für Deine Antwort.
Allerdings möchte ich doch noch einmal betonen: Es geht mir nicht um’s Verstecken - es geht mir um Respekt und Rücksichtnahme auf Mentalität und auch „Seniorität“ - nicht, indem ich bestimmte Themen nicht anspreche (tu ich ja), sondern indem ich mich eben über kulturelle Unterschiede informiere.

Gute Nacht
Gitte

irrtum

So á la: Es ist klar,
dass die Palästineser angesichts ihrer Situation …, aber
Bomben auf Zivilisten …?

die tuerkei ist als natoland israelfreundlicher als so mancher glaubt. auch religioes stehen die tuerken als nicht-araber der arabischen scharia kritisch gegenueber. wie das aber bei tuerken in deutschland ist, kann ich nicht sagen.

gruss lehitraot.

Du hast Recht, lehitraot,

als ich das schrieb, dachte ich aber mehr an die arabischen Schüler, die ich im meinem Text auch erwähnte.

Ich hätte das vielleicht deutlicher differenzieren sollen.
Mit zwei türkischen Schülern - einem Studenten und einer jungen Frau

(ich differenziere das. Sie kam in Begleitung ihres Mannes, der an der Uni einen Job hatte, und bekam den Sprachkurs von der Uni bezahllt als Integrationshilfe. Sie erschien den auch stets mit Kopftuch und lang gewandet, was bei türkischen Studentinnen nicht immer der Fall ist. Man muss laso auch nochmal differenzieren zwischen Türken und Türken und Türkinnen und Türkinnen) -

und einigen Chinesen habe ich einmal das Thema „schächten“, als da hier diese Klage lief. Das war kurios! Die Chinesen wussten gar nicht, was das ist, waren entsetzt, als man versuchte, es ihnen zu erklären. Und mein Versuch, die Haltung der deutschen „Tierschützer“ zu verdeutlichten, brachte dann das Chaos zur Perfektion.

Aber wir haben alle überlebt:wink:!

Gruß Fritz