Sigmund Freud und das Christentum

Hi.

Ich möchte Freuds Kritik am Christentum zur Diskussion stellen, da mich vor allem die Argumente jener interessieren, die diese Theorie für nichtig halten. Freud selbst hat sein Werk „Die Zukunft einer Illusion“ (1927) im nachhinein für ungelungen gehalten, er war aber zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krebskrank und neigte – für einige seiner Anhänger in übertriebener Weise – zur Selbstkritik.

Freud also bezeichnete das Christentum als eine lllusion, d.h. als ein Produkt von Wunschdenken. Ich nenne einige seiner Argumente oder Thesen :

Das Christentum basiert auf zwei psychologischen Faktoren: 1) der Angst vor dem Unbekannten und 2) dem Schuldgefühl.

  1. Das erste Argument ist bekannt, da die Entstehung ´präreligiöser´ polytheistischer Mythen ganz allgemein so erklärt wird. Die Naturkräfte, die eine Gefahr für die Urmenschen bildeten, wurden mit personalen Qualitäten ausgestattet, was ihnen quasi ein Gesicht verlieh und sie – zumindest potentiell – zugänglich für Beschwörungen machte. Moses, der ´Erfinder´ des Monotheismus (was aber nicht gesichert ist), soll Echnatons Ein-Gott-Wahnidee (Echnaton = Sonnengott und Herrscher der Welt) dann auf die jüdischen Glaubensvorstellungen übertragen haben. So entstand aus der Vielgötterei der Glaube an den Einen Gott.

  2. Schuldgefühle sind nach Freud ein unvermeidbarer Nebeneffekt der kulturellen (phylogenetischen) Entwicklung des Individuums. Sie resultieren u.a. aus dem unbewussten Wunsch des Kindes nach dem Tod des Vaters. In diesem Sinne verkörpert die Jesus-Figur das Sündenbewusstsein des Sohnes und die entsprechende Strafe. Freud sieht klare Zusammenhänge zwischen der Zwangsneurose und den Regeln und Übungen des Christentums: in beiden Fällen dienen starre, zwanghafte Verhaltens- und Denk-Strukturen dazu, das verdrängte Schuldgefühl in Bann zu halten. Schon geringe Abweichungen vom Festgelegten sind tabuisiert. Dass gerade im Christentum viel von menschlicher Urschuld die Rede ist, ist kein Geheimnis und legt Freuds Interpretation durchaus nahe. Freud hält also das Christentum für die kollektive Variante der individuellen Zwangsneurose.

Freud psychologisiert auch die Feuerbach´sche Projektionstheorie und bezeichnet den allmächtigen Herrschergott als infantiles Abbild der familären Vaterfigur. Gott hat ebenso wie der reale Vater zwei Funktionen: er kann schützen und er löst Furcht und damit Gehorsam aus. Das Christentum entstand in einer Zeit, als rationale Denkfähigkeit, an heutigen Maßstäben gemessen, noch in den Kinderschuhen steckte, so dass eine Institution die Triebregungen der Menschen kanalisieren musste, die nicht rational, sondern affektiv wirkte: eben die auf Angst, Schuld und Demut basierende monotheistische Religion, die gesellschaftlich institutionalisierte Zwangsneurose.

Wie sehen das andere in diesem Forum?

Gruß

Hallo Horst,

jetzt weiß ich ja, dass Du Dich mit Psychologie und Esoterik befaßt. Und zu Esoterik gehört nun einmal auch Religion als Teilmenge, auch wenn das gerne mal verdrängt wird. Es ist also ein weites Feld, zu weit, als dass man hier alles in einem Posting abarbeiten könnte. Deswegen fange ich einfach mal mit Freud an.

(die Sache mit gelungenem oder nicht gelungenem Werk habe ich hier mal gestrichen weil sie oben nachlesbar ist)

Freud also bezeichnete das Christentum als eine lllusion, d.h.
als ein Produkt von Wunschdenken. Ich nenne einige seiner
Argumente oder Thesen :

An dierser Stelle mal eingehakt. Freud befasste sich mit dem Unterbewussten. Dabei versuchte er teilweise ja auch, nicht meßbare Dinge in pseudo-meßbare Kategorien zu verpacken. Das Ergebnis war, dass oftmals zwangsinterpretiert wurde, nicht nur von ihm sondern in viel höherem Maße von seinen Anhängern. Erinnern wir uns also auch daran, dass eine Zigarre manchmal eben nur eine Zigarre ist. Der Versuch, alle Menschen über einen Kamm zu scheren und in eine limitierte Menge pseudo-meßbarer Kategorien einzuordnen ist ja im Grunde nichts anderes als das, was auch jede organisierte Religion tut. Nur die Etiketten sind anders.

Das Christentum basiert auf zwei psychologischen Faktoren: 1)
der Angst vor dem Unbekannten und 2) dem Schuldgefühl.

  1. Das erste Argument ist bekannt, da die Entstehung
    ´präreligiöser´ polytheistischer Mythen ganz allgemein so
    erklärt wird. Die Naturkräfte, die eine Gefahr für die
    Urmenschen bildeten, wurden mit personalen Qualitäten
    ausgestattet, was ihnen quasi ein Gesicht verlieh und sie –
    zumindest potentiell – zugänglich für Beschwörungen machte.

Was sehr grob vereinfacht ist. Freud, wie auch die meisten Historiker, sehen hier nur ein abstraktes Gefühl, dass durch Personifizierung begreifbar/zugägnlich gemacht werden soll. Dabei jedoch übersehen sie einen zweiten menschlichen Faktor: Machtstreben. Das wiederum manifestiert sich in vielen Formen, ist aber ursächlich auch im Streben nach Sicherheit verankert. Im Zusammenhang mit Religion haben wir einen Effekt, den wir immer wieder, über alle Epochen hinweg im archäologischen nachvollziehen läßt: Da, wo zum ersten Mal eine Gottheit auftaucht, dauert es nicht sehr lange, bis auch ein Priester auftaucht. Der dann wiederum, unter Berufung auf „seinen“ Gott Einfluss auf die Gesellschaft nimmt. Was also Freud nicht in seine Überlegung einbezog ist das menschliche Element organisierter Religion. Dabei jedoch geht es nicht in erster Linie um die Angst vor dem Unbekannten, die wird von organisierter Religion nur genutzt, genauso wie Furcht im Allgemeinen.

Moses, der ´Erfinder´ des Monotheismus (was aber nicht
gesichert ist), soll Echnatons Ein-Gott-Wahnidee (Echnaton =
Sonnengott und Herrscher der Welt) dann auf die jüdischen
Glaubensvorstellungen übertragen haben. So entstand aus der
Vielgötterei der Glaube an den Einen Gott.

Das wiederum ist ein historisches Durcheinander. Echnaton GLAUBTE an einen Gott. Er identifizierte sich nicht mit ihm. Der Unterschied ist in einer Anzahl von Bildwerken deutlich herausgestellt. Die Datierung von Echnaton ist unklar, die meisten Historiker sehen ihn so ungefähr um 1370/1360 v. Chr herum geboren an. Moses hingegen ist eigentlich als Person überhaupt nicht datiert. Allerdings zeigen Grabungsbefunde bereits hebräische Besiedlung knapp vor 1500 v. Chr. Was darauf hindeuten würde, sollte das historische Vorbild des Moses wirklich einen Auszug aus Ägypten geführt haben, dass er Echnaton, der erst 130 Jahre später geboren wurde nicht gekannt haben kann und mit ihm die ganze Aton-Idee nicht.
Die Idee eines Monotheismus ist allerdings ohnehin viel älter. Für gewöhnlich entstand sie dann, wenn die Priesterschaft einer Gottheit genug Macht erlangt hatte, um sich gegen die anderen durchzusetzen. Für Ägypten waren das phasenweise Amun, Horus, Ptah. Für das zweite babylonische Reich unter Nebukadnezar II zweifellos der Marduk-Kult, für das vierte Jahrtausend vor Chr. und die Bretagne deutet alles aus eine Mondgottheit hin, deren Namen wir mangels Schrift nicht kennen. Nur ein paar Beispiele. Monotheisumus war also oft ein Resultat aus menschlicher sprich weltlicher Macht. Genau der Faktor, den Freud außer acht ließ.

  1. Schuldgefühle sind nach Freud ein unvermeidbarer
    Nebeneffekt der kulturellen (phylogenetischen) Entwicklung des
    Individuums. Sie resultieren u.a. aus dem unbewussten Wunsch
    des Kindes nach dem Tod des Vaters.

Da kann ich jetzt mal nur ganz persönlich argumentieren. Mein Vater (mein leiblicher) hatte kein Problem mit Alkohol, nur ohne. Und neigte dementsprechend machmal zu Gewalttätigkeit. Ich kann also a.) nicht behaupten, dass oben erwähnter Wunch in meinem Falle unbewußt war, noch kann ich b.) behaupten, ich hätte deswegen orgendwelche Schuldgefühle.
Soweit es Freud betrifft, hatte der Begriff des „Schuldgefühls“ ja eine durchaus zentrale Bedeutung, zusammen mit Triebbefriedigung. Seine Welt war also in dieser Hinsicht auf zwei Faktoren reduziert. Dinge wie Gemeinschaftsgefühl (also die alten Hordeninstinkte) Loyalitäten und Ehrbegriffe (die wiederum zwar auf sozialen Normen aber nicht auf Schuld beruhten) und Gruppensynamik (die ja auf verschiedenen Typen innerhalb von Gruppen beruhen) kommen in seiner Analyse nicht vor. Schuldgefühl, für Freud also 50% aller menschlichen Motivation, stellt in Wirklichkeit einen viel kleineren Anteil an der Motivation menschlichen Handelns dar. Ich bin jetzt kein Psychoanalytiker, aber wenn es um die Entwicklung von Gesellschaften, um die Motivation von Personen in Schlüsselstellungen geht, die geschichtliche Ereignisse ausgelöst haben, oder wenn es um die großen Mißerfolge der Geschichte geht, dann werden historisch mehr und mehr zwei Faktoren zusätzlich zu Grabungsmaterial/Archivquellen betrachtet: Der soziale (und damit teilweise auch psychologische Hintergrund) der fraglichen Person und das soziale Klima seiner Zeit. Erst wenn das erklärbar zueinanderpaßt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man mit einer Rekonstruktion von Ereignissen richtig liegt.

In diesem Sinne verkörpert
die Jesus-Figur das Sündenbewusstsein des Sohnes und die
entsprechende Strafe. Freud sieht klare Zusammenhänge zwischen
der Zwangsneurose und den Regeln und Übungen des Christentums:
in beiden Fällen dienen starre, zwanghafte Verhaltens- und
Denk-Strukturen dazu, das verdrängte Schuldgefühl in Bann zu
halten. Schon geringe Abweichungen vom Festgelegten sind
tabuisiert.

Das ist nicht nur im Christentum so. Es ist nicht nur in organisierten Religionen so. Wo auch immer große Menschenmengen zusammengehalten werden sollen, in Staaten, Organisationen oder auch eben Kirchen, wird das Ritual zum Bindeglied. Und je länger eine Organisation existiert, desto umfangreicher wird das Ritual. Es wächst. In der Kirche ist es nur deswegen so auffällig weil es extrem viel Zeit hatte zu wachsen. Was Freud entgangen ist, weil er Psychoanalytiker aber kein Historiker war, ist der Fakt, dass die Teile des Rituals über einen langen Zeitraum hinweg eingeführt wurden. Der Osterfesttermin hielt die Leute zwei Jahrhunderte beschäftigt, das Weihnachtsfest fand seinen endgültigen Termin 3 1/2 Jahrhunderte nach Christus, Lieder, die wir alle kennen und die in beinahe jedem Gottesdienst gesungen werden stammen aus dem 15. und 16.Jahrhundert.
Das einzige Ritual, das vergleichbar alt ist und dementsprechend manchmal auf den ersten Blick genauso unverständlich wirkt, ist militärisches Ritual. Und auch da sind die Abweichungen geringfügig. Ich denke, da kann man ganz gut einen Vergleichsfall studieren der Freud widerlegt.

Dass gerade im Christentum viel von menschlicher

Urschuld die Rede ist, ist kein Geheimnis und legt Freuds
Interpretation durchaus nahe. Freud hält also das Christentum
für die kollektive Variante der individuellen Zwangsneurose.

Freud argumentiert hier ausgehend von zwei falschen Vorstellungen. a.) setzt er ohne weitere Begründung das Verhalten einer Masse mit dem Verhalten einiger (nicht aller) Individuen gleich. b.) Er erkennt nicht, wie viel davon Religion und wie viel organisierte Relgion ist. Die Religion als solche benötigt den Urschuldgedanken nicht. Eine Priesterkaste hingegen benötigt ihn um dadurch mehr Anhänger, mehr Spenden und mehr Einfluss zu gewinnen. Eine jede Religion, die einfach nur bei einem sauberen Lebenswandel ein Leben nach dem Tod verspricht ist für eine Priesterkaste per se unbrauchbar. Das war ja genau das Problem, das z.B. ein Irenäus mit den Gnostikern hatte.
Auch hier finden sich Beispiele aus ganz anderen Bereichen. Fußball ist ein schönes Spiel und macht einfach Spaß. Braucht Fußball die Funktionäre? Per se nicht. Aber die Funktionäre brauchen den Fußball, weil der das Produkt ist, dass sie verkaufen. Und populär machen. Die Kinder spielen nicht mehr Straßenfußball, nein, sie spielen jetzt in der Kindermannschaft des FC Hastenichtgekannt. Eine EM ist Massenhysterie, und sagen wir es mal ehrlich, es ist trotzdem Spaß. Mal ohne moralische Wertung, aber der Mechanismus ist m.E. erkennbar.

Freud psychologisiert auch die Feuerbach´sche
Projektionstheorie und bezeichnet den allmächtigen
Herrschergott als infantiles Abbild der familären Vaterfigur.
Gott hat ebenso wie der reale Vater zwei Funktionen: er kann
schützen und er löst Furcht und damit Gehorsam aus.

Das ist aber eine Doppelfunktion, die jede mächtige Gestallt in verschiedenem Ausmaß ausfüllt. Das gilt für Könige, Fürsten, Kriegsherren in gleichem Maße. Der Unterschied liegt ja nur im Verhältnis zwischen Schutz und Furcht. Und wenn ich so an meine Kindheit nachdenke, dann konnte mein Vater durchaus Furcht, aber damit nicht zwangsläufig Gehorsam auslösen.

Das
Christentum entstand in einer Zeit, als rationale
Denkfähigkeit, an heutigen Maßstäben gemessen, noch in den
Kinderschuhen steckte, so dass eine Institution die
Triebregungen der Menschen kanalisieren musste, die nicht
rational, sondern affektiv wirkte: eben die auf Angst, Schuld
und Demut basierende monotheistische Religion, die
gesellschaftlich institutionalisierte Zwangsneurose.

Freud war so ein lausiger Historiker :wink:
Das Christentum entstand in einer Zeit, als es organisierte Religion bereits seit Jahrtausenden gab. Es füllte also mit Sicherheit keine notwendige Lücke. Es war Konkurrenz zu Hunderten, wenn nicht Tausenden anderer religiöser Vorstellungen, zum Teil älter, zum Teil damals genauso brandneu, zum Teil auch damals gerade generalüberholt.
Zweitens formte sich das Chritenstum nicht an einem Tag sondern die ersten 60% formten sich innerhalb von rund 4 Jahrhunderten. In diesen vier Jahrhunderten lebten einige der größten Geister der Weltgeschichte (Hypatia, Theodosius, selbst Irenäus, den ich persönlich nicht mag, der aber zweifellos ein sehr intelligenter und rationaler Mann war. Er setzte diese Rationalität nur sehr zielgerichtet ein. Die Liste läßt sich sicher erweitern). Der Beginn dieser Jahrhunderte ist gekennzeichnet durch eine Blüte des Neoplatonismus, dem man einen gewissen Grad an Rationalität ja wohl kaum absprechen kann. Wir finden in dieser Zeit die Bibliothek von Alexandria und die dort ansäßigen Gelehrten. Vitruvius fällt in diese Zeit genauso wie Galen. Gerade die ersten beiden jener Jahrhunderte waren geprägt von einer neuen Blüte des Rationalismus, von der Suche nach logischen Erklärungen. Das ist etwas, was Freuds Zeit für sich nur teilweise in Anspruch nehmen kann. Und das Christentum zeigt in seiner frühen Zeit einen regelrecht zynischen Rationalismus, kein Wunder, ist es doch ein Kind dieser Zeit.

Gruß
Peter B.

Hallo Peter

An dierser Stelle mal eingehakt. Freud befasste sich mit dem
Unterbewussten.

Und hier muss ich leider ebenfalls einhaken: Freud unterschied lediglich das Bewusste vom Unbewussten.
Wenn jemand hingegen vom Unterbewusstsein spricht (wie viele das tun), dann weiß man sofort, dass es sich um einen Laien handelt, der sich nicht wirklich mit Freuds Gedankengängen beschäftigt hat.

Erinnern wir uns also auch daran, dass eine Zigarre manchmal
eben nur eine Zigarre ist.

Damit hast du wiederum recht: Die eindimensionale sexuelle Deutung von allen möglichen Dingen, die Freud sich noch leistete, sehen wir heute als überholt an. Auch ein Genius wie Freud hat sich in einigen Aspekten ganz offenkundig geirrt.

Soweit es Freud betrifft, hatte der Begriff des
„Schuldgefühls“ ja eine durchaus zentrale Bedeutung, zusammen
mit Triebbefriedigung. Seine Welt war also in dieser Hinsicht
auf zwei Faktoren reduziert.

Aber eben überhaupt nicht. Alfred Adler (den du ja offenbar bevorzugst, wenn ich deine Betonung von Machtgefühl und Gemeinschaftsgefühl hier addiere) hat weitaus monokausaler argumentiert als Freud. Lou Andreas Salome, die als Einzige am Anfang beide Schulen kennenlernen durfte (sie ging zu Freuds und zu Adlers abendlichen Treffen) entschied sich deshalb nach längerem Abwägen für Freud, weil er eben nicht monokausal erklärte, sondern verschiedene Antriebe zuließ.
Dinge wie Gemeinschaftsgefühl

(also die alten Hordeninstinkte) Loyalitäten und Ehrbegriffe
(die wiederum zwar auf sozialen Normen aber nicht auf Schuld
beruhten) und Gruppensynamik (die ja auf verschiedenen Typen
innerhalb von Gruppen beruhen) kommen in seiner Analyse nicht
vor.

Doch, aber er analysiert es benefalls.

Ich bin jetzt
kein Psychoanalytiker

Das kann man guten Gewissens sagen…:wink:
Gruß,
Branden

Hi, Peter.

jetzt weiß ich ja, dass Du Dich mit Psychologie und Esoterik
befaßt.

In der Tat.

Und zu Esoterik gehört nun einmal auch Religion als
Teilmenge, auch wenn das gerne mal verdrängt wird.

Das werden andere anders sehen, da Esoterik, im Unterschied zur Religion, eher nicht-organisiert und ´subkulturell´ ist.

Freud befasste sich mit dem
Unterbewussten.

VanBranden hat in seiner Re recht: ´unterbewusst´ ist kein Freudscher Terminus.

Dabei versuchte er teilweise ja auch, nicht
meßbare Dinge in pseudo-meßbare Kategorien zu verpacken.

Freuds Wissenschaft ist hermeneutisch, also interpretativ, und zielt auf Be-Deutungen. Die aber sind nie messbar. Freilich zielte er auf strenge Wissenschaft, das ja.

Das
Ergebnis war, dass oftmals zwangsinterpretiert wurde, nicht
nur von ihm sondern in viel höherem Maße von seinen Anhängern.
Erinnern wir uns also auch daran, dass eine Zigarre manchmal
eben nur eine Zigarre ist.

Sorry, aber eine Zigarre ist nie ´nur´ eine Zigarre. Das muss ich mal klar herausstellen. Sie ist - in der Regel - auch ein Phallussymbol. Der geschmackliche Genuss und die symbolische Protzerei sind hier zwei Seiten einer Medaille. Ich glaube nicht, dass die meisten Zigarrenraucher auf Inhalationsgeräte umsteigen würden, die den gleichen Genuss versprechen, aber unphallisch aussehen.

Die Naturkräfte, die eine Gefahr für die
Urmenschen bildeten, wurden mit personalen Qualitäten
ausgestattet, was ihnen quasi ein Gesicht verlieh und sie –
zumindest potentiell – zugänglich für Beschwörungen machte.

Was sehr grob vereinfacht ist. Freud, wie auch die meisten
Historiker, sehen hier nur ein abstraktes Gefühl, dass durch
Personifizierung begreifbar/zugägnlich gemacht werden soll.
Dabei jedoch übersehen sie einen zweiten menschlichen Faktor:
Machtstreben. Das wiederum manifestiert sich in vielen Formen,
ist aber ursächlich auch im Streben nach Sicherheit verankert.

Ok, Freud scheint den politischen Aspekt, den Feuerbach und Marx hervorhoben, vernachlässigt zu haben. Macht aber nichts. Denn die politische Seite der Projektion kann nur wirksam sein, wenn die psychologische funktioniert. Also ist Freuds Einsicht komplementär zu Feuerbach.

Dabei jedoch geht es nicht in erster
Linie um die Angst vor dem Unbekannten, die wird von
organisierter Religion nur genutzt, genauso wie Furcht im
Allgemeinen.

Eben. Auch wenn das nur ein Aspekt unter mehreren ist, der nicht funktionieren würde, gäbe es kein primäres, natürliches und gesundes Bedürfnis nach Religion. Wie diese nun organisiert ist und welche Inhalte sie hat, steht auf einem anderen Blatt. Leider wurde das Bedürfnis oft genug pervertiert und gegen die Menschen gerichtet.

  1. Schuldgefühle sind nach Freud ein unvermeidbarer
    Nebeneffekt der kulturellen Entwicklung des
    Individuums. Sie resultieren u.a. aus dem unbewussten Wunsch
    des Kindes nach dem Tod des Vaters.

Da kann ich jetzt mal nur ganz persönlich argumentieren. Mein
Vater (mein leiblicher) hatte kein Problem mit Alkohol, nur
ohne. Und neigte dementsprechend machmal zu Gewalttätigkeit.
Ich kann also a.) nicht behaupten, dass oben erwähnter Wunch
in meinem Falle unbewußt war, noch kann ich b.) behaupten, ich
hätte deswegen orgendwelche Schuldgefühle.

Natürlich können Todeswünsche gelegentlich bewusst sein, aber gewiss nur selten im vollen Ausmass dessen, was sich diesbezüglich im Unbewussten gebildet hat. Und da Schüldgefühle, die aus präpubertärer Zeit datieren, so gut wie gar nicht bewusst sind, ist es kein Argument zu sagen, man hätte keine. Das ist halt das Problem mit dem Unbewussten: es ist unbewusst… Ich kenne Leute, die HASSEN ihren Vater, dass alles zu spät ist. Aber kaum nennst du ihren Vater versuchsweise ein „Schwein“, fangen sie an zu beschwichtigen und zu relativieren. Das ist dann eben ihre unbewusste Vaterliebe.

In diesem Sinne verkörpert
die Jesus-Figur das Sündenbewusstsein des Sohnes und die
entsprechende Strafe. Freud sieht klare Zusammenhänge zwischen
der Zwangsneurose und den Regeln und Übungen des Christentums

Das ist nicht nur im Christentum so. Es ist nicht nur in
organisierten Religionen so. Wo auch immer große
Menschenmengen zusammengehalten werden sollen, in Staaten,
Organisationen oder auch eben Kirchen, wird das Ritual zum
Bindeglied.

Aber die Wurzel all dessen ist eine (verzerrt)religiöse, also die Projektion irdischer Machtinstanzen (familiär und politisch) ins Transzendente.

das einzige Ritual, das
dementsprechend manchmal auf den ersten Blick genauso
unverständlich wirkt, ist militärisches Ritual. Und auch da
sind die Abweichungen geringfügig. Ich denke, da kann man ganz
gut einen Vergleichsfall studieren der Freud widerlegt.

Nun, da bist du ein Experte, ohne Zweifel. Die Frage ist aber doch, ob das militärische Ritual nicht seine Wurzeln in religiösen Ritualen hat. Schließlich waren früher die Könige entweder Göttkönige oder von einem Gott legitimiert, und dementsprechend bildete sich eine dergestalt, also religiös fundierte Hierarchie auch beim Militär aus. Wäre mal eine Untersuchung wert.

Freud hält also das Christentum
für die kollektive Variante der individuellen Zwangsneurose.

Freud argumentiert hier ausgehend von zwei falschen
Vorstellungen. a.) setzt er ohne weitere Begründung das
Verhalten einer Masse mit dem Verhalten einiger (nicht aller)
Individuen gleich.

Er sieht Analogien. Das ist legitim und - in diesem Fall - korrekt, denke ich.

b.) Er erkennt nicht, wie viel davon
Religion und wie viel organisierte Religion ist.

Er argumentiert nicht gegen Religion, sondern gegen deren christliche Ausprägung.

Die Religion
als solche benötigt den Urschuldgedanken nicht. Eine
Priesterkaste hingegen benötigt ihn um dadurch mehr Anhänger,
mehr Spenden und mehr Einfluss zu gewinnen.

Eben. Darum geht es ja.

Fußball ist ein schönes Spiel und macht einfach Spaß. Braucht
Fußball die Funktionäre? Per se nicht.

So, wie wir ihn heute erleben, schon. Wie soll das sonst funktionieren?

Eine EM ist
Massenhysterie, und sagen wir es mal ehrlich, es ist trotzdem
Spaß. Mal ohne moralische Wertung, aber der Mechanismus ist
m.E. erkennbar.

Vollkommen korrekt. Aber gemacht wird die Hysterie durch die Medien = die neue Priesterschaft :smile:

Gott hat ebenso wie der reale Vater zwei Funktionen: er kann
schützen und er löst Furcht und damit Gehorsam aus.

Das ist aber eine Doppelfunktion, die jede mächtige Gestallt
in verschiedenem Ausmaß ausfüllt. Das gilt für Könige,
Fürsten, Kriegsherren in gleichem Maße. Der Unterschied liegt
ja nur im Verhältnis zwischen Schutz und Furcht. Und wenn ich
so an meine Kindheit nachdenke, dann konnte mein Vater
durchaus Furcht, aber damit nicht zwangsläufig Gehorsam
auslösen.

Der konkrete Vater ist irrelevant. Es geht um die Analogie Vater - Herrscher im allgemeinen, und da greift Freuds Ansatz. Es gibt ja auch Rebellen auf der politischen Ebene, und wehe denen, die einem rachsüchtigen Herrscher in die Hände fallen.

eben die auf Angst, Schuld
und Demut basierende monotheistische Religion, die
gesellschaftlich institutionalisierte Zwangsneurose.

Freud war so ein lausiger Historiker :wink:
Das Christentum entstand in einer Zeit, als es organisierte
Religion bereits seit Jahrtausenden gab. Es füllte also mit
Sicherheit keine notwendige Lücke.

Nun, es war revolutionär in dem Sinne, dass es wie keine Religion davor verstand, Machtstrukturen zu vereinnahmen, zunächst in Rom, dann im Frankenreich. Das wurde durch den monotheistischen Ansatz begünstigt.

Gruß

Vorschlag…
Hallo,

…für dein nächstes posting:

Goethe vs Christentum

http://www.ursulahomann.de/GoetheUndDieReligion/kap0…

Gruss
Junktor

Hi, Peter.

jetzt weiß ich ja, dass Du Dich mit Psychologie und Esoterik
befaßt.

In der Tat.

Und zu Esoterik gehört nun einmal auch Religion als
Teilmenge, auch wenn das gerne mal verdrängt wird.

Das werden andere anders sehen, da Esoterik, im Unterschied
zur Religion, eher nicht-organisiert und ´subkulturell´ ist.

Allerdings hat „Organisation“ gar nichts mit dem „Wort Esoterik“ zu tun. Dieses bezeichnet nämlich per se nur „inneres“, d.h. auf einen kleinen Personenkreis begrenztes Wissen. Was seit der „nicht-organisierten“ und „subkulturellen“ Esoterikwelle im Zusammenhang mit dem Wortsinn bedeuten würde, dass es nahezu keine Esoterik mehr gibt. Gnostisch beispielsweise kann mythisch, es kann mystisch sein, aber wenn über etwas so viele tausend Bücher geschrieben wurden, kann es nicht mehr esoterisch sein.

Freud befasste sich mit dem
Unterbewussten.

VanBranden hat in seiner Re recht: ´unterbewusst´ ist kein
Freudscher Terminus.

Nein, ist es nicht. Ich verwendete diesen Term um etwas aufzuzeigen. Wahrscheinlich mal wieder nicht explizit genug, wie Dein Unverständnis zeigt.
Freud befasste sich u.a. mit Traumata, genauer, er befasste sich mit verdrängten Traumata, er befasste sich mit tabuisierten Traumata. Diese sind den Trägern dieser Traumata nicht bewußt sundern unbewußt. Da gibt es den (angeblich) unbewussten Wunsch des Kindes, den Vater tot zu sehen (bleibt natürlich offen, wie viel Freuds Unterbewußtsein hier reinreflektiert, lies mal über seine Kindheit nach), da gibt es die unbewusste libidiöse Bindung an die Mutter, da gibt es letzten Endes den ganzen Ödipus-Komplex.
Nur, die meisten dieser Dinge sind unbewusst (lt. Freud). Das Bewusstsein befasst sich nicht von sich aus damit. Wer also befasst sich damit? Womit also hat sich Freud de facto befasst … auch wenn er den Term nicht benutzte?

Dabei versuchte er teilweise ja auch, nicht
meßbare Dinge in pseudo-meßbare Kategorien zu verpacken.

Freuds Wissenschaft ist hermeneutisch, also interpretativ, und
zielt auf Be-Deutungen. Die aber sind nie messbar. Freilich
zielte er auf strenge Wissenschaft, das ja.

Unser Gehirn arbeitet mit Bedeutungen. Selbst wenn wir rechnen, teilt unser Gehirn Zahlen automatisch Bedeutungen zu. Wie Du richtig sagst, sind Bedeutungen aber nicht messbar. Freud jedoch zielte nicht auf eine strenge Wissenschaft, er wollte die von ihm entwickelte Fachrichtung als Wissenschaft anerkannt sehen. Wissenschaft erfordert jedoch meßbare und reproduzierbare Werte. Die Frage in diesem Zusammenhang ist, was hat Freud nun untergeordnet? Den Temrinus Wissenschaft oder die Bedeutung?

Das
Ergebnis war, dass oftmals zwangsinterpretiert wurde, nicht
nur von ihm sondern in viel höherem Maße von seinen Anhängern.
Erinnern wir uns also auch daran, dass eine Zigarre manchmal
eben nur eine Zigarre ist.

Sorry, aber eine Zigarre ist nie ´nur´ eine Zigarre. Das muss
ich mal klar herausstellen. Sie ist - in der Regel - auch ein
Phallussymbol. Der geschmackliche Genuss und die symbolische
Protzerei sind hier zwei Seiten einer Medaille. Ich glaube
nicht, dass die meisten Zigarrenraucher auf Inhalationsgeräte
umsteigen würden, die den gleichen Genuss versprechen, aber
unphallisch aussehen.

Du GLAUBST nicht? Sehr wissenschaftlich! Und weil Du nicht glaubst, sind Zigarren Phallussymbole … sehr aufschlußreich. Ich persönlich schätze nach einem guten Essen durchaus hin und wieder auch mal eine Zigarre, so drei- viermal im Jahr. Eine meiner Favoriten ist die Belvedere aus Costa Rica. Passt meines Erachtens gut zu Rotwein. Aber das Ding ist nicht nur relativ kurz sondern auch noch relativ dünn. Da frage ich mich jetzt, ob ich mir Deiner Meinung nach ein größeres Phallussymbol suchen muss.
Mal ganz im Ernst, ich habe Dich im Verdacht, Nichtraucher zu sein und selten bis nie in Deinem Leben überhaupt eine Zigarre angefaßt zu haben. Zigarre, Du weißt, zum rauchen. Nicht was Du jetzt wieder denkst.

Die Naturkräfte, die eine Gefahr für die
Urmenschen bildeten, wurden mit personalen Qualitäten
ausgestattet, was ihnen quasi ein Gesicht verlieh und sie –
zumindest potentiell – zugänglich für Beschwörungen machte.

Was sehr grob vereinfacht ist. Freud, wie auch die meisten
Historiker, sehen hier nur ein abstraktes Gefühl, dass durch
Personifizierung begreifbar/zugägnlich gemacht werden soll.
Dabei jedoch übersehen sie einen zweiten menschlichen Faktor:
Machtstreben. Das wiederum manifestiert sich in vielen Formen,
ist aber ursächlich auch im Streben nach Sicherheit verankert.

Ok, Freud scheint den politischen Aspekt, den Feuerbach und
Marx hervorhoben, vernachlässigt zu haben. Macht aber nichts.
Denn die politische Seite der Projektion kann nur wirksam
sein, wenn die psychologische funktioniert. Also ist Freuds
Einsicht komplementär zu Feuerbach.

Wäre es, wenn nicht beide schon im Ansatz von einem streng limitierten Weltbild ausgegangen wären. Freud befasste sich sozusagen mit den Triebfedern von Religion und ließ die „Erschaffung“ von Relgion außen vor, Feuerbach befasste sich mit einem Aspekt von Religion, ließ aber die „Erschaffung“ ebenfalls außer acht.

Dabei jedoch geht es nicht in erster
Linie um die Angst vor dem Unbekannten, die wird von
organisierter Religion nur genutzt, genauso wie Furcht im
Allgemeinen.

Eben. Auch wenn das nur ein Aspekt unter mehreren ist, der
nicht funktionieren würde, gäbe es kein primäres, natürliches
und gesundes Bedürfnis nach Religion. Wie diese nun
organisiert ist und welche Inhalte sie hat, steht auf einem
anderen Blatt. Leider wurde das Bedürfnis oft genug
pervertiert und gegen die Menschen gerichtet.

Ich stimme Dir in einem Punkt zu: Es gibt kein primäres Bedürfnis. Das aber nur, weil es viele Bedüfnisse gibt, die gleichberechtigt nabeneinander stehen und die für unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Kombinationen den Wert ausmachen:

  • Identifikation
  • Die Suche nach der Sache die größer ist als man selbst (das ist ja ebenfalls eine Variante der Sterblichkeitserkenntnis)
  • Gemeinschaft/Zusammengehörigkeit
  • Die Suche nach gesellschaftlichen Werten
  • Sozialkompatibilität/Sozialer Kontext
    Das sind einige dieser Bedürfnisse, bei weitem nicht alle. Ob sie gesund sind, ist eine Bewertungsfrage. Ob sie natürlich sind? Da der Mensch ein Herdentier mit der Neigung zu groß angelegten Strukturen ist, sehe ich zumindest einige davon als natürlich an.
    Interessant ist aber Deine Arguemntation: Es gibt kein Bedürfnis, aber dieses Bedürfnis wurde leider oft missbraucht. Was denn nu?
    Ein weitere Gedanke: Der Grad von „Bösartigkeit“ bezw „Gutartigkeit“ einer Religion liegt nur sehr selten in der Religion begründet. Öfter liegt er in der Organisation begründet. Insofern steht „Organisation“ natürlich nicht auf einem anderen Blatt. Diese Unterscheidung haben bereits Freud und Feuerbach vergessen.
  1. Schuldgefühle sind nach Freud ein unvermeidbarer
    Nebeneffekt der kulturellen Entwicklung des
    Individuums. Sie resultieren u.a. aus dem unbewussten Wunsch
    des Kindes nach dem Tod des Vaters.

Da kann ich jetzt mal nur ganz persönlich argumentieren. Mein
Vater (mein leiblicher) hatte kein Problem mit Alkohol, nur
ohne. Und neigte dementsprechend machmal zu Gewalttätigkeit.
Ich kann also a.) nicht behaupten, dass oben erwähnter Wunch
in meinem Falle unbewußt war, noch kann ich b.) behaupten, ich
hätte deswegen orgendwelche Schuldgefühle.

Natürlich können Todeswünsche gelegentlich bewusst sein, aber
gewiss nur selten im vollen Ausmass dessen, was sich
diesbezüglich im Unbewussten gebildet hat. Und da
Schüldgefühle, die aus präpubertärer Zeit datieren, so gut wie
gar nicht bewusst sind, ist es kein Argument zu sagen, man
hätte keine. Das ist halt das Problem mit dem Unbewussten: es
ist unbewusst… Ich kenne Leute, die HASSEN ihren Vater, dass
alles zu spät ist. Aber kaum nennst du ihren Vater
versuchsweise ein „Schwein“, fangen sie an zu beschwichtigen
und zu relativieren. Das ist dann eben ihre unbewusste
Vaterliebe.

Du kennst Leute, aber sicher kennst du auch wieder Leute, für die das anders it. Und ganz offen gesprochen, meine Hassgefühle begangen in präpubertärer Zeit, endeten damit aber nicht. Insofern gehe ich nach wie vor davon aus, dass sie bewusst sind. Wenn sie es nicht wären, könnte ich kaum so offen darüber sprechen. Ich meine, ich wüsste ja dann nichts davon. Das ist das Problem mit dem bewussten -> Wir wissen davon.

In diesem Sinne verkörpert
die Jesus-Figur das Sündenbewusstsein des Sohnes und die
entsprechende Strafe. Freud sieht klare Zusammenhänge zwischen
der Zwangsneurose und den Regeln und Übungen des Christentums

Das ist nicht nur im Christentum so. Es ist nicht nur in
organisierten Religionen so. Wo auch immer große
Menschenmengen zusammengehalten werden sollen, in Staaten,
Organisationen oder auch eben Kirchen, wird das Ritual zum
Bindeglied.

Aber die Wurzel all dessen ist eine (verzerrt)religiöse, also
die Projektion irdischer Machtinstanzen (familiär und
politisch) ins Transzendente.

Wir hatten hier ja schon mehrfach das Thema, was Rituale überhaupt sind. Das Ritual hat zunächst einmal einen Symbolgehalt. Nun aber deswegen zu behaupten, jeglicher Symbolgehalt wäre deswegen transzendent und damit religiös heißt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Beispiel:

O say, can you see, by the dawn’s early light,
What so proudly we hailed at the twilight’s last gleaming?
Whose broad stripes and bright stars, through the perilous fight,
O’er the ramparts we watched, were so gallantly streaming!
And the rockets’ red glare, the bombs bursting in air,
Gave proof through the night that our flag was still there:
O say, does that star-spangled banner yet wave
O’er the land of the free and the home of the brave?

Das ist die erste Strophe der amerikanischen Nationalhymne. Wir finden zwei miteinander verbundene Symbolgehalte: The land of the free und die Schlacht um Fort McHenry während des Unabhägigkeitskrieges. Erst in der letzten Strophe wird es religiös, aber auch nur in dem Sinne, das man in Gott vertraut, die Freiheit, die man in den ersten drei Strophen so mühsam errungen hat auch verteidigen zu können. Gesungen wird bei jedem großen Event allerdings nur die erste Strophe. Ein hübsches Beispiel für eine Symbolik die nicht auf Furcht vor einem religiösen Urvater beruht. Bei Bedarf kann ich mehr Beispiele nachliefern.

das einzige Ritual, das
dementsprechend manchmal auf den ersten Blick genauso
unverständlich wirkt, ist militärisches Ritual. Und auch da
sind die Abweichungen geringfügig. Ich denke, da kann man ganz
gut einen Vergleichsfall studieren der Freud widerlegt.

Nun, da bist du ein Experte, ohne Zweifel. Die Frage ist aber
doch, ob das militärische Ritual nicht seine Wurzeln in
religiösen Ritualen hat. Schließlich waren früher die Könige
entweder Göttkönige oder von einem Gott legitimiert, und
dementsprechend bildete sich eine dergestalt, also religiös
fundierte Hierarchie auch beim Militär aus. Wäre mal eine
Untersuchung wert.

Ist schon lange gemacht. Und hat nichts dergleichen erbracht. Die Wurzeln finden sich in viel profaneren Ursprüngen. Das Ritual der Wachübergabe im Tower von London beispielsweise. Da es in London ab und zu neblig ist, hört man jemanden eher kommen, als dass man ihn sieht. Die rituelle Frage „Wer kommt“ macht also einen Sinn.
Dann wird es aber auf den ersten Blick unverständlich, denn die Antwort lautet nur „die Schlüssel“
„Wessen Schlüssel?“
„Die Schlüssel der Königin“
Da denkt man sich doch, das hätte der Trottel doch gleich sagen können. Wenn er es heute gleich sagen würde, würde ihn das wahrscheinlich auch nur ein paar Drinks kosten. Aber ursprünglich, als der Tower eine Festung war und man durchaus auch mit seltsamen Aktionen unruhiger Stadtbewohner rechnen musste, wären Pfeile geflogen. Weil der andere durch seine Unkenntnis des Rituals gezeigt hätte, dass er nicht hierher gehörte. Jemand, der wo ist, wo er nicht hingehört und wenn dieses „wo“ ein Sicherheitsbereich ist, wird erstmal als möglicher Angreifer behandelt.
Was die Heirarchie betrifft, so ergab sie sich zwangsläufig über die Zeit hinweg. Habe ich ein Kampfknäuel von 50 Mann, dann brauche ich einen Anführer, möglicherweise einen zweiten im Kommando und ein paar Leute mitten drin, die die unerfahreneren bei der Stange halten. Werden es 200 Mann, dann mache ich die erfahrenen Leute zu Unteroffizieren und teile bereits in Einheiten auf, damit ich flexibler taktieren kann. Wenn ich 100.000 Mann habe, muss ich bereits in Einheiten und Untereinheiten aufteilen, weil ich nicht mal mehr eine Straße finde, die ich mit einem unorganisierten Haufen dieser Größe benutzen kann ohne sie völlig zu verstopfen.

Freud hält also das Christentum
für die kollektive Variante der individuellen Zwangsneurose.

Freud argumentiert hier ausgehend von zwei falschen
Vorstellungen. a.) setzt er ohne weitere Begründung das
Verhalten einer Masse mit dem Verhalten einiger (nicht aller)
Individuen gleich.

Er sieht Analogien. Das ist legitim und - in diesem Fall -
korrekt, denke ich.

Es ist im Sinne seines Anspruches exakte Wissenschaft zu betreiben illegitim. Er kann das als Arbeitshypothese formulieren, aber nicht mehr. Genau wie Du in diesem Posting hat aber auch Freud die Grenzen zwischen hypothese und behauptetem Fakt verwischt.

b.) Er erkennt nicht, wie viel davon
Religion und wie viel organisierte Religion ist.

Er argumentiert nicht gegen Religion, sondern gegen deren
christliche Ausprägung.

Ja, aber da macht er den Unterschied genauso wenig. Also unvollständig.

Die Religion
als solche benötigt den Urschuldgedanken nicht. Eine
Priesterkaste hingegen benötigt ihn um dadurch mehr Anhänger,
mehr Spenden und mehr Einfluss zu gewinnen.

Eben. Darum geht es ja.

Er kritisiert also die Kirche, schreibt aber Religion. Hier richtet sich das, was er von Anfang an übersehen hat gegen ihn. Denn er übersieht ja nicht nur, dass er eigentlich nicht gegen Gott sondern gegen die Kurie wettert, er übersieht ja auch, dass Christentum nicht nur die katholische Kirche sondern eine Vielzahl von sehr schwer miteinander vergleichbaren Gruppierungen handelt. Freud tut also das gleiche, was er mit Menschen tut. Er greift genau ein Beispiel raus, das auf seine Idee passt und behauptet, es sei gültig für alle.

Fußball ist ein schönes Spiel und macht einfach Spaß. Braucht
Fußball die Funktionäre? Per se nicht.

So, wie wir ihn heute erleben, schon. Wie soll das sonst
funktionieren?

Eine EM ist
Massenhysterie, und sagen wir es mal ehrlich, es ist trotzdem
Spaß. Mal ohne moralische Wertung, aber der Mechanismus ist
m.E. erkennbar.

Vollkommen korrekt. Aber gemacht wird die Hysterie durch die
Medien = die neue Priesterschaft :smile:

Netter Trick, wir etikettieren einfach neu, dann stimmt’s wieder?

Gott hat ebenso wie der reale Vater zwei Funktionen: er kann
schützen und er löst Furcht und damit Gehorsam aus.

Das ist aber eine Doppelfunktion, die jede mächtige Gestallt
in verschiedenem Ausmaß ausfüllt. Das gilt für Könige,
Fürsten, Kriegsherren in gleichem Maße. Der Unterschied liegt
ja nur im Verhältnis zwischen Schutz und Furcht. Und wenn ich
so an meine Kindheit nachdenke, dann konnte mein Vater
durchaus Furcht, aber damit nicht zwangsläufig Gehorsam
auslösen.

Der konkrete Vater ist irrelevant. Es geht um die Analogie
Vater - Herrscher im allgemeinen, und da greift Freuds Ansatz.
Es gibt ja auch Rebellen auf der politischen Ebene, und wehe
denen, die einem rachsüchtigen Herrscher in die Hände fallen.

„ebenso wie der reale Vater“ - „Der reale Vater ist irrelevant“ Kannst Du Dich in diesem Punkt bitte entscheiden?
Hier passiert eine totalle Verwechslung von Ursache und Wirkung. Du argumentierst, dass diese Doppelfunktion eines Herrschers von der Doppelfunktion Gottes im Christentum abgeleitet ist. Das wiederum würde aber einen Herrn namens Amenophis III serh stören. Besagter Herr war Pharao von etwa 1380-1330 v.Chr. Also lange bevor Jesus geboren wurde. Der Friedenshymnus auf Amenophis III gilt nicht nur als deutlicher Beleg einer atonisch-stilähnlichen Dichtung vor Echnaton (amenophis IV, sein Sohn), er dokumentiert auch deutlich die Doppelfunktion des Pharao.

eben die auf Angst, Schuld
und Demut basierende monotheistische Religion, die
gesellschaftlich institutionalisierte Zwangsneurose.

Freud war so ein lausiger Historiker :wink:
Das Christentum entstand in einer Zeit, als es organisierte
Religion bereits seit Jahrtausenden gab. Es füllte also mit
Sicherheit keine notwendige Lücke.

Nun, es war revolutionär in dem Sinne, dass es wie keine
Religion davor verstand, Machtstrukturen zu vereinnahmen,
zunächst in Rom, dann im Frankenreich. Das wurde durch den
monotheistischen Ansatz begünstigt.

Und wieder muss ich Dich enttäuschen. Der Marduk-Kult mit allen Nebengöttern umfasste ein Gebiet, dass vielfach größer war. Der Kult hatte die Machtstrukturen in einem Maße vereinnahmt, dass die katholische Kirche des Mittelalters dagegen wie eine Bande blutiger Anfänger wirkt.
Amun, Ptah, Osiris, Isis, Horus und Co. wurden verehrt vom Sudan über Ägypten bis in den Libanon, nach Griechenland und bis Asien hinein. Der Kampf unter den Priesterschaften dieser Götter um den Monotheismus war es, der das Ende dieser Machtfülle brachte.
Die Priester des Kukumaz (in all seinen verschiedenen Schreibweisen) hatten andere Gottheiten mehr oder weniger bereits zu bedeutungslosigkeit verdammt. Sie herrschten mit blutigen Ritualen über die Reiche der Olmeken, Maya, Atzteken und eines weiteren halben Dutzends von Völkern. Und das bedeutete im Gegensatz zur katholischen Kirche, sie herrschten direkt und ziemlich brutal unmittelbar.
Das Christentum in Form der katholischen Kirche ist nicht revolutionär in diesem Punkt. Es liegt grundsätzlich in der Natur aller Religionen, Völkerschaften kulturell zuz prägen und damit im Gegenzug Machtfaktor zu werden. Am witzigsten kam das beim Orakel von Delphi raus. Das Apollon-Orakel wetterte lange genug gegen jegliche Hybrsi bis es religiöses Zentrum in allen religiösen, weltlichen und militärischen Fragen geworden war. Schau Dir mal an, von wo überall die Klienten kamen.
Wenn Du schon Unterschiede suchst, dann schau Dir mal an, welche Klientel das Christentum in den ersten zwei Jahrhunderten seines Bestehens rekrutierte.

Gruß
Peter B.

Hallo Peter

An dierser Stelle mal eingehakt. Freud befasste sich mit dem
Unterbewussten.

Und hier muss ich leider ebenfalls einhaken: Freud unterschied
lediglich das Bewusste vom Unbewussten.
Wenn jemand hingegen vom Unterbewusstsein spricht (wie viele
das tun), dann weiß man sofort, dass es sich um einen Laien
handelt, der sich nicht wirklich mit Freuds Gedankengängen
beschäftigt hat.

Welch großes Wort, ich bin beeindruckt. Freud unterschied das Bewusste vom Unbewussten. Dann ging er den nächsten Schritt und erkannte, dass unbewusste Erfahrungen weiter wirken, obwohl sie unbewusst sind. Der Schritt, den er nicht tat, war zu erklären, welcher Teil unsere Gesites sich mit diesen Erfahrungen befasst und auf welchen Wegen sie wirken. Wenn Freud also den Begriff des „Unterbewußtseins“ nicht verwendet, dann weil er diese Frage nicht beantwortet hat. Wer jetzt daraus schließt, daß es das Unterbewußtsein nicht gibt und deswegen das Wort auch nicht verwendet werden darf belegt dadurch nur, dass er Freuf gelesen, aber sich nicht ausreichend mit den Gedankengängen und den Lücken darin befasst hat. Es berechtigt keinesfalls dazu andere Gedankengänge als laienhaft zu erklären.

Erinnern wir uns also auch daran, dass eine Zigarre manchmal
eben nur eine Zigarre ist.

Damit hast du wiederum recht: Die eindimensionale sexuelle
Deutung von allen möglichen Dingen, die Freud sich noch
leistete, sehen wir heute als überholt an. Auch ein Genius wie
Freud hat sich in einigen Aspekten ganz offenkundig geirrt.

Da hat mich ja Horst jetzt in eine richtige Krise gestürzt (ich rauche auch ab und zu Zigarren, aber eben nicht das dicke Phalluskaliber).
Das Problem mit Freud ist das allgemeine Problem mit jedem Genie. Selbst ein Genie kann irren, und selbst wenn es das nicht tut, ist eine Betrachtung selten vollständig. Kann sie in den meisten Fällen auch gar nicht sein, weil selbst einem Genie die Zeit fehlt, alle Fachgebiete gründlich zu studieren. Das Genie weiß das und neigt auch manchmal dazu, ungeduldig über diese Dinge hinwegzuspringen. Einstein, der manchmal einfach „trivialerweise richtig“ dranschrieb und damit weniger geniale Geister zum Wahnsinn trieb, ist ein gutes Beispiel. Das Genie verläßt sich also im Allgemeinen eher darauf, dass die Äußerungen hinterfragt werden, der weniger geniale Geist „beschäftigt“ sich damit und meint lediglich „liest“ sie.

Soweit es Freud betrifft, hatte der Begriff des
„Schuldgefühls“ ja eine durchaus zentrale Bedeutung, zusammen
mit Triebbefriedigung. Seine Welt war also in dieser Hinsicht
auf zwei Faktoren reduziert.

Aber eben überhaupt nicht. Alfred Adler (den du ja offenbar
bevorzugst, wenn ich deine Betonung von Machtgefühl und
Gemeinschaftsgefühl hier addiere) hat weitaus monokausaler
argumentiert als Freud.

Entschuldigung, sollte ich den Eindruck erweckt haben, ich bevorzuge Adler. Machtstreben und Gemeinschaftsgefühl waren in diesem Zusammenhang beispielhaft gemeint. Natürlich gibt es eine Vielzahl weiterer Faktoren, aber die Liste ist zu lang.

Lou Andreas Salome, die als Einzige am

Anfang beide Schulen kennenlernen durfte (sie ging zu Freuds
und zu Adlers abendlichen Treffen) entschied sich deshalb nach
längerem Abwägen für Freud, weil er eben nicht monokausal
erklärte, sondern verschiedene Antriebe zuließ.

Der Punkt, der mich hier etwas stört ist, dass die Epigonen Freuds, nicht er selber, vielfach dazu neigten, zwar eine größere Auswahl MÖGLICHER Beweggründe anzubieten, aber dann immer den primären einforderten. Der meistens wiederum im Sexleben erkannt wurde. Da muss sich ja gerade der arme Freud im Grabe umgedreht haben. Denn das war ja genau der springende Punkt: Monokausal versus Kausalkombinationen. Das scheint ja heute noch in der Psychoanalyse völlig in die Binsen zu gehen.

Dinge wie Gemeinschaftsgefühl

(also die alten Hordeninstinkte) Loyalitäten und Ehrbegriffe
(die wiederum zwar auf sozialen Normen aber nicht auf Schuld
beruhten) und Gruppensynamik (die ja auf verschiedenen Typen
innerhalb von Gruppen beruhen) kommen in seiner Analyse nicht
vor.

Doch, aber er analysiert es benefalls.

Aber lä0t diesen Punkt in seiner Religionskritik außen vor. Was um so verwunderlicher ist, als dass er ja selber die Wirksamkeit solcher sozialer Normen erkannt hat und sich ja auch bestens mit Großgruppendynamiken auskannte. Aber die Erkenntnisse dieser Analysen passen ja wohl auch nicht ganz zu dem, was er in seiner Religionskritik schreibt.

Ich bin jetzt
kein Psychoanalytiker

Das kann man guten Gewissens sagen…:wink:

Bitte schließe daraus nicht, dass ich gerne einer wäre. Ich befasse mich meist eher mit Gesellschaften und das ist durchaus erfreulicher. Meistens.

Gruß
Peter B.

Hallo Peter

Der Punkt, der mich hier etwas stört ist, dass die Epigonen
Freuds, nicht er selber, vielfach dazu neigten, zwar eine
größere Auswahl MÖGLICHER Beweggründe anzubieten, aber dann
immer den primären einforderten.

Ja, mit den Epigonen Freuds muss man manchmal vorsichtig sein. Mit denen habe ich auch schon einiges erlebt. Aber du solltest auch da nicht verallgemeinern.
Es gibt -leider- auch heute noch viele orthodoxe Psychoanalytiker, bei deren Anwesenheit der sich weiterentwickelnde Freud sich sicherlich unangenehm berührt fühlen würde. Da sind wir d’accord. (Vielleicht auch deshalb, weil ich kein Psychoanalytiker mehr bin, sondern nur einige grundsätzliche Erkenntnisse von Freud und Jung verwende.)

Aber lä0t diesen Punkt in seiner Religionskritik außen vor.
Was um so verwunderlicher ist, als dass er ja selber die
Wirksamkeit solcher sozialer Normen erkannt hat und sich ja
auch bestens mit Großgruppendynamiken auskannte. Aber die
Erkenntnisse dieser Analysen passen ja wohl auch nicht ganz zu
dem, was er in seiner Religionskritik schreibt.

Nun, ich finde seine religionsanalytischen Exkursionen, insbesondere in „Totem und Tabu“, aber auch in „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ zumindest sehr anregend. Freud bselbst hat den „Moses“ mehr als eine Idee, eine Art Anregung, empfunden, mehr nicht.
Gruß,
Branden

Hi, Peter.

Gnostisch beispielsweise kann mythisch, es kann mystisch
sein, aber wenn über etwas so viele tausend Bücher geschrieben
wurden, kann es nicht mehr esoterisch sein.

Korrekt. Esoterik zielt vom Wortsinn auf Geheimlehre und ist heute zum offenen Geheimnis mutiert. Nichtsdestotrotz kann sie kaum der Oberbegriff von Religion sein. Aber egal.

Das
Bewusstsein befasst sich nicht von sich aus damit. Wer also
befasst sich damit? Womit also hat sich Freud de facto befasst
… auch wenn er den Term nicht benutzte?

Freud befasste sich mit SYMPTOMEN, also mit bewussten Phänomenen, denen er einen unter der Bewusstseinsoberfläche liegendenen Ursprung zuordnete. Die Idee des Unbewussten hatte er von Nietzsche und Eduard v. Hartmann übernommen und - wie ich finde - genial systematisiert. Das Kernelement dieses Systems ist der ´Widerstand´. Der nämlich bewirkt Verdrängung bewusster Inhalte ins Unbewusste, wo diese Inhalte aber weiterhin ihr Spiel treiben und - über diverse Mechanismen wie Verschiebung oder Verdichtung - wieder an die Oberfläche gelangen - als SYMPTOME. Als solche sind sie irrational und oft pathologisch, denn das Verhältnis zwischen ihnen als Verhaltensform, Affekt oder Denkmuster zu den dahinter stehenden Motiven ist inadäquat. Das kommt bei den Neurosen und den schwereren Pathologien zum Ausdruck. Neben dem Bewusstsein und dem Unbewussten (dessen Inhalte schwer oder gar nicht zugänglich sind) sprach Freud noch vom Vorbewussten: hier liegen Inhalte, die nicht bewusst, aber leicht zugänglich sind.

Wie Du richtig sagst, sind Bedeutungen aber nicht messbar.
Freud jedoch zielte nicht auf eine strenge Wissenschaft, er
wollte die von ihm entwickelte Fachrichtung als Wissenschaft
anerkannt sehen. Wissenschaft erfordert jedoch meßbare und
reproduzierbare Werte.

Wie wäre dann Geisteswissenschaft möglich? Hier, im Bereich des Hermeneutischen, zählt natürlich nicht die messbare Objektivität, sondern der Konsens der Wissenschaftsgemeinde (siehe die Überlegungen von Habermas und Peirce). Wir können Shakespeares Dramen nicht mit Messgeräten deuten - dafür brauchen wir mentale Methoden, nämlich die der Hermeneutik. Der Streit zwischen Habermas und Gadamer lief darauf hinaus, dass letzterer Auslegung als Horizontverschmelzung zwischen Tradition und Gegenwart begriff, ersterer aber betonte, dass man objektive und universelle Kriterien in die Deutung einzubringen haben (die Vernunft), die der Tradition möglicherweise noch nicht oder nicht im vollen Umfang bekannt waren. Solche Methoden herauszuarbeiten, ist Geisteswissenschaft. Im Bereich der unwussten Prozesse leistet das die Psychoanalyse.

Die Frage in diesem Zusammenhang ist,
was hat Freud nun untergeordnet? Den Temrinus Wissenschaft
oder die Bedeutung?

Siehe oben. Hermeneutik ist die Wissenschaft von den Bedeutungen.

Ich glaube
nicht, dass die meisten Zigarrenraucher auf Inhalationsgeräte
umsteigen würden, die den gleichen Genuss versprechen, aber
unphallisch aussehen.

Du GLAUBST nicht? Sehr wissenschaftlich! Und weil Du nicht
glaubst, sind Zigarren Phallussymbole … sehr aufschlußreich.

Das mit dem Glauben war umgangssprachlich. Ich könnte auch sagen: ich bin verdammt sicher :smile:

Mal ganz im Ernst, ich habe Dich im Verdacht, Nichtraucher zu
sein und selten bis nie in Deinem Leben überhaupt eine Zigarre
angefaßt zu haben.

Ich Nichtraucher? Nun, ich rauche Tabak nicht des Tabaks wegen. Aber ich rauche…

Was die Macht des Unbewussten und damit des Symbolischen betrifft: ich denke, dass es nur eine Form des Bewusstseins gibt: das ERLEUCHTUNGSBEWUSSTSEIN. Alles andere sind nur Formen von Unbewusstheit in unterschiedlichen Ausprägungen. Da, wo noch das Ich von der Welt unterschieden wird, ist kein (wirkliches) Bewusstsein. Mein Ansatz ist hier hegelianisch: der Weltgeist versucht in uns zur Bewusstheit zu gelangen. Insofern sind alle anderen Formen des Gebrauchs des Begriffs Bewusstsein nur provisorisch. Solange wir uns als Ich empfinden, leben wir in einem symbolischen Universum.

Denn die politische Seite der Projektion kann nur wirksam
sein, wenn die psychologische funktioniert. Also ist Freuds
Einsicht komplementär zu Feuerbach.

Wäre es, wenn nicht beide schon im Ansatz von einem streng
limitierten Weltbild ausgegangen wären.

Korrekt, was Freud betrifft. Bei Feuerbach bin ich gerade nicht so auf dem Laufenden. Freud jedenfalls ist ein klassischer Fall von Reduktionismus in Sachen Religionskritik. Aber der relative Wahrheitsgehalt seiner Theorien ist bestechend und wegweisend.

Eben. Auch wenn das nur ein Aspekt unter mehreren ist, der
nicht funktionieren würde, gäbe es kein primäres, natürliches
und gesundes Bedürfnis nach Religion.

Ich stimme Dir in einem Punkt zu: Es gibt kein primäres
Bedürfnis.

Du hast mich wg.der doppelten Verneinung vermutlich falsch verstanden. Ich schrieb, dass es ein primäres Bedürfnis GIBT.

Das aber nur, weil es viele Bedüfnisse gibt, die
gleichberechtigt nabeneinander stehen und die für
unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Kombinationen
den Wert ausmachen:

  • Identifikation
  • Die Suche nach der Sache die größer ist als man selbst (das
    ist ja ebenfalls eine Variante der Sterblichkeitserkenntnis)
  • Gemeinschaft/Zusammengehörigkeit

Das ist im Kern der Inhalt von Freuds ´Ich-Analyse und Massenpsychologie´: der Einzelne empfindet in der geordneten Masse libidinöse Gefühle zum Andern (wg. Ähnlichkeitsbeziehung) und projiziert das Freudsche Ideal-Ich (das Ich, so wie es sein SOLLTE) auf den Massenführer. So, sagte Freud, funktionieren Kirche und Militär.

Das sind einige dieser Bedürfnisse, bei weitem nicht alle. Ob
sie gesund sind, ist eine Bewertungsfrage.

Kommt sehr auf die Kontexte an. Die Menschheit durchläuft eine Evolution und muss durch solche Phasen durch.

Interessant ist aber Deine Arguemntation: Es gibt kein
Bedürfnis, aber dieses Bedürfnis wurde leider oft missbraucht.
Was denn nu?

Siehe oben. Es GIBT ein Bedürfnis, und ob. Und das ist, zunächst mal, gesund und notwendig.

Ein weitere Gedanke: Der Grad von „Bösartigkeit“ bezw
„Gutartigkeit“ einer Religion liegt nur sehr selten in der
Religion begründet.

Hmm… tatsächlich? Siehe meine Argumente im Menschenrechtsposting, wo ich Äußerungen gewisser Kernchristen zitierte. Ich will aber hier Polemiken vermeiden, da der Begriff ´Bösartigkeit´ diese allzu sehr verschärfen würde. Ich selbst benutzte diesen Begriff an keiner Stelle.

Öfter liegt er in der Organisation
begründet.

Öfter, aber nicht immer, und gewiss nicht in der Hauptsache. Ich behaupte jedenfalls, ohne jetzt explizit werden zu wollen, das Gegenteil…

Aber kaum nennst du ihren Vater

versuchsweise ein „Schwein“, fangen sie an zu beschwichtigen
und zu relativieren. Das ist dann eben ihre unbewusste
Vaterliebe.

Du kennst Leute, aber sicher kennst du auch wieder Leute, für
die das anders it.

Anders nur an der Oberfläche. Unter dieser brodelt in eigentlich in jedem Menschen ein Amokläufer. Ist aber keine Schande, das gehört zur conditio humana. Erst gestern war in einer Chaplin-Doku zu hören, dass sich Charlie darüber im klaren war, dass in JEDEM Menschen ein Hitler steckt. Per aspra ad astra, das ist doch der Kern jedes Roman- oder Filmplots :smile: Auch wenn es nicht immer um potentielle Amokläufer geht.

Und ganz offen gesprochen, meine
Hassgefühle begangen in präpubertärer Zeit, endeten damit aber
nicht. Insofern gehe ich nach wie vor davon aus, dass sie
bewusst sind.

Im Sinne einer Spitze des Eisbergs, darum geht es mir.

Aber die Wurzel all dessen ist eine (verzerrt)religiöse, also
die Projektion irdischer Machtinstanzen (familiär und
politisch) ins Transzendente.

Wir hatten hier ja schon mehrfach das Thema, was Rituale
überhaupt sind. Das Ritual hat zunächst einmal einen
Symbolgehalt. Nun aber deswegen zu behaupten, jeglicher
Symbolgehalt wäre deswegen transzendent und damit religiös
heißt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Ich muss zu diesem Thema noch recherchieren, also sorry, wenn ich jetzt darauf nicht eingehe.

Aber gemacht wird die Hysterie durch die
Medien = die neue Priesterschaft :smile:

Netter Trick, wir etikettieren einfach neu, dann stimmt’s
wieder?

Äh, das war nur ein (halber) Scherz. Aber auch halber Ernst. Jene Hysterie hat einen religiösen Kern. Die oft explizite Gewalt leider auch… im pervertierten Sinne, natürlich.

Gott hat ebenso wie der reale Vater zwei Funktionen: er kann
schützen und er löst Furcht und damit Gehorsam aus.

„ebenso wie der reale Vater“ - „Der reale Vater ist
irrelevant“ Kannst Du Dich in diesem Punkt bitte entscheiden?

Diese Dialektik ist strukturalistisch im Sinne der Psychoanalyse Lacans, dem wichtigsten Nachfolger Freuds (für meinen Geschmack). Es gibt in der sozialen Struktur die POSITION des Vaters und den REALEN Vater. Das ist wie „Torwart“ und „Kahn“. Dass es die Position des Torhüters gibt, hat einen fundamental prägenden Einfluss auf das Spiel. Ob Kahn oder Lehmann sie ausfüllen und wie sie das tun, ist zunächst mal irrelevant.

Nun, es war revolutionär in dem Sinne, dass es wie keine
Religion davor verstand, Machtstrukturen zu vereinnahmen,
zunächst in Rom, dann im Frankenreich. Das wurde durch den
monotheistischen Ansatz begünstigt.

Und wieder muss ich Dich enttäuschen. Der Marduk-Kult mit
allen Nebengöttern umfasste ein Gebiet, dass vielfach größer
war. …
Das Christentum in Form der katholischen Kirche ist nicht
revolutionär in diesem Punkt.

Von historischen Kontext ausgehend, in dem das Christentum entstand, war es revolutionär in dem Sinne, dass es alle anderen Kulte mehr oder weniger mühelos verdrängte und im Westen bis zum heutigen Tage in den Köpfen vieler, auch mächtiger Menschen noch Präsenz hat. Ein Marduk-Kult hätte das, in jener Situation, wohl kaum geschafft, gleich wie mächtig er in SEINEM Kontext war. Trotzdem danke für den Hinweis in der Unschärfe meiner Darstellung. Meine These ist also: das Christentum ist von seinem Potential her das Non plus ultra aller denkbaren Macht-Religionen. Das hat es bewiesen. Noch heute können Bush und Co. mit christlichen Inhalten argumentieren. Mit Marduk-Sprüchen sähen sie alt aus…

Soviel für heute.

Gruß

Ist Sex wirklich nur ein Faktor unter vielen?
Hi.

vielfach dazu neigten, zwar eine

größere Auswahl MÖGLICHER Beweggründe anzubieten, aber dann
immer den primären einforderten.

Ja, mit den Epigonen Freuds muss man manchmal vorsichtig sein.

Nehmen wir doch mal die Durchschnittsmenschen, also 99,9 Prozent: was ist ihnen im Leben am wichtigsten? Sex. Worauf könnten sie auf der einsamen Insel am schwersten verzichten? Auf Sex.

So, wie die Menschen strukturiert sind, ist Sex nun mal der Fucktor Nr.1. Nur wenige setzen ihre Prioritäten anders: entweder sie sind spirituell orientiert und sehen Erleuchtung als primäres Ziel, oder sie weichen auf Ziele aus, die nur Ersatzbildungen für Sex sind: Macht, Geld etc. pp. Im Grunde begünstigen letztere aber wieder nur die Jagd auf Sexualobjekte.

Wie sieht das der Fachmann?

Gruß

Hallo Horst

So, wie die Menschen strukturiert sind, ist Sex nun mal der
Fucktor Nr.1.:Wie sieht das der Fachmann?

Nun, ohned Zweifel gehört Sex zu den wichtigsten Antrieben. In der Juend ist er meistens Faktor Nr. 1. Im Alter gesellen sich andere, ebenso schöne und wichtige Dinge dazu.
Freud hat in vielem recht gehabt; seine Traumdeutung (die er selbst bis zuletzt am meisten schätzte) gehört allerdings zu den eher historisch wichtigen Dingen, welche schon in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts deutlich relativiert weden musste. Die Freudschen Symboldeutungen waren zu eindimensional. Jung hat Wesentliches zur Traumdeutung beigetragen. Fromm wird den beiden großen Männern gerecht in seinem Buch „Märchen, Mythen, Träume“ (Original „The forgotten language“).
Gruß,
Branden

Zwei primäre Antriebe
Hi, Van B.

Nun, ohned Zweifel gehört Sex zu den wichtigsten :Antrieben. In
der Juend ist er meistens Faktor Nr. 1. Im Alter :gesellen
sich andere, ebenso schöne und wichtige Dinge dazu.

Sind diese anderen Dinge für junge Menschen nicht ebenso präsent? Altern ist nun mal nicht gerade ein begünstigender Umstand für Sex. Da ist es doch klar, dass andere Dinge an (relativer) Wichtigkeit gewinnen. So wird meine (wenig originelle) These jedenfalls nicht widerlegt. Auch finden sich genug Beispiele gealterter Menschen, die Sex weiterhin groß auf ihre Fahnen schreiben, und die der Himmel weiß was geben würden, um die ewige Jugend zu erlangen. Ich denke mal, es gibt im Menschen zwei primäre Antriebe: die nach Sex und nach Erleuchtung, und alle anderen Motive sind Kompromissbildungen bzw. Ersatzbildungen (für ebenjene Antriebe). Als den wichtigsten sekundären Antrieb sehe ich das Mitgefühl (buddh. karuna).

Jung hat Wesentliches zur Traumdeutung
beigetragen.

Jung wird aber von Lacan und Ken Wilber kritisiert, weil er Dinge durcheinanderbringt. Laut Lacan stilisiert er das Imaginäre zum Fundamentalen empor (d.h. er macht aus narzisstischen Projektionen absolute Archetypen), und ähnlich sieht das Wilber, wenn er meint, dass Jung prä-rationale Inhalte auf die transpersonale Ebene emporhebt.

Gruß

Hi Horst

Jung wird aber von Lacan und Ken Wilber kritisiert, weil er
Dinge durcheinanderbringt. Laut Lacan stilisiert er das
Imaginäre zum Fundamentalen empor (d.h. er macht aus
narzisstischen Projektionen absolute Archetypen), und ähnlich
sieht das Wilber, wenn er meint, dass Jung prä-rationale
Inhalte auf die transpersonale Ebene emporhebt.

Das mag ja alles sein - auch ich gehöree eher zu den Jung-Kritikewrn als zu den Jung-Adepten. Lediglich seine Traumdeutung stellt in meinen Augen eine notwendige Erweiterung der Freudschen Traumdeutung dar. Ansonsten bin ich auch eher Freudianer als Jungianer. Jung hat sich politisch und kulturell ziemlich disqualifiziert, in gewisser Hinsicht blieb er der Spießer aus dem Zürcher Oberland, aber in die Tramdeutung ist er unvergleichlich tief eingestiegen.
Gruß,
Branden