Strategische Optionen 1918

Hallo Fachleute,

mal wieder eine was-wäer-wenn-Frage. Mit dem Sieg im Osten wurden bekanntlich die Divisionen frei, die Ludendorff dann im Westen verheizte. Abgesehen davon, dass mir nicht recht einleuchtet, wo eigentlich das operative Ziel dieser letzten Offensiven war (hätte Frankreich nach der Einnahme Paris’ kapituliert?), gab es nicht noch andere strategische Optionen?

Wurden solche im Großen Generalstab überhaupt bearbeitet? Mir fällt als erstes die Italienfront ein. Auch ohne Verstärkung gelang dort ein Sieg, dem nur wenig zum strategischen Durchbruch fehlte. Wäre ein Eroberung des industriellen Norditaliens nicht ein lohnendes Ziel gewesen?

Wer weiß mehr?

Grüße,
Andreas

Hallo Fachleute,

mal wieder eine was-wäer-wenn-Frage. Mit dem Sieg im Osten
wurden bekanntlich die Divisionen frei, die Ludendorff dann im
Westen verheizte. Abgesehen davon, dass mir nicht recht
einleuchtet, wo eigentlich das operative Ziel dieser letzten
Offensiven war

Hallo

Strategisch die Eroberung von Paris und der Nachschubhäfen am Ärmelkanal, bevor die Kriegsmaschinerie der USA wesentlichen Einfluss gewinnen konnte, womit ab Sommer 1918 zu rechnen war.

http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Fr%C3%BChjahrs…

Ludendorff hatte aber kein taktisches Konzept („Wir hacken uns durch, der Rest findet sich.“)

Wurden solche im Großen Generalstab überhaupt bearbeitet? Mir
fällt als erstes die Italienfront ein. Auch ohne Verstärkung
gelang dort ein Sieg, dem nur wenig zum strategischen
Durchbruch fehlte. Wäre ein Eroberung des industriellen
Norditaliens nicht ein lohnendes Ziel gewesen?

Wohl hätte man mit einem Einsatz der im Osten frei gewordenen Truppen den Durchbruch am Isonzo zu einem militärischen Zusammenbruch Italiens werden lassen können, aber damit wäre ja der Krieg an der Westfront nicht beendet gewesen, und dort waren die entscheidenden Hauptgegner. Über die wehrwirtschaftliche Verwertbarkeit dessen, was nach einer Materialschlacht am Po von der norditalienischen Industrie übrig geblieben wäre, kann man sich vermutlich streiten.

Strategische Alternativen wären aus meiner Sicht gewesen, die Osttruppen im Westen und in den Alpen in gut ausgebauten Stellungen defensiv einzusetzen, bis der Gegner einem Ermattungsfrieden zustimmt, eine Strategie, die bis Verdun vom deutschen Oberkommando ja auch gefahren worden war. Die Franzosen, Briten und Italiener sind ja auch jahrelang weitgehend ergebnislos dagegen angerannt. Die amerikanische Bevölkerung hätte mit Sicherheit rebelliert, wenn die US-Boys so hohe Verluste wie die anderen Kriegsteilnehmer eingefahren hätten, nur weil die Franzosen an einem Siegfrieden um jeden Preis festhalten wollten. Wenn der Erste Weltkrieg irgendwas bewiesen hat, dann die damalige Überlegenheit der strategischen Defensive. Zwar weiß ich nicht, wie die effektiv 1918 aufkommende Panzer- und Bomberwaffe sich längerfristig ausgewirkt hätte, aber aus der damaligen Sicht wäre die allgemeine Defensive eine Option gewesen, noch zu retten, was zu retten war.

Gruß
smalbop

Servus,

Strategische Alternativen wären aus meiner Sicht gewesen, die
Osttruppen im Westen und in den Alpen in gut ausgebauten
Stellungen defensiv einzusetzen, bis der Gegner einem
Ermattungsfrieden zustimmt, eine Strategie, die bis Verdun vom
deutschen Oberkommando ja auch gefahren worden war.

Meiner Meinung nach eine gute Idee - 1917 stand die französische Armee ja schon einmal an einem totalen Nullpunkt, bei der große Teile der Truppen sich einfach dem Befehl ihrer Vorgesetzten verweigerten. Ich nehme an, es hätte sich zumindest etwas ähnliches ergeben, wenn sie weiterhin enorme Verluste in sinnlosen Angriffen verlieren, während auf deutscher Seite die Verluste (da ja defensiv eingesetzt) ungleich kleiner wären. Auf die Dauer ist das der Kampfkraft der Truppe und der Stabilität der Front nicht gerade zuträglich.

Wenn der Erste Weltkrieg irgendwas
bewiesen hat, dann die damalige Überlegenheit der
strategischen Defensive. […]Zwar weiß ich nicht, wie die effektiv
1918 aufkommende Panzer- und Bomberwaffe sich längerfristig
ausgewirkt hätte, aber aus der damaligen Sicht wäre die
allgemeine Defensive eine Option gewesen, noch zu retten, was
zu retten war.

Die damalige Überlegenheit der Defensive hat sich aber schon während dem WK I zu ändern begonnen. So weit ich weiß, hatten die massierten Panzerangriffe der letzten Kriegsjahre Durchbrüche (oder waren es nur beinahe-Durchbrüche durch die erste Schützengrabenlinie?) erzielt. Auch die Ludendorff-Offensive 1918 brache ja große Geländegewinne allein durch ein Umstellen der Infanterietaktik.

Obwohl ich dir bei deinem Vorschlag der defensiven Strategie zustimme, denke ich, dass da nicht viel zu machen gewesen wäre:

Die Deutschen hatten durch die englische Seeblockade eine bescheidene Versorgung mit … allem … und das überall. Im Gegenzug für ein paar verbrauchte Ost-Divisionen, die man im Westen mehr hat, kommt eine gewaltige Volkswirtschaft als Gegner ins Spiel… Also ich seh da schwarz.

Bezüglich dem Ursprungspost:

Die Besetzung der Po-Ebene wäre meiner Meinung nach auch nicht ausreichend. Das heißt ja noch nicht einmal zwangsläufig, dass Italien aus dem Krieg ausscheiden muss.

Grüße,

DaBenn

P.S.: @Smalbop: Kannst du das mit der aufkommenden Bomberwaffe mal kurz ausführen? Hatte die schon einmal Erfolge (oder vllt. Anzeichen für selbige) gezeigt?

Moin,

Strategische Alternativen wären aus meiner Sicht gewesen, die
Osttruppen im Westen und in den Alpen in gut ausgebauten
Stellungen defensiv einzusetzen, …

Meiner Meinung nach eine gute Idee - 1917 stand die
französische Armee ja schon einmal an einem totalen Nullpunkt,
bei der große Teile der Truppen sich einfach dem Befehl ihrer
Vorgesetzten verweigerten.

Besser wäre es meiner Meinung nach gewesen, nach dem Abschluss
des Friedens mit Russland einseitig den Krieg für beendet und
für gewonnen zu erklären.

Alle Deutschen Kriegsziele im Osten und Südosten waren erreicht.
Nötig wäre nur im Westen der Verzicht auf die geplante Anektion
Belgiens gewesen. Dann ein Rückzug auf inzwischen gut und in Ruhe
ausgebaute Stellungen an der Vorkriegsgrenze. Benelux hätte man
unter ‚internationater Kontrolle‘ ihre Souveränität zurückgeben
können und ihnen auch Reparationen anbieten können.

Ich denke nicht, das Frankreich und England dann in Benelux
einmarschiert wären und ihrerseits ihre Bevölkerung zu einem
Angriffskrieg hätten motivieren können.

Ich nehme an, es hätte sich zumindest etwas ähnliches ergeben,
wenn sie weiterhin enorme Verluste in sinnlosen Angriffen ver-
lieren, während auf deutscher Seite die Verluste (da ja defensiv
eingesetzt) ungleich kleiner wären. Auf die Dauer ist das der
Kampfkraft der Truppe und der Stabilität der Front nicht gerade
zuträglich.

Vorallem wären die deutschen Truppen durch die Rohstoffe und Lebens-
mittel aus Süd-Ost-Europa in ihrer Kampfkraft deutlich zu steigern
gewesen. DAS Hauptproblem der kaiserlichen Wehrmacht war im Winter
1917/18 Unterernährung geworden während Frankreich aus den USA
bestens versorgt wurde.

Die damalige Überlegenheit der Defensive hat sich aber schon
während dem WK I zu ändern begonnen. So weit ich weiß, hatten
die massierten Panzerangriffe der letzten Kriegsjahre
Durchbrüche (oder waren es nur beinahe-Durchbrüche durch die
erste Schützengrabenlinie?) erzielt.

Der erste wirklich massierte Panzerangriff fand am 20. November
1917 mit 375 ‚Tanks‘ statt. Bis dahin hatten die deutschen
Truppen schon gelernt ihre Schützengräbensysteme unüberwindlich
zu machen.

Die Überlegenheit der Defensive wurde damals massiv gefördert
durch die Angriffsvorbereitug mittels tage- und wochenlangem
‚Trommelfeuer‘. Dieses überstanden die Verteidiger in bis zu
15 Meter tiefen Stellungssystemen und man hatte Zeit Verstär-
kungen hinter der Front bereitzustellen.

Auch die Ludendorff-Offensive 1918 brache ja große Gelände-
gewinne allein durch ein Umstellen der Infanterietaktik.

Die ‚Sturmtruppentaktik‘ beruhte auch auf der Überraschung
eines Angriffs ohne Tromelfeuer vorher und dem Durchschlagen
der feindlichen Stellung um die Schützengräben dann von der
Seite und von Hinten her aufzurollen.

Die gelang bei den Frühjahresoffensiven sehr gut - insbesondere
an Abschnitten, wo der Gegner seine Reserven dicht hinter der
Front, also in Reichweite der Sturmtruppen hielt. Leider hat
das deutsche Oberkommando keine Divisionen aus der Front
zwischen der Schweiz und dem Raum Strassburg nachgeführt und
die zu geringen vorhandenen Reserven dazu benutzt die Abschnitte
zu verstärken, in denen eigene die Führung unfähig war oder
doch nach der veralteten Taktik vorging. Hätte man sie stattdessen
den erfolgreichen Verbänden zugeführt, wäre Paris vielleicht zu
erobern gewesen.

Die Deutschen hatten durch die englische Seeblockade eine
bescheidene Versorgung mit … allem … und das überall. Im
Gegenzug für ein paar verbrauchte Ost-Divisionen, die man im
Westen mehr hat, kommt eine gewaltige Volkswirtschaft als
Gegner ins Spiel… Also ich seh da schwarz.

Wichtiger wären die Rohstoffe (Eisen, Stahl, Kohle, Öl), die
Lebensmittel und auch die Rekrutierungsreserven aus der
Ukraine und den Staaten Süd-Ost-Europas gewesen. Dazu die
Landbrücke zur Türkei … ich sehe da schon Chancen.

Nebenbei wurden ja auch viele Östereichische Kräfte im Osten
frei und die allein hätten in Italien weitere Divisionen aus
Frankreich, UK und USA gebunden oder gleich Italien aus dem
Krieg geworfen.

Viele Grüße

Jake

1 Like

Hallo

Vorallem wären die deutschen Truppen durch die Rohstoffe und
Lebens-
mittel aus Süd-Ost-Europa in ihrer Kampfkraft deutlich zu
steigern
gewesen. DAS Hauptproblem der kaiserlichen Wehrmacht war im
Winter
1917/18 Unterernährung geworden während Frankreich aus den USA
bestens versorgt wurde.

Es wurde ja in der Tat zur endgültigen Lösung der deutschen Versorgungskrise 1918 versucht, die wirkliche Entmachtung und Unterwerfung des europäischen Russlands nach dem Frieden von Brest-Litowsk durch einen erneuten Einmarsch nachzuholen. Diese Truppen fehlten bei der Frühjahrsoffensive 1918 im Westen. Die deutschen Truppen standen im Sommer 1918 fast so weit in Russland wie 1941/42. (Das Unternehmen Barbarossa wurde auch nur deshalb versucht - und war bei der deutschen Bevölkerung populär - weil man aus genau dieser Erfahrung des 1. WK deutscherseits zu wissen glaubte, dass Russland Deutschland nicht gewachsen sein würde und dass man Russland schon einmal allein mit dem Ostheer besiegt hatte.)

Auch die Ludendorff-Offensive 1918 brache ja große Gelände-
gewinne allein durch ein Umstellen der Infanterietaktik.

Die ‚Sturmtruppentaktik‘ beruhte auch auf der Überraschung
eines Angriffs ohne Tromelfeuer vorher und dem Durchschlagen
der feindlichen Stellung um die Schützengräben dann von der
Seite und von Hinten her aufzurollen.

Die gelang bei den Frühjahresoffensiven sehr gut -
insbesondere
an Abschnitten, wo der Gegner seine Reserven dicht hinter der
Front, also in Reichweite der Sturmtruppen hielt.

Das hat auch mit der von Oberst Bruchmüller entwickelten Artillerietaktik zu tun, mit dem die gegnerischen frontnahen Reserven in Minutenschnelle vernichtet wurden.

http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,296128-2…

Die Deutschen hatten durch die englische Seeblockade eine
bescheidene Versorgung mit … allem … und das überall. Im
Gegenzug für ein paar verbrauchte Ost-Divisionen, die man im
Westen mehr hat, kommt eine gewaltige Volkswirtschaft als
Gegner ins Spiel… Also ich seh da schwarz.

Wichtiger wären die Rohstoffe (Eisen, Stahl, Kohle, Öl), die
Lebensmittel und auch die Rekrutierungsreserven aus der
Ukraine und den Staaten Süd-Ost-Europas gewesen. Dazu die
Landbrücke zur Türkei … ich sehe da schon Chancen.

Ich auch…bzw. ich hätte welche gesehen.
Gruß
smalbop