Strukturelles oder zeitliches Nacheinander

Meine Frage ist eigentlich, ob es irgendwo von Irgendwem als Irgendwas eine Theorie zu diesem Thema gibt.

Wenn z.B. jemand in einem Vortrag ein Thema als Punkt 1, Punkt 2 und Punkt 3 abhandelt, erlebe ich die Ausführung als zeitliches Nacheinander, wenn ich z.B. etwas über die Höhe auf die Hypotenuse eines Dreiecks aussagen will. So auch, wenn ich dies aufzeichne und ausrechne.
Im fertig dargestellten Dreieck mit der eingezeichneten (oder auch gedachten) Höhe erkenne ich Dreieck und Hypotenuse als ein nur strukturelles Nacheinander (wofür es offenbar im Deutchen kein besonderes Wort gibt und nur den Begriff). Ersteres ist die Voraussetzung für eine Höhe.

ganz herzlich
Friedhelm

Diachronische und synchronische Strukturen
Hi.

Ich weiß nicht, ob ich deine Frage ganz präzise verstanden habe. Vielleicht ist sie auch unpräzise gestellt. Man sollte bei Strukturen, denke ich, unterscheiden zwischen dem diachronischen und dem synchronischen Aspekt. Diese Unterscheidung kommt vom Sprachwissenschaftler Saussure, dem Begründer des Strukturalismus. Diachronische Strukturen (DS) sind zeitlich (nacheinander), synchronische (SS) räumlich (gleichzeitig). DS haben mit Kausalität, Dynamik und Logik zu tun, SS mit Kohärenz und Relation.

Man kann eigentlich alles unter beiden Aspekten betrachten. Ein ideales Beispiel ist die Musik. Jemand sagte mal, Architektur sei „gefrorene Musik“. Man könnte die Metapher auch umkehren: Musik ist aufgelöste Architektur. Musik ist Struktur in der Zeit, Architektur ist Struktur im Raum.

(Natürlich hat Musik auch synchronische Aspekte - z.B. bei einem Akkord oder beim Zusammenklang mehrerer Instrumente. Diachronisch aber sind Melodie, Rhythmus und Harmoniefolgen.)

Zu deinem Beispiel aus der Geometrie:

Dreiecke sind einerseits „platonische“ Gebilde, also synchronisch. Zeichnet man sie aber, entstehen sie natürlich in der Zeit (diachronisch). Das sind zwei Ebenen, die kein „oder“ zulassen, sondern nur ein „und“.

Insofern müsste die Antwort auf deine Frage in diesem Punkt lauten: sowohl als auch.

Gruß Horst

Hallo Horst,
erst mal Danke für den Hinweis auf Strukturalismus und Saussure und wunderbar auch der Hinweis auf den ästhetischen Aspekt in Musik und Architektur. Von dort her (also von der Sprache, Musik und Architektur her), sind allerdings die Gegenbegriffe „diacron“ und „synchron“ vorbelastet und führen bei meinem Dreiecksbeispiel leicht zu einem möglichen Mißverständnis.

Ich will deswegen mein Beispiel aus der Mathematik bzw. Geometrie über ein (vielleicht fragwürdiges) Gedankenspiel erweitern und verdeutlichen:
Alles Geschehen in der Zukunft bis zur Gegenwart, bzw. von der Gegenwart aus in die Zukunft hinein sei mehr oder weniger diachron und geschieht nach den bekannten und noch unbekannten Naturgesetzen, (die nur jener Laplace’sche Dämon kennt).
Sobald das Weltgeschehen aber durch das Nadelöhr der Gegenwart hindurch ist, erstarrt es (also theoretisch) als unveränderbar in der Vergangenheit.
Nur die Naturgesetze, also alle logischen Verhältnisse der Mathematik und Geometrie sind und bleiben auf beiden Seiten gleich, und sind auch eben in ihrem rein strukturellen Nacheinander die Gleichen. Synchron wäre also mißverständlich, weil dies eben nichts mit einem zeitlichen Nacheinander oder zeitlichem Zugleich zu tun hat.

ganz herzlich
Friedhelm

(Natürlich hat Musik auch synchronische Aspekte - z.B. bei
einem Akkord oder beim Zusammenklang mehrerer Instrumente.
Diachronisch aber sind Melodie, Rhythmus und Harmoniefolgen.)

Ja und nein. Melodien (im Tonleiterzusammenhang) setzen - innerhalb der von dir entworfenen Konstruktion - einen synchronischen Vorrat voraus. Der berühmte „Tristanakkord“ könnte sonst - nach nur drei einstimmigen Tönen - gar nicht wirken. Diese drei Töne konstituieren den ganzen (siebentönigen) Vorrat; der nachfolgende Akkord kann die Hörerwartung nur irritieren, weil sich zuvor bereits ein synchronisches Konstrukt etabliert hat, gegen das er sich wendet.

Oder wäre ein Akkord die Rationalisierung einer Melodie, eine Melodie die Disposition eines Akkordes? Ich finde in der Musik eigentlich nur Beispiele, die dagegen sprechen.

Hi.

In dem Sinne, in dem Musik aufgelöste Architektur ist, gibt es hier natürlich nie ein lupenreines Nacheinander, das ist klar. Ein Ton B bezieht seinen Sinn aus dem vorangehenden Ton A, auch wenn dieser verklungen ist - im Gedächtnis des Hörers schwingt A noch mit, wenn nur B hörbar ist. Das ist auch der Grundgedanke bei Saussures Strukturalismus: ein Zeichen macht nur im Kontext anderer Zeichen Sinn.

Ich verstehe allerdings zu wenig von Musiktheorie, um mit einem veritablen Komponisten auf dessen Ohrenhöhe mitreden zu können…

Gruß

Hi Friedhelm.

Also, ich sitze immer noch auf der Leitung. Du sagst einerseits (hypothetisch):

Alles Geschehen in der Zukunft bis zur Gegenwart, bzw. von der
Gegenwart aus in die Zukunft hinein sei mehr oder weniger
diachron und geschieht nach den bekannten und noch unbekannten
Naturgesetzen, (die nur jener Laplace’sche Dämon kennt).

Das würde bedeuten, dass das in der Zukunft „Geschehene“ noch nicht die Gegenwart erreicht hat, als Geschehendes aber Faktum ist (das irgendwie auf uns zukommt).

Dann sagst du:

Sobald das Weltgeschehen aber durch das Nadelöhr der Gegenwart
hindurch ist, erstarrt es (also theoretisch) als unveränderbar
in der Vergangenheit.

Nach dieser Theorie wäre die Zukunft das lebendige Geschehen, die Gegenwart eine Art Kamera und die Vergangenheit die Aufzeichnung jenes Geschehens. Von der Logik her habe ich damit Probleme, denn „Geschehen“ ist nun einmal ein Charakteristikum der Gegenwart und nicht der Zukunft (die nur „möglich“ oder „unmöglich“ oder „wahrscheinlich“ usw. ist).

Ich denke, dass die Begriffe Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit keineswegs auf einer gemeinsamen Ebene angewendet werden können (im Sinne von Linearität). Ich denke, real ist nur die Gegenwart, während Zukunft ein fiktiver Begriff ist, der mit mentalen Vorstellungen (Erwartungen) verknüpft ist, die selbst nur ein Teil der Gegenwart sind. Ebenso besteht die Vergangenheit nur aus Erinnerungen, die selbst nur Teil der Gegenwart sind. Ich denke, es gibt nur die eine Gegenwart, und die ist psychologischer Natur - sie soll, wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge, etwa 3 Sekunden dauern. Vgl. z.B.

http://www.dw-world.de/dw/article/0,1753097,00.html

Zitat:

„In der Tat wissen die Hirnforscher längst, dass unser Gehirn mit Hilfe des Gedächtnisses eine Abfolge von Ereignissen konstruiert. Die Gegenwart kann für uns Menschen bis zu drei Sekunden dauern. In diesem Zeitraum können wir Ereignisse unmittelbar zusammen bringen, wie etwa die Folge von Tönen in einer Melodie. Erhält das Hirn nach drei Sekunden keine neuen Reize, so stellt es sich quasi die Frage: „Was gibt es eigentlich Neues?“ - und konstruiert einen neuen Moment der Gegenwart.“

Zitat ENDE

Ich kann hier wieder nur auf Kant verweisen, der das Zeitempfinden als (inter-) subjektives mentales Konstrukt der Gattung Mensch betrachtete (Zeit und Raum als „Anschauungsformen“). Zeit ist ein Empfindungsphänomen, kein Wahrnehmungsfakt.

Gruß Horst

Hallo Horst
Erstmal Danke für den schönen Link

http://www.dw-world.de/dw/article/0,1753097,00.html

Ich komme darauf zurück. Intuitiv lagst Du aber richtig.

Mein Beispiel von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit sollte – wie das geometrische Beispiel vom Dreieck und seiner Höhe - ganz in der Alltagssprache ein rein strukturelles Nacheinander verdeutlichen, was dann eben nichts mit einem zeitlichen Nacheinander oder Zugleich zu tun hat. Z.B. Wenn ich vorher die Aufschlagskraft einer Kugel berechne, wie sie fliegen wird, wenn sie in einem hohen Bogen geworfen wird, dann kämen in einem zeitlichen Nacheinander die Abstoßkraft, der Wurfwinkel, die Erdanziehung, der Luftwiderstand und am Ende die Beschleunigung des Herunterfallens zusammen, was ja alles nach zeitlich vorher bereits bestehenden Gesetzen in einem zeitlichen Nacheinander abläuft.
Als Ergebnis z.B. einer Waage, die die Aufschlagskraft der Kugel dann gemessen und aufgezeichnet hat, woran ich also meine Berechnung anschließend prüfen könnte, sind alle Gesetze gleichzeitig – eben als Wirkung. Naja
Sicher ein schlechteres Beispiel als das mit der Höhe auf die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks. Also asymmetrisch: ohne Dreieck keine Höhe.
Offensichtlich ist dieser Aspekt auch im Strukturalismus noch kein Thema.
Aber Du weißt, ich habe zu diesem Zeitproblem hier schon öfters genervt, - ich halte mich dabei an das Zeitmodell von Gerold Prauss, das er übrigens in seinem letzten Band 2/2, (Die Welt und wir, Seite 887) neu formuliert hat: Allerdings setzt auch er für eine menschliche Erkenntnis ein Hirn voraus, wie in dem schönen Aufsatz von Jan Lublinski.
http://freenet-homepage.de/Praussdiskussion/Zeitmode…

und genau dort fand ich übrigens auch die Formulierung, daß der Raum zur Zeit in einem strukturellen Nacheinander steht; eben nicht in einem zeitlichen.
Ganz herzlich
Friedhelm

Hi Friedhelm.

Z.B. Wenn ich vorher
die Aufschlagskraft einer Kugel berechne, wie sie fliegen
wird, wenn sie in einem hohen Bogen geworfen wird, dann kämen
in einem zeitlichen Nacheinander die Abstoßkraft, der
Wurfwinkel, die Erdanziehung, der Luftwiderstand und am Ende
die Beschleunigung des Herunterfallens zusammen, was ja alles
nach zeitlich vorher bereits bestehenden Gesetzen in einem
zeitlichen Nacheinander abläuft.

Ich seh das aber eher so, dass die genannten Faktoren von Beginn an simultan wirksam sind. Die Gravitation entsteht nicht nach dem Abstoß, sondern ist sofort wirksam usw.

Den Begriff des strukturellen Nacheinander könntest du vielleicht noch einmal verständlicher erläutern.

Gruß Horst

Hallo Horst,
Danke für Deine Geduld!

das Beispiel mit der Kugel war zu komplex, - wenn man dies ganz genau nimmt, zwar brauchbar, aber würde über die Infinitesimalrechnung :wink: zu weit führen und mich auch überfordern. Natürlich wäre die Erdanziehung an jedem Punkt eine andere und in der Summe beim Aufschlag ein rein strukturelles Nacheinander.

Das Beispiel mit dem rechtwinkligen Dreieck war schon ganz gut, jedenfalls besser, als da die Höhe auf die Hypotenuse dem Dreieck strukturell nachgesetzt ist.

Man könnte sich auch einfach die Ordner und Unterordner in einem Komputer als einander strukturell nacheinander sortiert vorstellen.

Ist aber offenbar kein Thema in de Philosophie.

Aber Danke!

ganz herzlich
Friedhelm