tuck under - Noch die andere Story
vielen Dank für die Aufklärung! Ich hatte die Geschichte nicht
so detailliert im Hinterkopf und hatte nur dunkel in
Erinnerung dass damals tatsächlich „ein paar Teile
weggeflogen“ waren.
Howdy MecFleih,
da hab ich die andere noch, falls es interessiert.
Zu dem Vorfall mit der B707 (könnte auch eine 720 gewesen sein)
Der wurde mir vor 35 Jahren so erzählt:
Bei PanAm wurde die 707 eingeführt und wie es so Brauch ist, kamen
zuerst die erfahrenen älteren Kollegen auf das neue Muster. In diesem
Fall auch noch etwas ganz besonderes, nämlich der Umstieg von Kolben
auf Jet. Nun haben kolbengetriebene Propellerflugzeuge erheblich
abweichende Flugeigenschaften von den Jets. Theoretisch zwar bekannt,
aber in der Praxis total vernachlässigt. Die Autopiloten damals waren
eigentlich einfache Wingleveler und Höhenregler.
Beim Kolbenflugzeug kein Problem. Wenn die Kiste durch Spritverbrauch
leichter wurde, hat man zwar auch die Leistung reduziert. Falls das
mal nicht gemacht wurde, auch nicht tragisch. Die Props hatten mit
zunehmender Geschwindigkeit überproportional steigenden Widerstand,
die propeller governor begrenzten aber die Drehzahl. Deshalb konnten
Propellerflugzeuge bestimmte maximale Geschwindigkeiten nicht
überschreiten.
Anders bei Jets. Das geringer werdende Gewicht durch
Kraftstoffverbrauch würde bei einfach getrimmter Maschine nur in
langsam weiter zunehmende Höhe umgesetzt werden. So genannt cruise
climb, eigentlich das optimale Verhalten eines Flugzeugs.
Gesetzliche Vorschriften (StVO der Luft sozusagen) schreiben nun aber
Flughöhen in konstanten Bereichen vor. Deshalb nimmt der Höhenregler
bei leichter werdendem Flugzeug die Nase immer weiter runter
(Verringerung des Anstellwinkels), um die eingestellte Höhe zu
halten. Das leichter werdende Flugzeug verringert dadurch seinen
Widerstand und wird schneller.
Eine Crew, die diesen Effekt aus der Kolbenfliegerei nicht kennt, wie
die in Ehren ergrauten alten Hasen der ersten Generation Jetpiloten,
wird dann von der weiteren schnell ablaufenden Entwicklung vollkommen
überrascht.
Also dieser Geschwindigkeitszuwachs geht ganz langsam, ruhig und ohne
besondere Anzeichen vonstatten. Die Geschwindigkeit der Luftströmung
auf der Tragfläche wird natürlich auch immer schneller. Aus
aerodynamischen Gründen verschiebt sich jetzt der mittlere
Auftriebspunkt immer weiter nach hinten. Das Flugzeug wird damit
kopflastiger und der Höhenregler kann mit dem Höhenruder noch die
Flughöhe konstant regeln.
Bis er an sein Limit kam. Dann war Regelende erreicht und ein
verhängnisvoller Ablauf begann. Die Nase bewegt sich weiter nach
unten, die Geschwindigkeit steigt, der Auftriebspunkt verschiebt sich
weiter nach hinten, die Nase geht weiter nach unten, die
Geschwindigkeit steigt … usw. Dieser Vorgang läuft so schnell ab,
daß eine unvorbereitete Crew darauf nicht mehr rechtzeitig reagieren
kann. Das Flugzeug befindet sich dann in einem Bahnneigungsflug mit
weiter wachsender Geschwindigkeit.
Da die damaligen Jetengines mit zunehmender Geschwindigkeit anders
wie Propellertriebwerke nicht überproportional wachsende Widerstände
aufbauen, sondern das Flugzeug weiter beschleunigen, werden hier auch
sehr schnell Überschallgeschwindigkeiten erreicht.
So auch bei der PanAm 707. Das Flugzeug konnte nicht mehr durch
aerodynamische Steuerung aus dem Bahnneigungsflug herausgeholt
werden. Dem Kapitän kam dann aber die rettenden Erkenntnis: die
Triebwerke hängen unter dem Schwerpunkt und haben also ein
aufrichtendes Moment um die Querachse. Alle 4 throttle bis zum
Anschlag reichten dann, um die Maschine langsam wieder in die
Horizontale zu bringen.
Kurz vorm Aufschlag hatten sie es dann geschafft. Das Flugzeug war
allerdings so stark verzogen, daß nur noch ein Abwracken in Frage
kam. Boeing errechnete aus den Daten dann eine Geschwindigkeit im
weiten Mach-Bereich.
Dieser Vorfall wurde eingehend untersucht und führte zu diversen
Verfahrensänderungen. Unter anderem wurde daraufhin in den Autopilots
der folgenden Jets ein „Mach feel“ integriert und der Trimmbereich
vergrößert.
Dieser Effekt ist der berüchtigte „tuck under“, wie er dann genannt
wurde.
Gruß
R.