Hallo an alle,
vielleicht zäumen wir das Pferd auch vom falschen Ende her auf.
Wozu braucht ein Politiker überhaupt Wirtschaftskompetenz?
Doch eigentlich nur dazu, seine eigenen Haushalte verantwortlich zu verwalten (siehe Wolfgangs Posting). Also geht es da mehr um kaufmännisches und verwaltungstechnisches Wissen und Können.
Sobald ein Politiker damit wirbt, daß er (oder sie) in der Lage sei, die freie Wirtschaft (positiv?) zu beeinflussen, kommt mir der alte Spruch von Frank Zappa in den Sinn: Politik ist die Unterhaltungsbranche der Wirtschaft.
„Die Wirtschaft“ sind in diesem Fall doch eher „die Arbeitgeber und Finanzgeber“. Also nichts weiter, als eine spezifische Gruppe innerhalb unserer Gesellschaft.
Wieso sollte es wichtig sein, ausgerechnet zu dieser Gruppe einen besonders guten Draht zu haben? Weil diese Gruppe entscheidet, ob in Deutschland noch jemand mit abhängiger Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann? Und muß man sich als Politiker deshalb mit der freien Wirtschaft besonders gut stellen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen, um wählbar zu sein? Macht man sich mit einem solchen Verhalten nicht vielmehr zum Büttel der freien Wirtschaft? Und daß die abhängig Beschäftigten gerade deshalb einen Politiker wählen sollen, weil er NICHT ihre Interessen vertritt, sondern die ihres „Gegenspielers“, will mir nun wirklich nicht einleuchten.
Die These: „Geht es den Arbeitgebern gut, schaffen diese wiederum Bedingungen, in denen es den Arbeitnehmern gut geht, und alle sind glücklich.“ ist ja nun augenscheinlich widerlegt worden.
Die großen Konzerne zahlen so gut wie keine Steuern und müßten doch am meisten von der guten Infrastruktur (Verkehrswege, stabile Demokratie und gut ausgebildete Arbeiter) in Deutschland profitieren - trotzdem ziehen sie Arbeitsplätze ins Ausland ab. Die mittelständischen Betriebe, die sich an Abgaben dumm und dämlich zahlen, an der Bürokratie verzweifeln und von der schlechten Zahlungsmoral in Deutschland betroffen sind, bemühen sich, nach wie vor Lehrlinge auszubilden und tragen damit noch zur Infrastruktur bei, als von ihr zu profitieren.
Ich stimme Wolfgang insofern zu, als er in seinen Änderungsvorschlägen die Wünsche der verschiedenen „arbeitenden Gruppen“ innerhalb unserer Gesellschaft berücksichtigt.
Das wäre auch mein Ansatz, die Kompetenz eines Politikers zu beurteilen. Ob er in der Lage ist, die widerstreitenden Interessen in einer Gesellschaft zu erkennen (es gibt da übrigens noch die Nicht-mehr-, Noch-nicht- oder Niemals-Erwerbsarbeitenden), und Entscheidungen zu treffen, die diese Interessen lenkend -soweit nötig- ausgleichen. Daß ein Politiker die Interessen EINER Gruppe erkennt und bedenkt, macht ihn für mich noch lange nicht kompetent. Egal, wie mächtig diese Gruppe nun sein mag.
Wichtig zur Beurteilung der Kompetenz ist für mich auch noch, ob ein Politiker kommunikationsstark ist, d.h. ob er allen gesellschaftlichen Gruppen erklären will und kann, warum seine Lenkungsentscheidungen vonnöten sind und in dieser Weise getroffen werden.
Mir steht der Sinn nämlich nicht nach einem „starken Mann“, der über meinen Kopf hinweg entscheidet und keinen Rechtfertigungsdruck empfindet (siehe Kohl als ultimative Vaterfigur - „Ich weiß besser als Ihr, was für Euch gut ist.“). Vielmehr möchte ich mit meiner Wahlentscheidung einzelne Entscheidungsbefugnisse an Politiker delegieren, die (im Gegensatz zu mir) sich den ganzen Tag darüber ihre Gedanken machen und daraufhin bessere Entscheidungen treffen können als ich.
Was wir wohl alle vermissen, sind Politiker, die (heute sagt man) „visionär“ sind. Wir wünschen uns doch alle „Lenker und Entscheider“, die vorausschauend handeln, die Problemstellungen der Zukunft erkennen und im Vorfeld behandeln; Und nicht solche, die von der Realität überrascht werden und dann wie die Feuerwehr reagieren müssen. Solche Politiker sind in der derzeitigen Landschaft aber nicht zu sehen und würden von einer Gesellschaft, die „spürbare Ergebnisse“ nach 100 Tagen sehen will, auch nicht gewählt.
Oder sehe ich das falsch?