'Soldaten sind Mörder' - Kurt Tucholsky

Wir haben in Philosophie über das Zitat von Kurt Tucholsky : „Soldaten sind Mörder“ diskutiert.

War es richtig, den Mann nicht zu verklagen?
Und, wegen was hätte man ihn eigentlich anklagen gekonnt?
Ist die Aussage „Soldaten sind Mörder“ überhaupt gerechtfertigt, oder schlichtweg eine Unterstellung.

In Strafgesetzbuch steht: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeigefährliche nMitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
All dies würde jetzt ja wahrscheinlich nicht auf Soldaten zutreffen.
Jedoch, ist es unumstritten, dass Soldaten auch Menschen töten müssen, damit sie ihre Ziele in den jeweiligen Länder, wie zb. im Irak das Stürzen der Regierung vollbringen können. Wir haben uns in der Klasse nicht einigen können, ob eine neue Art von Staatsform Habgier ist, oder nicht.
Schwierige Frage, also, ob das Urteil über Kurt Tucholsky richtig war, oder nicht.

Hallo Fee,

zu der Zeit, aus der das Tucholsky-Zitat stammt, wurden Kriege um Territorien geführt. Lieferverträge für irgendwas (damals gings nur in kleinerem Umfang um Erdöl, Kohle und Stahl z.B. waren wichtiger) waren nur auf dem Weg über die Annexion oder anderweitige Herrschaft über Territorien zu haben.

Wenn man den Text des StGB als ethisches Kriterium heranziehen will, käme hier „Habgier“ in Frage. „Habgier“ passt dann nicht, wenn der einzelne Soldat eben nix davon hat, dass er Franzosen, Russen, Belgier etc., die ihm nichts getan haben, vergast, totschießt, mit Schrapnell pulverisiert, mit dem Flammenwerfer röstet, mit dem Bajonett zermanscht, mit dem Klappspaten zerstückelt etc. (dieses sind einige Ausschnitte aus der Tätigkeit eines Soldaten zur Zeit Tucholskys - es gab technisch noch keine Möglichkeit, ganze Städte per Knopfdruck auszulöschen).

Der Glaube an das Bauerngütlein in der Ukraine dürfte später, 1941, unter den Mannschaftsgraden der Wehrmacht nicht besonders verbreitet gewesen sein. Habgier kann auch hier nicht gut unterstellt werden.

Im Sinn des StGB wäre die Aussage von Tucholsky falsch. Es stellt sich die Frage, ob die Formulierung aus dem StGB den Mörder im ethischen Sinn ausreichend definiert.

Betreffend mögliche Anklagepunkte gegen Tucholsky: „Landesverrat“ ist ein probates Mittel, wenn man es für nötig hält, Pazifisten den Prozess zu machen (vgl. Carl von Ossietzky 1931). Wenn man ihnen keinen Prozess machen will, braucht man keine juristisch fundierte Anklage, um sie totzuschießen (vgl. z.B. Matthias Erzberger 1921 - mit der besonderen Finesse, dass Erzberger kein Pazifist im Sinn des Begriffes war, sondern aus rein pragmatischen Gründen für die Beendigung der Schlächterei an der Marne eingetreten ist).

Schöne Grüße

MM

Hallo !

zu der Zeit, aus der das Tucholsky-Zitat stammt, wurden Kriege
um Territorien geführt.

Heute sehr schwammig um „Einfluß“. Was dasselbe ist!.

Lieferverträge für irgendwas (damals

gings nur in kleinerem Umfang um Erdöl, Kohle und Stahl z.B.
waren wichtiger) waren nur auf dem Weg über die Annexion oder
anderweitige Herrschaft über Territorien zu haben.

Wie heute im Irak. Wie auf den Falklands, wie auf Sri Lanka, wie in Südrußland, wie auf den karibikinseln, wie Panama, wie überall.

mfgConrad

Hallo,

Weil Tucholsky - jedenfalls gemäß dem üblicherweise zitierten Wortlaut, die Originalstelle kenne ich nicht - nicht erkennen lässt, ob es Umstände gibt, unter denen Soldaten keine Mörder sind, wird man annehmen müssen, dass er die Aussage ganz allgemein meint: Alle Soldaten sind immer Mörder.

D. h. dann doch: Sie töten nicht aus Versehen, nicht als Körperverletzung mit Todesfolge, nicht im Affekt, sondern vorsätzlich und aus niederen Beweggründen. (Ohne dass ich weiß, wie im in der Zeit Tucholskys geltendem Strafgesetzbuch Mord definiert war.)

Wenn die Entscheidung, ob diese Aussage eine zulässige Meinungsäußerung, eine Schmähkritik oder eine Tatsachenbehauptung ist, einfach wäre, dann wäre die ganze Angelegenheit ja kein Problem.

Unter welchen Umständen darf/muss/wird auch ein Pazifist zu den Waffen greifen?
Wer weiss schon im Voraus des gewöhnlichen Lebens, in welcher Extremsituation die eigene körperliche oder psychische Fähigkeit zur Leidenduldung an ihre Ende gelangt?

Gruß
H.

Hallo fee

"… heimtückisch oder grausam oder mit
gemeigefährliche nMitteln oder um eine andere Straftat zu
ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
All dies würde jetzt ja wahrscheinlich nicht auf Soldaten
zutreffen.

Doch:
-heimtueckisch: Soldaten legen sich oft in einen Hinterhalt
-grausam: ist Geschmacksfrage, aber mit dem Bajonett abstechen oder
mit Handgranaten zerfetzen, ist fuer mich grausam genug
-andere Straftat ermoeglichen: sie ermoeglichen die Invasion des
eigenen Staates, d.h. meistens auch Raub und Pluenderung

Gruss, Tychi

Wir haben in Philosophie über das Zitat von Kurt Tucholsky :
„Soldaten sind Mörder“ diskutiert.

Wer führt Krieg? Wer befiehlt das Töten?
Soldaten töten. Aber sie führen keine Kriege. Nicht einmal Nationen tun das. Es sind immer einzelne Personen, die Kriege beginnen und befehlen. Sie tun es, weil es ihnen in irgendeiner Form profitabel erscheint. In keiner Regierungsform ist die Entscheidung für einen Krieg das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Bei der Betrachtung eines beliebigen Krieges stellst Du fest, dass jemand etwas hat, das ein Anderer haben will. Damit ist Krieg nichts Anderes als Diebstahl; Diebstahl im großen Stil, aber immer Diebstahl.

Gruß!
Tino

Hallo ‚fee‘

Wir haben in Philosophie über das Zitat von Kurt Tucholsky :
„Soldaten sind Mörder“ diskutiert.

War es richtig, den Mann nicht zu verklagen?
Und, wegen was hätte man ihn eigentlich anklagen gekonnt?
Ist die Aussage „Soldaten sind Mörder“ überhaupt
gerechtfertigt, oder schlichtweg eine Unterstellung.

Was geschrieben wurde, ist zwar alles
recht zutreffend, eine Sache fehlt aber noch.

„Soldaten sind Mörder“ kann sich nur darauf
beziehen, dass Soldaten „Unschuldige“, also nicht
am Krieg beteiligte oder interessierte Menschen
töten.

Nun muss man fragen: Tun sie das denn? Auch als
Teil ihres „Soldatentums“? Wenn ja, dann sollte auf
den ersten Blick die Anklage „Mörder“ richtig
sein.

„Soldaten sind Mörder“ kann imho nur dann einen
Sinn und eine Prägnanz erhalten, wenn Kriege
zu totalen Kriegen werden. Wenn, wie in unserer
Zeit, der militärische Raum kurzfristig nicht mehr
ohne den zivilen Raum denkbar ist.

Mann kann also heute theoretisch eine Armee
besiegen, wenn man alle Zivilisten des Landes
einer Armee tötet. Ermordet.

Andererseits kann man eine Armee nicht oder nur
sehr schwer besiegen, wenn man nicht den
zivilen Bereich des Landes dieser Armee zerstört.

Die Maschinisierung des Krieges erlaubt nun, mit
wenigen Knopfdrücken eine enorme Wirkung im
zivilen Bereich des Gegners „anzurichten“.

Dabei wird es diesen „Maschinen“ im allgemeinen
„verziehen“, wenn durch sie unbeteiligte Zivilisten
„umkommen“, also praktisch „ermordet werden“.

Es ist, als ob die Maschinen einer eigenen
Moral unterliegen, die von den Menschen, die
einerseits diese Maschinen anwenden - akzep-
tiert wird.

Soldaten müssen also notgedrungen „Mörder“ im obi-
gen Sinne werden, um überhaupt noch realistische, also
„moderne“ Kriege führen zu können. Dabei ist es imho
unerheblich, wenn die Soldaten die Zivilisten
„bewusst“ (als Botschaft oder Druckmittel) oder
„nachlässig“ töten (sog. Kollateralschäden).

Dass Soldaten notgedrungen zu „Mördern“ werden
könnten, hinge also mit dem Totalisierung und der
Maschinisierung des Krieges zusammen.

Das ist es, was imho in obiger Aussage gemeint ist.

Grüße

CMБ

Mahlzeit,

Wir haben in Philosophie über das Zitat von Kurt Tucholsky :
„Soldaten sind Mörder“ diskutiert.

für diejenigen, die es nicht kennen, hier ist das Zitat: http://www.angelfire.com/poetry/tucholsky/kriegsscha…

Wie man schon am Text erkennen kann, war es auch seinerzeit eine umstrittene Aussage. Tucholsky war das bewußt und wollte klarstellen, daß er sie bejahte: Soldaten sind Mörder.

War es richtig, den Mann nicht zu verklagen?

Ich finde, absolut. Die Aussage „Soldaten sind Mörder“ ist wie „Politiker sind korrupt“ oder „Frauen können nicht einparken“ eine derart allgemeine, daß sich keiner persönlich beleidigt fühlen muß. Er beleidigte keine Person, sondern verurteilte einen Berufsstand. Daß er überspitzt formulierte, war ihm, der die deutsche Sprache so gekonnt einsetzte, ganz bewußt.

Gruß

Sancho

Hallo Sancho,

für diejenigen, die es nicht kennen, hier ist das Zitat:
http://www.angelfire.com/poetry/tucholsky/kriegsscha…

Danke, dass Du den Text gepostet hast, so
konnte ich doch noch mal nachschauen … :wink:

Wie man schon am Text erkennen kann, war es auch seinerzeit
eine umstrittene Aussage. Tucholsky war das bewußt und wollte
klarstellen, daß er sie bejahte: Soldaten sind Mörder.

Wenn das wirklich der Kontext ist, in dem T. seine
Aussage platzierte, dann würde ich aus der heutigen
Distanz meinen: T. Argument ist a) schwach und
b) nicht zu verstehen.

Aus heutige Sicht ist nicht zu verstehen warum
gerade der maximale Rechtstitel: „Mord“ dem gegen-
seitigen Abschlachten von je schon darauf einge-
stellten Menschen (Soldaten) zukommen soll, während
die Millionen toten Zivilisten hier keine Rolle
spielen sollen.

Aber möglicherweise war der Sichtwinkel, den
die Zeitgenossen auf den ersten totalen Krieg
hatten, noch gar nicht geprägt von dieser
Erkenntnis. Möglicherweise hatte „Krieg“ eigentlich
noch etwas Anderes zu sein, nämlich das ideologisch-
heroische „Abenteuer“ von vorbereiteten ausge-
suchten Menschen (Soldaten) wie zu Zeiten 1870/71.

Der Blick war noch nicht geschärft für das Verhängnis,
wenn auch die Details des Manschinenkrieges zumin-
dest am Ort iher „Hauptanwendung“ am meisten in den
Blick fielen, an der Front.

Auf dieses „Denkmögliche“ muss sich daher T. konzentrieren,
obwohl er vielleicht auch schon das darunterliegende Verhängnis
„irgendwie“ spürt.
Er hat noch keinen Begriff dafür. Daher vielleicht die
unangemessene Wortwahl (sowohl aus heutiger wie auch
aus damaliger Sicht).

Grüße & Danke

CMБ

RSTGB 1871
Servus,

z.Zt. des Zitats 1931 galt das Reichsstrafgesetzbuch und § 211 Mord war „großzügiger“ formuliert. Mörder war, wer „mit Überlegung tötete“ im Gegensatz z.B. zu einer Affekthandlung.

Zu sehen hier:
http://www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze/gs_rs…

Musste also keines der heutigen Mordmerkmale erfüllt sein. Ich glaube, da kann man den Soldaten leichter drunter subsumieren oder?

Grüße
Steffi

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Von immer kann glaub ich keine Rede sein. Denn dies würde nur die Soldaten der einen Seite benennen. Denn selbst im Falle des „diebstahlkrieges“ des Mordens aus Habgier also gibts auf der anderen Front die Soldaten die verteidigen. Die also die aufgrund Notwehr töten.

Das heisst selbst in dem eindeutigsten Fall des Krieges ist es nicht möglich eine verallgmeinerte AUssage über den Berufsstand SOLDAT zu machen.

Ich finde es würde helfen und eine differenzierte Betrachtung erlauben wenn man die strafrechtliche Definition von dem Begriff Mörder auch auf Soldaten und Kriege anwendet.

Denn wie falsch die allgemeine Aussage „Soldaten sind Mörder“ aus den oben genannten Gründen falsch ist, genauso falsch dürfte es sein bzgl. diesem Beruffstand eine „AUSNAHME“ zu machen in dem man sie per se als „Tugendliche Töter“ darstellt.

Denn genau wie alle Menschen sollte man auch bei den SOldaten zwischen dem Töten aus Notwehr also dem gerechtfertigten Töten und dem MORDEN also dem Töten aus Habgier etc. unterscheiden.

Und dies kann man nur wenn man die allgemeine Definition des MÖRDERS auch auf den Berufsstand der Soldaten zulässt.

So würde sich jeder SOldat der an einem ANGRIFFSKRIEG teilnimmt bei der Tötung von Menschen egal ob diese Zivilisten oder Soldaten sind sich des MORDES schuldig machen.