Stimmen Adornos Ansichten zu Vernunft und Kunst?

Hi zusammen.

Ich muss etwas weiter ausholen, um dann zu den beiden Fragen zu gelangen:

Theodor W. Adorno, vor Habermas der wichtigste Theoretiker der Frankfurter Schule, vertrat in seinen Werken eine pessimistische Haltung zur Vernunft. Dieser Begriff war im Zuge der Aufklärung zunächst zu hohen Ehren gelangt, indem er an die Stelle des Glaubens an einen von der Theologie phantasierten „Gott“ getreten war. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ waren die neuen Ideale. Der irrationale autoritäre Gott war tot, und endlich konnte das Licht des Geistes (enlightenment = Aufklärung/Erleuchtung) die Menschheit auf den erlösenden Weg führen.

Der sich aber als Holzweg erwies – das dachte jedenfalls Adorno. Keineswegs führte er zur Befreiung des Menschen von Herrschaft, im Gegenteil, er führte in neue Formen der Unterdrückung. Kaum hatte sich das Bürgertum von den feudalen und absolutistischen Strukturen gelöst, errichtete es seine eigene Variante von Herrschaft (über die Masse des Proletariats).

Die neue Vernunft hatte also nicht Befreiung gebracht (ursprünglich als ihr Ziel proklamiert), sondern Abhängigkeit fortgeschrieben. Marx sprach von Entfremdung des Menschen, da dieser in der bürgerlichen Ordnung zum Objekt von Tauschbeziehungen mutiert. Die Menschen stehen zueinander in einen Ding-Verhältnis, zu dem sie durch die Produktionsverhältnisse innerhalb der kapitalistischen Ordnung determiniert werden.

Lucas, ein früher Vertreter der Frankfurter Schule, sprach in diesem Zusammenhang von „Verdinglichung“. Das besagt: der Mensch besitzt nicht das, was er produziert, weil es dem Kapitalisten gehört. Die „natürliche“ Identifikation mit dem Produkt fehlt. Erst auf dem Umweg über den Markt kann der Mensch an den Besitz von Produkten gelangen, die er allerdings nicht selbst produziert hat. So identifiziert er sich nicht mit Selbstgeschaffenem, sondern mit „fremden“ Produkten. Und so wird Ware als Eigentum zum Fetisch. Sie tritt an die Stelle eines authentischen Selbstverhältnisses des Menschen, welcher sich in toten Objekten „verdinglicht“. Gleiches gilt für die Beziehungen der Menschen untereinander (wie schon oben gesagt).

Vernunft pervertiert also das Leben, indem sie die zwischenmenschlichen Beziehungen pervertiert. Sie initiiert ein falsches Identitätsdenken. Sie reguliert eine „verwaltete Welt“ (Adorno) mit dem Ziel, die Menschen ökonomischen Zielen zu unterwerfen. Menschliches Verhalten vollzieht sich nur noch in den Mustern von Produktion und Konsum.

Was für Adorno darauf hinausläuft, dass jeder „Freiheit und Spontaneität unter Bedingung planender, organisierender Erfassung … die gesellschaftliche Basis entzogen wird“ (Gesammelte Werke Bd. 14, 9).

Letzte Zuflucht aus diesem Dilemma ist für Adorno … die Kunst.

„Kunst heißt … dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerfort die Pistole auf die Brust setzt“ (GS Bd. 11, 413).

„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ (GS Bd. 4, 254)

„Kunst hat inmitten herrschender Utilität … wirklich etwas von Utopie als das Andere, vom Getriebe des Produktions- und Reproduktionsprozesses der Gesellschaft Ausgenommene, dem Realitätsprinzip nichts Unterworfene…“ (Ästhetische Theorie, 461)

Adorno zielte aber, wohlgemerkt, auf kompromisslose Kunst, die sich nicht der breiten Masse anbiedert. Selbst dem Jazz stand er skeptisch gegenüber, erst recht Produkten der Popbranche. Er verachtete die „Kulturindustrie“. Für ihn zählte nur „wahre“ Kunst, d.h. die Großen der Musik, der Malerei und der Literatur.

Meine Fragen also:

  1. Stimmt Adornos Diagnose der den Menschen nur auf ökonomische Ziele ausrichtenden und per Verwaltungsherrschaft totalitär kontrollierenden Vernunft?

  2. Ist Kunst wirklich der einzige Ausweg aus dem, was Adorno mit Marx und Lucas als Entfremdung und Verdinglichung anspricht?

Gruß

Horst

Hi Horst

„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ (GS
Bd. 4, 254)

Im Prinzip hatte der Alte wohl recht - es gab ja auch noch einige, die dies in gewisser Weise fortsetzten: Joseph Boys etc. - aber natürlich unterliegen seine (oftmals sehr überspitzten) Thesen auch dem Wandel der Zeit. Der gute Teddy Adorno starb 1969 und wir dürfen davon ausgehen, dass seine (an Aphorismen erinnernden) ussagen keine endgültigen Wahrheiten sind.

Adorno zielte aber, wohlgemerkt, auf kompromisslose Kunst, die
sich nicht der breiten Masse anbiedert. Selbst dem Jazz stand
er skeptisch gegenüber, erst recht Produkten der Popbranche.

Dass er sich beim Jazz gehörig vertan hat, steht wohl außer Frage - es gibt ja Bücher darüber, wie er zu seinen diesbezüglich abstrusen und naiven Aussagen kam.

Er verachtete die „Kulturindustrie“. Für ihn zählte nur
„wahre“ Kunst, d.h. die Großen der Musik, der Malerei und der
Literatur.

Ein Stück weit war er natürlch auch in seiner neurotisch-klassischen Kindheit verfangen, wie wir wissen. Amorbach war nicht New York.

Meine Fragen also:

  1. Stimmt Adornos Diagnose der den Menschen nur auf
    ökonomische Ziele ausrichtenden und per Verwaltungsherrschaft
    totalitär kontrollierenden Vernunft?

Ich würde das nur als einen, im Kern zwar richtigen, aber insg3esamt überspitzten Teilaspekt der Realität betrachten wollen.

  1. Ist Kunst wirklich der einzige Ausweg aus dem, was Adorno
    mit Marx und Lucas als Entfremdung und Verdinglichung
    anspricht?

Wo fängt Kunst an, wo hört sie auf? Nach Andy Warhol…naja, du weißt schon.
Gruß,
Branden

Wie sind Adornos Ansichten zu Vernunft und Kunst?
Lieber Horst!

Ich muss etwas weiter ausholen, um dann zu den beiden Fragen
zu gelangen:

Zugegeben, es ist pedantisch, aber so sind die Philosophen nun eben, daher möchte ich die Ausholung etwas kommentieren :wink:

Theodor W. Adorno, vor Habermas der wichtigste Theoretiker der
Frankfurter Schule, vertrat in seinen Werken eine
pessimistische Haltung zur Vernunft.

Der sich aber als Holzweg erwies – das dachte jedenfalls
Adorno.

Nein, das kann man so undialektisch sicher nicht sagen.
Bei der Holzweg-Metapher musste ich jetzt übrigens an Heidegger denken.

Die neue Vernunft hatte also nicht Befreiung gebracht
(ursprünglich als ihr Ziel proklamiert), sondern Abhängigkeit
fortgeschrieben.

Sie hat natürlich auch für Adorno in hohem Maß Befreiungen gebracht.

Lucas, ein früher Vertreter der Frankfurter Schule, sprach in
diesem Zusammenhang von „Verdinglichung“. Das besagt: der
Mensch besitzt nicht das, was er produziert, weil es dem
Kapitalisten gehört. Die „natürliche“ Identifikation mit dem
Produkt fehlt. Erst auf dem Umweg über den Markt kann der
Mensch an den Besitz von Produkten gelangen, die er allerdings
nicht selbst produziert hat. So identifiziert er sich nicht
mit Selbstgeschaffenem, sondern mit „fremden“ Produkten. Und
so wird Ware als Eigentum zum Fetisch. Sie tritt an die Stelle
eines authentischen Selbstverhältnisses des Menschen, welcher
sich in toten Objekten „verdinglicht“. Gleiches gilt für die
Beziehungen der Menschen untereinander (wie schon oben
gesagt).

Erstens: Lukács ist sicher nicht als (früher) Vertreter der Frankfurter Schule zu verstehen bzw. wird allgemein nicht so tituliert.
Er ist sicherlich als „Einflussgeber“ zu bezeichnen, aber ich würde noch nicht mal von „Vorreiterschaft“ sprechen, denn dann müsste ich z.B. auch Max Weber, dem Adorno sicher nicht weniger als Lukács verdankt, zum Vorreiter der Frankfurter Schule machen - was absurd wäre.

Zweitens: das von dir hier Genannte hat der frühe Marx selbst schon so gesagt.

Das wesentlich Neue bei Lukács dagegen scheint mir die Insistenz auf die Warenform zu sein bzw. sein Versuch, die kapitalistische Gesellschaftsformation als Totalität zu begreifen, deren Zentrum die Warenform ist. Solche Gesellschaftsanalyse (also insbesondere Analyse des „Überbaus“, sprich kultureller Produktion) hat Marx selbst noch durchgeführt.
Das hat dann auch Adornos Marx-Lektüre entsprechend geprägt und hat sich wohl v.a. in seiner Kulturindustrie-These niedergeschlagen, wobei er damit m.E. Lukács’ (dessen Romantheorie) an Radikalität übertrifft, d.h. dabei, Kulturprodukte einzig auf ihre Produktionsbedingungen zu reduzieren - so eben auch den Jazz.

Vernunft pervertiert also das Leben, indem sie die
zwischenmenschlichen Beziehungen pervertiert. Sie initiiert
ein falsches Identitätsdenken.

Jetzt wirds mir zu schnell.
Du kommst in wenigen Worten von Verdinglichung über Vernunft zum Identitätsdenken - und ich kann mir nur noch Thesen zusammenreimen:

„Vernunft pervertiert das Leben“
„falsches Identitätsdenken ist eine Folge der Vernunft“

-> beides würde Adorno so sicher nicht sagen.

Letzte Zuflucht aus diesem Dilemma ist für Adorno … die Kunst.

Adorno zielte aber, wohlgemerkt, auf kompromisslose Kunst, die
sich nicht der breiten Masse anbiedert. Selbst dem Jazz stand
er skeptisch gegenüber, erst recht Produkten der Popbranche.

Vielleicht nur eine Nuance, aber dennoch:
Adorno geht es eigentlich nicht um die „breite Masse“. Das wäre ein elitistisches Verständnis, das Adorno fernlag - zumindest so lange man ihn nicht „tiefer“ interpretiert.
So stammt der Spruch von ihm: „Die Masse, das sind immer die anderen“ (hoffentlich sinngemäß zitiert), den er den konservativen Kulturkritikern seiner Zeit entgegenwarf, die von „Vermassung“ und dergleichen sprachen.

Nein, es geht ihm um die Produktionsbedingungen der Erzeugnisse der Kulturindustrie, die sie zu standardisierten, warenförmigen Dingen machen, an denen nur ihr Tauschwert interessiert.

Meine Fragen also:

gut, jetzt fang ich an :wink:

  1. Stimmt Adornos Diagnose der den Menschen nur auf
    ökonomische Ziele ausrichtenden und per Verwaltungsherrschaft
    totalitär kontrollierenden Vernunft?

Ich möchte es anders formulieren: Stimmt Adornos Diagnose, dass -so aus der Erinnerung und hoffentlich sinngemäß zitiert- „die Funktionsweise der modernen Gesellschaft durch die sprichwörtliche Putzfrau erkannt werden könne“ - nämlich weil sie nur ein einfacher Ausdruck der Warenlogik ist ohne „Eigenkomplexität“?

Nein, sie stimmt m.E. nicht, weil Adorno hier zu hegelianisch denkt und die Moderne als Totalität begreift, die sie nicht ist. Die Warenform ist nicht der -hoffentlich sinngemäßes Zitat Hegels- „Geist, der sich in allen Erscheinungen seiner Zeit manifestiert“.

Man könnte hier übrigens Adorno vs. Althusser diskutieren in Bezug auf das, wie man Marx liest.

Oder man könnte natürlich die Rezeptionsästhetik der Poststrukturalisten, der Cultural Studies usw. Adornos Reduktion auf die Produktionsbedingungen von Kunst entgegensetzen.

Usw.

  1. Ist Kunst wirklich der einzige Ausweg aus dem, was Adorno
    mit Marx und Lucas als Entfremdung und Verdinglichung
    anspricht?

Da ich Frage 1 verneint habe, kann ich hier schlecht antworten :wink:

Eine andere Frage wäre, ob Adorno das selbst so sieht, ob er also nur noch der Ästhetik ein Emanzipationspotential zugesprochen hat. Phasenweise hat er das bestimmt, m.E. aber nicht durchgängig.

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Dialektik der Kunst
Hi VB.

„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ (GS Bd. 4, 254)

Im Prinzip hatte der Alte wohl recht - es gab ja auch noch einige, die dies in gewisser Weise fortsetzten: Joseph Boys etc.

Maria Girls übernahm ja ganz offen die Gedanken aus der „Dialektik der Aufklärung“. Ich frage mich nur, wie Adorno über ihn dachte. Ob er sich einen typischen Beuys ins Wohnzimmer gestellt hätte?

aber natürlich unterliegen seine (oftmals sehr überspitzten) Thesen auch dem Wandel der Zeit.

Im Detail seiner Aussagen sicherlich. Dennoch bleibt seine Skepsis gegenüber der Kulturindustrie begründet. Er sprach Kunst ja eine negative Funktion zu in dem Sinne, dass sie das etablierte, sozusagen verkrustete Bewusstsein einer Epoche aufrühren und in dynamischen Wandel versetzen solle:

„Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen. Künstlerische Produktivität ist das Vermögen der Willkür im Unwillkürlichen", heißt es im 142. Aphorismus der „Minima Moralia“.

Er wuchs in der verwegensten Kunstepoche aller Zeiten auf (die ersten dreißig Jahre des 20. Jhds.) und erlebte, wie Malerei, Musik und Literatur an die absoluten Grenzen geführt wurden. Das musste logischerweise seinen Kunstbegriff prägen.

Was er übersah, ist die sozusagen Hegelianische, also dialektische Dynamik der Kunstgeschichte:

Es gibt 1) einen etablierten Stil (These), dem 2) ein neuer, subversiver Stil als Antithese entgegentritt, welcher dann 3) in einem Schritt kultureller Synthese allgemein anerkannt, integriert und etabliert wird. Picasso und Kandinsky entwickelten sehr revolutionäre Styles, die heute aber jedes Kinderzimmer zieren. Adorno übersah zudem, worauf Umberto Eco hinweist, dass auch die Massen-Styles zunächst subversiven Charakter hatten (Beispiel Jazz, Rock´n´Roll, Rock, nach Adorno dann Hiphop, Techno usw.)

Der subversive Gehalt aber verschwindet nicht, sondern wird, Hegelisch gesagt, im kollektiven Bewusstsein „aufgehoben“, als ein integrativer Bestandteil, welcher den Boden für neue subversive Ideen bildet.

Mit anderen Worten: die Kunstgeschichte ist nie am Ende. Allerdings erschöpfen sich allmählich die Möglichkeiten der traditionellen Ausdrucksformen, die Adorno noch kannte.

Seine Warnung aber vor dem Warencharakter des Kunstwerks, der den Konsumenten in der Abhängigkeitsrolle zementiert, ist nach wie vor ernst zu nehmen, heute noch mehr als zu Adornos Zeiten. Die heutige Jugend hat sich in bedenklichem Ausmaß zu Musik-Junkies entwickelt. Das ist Konsumgier in hoher Potenz.

Adorno zielte aber, wohlgemerkt, auf kompromisslose Kunst, die sich nicht der breiten Masse anbiedert. Selbst dem Jazz stand er skeptisch gegenüber, erst recht Produkten der Popbranche.

Dass er sich beim Jazz gehörig vertan hat, steht wohl außer Frage - es gibt ja Bücher darüber, wie er zu seinen diesbezüglich abstrusen und naiven Aussagen kam.

Er mochte einfach die Schwarzen nicht. Schon um die Zeit von Hitlers Machtergreifung blies er in dieses Horn und biederte sich sogar bei den Nazis an. Errare humanum est, auch bei Adorno…

Stimmt Adornos Diagnose der den Menschen nur auf ökonomische Ziele ausrichtenden und per Verwaltungsherrschaft totalitär kontrollierenden Vernunft?

Ich würde das nur als einen, im Kern zwar richtigen, aber insgesamt überspitzten Teilaspekt der Realität betrachten wollen.

Habermas hatte diesen Aspekt unter das erste der drei Erkenntnisinteressen subsumiert: das technisch-analytische Interesse mit der Betonung des Instrumentellen beim Vernunftgebrauch. Dazu kamen das hermeneutische und das emanzipatorisch-kritische Interesse.

Ist Kunst wirklich der einzige Ausweg aus dem, was Adorno mit Marx und Lucas als Entfremdung und Verdinglichung anspricht?

Wo fängt Kunst an, wo hört sie auf? Nach Andy Warhol…naja, du weißt schon.

Zeitlich: Kunst begann mit der Höhlenmalerei, die die Jagdobjekte magisch beschwor, und endet nie.

Strukturell: Kunst versucht mit symbolischen Mitteln das Bewusstsein einer Epoche zu erweitern. Auch da gibt es keine Grenze. Fast alles ist schon da gewesen (ein Musikstück z.B., das aus vier Minuten Stille besteht), und dennoch bleibt Raum für vieles, das noch nicht mal gedacht wurde.

Gruß

Horst

Hallo Horst,

Im Prinzip hatte der Alte wohl recht - es gab ja auch noch einige, die dies in gewisser Weise fortsetzten: Joseph Boys etc.

Maria Girls übernahm ja ganz offen die Gedanken aus der
„Dialektik der Aufklärung“. Ich frage mich nur, wie Adorno
über ihn dachte. Ob er sich einen typischen Beuys ins
Wohnzimmer gestellt hätte?

Adorno sicher nicht, aber Lucas, der frühe Vertreter der Kritischen Theorie :wink:
dem traue ich das zu.

Gruss
Nescio

Adornos Pessimismus
Hi Candide.

Habe heute nur noch ein kleines Zeitfenster, morgen dann ausführlicher.

Theodor W. Adorno, vor Habermas der wichtigste Theoretiker der Frankfurter Schule, vertrat in seinen Werken eine pessimistische Haltung zur Vernunft. Der sich aber als Holzweg erwies – das dachte jedenfalls Adorno.

Nein, das kann man so undialektisch sicher nicht sagen.

Bei der Holzweg-Metapher musste ich jetzt übrigens an Heidegger denken.

Das ergab sich zufällig so, aber nicht unabsichtlich…
Die neue Vernunft hatte also nicht Befreiung gebracht (ursprünglich als ihr Ziel proklamiert), sondern Abhängigkeit fortgeschrieben.

Sie hat natürlich auch für Adorno in hohem Maß Befreiungen gebracht.

Aber nur in relativem, nicht absolutem Sinne. Aus gesagtem Zeitmangel hier nur ein Verweis auf den Wiki-Artikel „Kritische Theorie“:

Zitat:

„Am Ende entsteht demnach eine „total verwaltete Welt“, die gegenüber dem Einzelnen umfassende soziale Kontrolle ausübt und Idealismus, Nonkonformismus, Unkonventionalität oder Kreativität - als ihrem Charakter entgegenlaufend - konsequent unterdrückt.“
Lucas, ein früher Vertreter der Frankfurter Schule, sprach in diesem Zusammenhang von „Verdinglichung“.

Erstens: Lukács ist sicher nicht als (früher) Vertreter der Frankfurter Schule zu verstehen bzw. wird allgemein nicht so tituliert.

Zunächst sorry für den Blackout beim Namen. Stimmt, er gehörte nicht dazu, hatte aber großen Einfluss auf die Frankfurter. Darüber hinaus hat er Bloch, Merleau-Ponty, dann Dutschke und Habermas stark beeinflusst.

Zweitens: das von dir hier Genannte hat der frühe Marx selbst schon so gesagt.

Klar, aber der Verdinglichungsbegriff stammt von Lukacs und sollte so verdeutlicht werden.

Das wesentlich Neue bei Lukács dagegen scheint mir die Insistenz auf die Warenform zu sein bzw. sein Versuch, die kapitalistische Gesellschaftsformation als Totalität zu begreifen, deren Zentrum die Warenform ist. Solche Gesellschaftsanalyse (also insbesondere Analyse des „Überbaus“, sprich kultureller Produktion) hat Marx selbst noch durchgeführt.

Genau. Und deswegen stelle ich Marx´ Warenform-Theorem und Lukacs´ Verdinglichung gerne in den Mittelpunkt von Überlegungen zwischen Philosophie und Psychoanalyse. Ein „Geheimtip“ sind in diesem Zusammenhang die Werke von Slavoj Zizek, dem vielleicht größten dialektischen Genie unserer Tage.

Vernunft pervertiert also das Leben, indem sie die zwischenmenschlichen Beziehungen pervertiert. Sie initiiert ein falsches Identitätsdenken.

Jetzt wirds mir zu schnell. Du kommst in wenigen Worten von Verdinglichung über Vernunft zum Identitätsdenken - und ich kann mir nur noch Thesen zusammenreimen:

Mir ist klar, dass das zehn Schritte auf einmal waren. Ich hole das morgen nach.

„Vernunft pervertiert das Leben“ / „falsches Identitätsdenken ist eine Folge der Vernunft“

-> beides würde Adorno so sicher nicht sagen.

Das sehen wir ja, wenn ich das genauer ausführe.
Letzte Zuflucht aus diesem Dilemma ist für Adorno … die Kunst. Adorno zielte aber, wohlgemerkt, auf kompromisslose Kunst, die sich nicht der breiten Masse anbiedert. Selbst dem Jazz stand er skeptisch gegenüber, erst recht Produkten der Popbranche.

Adorno geht es eigentlich nicht um die „breite Masse“. Das wäre ein elitistisches Verständnis, das Adorno fernlag…

Adorno war definitiv ein Gegner des Massengeschmacks, das lässt sich belegen.

Nein, es geht ihm um die Produktionsbedingungen der Erzeugnisse der Kulturindustrie, die sie zu standardisierten, warenförmigen Dingen machen, an denen nur ihr Tauschwert interessiert.

Es geht ihm auch um die Inhalte. Kunst muss das Etablierte in Frage stellen, nicht affirmieren, das war seine Position.

Mehr morgen.

Gruß

Horst

Hallo Horst!

Das ergab sich zufällig so, aber nicht unabsichtlich…
Die neue Vernunft hatte also nicht Befreiung gebracht
(ursprünglich als ihr Ziel proklamiert), sondern Abhängigkeit
fortgeschrieben.

Ja, auch. Sicher.

Wir können die „Dialektik der Aufklärung“ (insbesondere das Kapitel über den „Begriff der Aufklärung“ und die Odysseus-Geschichte) ja gerne mal durchkauen, da bin ich schnell wieder drin.

Da könnten wir übrigens dann auch wieder trefflich über Zeitpfeile disputieren. *lach*

Das wesentlich Neue bei Lukács dagegen scheint mir die Insistenz
auf die Warenform zu sein bzw. sein Versuch, die kapitalistische
Gesellschaftsformation als Totalität zu begreifen, deren Zentrum die
Warenform ist. Solche Gesellschaftsanalyse (also insbesondere
Analyse des „Überbaus“, sprich kultureller Produktion) hat Marx
selbst noch nicht durchgeführt.

Genau.

Ich musste mich in dieser Passage oben selbst korrigieren.
Vielleicht ein Freudscher Vertipper - ach hätte er doch nur, der Karl.

Und deswegen stelle ich Marx´ Warenform-Theorem und
Lukacs´ Verdinglichung gerne in den Mittelpunkt von
Überlegungen zwischen Philosophie und Psychoanalyse.

Dagegen will ich nichts gesagt haben :wink:

Ein
„Geheimtip“ sind in diesem Zusammenhang die Werke von Slavoj
Zizek, dem vielleicht größten dialektischen Genie unserer
Tage.

So überschwänglich bin ich Zizek gegenüber nicht, aber immerhin hat er mich für Hitchcock begeistert. Wie heißt dieses Ding? McDuffin?

Sooo geheim ist er aber auch nicht, oder?

Adorno geht es eigentlich nicht um die „breite Masse“. Das wäre ein
elitistisches Verständnis, das Adorno fernlag…

Adorno war definitiv ein Gegner des Massengeschmacks, das
lässt sich belegen.

Ja, schon klar, das ist ja auch nur ein Nebengleis gewesen.

Ich bestehe dennoch darauf, dass das bei Adorno kein „massenkritischer“ Diskurs war, wie man ihn in Strömungen der Romantik oder bei den Jungkonservativen Anfang des 20. jdts. findet.
Auf mehr wollte ich damit gar nicht hinweisen als auf die Gefahr, deine Aussage an diesem Punkt fehlzuinterpretieren.

Nein, es geht ihm um die Produktionsbedingungen der Erzeugnisse der
Kulturindustrie, die sie zu standardisierten, warenförmigen Dingen ::machen, an denen nur ihr Tauschwert interessiert.

Es geht ihm auch um die Inhalte.

Natürlich, das ist die kritische Perspektive: unter kulturindustriellen Produktionsbedingungen werden die Qualitäten der Inhalte austauschbar. Es zählt die Quantität der Verkaufszahlen.

Das sieht man übrigens schön beim verblichenen Herrn King of Poppp. Da wurde mir die letzten Wochen immer wieder in allen Medien gesagt, welch großer Künstler er war. Schön, von mir aus war er das, ist mir egal. Interessant ist, dass als Begründung dann immer der Hinweis auf seine Verkaufszahlen kam. Es wird gar nicht erst versucht, die Aussage inhaltsanalytisch zu rechtfertigen, sie wird nur durch Quantität „belegt“.

Kunst muss das Etablierte in
Frage stellen, nicht affirmieren, das war seine Position.

Sehr richtig, aber was heißt das?
Kann man demzufolge bei der Inhaltsanalyse Halt machen?
Und ist die Rezeptionshaltung noch eine Frage des Ästhetischen - oder schon eine des … Ethischen, eine Frage des letztlich ethischen Selbstbezugs?

Zum Beispiel Herrn Odysseus’ selbsterhaltendes Lauschen des Sirenengesangs unter den Bedingungen von Sklavenhaltung, Bondage und Wachsspielchen.

Fraglos ist der Sirenengesang keine Affirmation des Etablierten, aber Bürger Odysseus’ kontemplative Rezeptionshaltung wohl schon. Es gibt doch auch sowieso nichts bürgerlicheres als den Sadomasochismus. Herrlich!

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Der erhabenste aller Hysteriker
Hi ihr zwei (sehr gebildeten Philosophen)

Ein
„Geheimtip“ sind in diesem Zusammenhang die Werke von Slavoj
Zizek, dem vielleicht größten dialektischen Genie unserer
Tage.

So überschwänglich bin ich Zizek gegenüber nicht, aber
immerhin hat er mich für Hitchcock begeistert.

Das ist doch mal was zum Reinbeißen! Sofort fällt mir das Küchkein „Madeleine“ von Marcel Proust ein. Proust Mahlzeit!
Übrigens: Wenn Zizek uns glauben machen will, Hegel wäre der „erhabenste aller Hysteriker“, dann will er nur vertuschen, dass er das selbst ist.
:wink:
Wozu Projektionen auch bei Intellektuellen immer so gut sind.
Es grüßt euch
Branden

Adornos Pessimismus Reloaded
Hi Candide.

Ich ergänze hier die Antwort auf deinen gestrigen Beitrag, auf deinen neueren gehe ich noch ein.

„Vernunft pervertiert das Leben“ / „falsches Identitätsdenken ist eine Folge der Vernunft“
-> beides würde Adorno so sicher nicht sagen.

Zum ersten Satz:

Diese Aussage folgt logisch aus dem, was zur Verdinglichung gesagt wurde. Ich schrieb ja: „indem sie die zwischenmenschlichen Beziehungen pervertiert“. Letzteres ergibt sich aus der Psychodynamik der Verdinglichung. Wenn Menschen zueinander in Ding- bzw. Warenbeziehungen stehen, führt das zur Entfremdung, was wiederum, allgemein gesagt, eine Pervertierung des Lebens bedeutet.

Zum zweiten Satz:

Hier muss man Hegels Dialektik betrachten, die, für Adorno, das eben jene Vernunft widerspiegelt, die die Dynamik der ökonomischen Vereinnahmung der Individuen und damit ihre Entfremdung vorantreibt.

Zum einen ist es das begriffliche Denken, das über das Besondere die Diktatur des Allgemeinen errichtet (laut Adorno). Hegel schreibt: „Indem ich einen Gegenstand denke, mache ich ihn zum Gedanken und nehme ihm das Sinnliche; ich mache ihn zu etwas, das wesentlich und unmittelbar das Meinige ist …“ (Werke Bd. 7, 47). Da das Prinzip des Denkens für Hegel auch das Prinzip des Seins ist, ist das Allgemeine also das Wahre des Gegenstandes.

Das Denken abstrahiert vom Gegenstand alles, was nicht unter das Allgemeine fällt, und erkennt an ihm nur sein Allgemeines als wahr an. Hegel bestimmt Identität als Übereinstimmung von Begriff (das Allgemeine) und Sache. Auf diese Weise produziert das Denken eine Illusion von Identität, die das Besondere an jeder Sache abscheidet. Was den Menschen aber wirklich ausmacht, ist gerade seine jeweilige Besonderheit. Wird er und werden die Dinge auf Allgemeinbegriffe reduziert, wird Wirklichkeit verfälscht und die Lüge etabliert.

Was in der Lebenspraxis verheerende Auswirkungen hat. Es reicht, auf den Identitätswahn in all seinen Variationen hinzuweisen (Rassismus, Nationalismus, Klassen- bzw. Schichtenzugehörigkeit usw.).

Des weiteren ist dieser Denkmechanismus die Wurzel des Verdinglichens. Denn der Tauschwert eines Dings (Mensch oder Sache) ist das Allgemeine, er ist das Medium, in dem das Besondere bzw. Individuelle negiert wird und nur noch die Austauschbarkeit und die Aufrechenbarkeit zählt. So wird der Mensch zur Ware, und die Ware zum Fetisch. Über allem regiert das Geld als die Konkretisierung des Allgemeinen, es ist das materialisierte Allgemeine.

Zum andern gelangt Hegel durch die Dialektik zu einem für Adorno unakzeptablen Begriff vom Ganzen als dem Wahren. Das Subjekt ist nur sich selbst, weil es sich negativ vom Andern abhebt (Spinoza: „Omnis determinatio est negatio“). In einem zweiten Schritt begreift es sich als Teil der Totalität und damit diese als die Wahrheit (Hegel: „Das Ganze ist das Wahre“). Das Subjekt wird so dem höchsten Allgemeinen, der absoluten Idee, untergeordnet.

Aus alldem folgt für Adorno, dass die humanen Ideen der Aufklärung nicht nur in ihr inhumanes Gegenteil umgeschlagen sind, sondern – als tiefere Ursache für diesen Umschlag – dass Herrschaft bis in das Denken, in die Vernunft selbst, hineinreicht. Das identifizierende Denken – die Vernunft – erzeugt aus sich heraus a priori Herrschaftsverhältnisse, und das auf allen Ebenen: von Mensch zur Natur und von Mensch zu Mensch.

Stimmt Adornos Diagnose der den Menschen nur auf ökonomische Ziele ausrichtenden und per Verwaltungsherrschaft totalitär kontrollierenden Vernunft?

gut, jetzt fang ich an :wink: … Stimmt Adornos Diagnose, dass … „die Funktionsweise der modernen Gesellschaft durch die sprichwörtliche Putzfrau erkannt werden könne“ - nämlich weil sie nur ein einfacher Ausdruck der Warenlogik ist ohne „Eigenkomplexität“?

Dass das eine normale Putzfrau realisiert, halte ich für ziemlich ausgeschlossen. Die hat genug zu tun mit dem Abkratzen von Urinstein, da kommen keine philosophischen Gedanken auf.

Dass ein zwanghaftes Konsumdenken vorherrscht – ok, das mag seit den 60ern relativ einsichtig sein, zumal es ein Allgemeinplatz geworden ist. Dass aber die zwischenmenschlichen Beziehungen der Warenlogik unterliegen und dass dem die Dynamik des Denkens quasi transzendental zugrunde liegt … das liegt denn nun doch weit außerhalb des Horizonts von Putzlappen und Scheuerbürste.

Nein, sie stimmt m.E. nicht, weil Adorno hier zu hegelianisch denkt und die Moderne als Totalität begreift, die sie nicht ist.

Ich nehme an, du meinst eigentlich: „die moderne Gesellschaft als Totalität begreift“. Warum aber sollte sie es nicht sein, in einem dialektischen Sinne? Er denkt sich ja diese Gesellschaft als aus Widersprüchen zusammengesetzt. Nun wäre aber ein Sammelsurium von Widersprüchen noch keine Totalität, wenn sie nicht in einem Punkt zentriert wäre, der alle Divergenzen als ein Gravitationszentrum zusammenhält.

Und das ist – wie du es doch schon betreff Lukacs selbst dargestellt hast – die Ware. In diesem Fetisch verdichtet sich das Ganze der widersprüchlichen Teile. Natürlich ist die Ware – als Fetisch – ein Imaginäres, was aber bekanntlich hervorragend dafür taugt, gesellschaftliche Totalitäten zu stiften (siehe Christentum, Absolutismus – der König als von Gott Erwählter -, Kommunismus/Nationalsozialismus usw.).

Die Warenform ist nicht der -hoffentlich sinngemäßes Zitat Hegels- „Geist, der sich in allen Erscheinungen seiner Zeit manifestiert“.

Das ist insofern auf jeden Fall korrekt, als der Hegelsche Geist allem zugrunde liegt, auf der Subjekt- wie der Objektseite. In der dialektischen Vermittlung von Subjekt und Objekt (beides Aspekte des Geistes) geht er seinen Weg bis zur absoluten Selbsterkenntnis.

Ist Kunst wirklich der einzige Ausweg aus dem, was Adorno mit Marx und Lukacs als Entfremdung und Verdinglichung anspricht?

Eine andere Frage wäre, ob Adorno das selbst so sieht, ob er also nur noch der Ästhetik ein Emanzipationspotential zugesprochen hat. Phasenweise hat er das bestimmt, m.E. aber nicht durchgängig.

Ja, er schien in diesem Punkt zu schwanken. Er gab zu, dass die Totalität kein absolut geschlossene ist: die „industrielle Tauschgesellschaft … enthält in sich unzählige nicht-kapitalistische Enklaven“ (Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 127).

Gruß

Horst

MacGuffin zwischen Scylla und Charybdis
Hi Candide.

Ein „Geheimtip“ sind in diesem Zusammenhang die Werke von Slavoj Zizek, dem vielleicht größten dialektischen Genie unserer Tage.

So überschwänglich bin ich Zizek gegenüber nicht, aber
immerhin hat er mich für Hitchcock begeistert. Wie heißt
dieses Ding? McDuffin?

MacGuffin. Dazu Zizek: „MacGuffin ist eindeutig objet petit a: der Mangel, das Überbleibsel des Realen, das die symbolische Bewegung der Interpretation in Gang setzt, eine Lücke im Zentrum der symbolischen Ordnung, der bloße Anschein eines zu erklärenden zu interpretierenden ‚Geheimnisses‘.“ (Liebe dein Symptom wie dich selbst, 58).

Bei Lacan entspricht das dem verlorenen Brief in der Poe-Story.

Sooo geheim ist er aber auch nicht, oder?

Für www-Verhältnisse schon, nicht zu vergessen die Anführungszeichen.

Es geht ihm auch um die Inhalte.

Natürlich, das ist die kritische Perspektive: unter
kulturindustriellen Produktionsbedingungen werden die
Qualitäten der Inhalte austauschbar. Es zählt die Quantität
der Verkaufszahlen.
Das sieht man übrigens schön beim verblichenen Herrn King
of Poppp. Da wurde mir die letzten Wochen immer wieder in
allen Medien gesagt, welch großer Künstler er war. Schön, von
mir aus war er das, ist mir egal. Interessant ist, dass als
Begründung dann immer der Hinweis auf seine Verkaufszahlen
kam. Es wird gar nicht erst versucht, die Aussage
inhaltsanalytisch zu rechtfertigen, sie wird nur durch
Quantität „belegt“.

Gewiss. Das gehört eben auch zum Mythos von Jackson, dass er unglaubliche Verkaufszahlen hinlegte. Ein Flop von ihm übertraf immer noch die besten Zahlen der Konkurrrenz. Bei der Gelegenheit würde mich mal dein Kunstgeschmack interessieren in betreff Musik und Malerei.

Fraglos ist der Sirenengesang keine Affirmation des
Etablierten, aber Bürger Odysseus’ kontemplative
Rezeptionshaltung wohl schon. Es gibt doch auch sowieso nichts
bürgerlicheres als den Sadomasochismus. Herrlich!

Über letzteres werde ich noch räsonnieren, zumal die Aussage geradezu faszinierend provokativ ist.

Gruß Horst

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Lieber Horst!

den oberen Beitrag werde ich mir morgen vornehmen, heute komme ich nicht mehr dazu.

Ein „Geheimtip“ sind in diesem Zusammenhang die Werke von Slavoj Zizek, dem vielleicht größten dialektischen Genie unserer Tage.

So überschwänglich bin ich Zizek gegenüber nicht, aber
immerhin hat er mich für Hitchcock begeistert. Wie heißt
dieses Ding? McDuffin?

MacGuffin.

Danke

Poppp

Gewiss. Das gehört eben auch zum Mythos von Jackson, dass er
unglaubliche Verkaufszahlen hinlegte. Ein Flop von ihm
übertraf immer noch die besten Zahlen der Konku rrr enz.

Schön, du hast dich meiner Schreibweise angenähert!

Bei der
Gelegenheit würde mich mal dein Kunstgeschmack interessieren
in betreff Musik und Malerei.

Huch!
Ich glaube, damit kann ich nicht dienen :wink:

Ich höre gerade in Endlosschleife Pink Floyd, Set the Controls for the Heart of the Sun und überm Schreibtisch hängt ein Kunstposter von einem frühen Dalí. Vielleicht ist das eine erste Annäherung, wenns nicht purer Zufall ist.

Fraglos ist der Sirenengesang keine Affirmation des
Etablierten, aber Bürger Odysseus’ kontemplative
Rezeptionshaltung wohl schon. Es gibt doch auch sowieso nichts
bürgerlicheres als den Sadomasochismus. Herrlich!

Über letzteres werde ich noch räsonnieren, zumal die Aussage
geradezu faszinierend provokativ ist.

Lass mich das Ergebnis deines Raisonnement wissen!

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Lieber Horst!

„Vernunft pervertiert das Leben“ / „falsches Identitätsdenken ist eine Folge der Vernunft“
-> beides würde Adorno so sicher nicht sagen.

Zum ersten Satz:

Diese Aussage folgt logisch aus dem, was zur Verdinglichung
gesagt wurde. Ich schrieb ja: „indem sie die
zwischenmenschlichen Beziehungen pervertiert“. Letzteres
ergibt sich aus der Psychodynamik der Verdinglichung. Wenn
Menschen zueinander in Ding- bzw. Warenbeziehungen stehen,
führt das zur Entfremdung, was wiederum, allgemein gesagt,
eine Pervertierung des Lebens bedeutet.

  1. Es ist für mich schwierig, hier aus dem Stand das Verhältnis der Vernunft zur Verdinglichung festzuhalten. Deckungsgleich sind sie sicherlich nicht, darum würde ich aus diesem Entfremdungsargument die Vernunft erstmal raushalten, weil das sonst sehr schwer zu denken wird.

  2. Ich würde hier v.a. den Begriff des „Lebens“ raushalten, denn das Denkmuster, das du hier vorbringst, „Vernunft pervertiert Leben“ ist bekanntlich eines der Haupttheoreme irrationalistischer/vitalistischer Strömungen in der Philosophie, gegen die sich Adorno in jeder Phase seines Werks vehement zur Wehr setzte.

Zum zweiten Satz:

Hier muss man Hegels Dialektik betrachten, die, für Adorno,
das eben jene Vernunft widerspiegelt, die die Dynamik der
ökonomischen Vereinnahmung der Individuen und damit ihre
Entfremdung vorantreibt.

Zum einen ist es das begriffliche Denken, das über das
Besondere die Diktatur des Allgemeinen errichtet (laut
Adorno). Hegel schreibt: „Indem ich einen Gegenstand denke,
mache ich ihn zum Gedanken und nehme ihm das Sinnliche; ich
mache ihn zu etwas, das wesentlich und unmittelbar das Meinige
ist …“ (Werke Bd. 7, 47).

Nur um einem Missverständnis vorzubeugen: weder Hegel noch Adorno lehnen aber natürlich das begriffliche Denken ab.
Bei Hegel wird das insofern schon klar als die Passage, die du hier zitierst (ist Bd.7 denn die Phänomenologie?), den für Hegel notwendigen Übergang von der 1. Stufe des Bewusstseins (der sinnlichen Gewissheit) zur 2. Stufe markiert, dem noch viele Stufen notwendig folgen werden …

Ansonsten kann ich mich hier anschließen.

Stimmt Adornos Diagnose, dass … „die Funktionsweise der modernen
Gesellschaft durch die sprichwörtliche Putzfrau erkannt werden
könne“ - nämlich weil sie nur ein einfacher Ausdruck der Warenlogik
ist ohne „Eigenkomplexität“?

Dass das eine normale Putzfrau realisiert, halte ich für
ziemlich ausgeschlossen. Die hat genug zu tun mit dem
Abkratzen von Urinstein, da kommen keine philosophischen
Gedanken auf.

Die „Putzfrau“ war, wie gesagt, ein Zitat Adornos; mit etwas suchen, könnte ich es auch belegen.

Und das ist eben an dieser Stelle auch Adornos Aussage zur Funktionslogik der spätkapitalistischen Gesellschaftsformation: diese ist so simpel, dass man da keine großen philosophischen Gedanken braucht. Alles ist restlos durchdrungen von jener Warenlogik, die auch die Putzfrau nicht weniger als der Arzt oder der Künstler am eigenen Leib erfährt.

Dass aber die
zwischenmenschlichen Beziehungen der Warenlogik unterliegen
und dass dem die Dynamik des Denkens quasi transzendental
zugrunde liegt … das liegt denn nun doch weit außerhalb des
Horizonts von Putzlappen und Scheuerbürste.

Naja, vielleicht versucht auch die Putzfrau sich hochzuschlafen, dann hat sie zumindest im ‚praktischen Bewusstsein‘ die obige Funktionslogik schon in Gänze verinnerlicht.

Es versteht sich von selbst, dass Adornos „Putzfrau“ eine aphoristische Zuspitzung ist.

Nein, sie stimmt m.E. nicht, weil Adorno hier zu hegelianisch denkt und die Moderne als Totalität begreift, die sie nicht ist.

Ich nehme an, du meinst eigentlich: „die moderne Gesellschaft
als Totalität begreift“.

Wo ist der Unterschied in der Begrifflichkeit?
Gibts eine Moderne außerhalb der modernen Gesellschaft?

Warum aber sollte sie es nicht sein,
in einem dialektischen Sinne? Er denkt sich ja diese
Gesellschaft als aus Widersprüchen zusammengesetzt. Nun wäre
aber ein Sammelsurium von Widersprüchen noch keine Totalität,
wenn sie nicht in einem Punkt zentriert wäre, der alle
Divergenzen als ein Gravitationszentrum zusammenhält
.

Richtig.
Das ist genau das Denkmuster „expressiver Totalität“, durch das Althusser Hegel charakterisiert - in Gegensatz zur „strukturalen Totalität“ des späten Marx.

Wenn ich also sagte, dass mir Adorno in diesem Punkt zu hegelianisch ist, dann meinte ich genau das.
(womit ich freilich nicht den Adorno einfach mit Hegel zusammenfallen lassen will)

Und das ist – wie du es doch schon betreff Lukacs selbst
dargestellt hast – die Ware. In diesem Fetisch verdichtet sich
das Ganze der widersprüchlichen Teile.

Ich behaupte halt, eben hier im Anschluss an Althusser und dessen Nachdenker, dass man die Funktionslogik der Gesellschaft nicht aus der Warenlogik ableiten kann, sondern dass sie Eigenkomplexität gegenüber der Sphäre des Ökonomischen besitzt.

Um zu fragen, wie weit Adorno das nicht selbst an vielen Orten auch so sieht, müsste man halt auf einzelne Texte eingehen, denn gerade Adornos Oeuvre ist ja alles anderen als einheitlich.

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Hi Candide

  1. Ich würde hier v.a. den Begriff des „Lebens“ raushalten,
    denn das Denkmuster, das du hier vorbringst, „Vernunft
    pervertiert Leben“ ist bekanntlich eines der Haupttheoreme
    irrationalistischer/vitalistischer Strömungen in der
    Philosophie, gegen die sich Adorno in jeder Phase seines Werks
    vehement zur Wehr setzte.

Das scheint mir nach wie vor ein ganz wesentlicher Aspekt zu sein,
lieber Candide!
Gruß,
Branden

Zizeks Trinität
Hi VB.

Zizek ist ein Riesenfan von Hegel, die Formulierung ist eher eine ironische, keinesfalls eine kritische. Für Zizek heißt die göttliche Trinität: Hegel (Vater), Marx (Sohn) und Lacan (Heiliger Geist).

Gruß Horst

Über Substanz, Negativität und gemietete Pärchen
Hi Candide.

Wenn Menschen zueinander in Ding- bzw. Warenbeziehungen stehen, führt das zur Entfremdung, was wiederum, allgemein gesagt, eine Pervertierung des Lebens bedeutet.

Es ist für mich schwierig, hier aus dem Stand das Verhältnis der Vernunft zur Verdinglichung festzuhalten.

Die Darstellung in meinem letzten Beitrag zusammengefasst lautet: Für Adorno führt der Weg von der (denkenden) Vernunft über den Begriff (das Allgemeine) zur Verdinglichung (Pseudo-Identifizierung des Nichtidentischen=Besonderen).

Ich würde hier v.a. den Begriff des „Lebens“ raushalten, denn das Denkmuster, das du hier vorbringst, „Vernunft pervertiert Leben“ ist bekanntlich eines der Haupttheoreme irrationalistischer/vitalistischer Strömungen in der Philosophie…

In den Minima Moralia gibt es Adornos Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Ich schrieb vom pervertierten Leben (natürlich beim Versuch, Adornos Position zu umschreiben, die nicht meine ist). Beide Verwendungen sind umgangssprachlich, nicht ontologisch.

Hier muss man Hegels Dialektik betrachten, die, für Adorno, eben jene Vernunft widerspiegelt, die die Dynamik der ökonomischen Vereinnahmung der Individuen und damit ihre Entfremdung vorantreibt.

Nur um einem Missverständnis vorzubeugen: weder Hegel noch Adorno lehnen aber natürlich das begriffliche Denken ab.

Natürlich n i c h t - das habe ich bei Hegel ganz klar ausgedrückt: dass für ihn das Prinzip des Denkens das Prinzip des S e i n s ist. Die Bewegung des Begriffs ist für Hegel gleichbedeutend mit dem Prozess der absoluten Selbsterkenntnis. Wie könnte er also den Begriff ablehnen?

Bei Adorno hat das Denken die kritische Funktion des In-Frage-Stellens, was ja schon aus dem Wort von der negativen Dialektik hervorgeht. Er lehnt nur Hegels Hochschätzung des Allgemeinen ab, nicht das Denken als solches.

Bei Hegel wird das insofern schon klar als die Passage, die du hier zitierst (ist Bd.7 denn die Phänomenologie?)…

„Grundlinien der Philosophie des Rechts“, Theorie Werkausgabe in 20 Bänden, Suhrkamp.

Nun wäre aber ein Sammelsurium von Widersprüchen noch keine Totalität, wenn sie nicht in einem Punkt zentriert wäre, der alle Divergenzen als ein Gravitationszentrum zusammenhält.

Das ist genau das Denkmuster „expressiver Totalität“, durch das Althusser Hegel charakterisiert - in Gegensatz zur „strukturalen Totalität“ des späten Marx.

  1. Ich sehe da aber schon einen Unterschied zwischen der „Ware = Fetisch“ als Nabe der sozialen Totalität und dem Weltgeist als (vermeintlicher) Einheit, aus der die Strukturen der Welt hervorgehen.

Schließlich wird die kapitalistische Totalität nicht von der Ware erzeugt, sondern durch die Produktionsverhältnisse (oder, dahinter stehend, durch die instrumentale Vernunft). Die „Ware“ als Fetisch ist nur ein imaginärer Faktor mit realer Wirkung. Sie ist, wie ich schrieb, ein Gravitationszentrum, nicht aber die Schwerkraft selbst (= Produktionsverhältnisse).

  1. Hier sind wir an einem Punkt, der eine wichtige Frage aufwirft:

Denkt Hegel die Einheit oder die Entzweiung als Urprinzip ? Mit den Althusserschen Begriffen: ist die Totalität des Weltgeistes expressiv oder struktural?

Angeregt durch Zizek neige ich dazu, letzteres anzunehmen. Die Hegelsche absolute Idee bedeutet nicht, dass die Totalität eine einheitliche Substanz ist, weder zu Beginn noch am Ende der Geschichte. Ich will im Folgenden eine Lanze für Hegel brechen – gegen Adornos und Derridas Missverständnis seiner Lehre.

Zunächst der ein bisschen gekürzte Schluss der „Phänomenologie“ (Das absolute Wissen):

„Indem seine (des Weltgeistes, H.Tr.) Vollendung darin besteht, das, was er ist, seine Substanz, vollkommen zu wissen, so ist dies Wissen sein In-sich-gehen, in welchem er sein Dasein verlässt und seine Gestalt der Erinnerung übergibt. In seinem In-sich-gehen ist er in der Nacht seines Selbstbewusstseins versunken, sein verschwundenes Dasein aber ist in ihr aufbewahrt, und dies aufgehobene Dasein – das vorige, aber aus dem Wissen neugeborene – ist das neue Dasein, eine neue Welt und Geistesgestalt. In ihr hat er ebenso unbefangen von vornen bei ihrer Unmittelbarkeit anzufangen und sich von ihr auf wieder großzuziehen, als ob alles Vorhergehende für ihn verloren wäre und er aus der Erfahrung der früheren Geister nichts gelernt hätte (… ) Das Geisterreich, das auf diese Weise sich in dem Dasein gebildet, macht eine Aufeinanderfolge aus, worin einer den andern ablöste und jeder das Reich der Welt von dem vorhergehenden übernahm. Ihr Ziel ist die Offenbarung der Tiefe, und diese ist der absolute Begriff, diese Offenbarung ist hiermit das Aufheben seiner Tiefe oder seine Ausdehnung, die N e g a t i v i t ä t dieses insichseienden Ich, welche seine Entäußerung oder S u b s t a n z ist, – und seine Zeit, dass diese Entäußerung sich an ihr selbst entäußert und so in ihrer Ausdehnung ebenso in ihrer Tiefe, dem Selbst ist (…) beide zusammen, die begriffene Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewissheit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre; nur –
aus dem Kelche dieses Geisterreiches
schäumt ihm seine Unendlichkeit.“

Soweit Hegel. Die Begriffe, auf die es mir gleich ankommt, habe ich hervorgehoben (Negativität, Substanz).

Adorno und Derrida (sowie andere Franzosen) unterstellen Hegel, von absoluter Identität als dem absolut Wahren zu sprechen. Daraus leiten sie ab, dass sein Denken totalitäre Strukturen legitimiert.

Zizek hält dagegen (mit seiner gewohnten Frechheit), dass Hegel im Gegenteil noch viel mehr ein Philosoph der Differenz sei als die Poststrukturalisten selbst. Die nämlich zementieren lediglich das Identische, indem sie diesem (A) ein Nicht-A (das Nichtidentische, die Differenz) entgegensetzen. So bleibt das Nicht-A im symbolischen Rahmen von A (dem Identischen). Das A bleibt unüberwunden, denn es definiert Nicht-A als sein Anderes. Das Nicht-A ist nur bestimmbar über das A, also das, was es eigentlich negieren will. Der symbolische Rahmen, der Nicht-A hervorbringt, ist immer auch der gleiche, der A hervorbringt.

Erst Hegels doppelte Negation überwindet die gemeinsame Ebene von A und Nicht-A. Diese Bewegung führt nicht nur zu einem A1, sondern kraft der Negativität zu A2, usw. usf. Es gibt kein Stillstehen, weder bei der These noch der Antithese noch der (scheinbaren) Synthese.

Denn Hegels Weltgeist ist Subjekt, Substanz und Negativität zugleich, er ist ein Prozess, der nie zum Stillstand kommt, selbst nicht im Moment der absoluten Selbsterkenntnis (siehe Zitat aus der PhdG).

Der Weltgeist ist Subjekt, aber ein gespaltenes, er ist Substanz, aber eine gespaltene – und er ist Negativität, welche der Prozess der kontinuierlichen Spaltung ist. Hegel sagt: „Die Negativität i s t seine (des Geistes) Substanz.“

Hat es je ein poststrukturalistischeres Statement gegeben? Was Derrida als differance konzipiert, ist bei Hegel schon klar vorgezeichnet. Nur dass dieser nicht bei der einfachen Differenz stehen bleibt, sondern den Prozess komplexer denkt – als steten Wechsel von Spaltung und Vereinigung, Spaltung und Vereinigung.
Wobei die Spaltung (die Negativität) aber das ontologische Prinzip ist und die Vereinigung nur ein Schein, der ständig vergeht.

Nochmal Hegel: „… der absolute Begriff, diese Offenbarung ist hiermit das Aufheben seiner Tiefe oder seine Ausdehnung, die N e g a t i v i t ä t dieses insichseienden Ich, welche seine Entäußerung oder S u b s t a n z ist …“

Hier kann man klar erkennen, dass dieses Ich des Weltgeistes substanziell keine Einheit bildet, also keine homogene Identität hat oder ist, sondern Negativität „ist“: Die Negativität ist die Substanz des Weltgeistes.

Woraus – zwingend, würde ich sagen – folgt, dass Hegels Totalität keine expressive, also auf Einheit beruhende Totalität ist. Sie ist durch und durch struktural, aus Differenzen gebildet.

Ich behaupte halt, eben hier im Anschluss an Althusser und dessen Nachdenker, dass man die Funktionslogik der Gesellschaft nicht aus der Warenlogik ableiten kann, sondern dass sie Eigenkomplexität gegenüber der Sphäre des Ökonomischen besitzt.

Meine Althusser-Kenntnisse muss ich noch auffrischen (bis nächste Woche), ich wollte erst Adorno über die Bühne bringen und natürlich „meinen“ Hegel verstärkt ins Feld führen.

Ich höre gerade in Endlosschleife Pink Floyd, Set the Controls for the Heart of the Sun und überm Schreibtisch hängt ein Kunstposter von einem frühen Dalí.

Yep, diese Floyd-Scheibe („Ummagumma“ = Slang für GSV) habe ich früher kultisch verehrt. Ihr bestes Produkt, finde ich. Und Dali ist sowieso ein Renner (er war übrigens impotent und mietete junge Pärchen, um ihnen zuzuschauen. Mit Gala lief nichts).

Es gibt doch auch sowieso nichts bürgerlicheres als den Sadomasochismus.

Nun, prinzipiell wäre dazu zu sagen, dass SM eben das dialektische Andere des Bürgertums ist. Es ist seine Antithese, sein verdrängter Schatten, der Hyde des Dr. Jekyll.

Mehr dazu, wenn wir irgendwann in diesem Theater den Marquis de Sade aufarbeiten…

Gruß Horst

PS. Wie üblich erst Montag wieder.

Hi Horst

Zizek ist ein Riesenfan von Hegel, die Formulierung ist eher
eine ironische, keinesfalls eine kritische.

KLar - cum granu salis: Selbst in der liebevollsten Ironie steckt ein Körnchen Kritik. Das gehört zum Wesen der Ironie.

Für Zizek heißt
die göttliche Trinität: Hegel (Vater), Marx (Sohn) und Lacan
(Heiliger Geist).

Was ihn (noch) angreifbarer macht. (Den Zizek) :wink:
Gruß,
Branden

Lieber Horst!

Ich würde hier v.a. den Begriff des „Lebens“ raushalten, denn das ::smiley:enkmuster, das du hier vorbringst, „Vernunft pervertiert Leben“ ::ist bekanntlich eines der Haupttheoreme ::irrationalistischer/vitalistischer Strömungen in der Philosophie…

In den Minima Moralia gibt es Adornos Satz: „Es gibt kein
richtiges Leben im falschen.“ Ich schrieb vom pervertierten
Leben (natürlich beim Versuch, Adornos Position zu
umschreiben, die nicht meine ist). Beide Verwendungen sind
umgangssprachlich, nicht ontologisch.

Ok, aber wenn man die Aussage „Die Vernunft pervertiert das Leben“ umgangssprachlich verstehen soll, dann hat sie auch keinen großen Erklärungswert mehr.

Nur um einem Missverständnis vorzubeugen: weder Hegel noch Adorno ::lehnen aber natürlich das begriffliche Denken ab.

Natürlich n i c h t

ok

Bei Hegel wird das insofern schon klar als die Passage, die du hier ::zitierst (ist Bd.7 denn die Phänomenologie?)…

„Grundlinien der Philosophie des Rechts“, Theorie Werkausgabe
in 20 Bänden, Suhrkamp.

danke

  1. Ich sehe da aber schon einen Unterschied zwischen der „Ware
    = Fetisch“ als Nabe der sozialen Totalität und dem Weltgeist
    als (vermeintlicher) Einheit, aus der die Strukturen der Welt
    hervorgehen.

Natürlich bestehen da Unterschiede, aber beide können als „Expressionszentren“ verstanden werden.

Adorno und Derrida (sowie andere Franzosen) unterstellen
Hegel, von absoluter Identität als dem absolut Wahren zu
sprechen. Daraus leiten sie ab, dass sein Denken totalitäre
Strukturen legitimiert.

Zizek hält dagegen (mit seiner gewohnten Frechheit), dass
Hegel im Gegenteil noch viel mehr ein Philosoph der Differenz
sei als die Poststrukturalisten selbst.

Gut, Zizeks Hegel-Lesart könnte man in einem eigenen Thread diskutieren und mit den vielen anderen Hegel-Lesarten, die es innerhalb und außerhalb des Poststrukturalismus gibt, kontrastieren.
Z.B. haben es Zizek und Judith Butler hier ausführlich miteinander getan:
http://www.amazon.de/Contingency-Hegemony-Universali…

Ich bin auf Zizeks Hegel-Lesart jetzt nicht weiter eingegangen, weil es ja ein Adorno-Thread ist.
Ich glaube auch nicht, dass man Althussers Unterscheidung expressiv/struktural gerade an Zizek explizieren sollte, sondern wenn schon an Althusser.

Ich behaupte halt, eben hier im Anschluss an Althusser und dessen ::Nachdenker, dass man die Funktionslogik der Gesellschaft nicht aus ::der Warenlogik ableiten kann, sondern dass sie Eigenkomplexität ::gegenüber der Sphäre des Ökonomischen besitzt.

Meine Althusser-Kenntnisse muss ich noch auffrischen (bis
nächste Woche)

Das musst du jetzt nicht unbedingt, aber falls doch: die obige Aussage lässt sich hier nachvollziehen:
http://www.b-books.de/texteprojekte/althusser/
(ab dem Kapitel „Basis und Überbau“).

Ich höre gerade in Endlosschleife Pink Floyd, Set the Controls for ::the Heart of the Sun und überm Schreibtisch hängt ein Kunstposter ::von einem frühen Dalí.

Yep, diese Floyd-Scheibe („Ummagumma“ = Slang für GSV) habe
ich früher kultisch verehrt. Ihr bestes Produkt, finde ich.

Definitiv!

Es gibt doch auch sowieso nichts bürgerlicheres als den Sadomasochismus.

Nun, prinzipiell wäre dazu zu sagen, dass SM eben das
dialektische Andere des Bürgertums ist. Es ist seine
Antithese, sein verdrängter Schatten, der Hyde des Dr. Jekyll

So philosophisch dachte ich das gar nicht :wink:
(Ich verstehe aber, was du meinst; z.B. Kant+Sade, ein Verhältnis, das ja sowohl bei Lacan als auch bei Adorno zur Sprache kam).

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Bondage oder Spanking Teil genuiner Arbeiterkultur sein könnte. Aber vielleicht gibts die ja sowieso nicht mehr.
Ne richtige SM-Szene gabs im Ostblock auch nicht - ich meine, außerhalb der Gefängnisse und Lager?

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Das automatische Subjekt in letzter Instanz
Hi Candide.

Ich sehe da aber schon einen Unterschied zwischen der „Ware := Fetisch“ als Nabe der sozialen Totalität und dem Weltgeist als (vermeintlicher) Einheit, aus der die Strukturen der Welt hervorgehen.

Natürlich bestehen da Unterschiede, aber beide können als „Expressionszentren“ verstanden werden.

Ich denke, Althusser versteht Expression sinngemäß als generieren, hervorbringen. Das macht aber nur bei Hegels Weltgeist einen Sinn, wenn dieser auch unterschiedlich interpretiert werden kann (im Hinblick auf die Seinsweise des Weltgeistes). Die Entsprechung in der kapitalistischen Totalität (aus marxistischer Sicht) wäre eher schon das „Kapital“, dem Marx die Rolle des „automatischen Subjekts“ zuspricht, das anstelle der realen Subjekte (der Menschen) die gesellschaftliche Totalität bestimmt. Die Ware/Fetisch ist davon nur eine Vorstufe, wichtig aber vor allem als imaginäres Element, das die symbolische Dynamik des automatischen Subjekts Kapital überdeckt.

Was Althusser betrifft, so gibt es für ihn durchaus ein Primat des Ökonomischen. Er sagt, dass innerhalb der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären „in letzter Instanz“ das Ökonomische das Bestimmende ist. Das leuchtet auch ein. Gerade unsere Zeit zeigt wieder, mehr noch als zu Althussers Tagen, wie sehr das Politische nur der Wasserträger des Ökonomischen ist.

Ich bin auf Zizeks Hegel-Lesart jetzt nicht weiter eingegangen, weil es ja ein Adorno-Thread ist.

Das Thema Hegel hat ohnehin soviel Eigengewicht, dass ich es die Tage in einem separaten Thread zur Diskussion stelle (dann wieder unter Einbeziehung von Adorno). Hegel kann prinzipiell auf zwei Arten ausgelegt werden, was exemplarisch durch die Links- und Rechtshegelianer nach Hegels Tod geschah: erstere sahen bei ihm den Akzent auf dem Prozesshaften (Differenz), letztere auf dem Synthetischen, Ganzheitlichen (Identität). Alle Interpretationen danach sind nur Variationen dessen. Bedeutung hat Hegels Lehre vor allem für moderne Subjekttheorien (gerade bei Lacan). Mehr dazu die Tage.

Ich hoffe auf dein zahlreiches Kommen zu der Party :smile:

Ich glaube auch nicht, dass man Althussers Unterscheidung expressiv/struktural gerade an Zizek explizieren sollte, sondern wenn schon an Althusser.

Ich tat das, weil du Althussers Charakterisierung Hegels zur Veranschaulichung der expressiven Totalität verwendet hast und weil ich bei der Gelegenheit Hegel herausstellen wollte, ohne dessen Ideen alle anderen Denker, die wir hier besprechen und besprochen haben, gar nicht so denken würden, wie sie denken. Zizek war in diesem Kontext „nur“ der Stichwortgeber.

Ich behaupte halt, eben hier im Anschluss an Althusser und dessen Nachdenker, dass man die Funktionslogik der Gesellschaft nicht aus der Warenlogik ableiten kann, sondern dass sie Eigenkomplexität gegenüber der Sphäre des Ökonomischen besitzt.

Althusser spricht von „relativer Autonomie“ der diversen Sphären, wobei, wie gesagt, das Ökonomische „in letzter Instanz“ bestimmend ist.

Ich verstehe aber, was du meinst; z.B. Kant+Sade, ein Verhältnis, das ja sowohl bei Lacan als auch bei Adorno zur
Sprache kam).

Ja, Kant und Sade, so gegensätzlich, dass der Verdacht einer dialektischen Identität sich aufdrängt :smile: Für Adorno repräsentiert de Sades Werk den verdrängten Schatten der aufklärerischen Vernunft: „Die Unmöglichkeit, aus der Vernunft ein grundsätzliches Argument gegen Mord vorzubringen, nicht vertuscht, sondern in alle Welt hinaus geschrieen zu haben, hat den Hass entzündet, mit dem gerade die Progressiven Sade und Nietzsche heute noch verfolgen. Anders als der logische Positivismus nehmen beide die Wissenschaft beim Wort.“ (DdA, 127)

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Bondage oder Spanking Teil genuiner Arbeiterkultur sein könnte. Aber vielleicht gibts die ja sowieso nicht mehr.

Nein, die Arbeiter sind samt und sonders verbürgerlicht, die Grenzen sind verwischt. Einen Unterschied macht nur noch das Bankkonto.

Ne richtige SM-Szene gabs im Ostblock auch nicht - ich meine,
außerhalb der Gefängnisse und Lager?

Der Ostblock w a r ein Gefängnis, denke ich.

Gruß

Horst

die letzte Instanz
Hallo Horst!

Ich denke, Althusser versteht Expression sinngemäß als
generieren, hervorbringen.

Er versteht unter „expressiver Totalität“ eine Vorstellung des Ganzen, in dem sich in jedem Teil ein Zentrum/Wesen ausdrückt/exprimiert. Das bekannte Muster Hegels halt, bei dem der Geist einer Zeit sich in allem restlos manifestiert, alles durchdringt.

Was Althusser betrifft, so gibt es für ihn durchaus ein Primat
des Ökonomischen.

Klar.

Hegel kann prinzipiell
auf zwei Arten ausgelegt werden, was exemplarisch durch die
Links- und Rechtshegelianer nach Hegels Tod geschah: erstere
sahen bei ihm den Akzent auf dem Prozesshaften (Differenz),
letztere auf dem Synthetischen, Ganzheitlichen (Identität).
Alle Interpretationen danach sind nur Variationen dessen.

Sehe ich auch so.

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Phallus und Struktur bei Lacan
Hi Candide.

Ich denke, Althusser versteht Expression sinngemäß als generieren, hervorbringen.

Er versteht unter „expressiver Totalität“ eine Vorstellung des Ganzen, in dem sich in jedem Teil ein Zentrum/Wesen ausdrückt/exprimiert. Das bekannte Muster Hegels halt, bei dem der Geist einer Zeit sich in allem restlos manifestiert, alles durchdringt.

Ja, so habe ich das auch verstanden. Offen bleibt die Frage, ob der Ausdruck „ausdrücken“ das rüberbringt, was bei Hegel Sache ist. Und ob er Hegel nicht verfälscht.

Denn die Manifestationen stehen nicht auf der einen Seite, und das, was sich darin „ausdrückt“, auf der anderen. So nämlich versteht man doch gängigerweise das „Ausdrücken“: da ist etwas (eine Idee oder ein Gefühl oder was auch immer), und das drückt man in einem bestimmten Medium (Material) aus.

Bei Hegel ist das aber nicht so. Es gibt n u r die Manifestationen. Daneben gibt es nichts, von dem man sagen könnte, dass es sich darin ausdrückt. Die Manifestationen s i n d der Geist, sie sind seine Gestalt.

Ich finde, das ist ein wichtiger Unterschied. Das Expressionsparadigma suggeriert, dass es einen von den Manifestationen getrennten Geist gibt, so wie Kompositionen und Komponist unterschiedliche Dinge sind. Der Unterschied, den ich betone, ist deshalb wichtig, weil er die Hegelsche Weltstruktur eben durchaus als strukturale Totalität verstehen lässt statt eine aus einem Zentrum heraus Hervorgebrachte (was Althussers „Expression“ irrtümlich nahelegt).

Es gibt bei Hegel dieses Zentrum einfach nicht. Es gibt nur die wandelhaften Strukturen des Weltganzen. Man kann auch nicht wirklich von einem „Wesen“ sprechen, da dieser Begriff Vorstellungen aufdrängt, die Hegel nicht hatte.

Darüber aber mehr im separaten Hegelposting.

Andererseits wäre noch darauf hinzuweisen, dass Althussers „strukturale Totalität“ keinesfalls ohne Zentrum auskommen kann. Es gibt keine Struktur ohne etwas, das sie zusammenhält.

Bei Lacan ist das der symbolische „Phallus“. Er hält die Ordnung der Signifikanten (Symbolische Ordnung) zusammen. Er ist der ursprüngliche Signifikant, der seltsamerweise nichts bedeutet außer dem „Mangel“. Das deswegen, weil er bedeutet, dass das Kind seinen imaginären Anspruch an die Mutter aufgeben muss. Der Phallus bedeutet also den Mangel an absoluter mütterlicher Zuwendung.

Aus diesem Mangel heraus entsteht das Begehren, das auf das objet a zielt, das die Lücke ist, den der unbewusste Phallus erzeugt hat.

Alle Signifikanten der Symbolischen Ordnung beziehen sich auf ihn (Lacans bekannter Phallozentrismus). So erst entsteht das Signifikat. Denn erst die Differentialität der Signifikanten erzeugt das Signifikat (wie du ja weißt), wohinter immer immer das Begehren steht, und hinter diesem der verdrängte Phallus.

Kurz und gut: die Struktur hat ein unbewusstes Zentrum (eben den Phallus).

Das ist die Lacansche Perspektive. Bei Marx entspricht dies dem automatischen Subjekt. Wie auch immer - eine funktionierende Struktur braucht ein Zentrum.

Daran kommt auch Althusser nicht vorbei.

Gruß

Horst