Hallo Thomas und nochmals herzlichen Dank für deine Antwort!!
ich denke, da wirst du z. B. fündig bei den christlich fundierten Existenzialisten (Blondel, :Marcel, Scheler).
Danke für den Tipp! Blondel und Marcel werde ich mir mal ansehen. Ob nun Schelers (oder auch Hartmanns) Wertethik christlich fundiert ist – ?
Ist es wirklich notwendig, sie als etwas „Ontisches“ anzusehen?
Das Problem ist, dass es sich da, wo es inhaltlich wird, grundlos festlegt bzw. den Grund als :gesetzt, als nicht befragbar annimmt und damit zumindest in die Nähe von dogmatischem, :also nicht mehr kritischem (i. w. S.) Denken gerät.
Bin mir dennoch nicht sicher, ob die Inhaltlichkeit notwendigerweise zum Dogmatismus führen muß. Man sollte aber auf jeden Fall annehmen, daß die Inhaltlichkeit zweierlei ist: Etwas „ontisch“ Vorgegebenes (z.B. eine Norm) und etwas „Ontologisches“, worüber der Mensch nicht verfügen kann – weil es eben mit zur Möglichkeitsbedingung des Daseins gehört (z.B. das Vertrauen oder auch das Mit-Sein). So wäre das Inhaltliche nicht eine willkürliche Setzung des Menschen, sondern die rätselhafte „Faktizität“ seines Seins. Diese wäre keiner Rechtfertigung fähig – ohne deshalb „dogmatisch“ zu werden. Die einzige „Begründung“ wäre: Sie ermöglicht den Daseinsvollzug (ähnlich wie die Formen der Anschauung / die Kategorien des Verstandes nach Kant die Gegenstandserkenntnis ermöglichen).
die spontanen und „ontologischen“
Daseinsphänomene bedürften im Gegensatz zum konkreten
Verhalten aber keiner Rechtfertigung.
Die fehlende Rechtfertigung ist auch ein fehlender Grund.
weil sie eben zur Möglichkeitsbedingung des Daseins gehören und nicht in einem Entschluß herbeizuführen sind (man kann sich unmöglich dazu entschließen, zu lieben oder zu vertrauen – die Liebe und das Vertrauen „überkommen“ einen). Der Rechtfertigung bedarf etwas, das disponibel ist – das konkrete Verhalten bzw. eine konkrete Vorstellung/Norm. Die Entscheidung darf nicht dogmatisch sein.
Der fundamentale Charakter des Daseins als Seinkönnen wäre
durch die Inhaltlichkeit dieser Existenzialien m.E. nich vernachlässigt.
Ist das wirklich so? Würde nicht durch die inhaltliche Festlegung das Seinkönnen zu einem :Seinsollen?
Dieses Seinsollen wäre ja eine innere Bestimmung des Daseins bzw. des Seinkönnens.
Das Seinkönnen wäre nicht durch eine fremde Inhaltlichkeit beeinträchtigt, sondern eine ihm eigene Inhaltlichkeit würde es zu einem eigentlichen Sich-selbst-sein-können aufrufen.
Ich bin auch der Auffassung, dass Existenzanalyse ethisch nicht neutral sein muss, allerdings :würde ich die zugehörige Ebene formal tiefer suchen wollen. Das Mit-Sein ist formal doch :ausreichend und braucht eigentlich keine weitere inhaltliche Füllung. Und die Struktur des :Mit-Seins könnte man evt. noch weiter formalisieren, denke ich. Wie allerdings diese :Struktur im Einzelnen auszusehen hätte, darüber müsste man lange nachdenken. Die von dir :angeführten Kategorien Liebe, Vertrauen und Barmherzigkeit z. B. wären ganz :unterschiedlich einzuordnen.
Einverstanden. Es wäre in der Tat sinnvoll, zum Ausgangspunkt einer „ethisch qualifizieren“ Existenzanalyse die formale Struktur des Mitseins zu nehmen. – Ist die menschliche Existenz (resp. die Existenzanalyse) aber wesenhaft ethisch, ist sie m.E. immer schon auch „inhaltlich“.
Die formale Struktur des Mitseins (z.B. Interdependenz) implizierte im Grunde die Aufforderung zur liebenden Fürsorge. (Den naturalistischen Fehlschluß würde man hier m.E. nicht begehen, weil dieser ein anderes – wissenschaftlich reduziertes/naturalistisches – Verständnis vom Sein zur Voraussetzung hat). Wenn ich dich – mit Blick auf deine Einwände gegen die Inhaltlichkeit der Existenzialien – richtig verstehe, dann würdest du wohl eine ethische Aufwertung der Existenzanalyse für möglich halten, nicht aber das von mir Intendierte – daß das Ethische mit zum Sein des Daseins gehört.
Ich denke, dass damit das Nichts „ontisiert“ würde, also einen Seinsstatus bekäme, der nicht :haltbar ist, weil damit so etwas wie ein profaner Satan erzeugt würde, vor dem man sich :fürchten könne, aber der keine wirkliche Angst (im Heideggerschen Sinn) erzeugen würde.
Diese Konsequenz wäre bestimmt zu vermeiden. Mein Ausdruck „Verrat am Nichts“ war in der Tat unangemessen – besser vielleicht: Verrat am Selbst-Sein als einem Seinkönnen. Die Existenz verfehlt natürlich nicht ein „Nichts“, sonder sich selber.
Die Möglichkeit eines „eigentlichen“ Sich-Verlassens auf die
„ontologische“ Inhaltlichkeit der Liebe oder des Vertrauens
würde aber die Grunderfahrung des Nichts in Frage stellen bzw.
komplementieren.
Ich denke, es würde die grundliegende Möglichkeit überdecken, nicht aber in Frage stellen. :Vielmehr wäre es so, dass die Frage danach gar nicht mehr gestellt würde. Damit würde eine :wesentliche (!) Eigenschaft der ExistenzANALYSE wegfallen, nämlich das Fragen.
Das Sich-Verlassen auf die ontologische Inhaltlichkeit würde ja die „Unsicherheit“ des Daseins nicht gänzlich aufheben. Die Erfahrung des Nichts bzw. die „totale Unsicherheit“ des Daseins wäre nur teilweise überwunden – sie würde sich immer und wieder beängstigend und anfechtend melden und den Menschen in seiner ontologischen Inhaltlichkeit in Frage stellen. Aber ebenso wichtig: die „ontologische“ Inhaltlichkeit ist ja gerade auch selbst ein Anlaß zum Fragen. Sie ist und bleibt rätselhaft. Die Unsicherheit bleibt, weil der Mensch keine Macht hat, über sie zu verfügen oder sie zu „erklären“ – er kann sich nur wundern und fragen.
Mit herzlichen Grüßen,
JC