Hallo Patrick,
wo ich gerade drüberstolpere; wahrscheinlich wirst Du es so weit unten im Brett sowieso nicht mehr sehen …
Ich gebe Dir Recht, die Wirkung von Sigmund Freud ist
unbestritten stark. Viel zu stark - meiner Meinung nach.
statthaft!
Allerdings hat sie - entgegen dieser Wirkung - nicht dazu
führen können, dass sich aus der Psychoanalyse eine bedeutsame
Wissenschaft entwickelt hätte. Allenfalls in der Psychiatrie
ist sie heute noch anteilig präsent (Tendenz fallend).
das stimmt so nicht; der Eindruck der Psychoanalyse auf die Literatur-, Sozial und Kulturwissenschaften, aber auch auf einen nicht unwichtigen Teil der Philosophie ist durchaus bedeutsam;
dass sie nicht wie die Psychologie „autonome Wissenschaft“ geworden ist, liegt zu einem guten Teil auch daran, dass sie das von vorneherein gar nicht werden wollte (von vorneherein war sie niemals nur Medizin, oder nur Psychologie, immer schon auch Ethnologie, Philosphie, Gesellschaftswissenschaft, auch ein gesellschaftspolitisches Projekt)
man kann m.E. „Psychologie“ und „Psychoanalyse“ nicht so ohne weiteres nebeneinanderstellen, ihre Objektbereiche und Zielsetzungen überschneiden sich sicherlich (darum auch eine gewisse „Konkurrenzsituation“), aber sie decken sich bei weitem nicht (wenn man Psychoanalyse als Theorie versteht, als bloßes praktisches „Psychotherapie-Verfahren“ mag die Deckung größer sein).
Anders die Psychologie. Sie hat sich bis heute als autonome
Wissenschaft sehr stark entwickelt und ist an beinahe jeder
Universität als eigener Lehrstuhl präsent. Ihr
Erkenntnisreichtum ist gewaltig und die Erkenntnis, welche wir
heute über den Menschen haben, ist ihr zu einem guten Anteil
zu verdanken.
unbestritten; wegen der Nicht-Deckung kann man daraus m.E. aber keinerlei Schlüsse über die Psychoanalyse ziehen.
Einen Wilhelm Wundt - als Begründer der Psychologie - kennt
heute freilich kaum einer.
Auch so ein Punkt; warum Wundt und Freud als „Begründerfiguren“ gegenüberstellen?
Die Psychologie hat viele Gründerväter, nicht nur Wundt, und sie funktioniert ganz anders als die Psychoanalyse, weil sie sich definiert über ihren Objektbereich, nicht wie die Psychoanalyse über ihre Begrifflichkeit und ihren spezifischen Blick;
Wundt hat im Diskurs der Psychologie eine ganz andere Funktion als Freud in dem der Psychoanalyse, weil die beiden Diskurse schlicht ganz anders funktionieren.
Aber sein Erbe ist beträchtlich -
und an Erkenntnisgewinn mit dem Erbe Freuds keinesfalls zu
vergleichen.
richtig! (auch wenn Du das „nicht zu verleichen“ wohl anders meinst als ich 
Der gravierende Unterschied zwischen der anfänglichen
Psychoanalyse Freuds und der anfänglichen Psychologie Wilhelm
Wundts ist es, dass die Psychologie nach empirischen, d.h.
wissenschaftlichen Methoden arbeitet.
-
tatsächlich ist der Unterschied der Methoden gravierend und wohl auch der zentrale Unterschied (auch wenn mancherorts die Übergänge recht fließend sind)
-
als Wissenschaftstheoretiker finde ich aber die Gleichsetzung empirisch=wissenschaftlich absurd, solange mit „empirisch“ das verstanden wird, was Du als Unterschied von Psychologie und Psychoanalyse herausstellst;
a) selbstverständlich sind hermeneutische Verfahren als „wissenschaftlich“ einzustufen (manchenorts stuft man die Psychoanalyse als „hermeneutisch“ ein, was ich persönlich aber nicht teile)
b)es ist eine wahnsinnige Anmaßung, deduktiv-nomologisches Denken (oder welche Kennzeichnung man nun immer dafür verwenden möchte) mit „empirisch“ gleichzusetzen; eine Anmaßung, die m.E. wissenschaftstheoretischer Betrachtung nicht standhält.
Als angehender Psychologe neide ich Freud seinen Erfolg nicht,
obwohl ich vieles von seinen Theorien für sehr wunderlich und
nicht nachvollziehbar halte.
Das teile ich mit Dir!
Vieles gewinnt meiner Meinung
nach durch ein unterschwelliges Versprechen, komplexe
Sachverhalte einfach darzustellen.
Das teile ich nicht 
Auch hier muss man differenzieren;
es mag viele psychoanalytische Therapeuten geben, die Komplexes einfach darstellen, keine Frage, für die psychoanalytische Theorie(n) trifft das aber m.E. absolut nicht zu
(vielen von ihnen wird z.B. gerne das Gegenteilige vorgeworfen, z.B. Lacan)
M.E. ist die Grundintention der Psychoanalyse sogar die vollkommen Ent-Einfachung.
In der Traumdeutung muss
man sich nicht erst damit beschäftigen, welche Gehirnanteile
es gibt, ob sie in der Schlaf-REM-Phase überhaut aktiv sind,
was sie normalertweise tun und was die Folgerung dann für das
Träumen sein kann.
es würde die psychoanalytische Behandlung der Träume schlicht nicht beeinflussen, ab der eine Gehirnanteil in der REM-Phase eingeschaltet ist oder nicht;
das ist dafür schlicht irrelevant, weil sich der Analytiker gar nicht für den Traum „an sich“ interessiert, sondern für die Traumschilderung - und in der gibt es keine REM-Phasen 
Anders gesagt: für die Psychoanalyse hat die Phasen-Differenzierung genauso viel Erklärungswert wie für die Logik, ob ein bestimmter Schluss mit blauer oder schwarzer Tinte geschrieben ist; das würde man aber kaum der Logik zum Vorwurf machen …
Es werden Kostrukte angeboten
ja, richtig; eine konstruktivistische Betrachtung jeder einzelnen „psychologischen“ Theorie würde aber die gleiche Aussage (wenn auch nicht als Abwertung verstanden) hervorbringen.
- nicht
selten mit einem guten Schuss Erotik -
sex sells 
welche ohne ausreichend
solides Fundament erklärbar machen, was so nicht erklärt
werden kann.
der Satz ist mir zu nichtssagend; außerdem wieder: was für eine Anmaßung: „solides Fundament“ - wer hat das schon …
Um so bedauerlicher ist es jedoch, dass es gesellschaftlich
(noch) so stark getragen wird.
finde ich eigentlich gar nicht; im gesellschaftlichen Umlauf ist eine Karikaturversion der Psychoanalyse (die Couch, die Mama, der Sex, letzterer verstanden natürlich nicht als Libido), aber sonst …
Ich möchte an dieser Stelle niemanden kränken, aber meiner
Meinung nach liegt zwischen Psychoanalyse und Psychologie der
Unterschied von Glauben zu Wissen.
Ich empfinde das nicht als Kränkung, aber wiederum als gigantische Anmaßung.
Meines Erachtens ist dieses ganze „Psychoanalyse vs. Psychologie“-Zeugs hier völlig deplaziert, weil man das Ding wissenschaftstheoretisch betrachten muss;
und auf dieser Ebene hängt es einfach stark davon ab, welcher Haltung man dort zuneigt, wie man nun „Psychologie“ und Psychoanalyse in punkto Wissenschaftlichkeit einschätzt …
Deine gekennzeichneten „Anmaßungen“ aber leugnen die bestehende Pluralität auf dieser wissenschaftstheoretischen Ebene schlicht.
Auf dieser Ebene gibts schließlich ein bißchen mehr als Popper und Grünbaum (das war jetzt nicht an Dich gerichtet, Du weißt schon an wen 
Viele Grüße
Franz