Sind Kollektivstrafen zulässig?

Hallo,

es geht mir hier um eine grundsätzliche Klärung, da ich bei eigenen Recherchen im www zwar Hinweise auf „etische“ und „moralische“ Bedenken gefunden habe, jedoch kein grundsätzliches Verbot oder das Gegenteil, also Grundlagen für die Zulässigkeit.

Nehmen wir folgenden Fall an:

In einer Einrichtung des Jugendamtes werden 20 Kinder und Jugendliche betreut. Diese Hausbewohner bekommen regelmäßiges Taschengeld, welches in wöchentlichen Teilbeträgen ausgehändigt wird.
Es kommt zu einem Bargelddiebstahl aus dem Betreuerbüro. Während des Tatzeitraumes waren 10 der 20 Bewohner im Haus, teilweise wurden sie auch im Betreuerbüro gesehen.
Da sich trotz des personell und zeitlich eingeschränkten Rahmens kein Täter ermitteln lässt, verhängen die Betreuer über alle Bewohner eine Taschengeldsperre bis zur Klärung der Täterschaft.
Diese Maßnahme wird in einer Besprechung mit allen Betreuern und Hausbewohnern verkündet. Das Ziel ist also alle „unschuldigen Bewohner“ zu Spitzeln zu machen in dem sie beobachten (und melden) sollen, ob trotz der Taschengeldsperre ein Hausbewohner über Geld verfügt bzw. Geld ausgibt.

Bei diesem Sachverhalt bekommt sicher jeder „Bauchschmerzen“, mir geht es jedoch nicht um das „gesunde Rechtsempfinden“ sondern um tatsächliche Grundlagen!

Um die Problematik deutlicher zu machen, können wir das Ganze auch gerne einschränken.
Wie wäre die Maßnahme (rechtlich!) zu Beurteilen, wenn sie nur gegen die zur Tatzeit im Haus anwesenden Bewohner verhängt würde.
Man kann sogar noch mehr einschränken und sagen: Von den 10 im Haus anwesenden wurden während der Tatzeit 5 im Büro gesehen und die Maßnahme richtet sich nur gegen diese 5.

Es geht immer um das gleiche Problem: Unterstellt, dass es keine „Gemeinschaftstat“ der 5 im Büro Gesehenen war, werden in jedem Fall Unschuldige bestraft und durch die Strafe ziemlich eindeutig aufgefordert Spitzeldienste zu leisten, da durch die Benennung und Überführung eines Täter die Strafe gegen die Unschuldigen aufgehoben wird.

Ich bin sehr gespannt auf die Antworten

Gruß

Skeye

Hallo Skeye,
Du hast ausdrücklich nach einer rechtlichen Beurteilung gefragt. Hier also die rechtliche Bewertung aus meiner Sicht: Eine Strafe im rechtlichen Sinne wurde nicht verhängt (das dürfen JA-Betreuer auch nicht!). Es handelt sich vielmehr um eine erzieherische Maßnahme. Die ist grundsätzlich (rechtlich) zulässig (unabhängig davon, ob sie sinnvoll ist). Etwas anderes (also: Maßnahme rechtlich unzulässig) ergibt sich nur, wenn die Jugendlichen einen rechtlichen Anspruch auf Auszahlung des Taschengeldes haben. Dazu müsste ich mehr über die (vertraglichen) Verhältnisse wissen. Ich meine aber, dass da rechtlich nichts zu beanstanden ist.

Schöne Grüße!

Hallo foehranwalt,

erst mal herzlichen Dank für deine Antwort.

Zum Inhalt:
Deine Trennung „erzieherische Maßnahme“ von „Strafe“ ist für mich ein interessanter Ansatz, denn zu Ende gedacht würde damit die „erzieherische Maßnahme“ über das Gesetz gestellt.
Nach meiner Ansicht haben aber auch erzieherische Maßnahmen ihre Grenze in den bestehenden Gesetzen. Beispielsweise verbieten unsere Gesetze körperliche Strafen wie z.B. Schlagen. Wenn aber das Gesetz, welches körperliche Strafen verbietet, auch für solche Maßnahmen im Rahmen der Erziehung gilt, müsste Gleiches für ein evtl. Verbot von Kollektivstrafen gelten.
Bei der Bundeswehr haben Vorgesetzte einen „Katalog erzieherischer Maßnahmen“. Auch bei diesen Maßnahmen handelt es sich nicht um Strafen im rechtlichen Sinn. Neben div. anderen Sachen ist Vorgesetzten jedoch eines ganz klar verboten: Die Kollektivstrafe!
Um deine Frage nach dem Vertragsverhältnis zu beantworten:
Das JA wird wohl in keinem Fall bei der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen irgendein Vertragsverhältnis eingehen. Eine Unterbringung erfolgt im Rahmen der Gesetze. Da nach meinem Wissen alle Bewohner „staatl. Einrichtungen“, von Kinder-/Jugend-/Seniorenheimen bis zur Haftanstalt, Anspruch auf Taschengeld haben, wird dies wohl gesetzlich geregelt sein.
Meine Frage ist also weiterhin, ob Kollektivstrafen zulässig sind.

Hallo Skeye,

Meine Frage ist also weiterhin, ob Kollektivstrafen zulässig
sind.

Nein. Kollektivstrafen sind nicht zulässig. Strafen müssen sich an der individuellen Schuld orientieren.

Deine Trennung „erzieherische Maßnahme“ von „Strafe“ ist für
mich ein interessanter Ansatz, denn zu Ende gedacht würde
damit die „erzieherische Maßnahme“ über das Gesetz gestellt.

Nein. Natürlich müssen sich erzieherische Maßnahmen an die Gesetze halten. Schlagen ist verboten, Taschengeld kürzen ist (grundsätzlich) erlaubt.

Das JA wird wohl in keinem Fall bei der Unterbringung von
Kindern und Jugendlichen irgendein Vertragsverhältnis
eingehen. Eine Unterbringung erfolgt im Rahmen der Gesetze. Da
nach meinem Wissen alle Bewohner „staatl. Einrichtungen“, von
Kinder-/Jugend-/Seniorenheimen bis zur Haftanstalt, Anspruch
auf Taschengeld haben, wird dies wohl gesetzlich geregelt
sein.

Wenn ein Anspruch auf Zahlung des Taschengeldes besteht (z.B. § 39 SGB VIII), dann darf das Taschengeld nicht gekürzt werden.

Schöne Grüße

Hallo foehranwalt,

danke für deine Antwort.

Ich habe das Gefühl, dass wir ein wenig aneinander vorbei reden. Es geht mir nicht um die Zulässigkeit einer Taschengeldkürzung und sage ganz ehrlich, dass ich mich nicht nach rechtlichen Grundlagen für diese Zahlung umgesehen habe. Ich gehe einfach davon aus, dass das JA das Taschengeld nicht „aus einer Laune heraus“ an die Kids zahlt, sondern dass es hier eine entsprechende Grundlage gibt.
Dein Hinweis:

Wenn ein Anspruch auf Zahlung des Taschengeldes besteht (z.B.
§ 39 SGB VIII), dann darf das Taschengeld nicht gekürzt
werden.

ist in dem Gesamtzusammenhang jedoch interessant, da man vor diesem Hintergrund dann mal prüfen könnte, in wie weit Taschengeldkürzungen durch die Erzieher (z.B. wegen Sachbeschädigung u.ä.) zulässig sind. Dies würde hier jedoch zu weit führen.

Ich denke, dass ich in meinem Beispiel deutlich gemacht habe, um was es mir geht: Die Maßnahme „Taschengeldkürzung für alle“ ist dazu gedacht, den unbekannten, in der Gruppe verborgenen Täter zu treffen, bzw. die einzelnen Gruppenmitglieder dazu zu bringen, die jeweils anderen Mitglieder zu bespitzeln und den Täter zu denunzieren.
Du schreibst:

Nein. Kollektivstrafen sind nicht zulässig. Strafen müssen
sich an der individuellen Schuld orientieren.

Dies ist jedoch ein „allgemein Platz“, wie ich ihn bei meinen Recherchen auch schon gefunden habe (Siehe Eingangspost: ethische/moralische Bedenken)
Bei einer körperlichen Strafe wie z.B. Schlagen, kann auch ich als Laie die Unzulässigkeit schon alleine aus dem GG ableiten, in welchem das Recht auf körperliche Unversehrtheit (in welche nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf) festgeschrieben ist.

Es geht mir um die tatsächliche Grundlage, also ein Gesetz o.ä. welches Maßnahmen im Sinne einer Kollektivstrafe erlaubt oder verbietet. Die Art der Maßnahme ist dabei zweitrangig. (Ich hätte auch „Unkraut zupfen, Hof fegen, Küchendienst, o.ä.“ nennen können) Es geht um Maßnahmen gegen eine Gruppe mit dem Wissen, bzw. sogar der Absicht, dass Unschuldige getroffen werden (aus o.a. Gründen: Spitzeldienste usw.)

Im militärischen Bereich sind derartige Maßnahmen durch Vorschriften ganz klar verboten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im Bereich „Kindererziehung durch staatl. Stellen“ nicht geregelt und somit ins Ermessen der jeweiligen Erzieher gestellt ist.

Gruß
Skeye