Sonettenkranz in deutscher Lyrik?

Hallo allerseits!

Im Netz habe ich viel zu wenig dazu gefunden.

Die Frage ist nämlich, warum deutschsprachige
Lyrik diese poetische Form deutlich
vernachlässigt?

Liegt es in der Besonderheit der sprachlichen
(rhythmischen, melodischen) Möglichkeiten?

Hier
http://www.sonett-archiv.de/Sonettform.htm#Sonettenk…
kann man deutlich sehen, wie wenig zur Vefügung
steht.

Zu guten aktuellen Beispielen würde ich die
Würdigung von Gabriella Wollenhaupt zählen:
http://www.deutsche-liebeslyrik.de/gaeste/gabi3.htm

Ich hätte gerne den Sonettenkranz von Arno
Schmidt, aber das im Netz zu finden ist wohl zu
viel verlangt :smile:

Ob der neueste Zyklus von Ulrike Draesner
(„Anis-O-Trop“) so gut ist
(http://www.uni-protokolle.de/buecher/isbn/3446191143 Buch anschauen/),
wäre auch eine Frage…

Und neueste Übersetzungsleistung von Thomas
Hettche (http://www.hettche.de/buecher/imodi.htm)
ist leider kein Sonettenkranz und gehört eher ins
Index, wie bekannt :smile:

Was für einen Sonettenkranz hat Gerhard Rühm
geschrieben? Dazu habe ich auch nichts gefunden.

Kennt sich jemand aus? :smile:

Vielen Dank

*suuuuuuuuuuuuuch*
Hallo peet,

Die Frage ist nämlich, warum deutschsprachige Lyrik diese poetische Form deutlich vernachlässigt?

Deutlich vernachlässigt? Vernachlässigt ja, aber deutlich? Der Sonettenkranz zählt wohl zu den formal „strengsten“ Lyrikformen, inhaltlich resp. thematisch kennzeichnet den Sonettenkranz die Abstraktion, das geistige Sublimat subjektiver Erfahrung. Beides ist zu gewissen Zeiten in der Literatur immer wieder obsolet geworden - Deutschland gilt schließlich als Land der Dichter und Denker - nicht als Land denkender Dichter :wink:)

Ich hätte gerne den Sonettenkranz von Arno Schmidt, aber das im Netz zu finden ist wohl zu viel verlangt :smile:

Lillis Sonettenkranz online? Das wäre vielleicht wirklich zuviel verlangt :wink: Im Print hast Du’s? Im ZVAB findet man z.Zt. einige Ausgaben.

Die von Dir empfohlenen Texte lese ich mir im Verlauf der Woche mal durch, danke für die Tipps :smile:

Viele Grüße
Diana

Denkende Dichter
Hallo Diana,

Wenn ich mir die Poesie von Rilke oder G.Benn
oder Celan vorstelle, glaube ich vor mir einen
denkenden Dichter zu sehen. Warum haben diese
Dichter keinen Sonettenkranz geschrieben? Goethe
nicht, dafür eine G. Wollenhaupt. :smile:

„Lillis Sonettenkranz“ besitze ich nicht, suche
mir zunächst mal in einer Bibliothek…

Die Sonette von Aretino empfehle ich eher am
Wochenende zu lesen als im Laufe der Woche. *g*

Viele Grüße

‚Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben…‘
Hallo peet,

Sonette haben zumindest einige der von Dir genannten Dichter geschrieben, Rilke, auch Goethe. Warum dann keinen ganzen S.kranz? Vielleicht müßte man im Werk untersuchen, inwieweit sich zyklische Formen finden lassen, salopp gesagt, ob der Sprint dem Dichter näher ist als der Marathon: Zumindest Rilke ist in puncto Sonette Langstreckenläufer…und doch flicht er keinen Kranz :wink:

Goethe äußert sich zur Form:

****************************************************************

_ Das Sonett

Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben,
Ist heilge Pflicht, die wir dir auferlegen.
Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen
Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben.
Denn eben die Beschränkung läßt sich lieben,
Wenn sich die Geister gar gewaltig regen;
Und wie sie sich denn auch gebärden mögen,
Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben.

So möcht ich selbst in künstlichen Sonetten,
In sprachgewandter Mühe kühnem Stolze,
Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen;

Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten.
Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze,
Und müßte nun doch auch mitunter leimen.

Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

So ists mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.

Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben._

****************************************************************

Die Sonette von Aretino empfehle ich eher am Wochenende zu lesen als im Laufe der Woche. *g*

Ja, das denke ich auch… :wink:)

Unter den (Post :wink:~modernen findet sich dieses Sonett des Herrn Gernhardt:

****************************************************************

_ Materialien zu einer Kritik an der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs

Sonette find ich sowas von beschissen
so eng, rigide, irgendwie nicht gut.
Es macht mich ehrlich richtig krank, zu wissen,
daß wer Sonette schreibt, daß wer den Mut

hat, heute noch so’n Scheiß zu bau’n.
Allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
das kann mir echt den ganzen Tag versau’n.
Ich hab da eine Sperre und die Wut

darüber, daß so’n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht, will’s echt nicht wissen.
Ich find’ Sonette unheimlich beschissen._

****************************************************************

Viele Grüße
Diana

Ist es die Ambivalenz oder die Dichotomie? :smile:
Zwei Sonette, die du hier sehr passend zitierst,
zeigen noch einmal, wie problematisch ist es mit
dem Sonett, geschweige schon mit dem
Sonettenkranz.

Liegt es vielleicht doch an der Satzstruktur, die
durch die Sprache vorgegeben wird? Was bremst
hier einen Dichter?

Zu dem zweiten Sonett ( aus der Süddeutschen von
vorgestern? :smile:) hätte ich ein schönes russisches
pendant von Ivan Dmitriev, 18. Jht. Wenn du
russisch lesen kannst, stelle ich gerne rein :smile:

Viele Grüße

Latente Talente im Ambivalenten
Hallo peet,

Liegt es vielleicht doch an der Satzstruktur, die durch die Sprache vorgegeben wird? Was bremst hier einen Dichter?

Das Sonett ist ja in jeder Sprache anders gestaltet, was Versmaß und Rhythmus angeht. Andreas Gryphius übersetzte den Begriff mit „Klinggedicht“ - ist unsere Sprache weniger melodiös als die romanischen Sprachen? Unsere Sprache besitzt weniger Reimwörter als das Englische…*grübel*…vielleicht ist diese Frage im Brett „Deutsche Sprache“ bzw. „Fremdsprachen“ besser aufgehoben.

Zu dem zweiten Sonett ( aus der Süddeutschen von vorgestern? :smile:) hätte ich ein schönes russisches pendant von Ivan Dmitriev, 18. Jht. Wenn du russisch lesen kannst, stelle ich gerne rein :smile:

Kyrillisch kann ich wohl lesen, jedoch nicht deuten :wink:

[Ignorantenmoduson] Zwar les ich Nabokov, doch nicht Sirin. [Ignorantenmodusoff]

Viele Grüße
Diana

Hallo Peet, Diana,

da ist ja zunächst mal das Schnürleibchen des Sonetts - dieses Korsett engt doch gewaltig ein. Da ist das Knüttelreimen doch einfacher und selbst Hexameter und Pentameter gehen noch leichter von der Hand.

Zum anderen die Sprache, das Deutsche ist zum Reimen nicht geschickt. Belcanto ist eben nicht in deutscher Sprache gewachsen.
Und selbst so zierlich Gefügtes, wie das des Dichterfürsten, auch dieses Beispiel, liebe Diana, knirscht, knackt und trampelt doch gar martialisch einher, vergleicht man es mit der tänzelnden Leichtfüßigkeit eines Shakespearischen oder gar italienischen Sonettes.
Darum jammert er ja auch zu Recht:

Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten.

Überlassen wir dem Deutschen die Balladen, da ist es gut, und seine Knittelverse, da ist es Meister :smile:

Lieben Gruß

Hölderlin, Eckard, Hölderlin!
…knirscht, knackt und trampelt doch gar martialisch einher, vergleicht man es mit der tänzelnden Leichtfüßigkeit eines Shakespearischen oder gar italienischen Sonettes.

…es geht doch auch anders, Eckard, weit melodischer, als Du es unserer Sprache zutraust…wenn auch der Beispiele wenige sind :wink:

In einem Punkt hast Du recht: Jede Sprache hat ihre eigene Stärke, Camus’ Pest klingt im Original bei weitem nicht so eindringlich und beklemmend-kantig wie in deutscher Übersetzung.

Viele Grüße
Diana

Ach ja,
liebe Diana,

„Zukunft - das ist die Zeit, in der du bereust,
dass du das, was du heute tun konntest, nicht getan hast!“

und ich scheine in dieser Zukunft angekommen zu sein - und wieviel habe ich nicht getan, weil ich gerade damit beschäftigt war zu leben.

Früher konnte ich mich mit Hölderlin nicht anfreunden, er entsprach so gar nicht dem, was ich empfand. Ich werde noch einmal einen Versuch wagen. Obwohl - „Wie rennt die Zeit, wie schnell ist nichts getan!“

Aber halt auch: „Die Zeit nimmt nur Ihre Pflicht wahr und verstreicht…“ (Terry Pratchett)

Grüße
Eckard.

Zukunft (off topic)
Hallo Eckard,

Hölderlin ist einen Versuch wert, allein des klanglichen Genusses wegen…

http://www.gutenberg2000.de/hoelderl/gedichte/lebens…

Noch ein schönes Loriot-Zitat, heute wiederentdeckt (Interview mit der SZ-Magazin vom 21.06.02):

SZ Halten Sie sich fit, treiben Sie Sport?

Loriot Ich sage mir Hamlet-Monologe auf, die ich noch der aus der Schulzeit kann. Aber das wollten Sie wohl nicht hören.

Viele Grüße
Diana

1 Like