Grüß Dich.
Ich selber bin vor einigen Jahren von Baden-Württemberg nach
Thüringen gegangen, um dort an der TU Ilmenau zu studieren.
Die Folge: Top Ausbildung, keine überfüllten Hörsäle, Arbeiten
mit den modernsten Techniken und private Abende mit Dozenten
und Professoren. Dennoch werde ich in meinem Freundes- und
Bekanntenkreis immer noch angeschaut, wenn ich erzähle, dass
Ilmenau in Ostdeutschland liegt.
Wie passt das alles zusammen? Ich verstehe es nicht!
Ehrlich, wundert Dich das?
Die meisten westdeutschen Mitbürger haben bis jetzt noch nicht mitbekommen, daß z.B. alle Ostdeutschen seit der Wiedervereinigung auch den Solidaritätszuschlag zahlen.
20 Jahre nach der Wende!
Für deutsch-deutsche Geschichte interessiert sich in den alten Ländern keiner.
Den Kalten Krieg „gewonnen“ - und Ende.
Sich benommen wie Graf Koks, und alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden konnte im Angliederungsprozeß der DDR.
Antidemokratisch unter dem Gewand der repräsentativen Demokratie über die Köpfe von 17 Millionen Menschen hinweg entschieden.
Das Außerkrafttreten des Grundgesetzes, was die 60 Millionen Mitbürger im Westen gleich mit auf den Plan gebracht hätte, umging die inzwischen als durch und durch verbrecherisch entlarvte Regierung Kohl mittels politischer Winkelzüge.
Höchstens das Geplärre um die Aufbauhilfen Ost kocht periodisch hoch und ergeht völlig unkritisch auf Stammtischgehabe, daß man in den neuen Ländern unweigerlich und zurecht den Eindruck bekommt, daß die politische Indoktrination nicht in der DDR sondern vielmehr in der BRD geklappt hat.
Ob daß das Einheitsschulsystem war (ist), die Polikliniken, das Rentensystem, der normale DDR-Alltag abseits von Mauer und Stasi u.v.m… Die pure Ignoranz. Vielfach gepaart mit famoser Unbildung. Blankes Desinteresse an deutsch-deutscher Geschichte; die Allgemeinbildung hört an der Haustürschwelle auf…
Ernsthaft, wer kennt bitte schön Ilmenau nicht?
Die 1894 gegründete technische Hochschule in Ilmenau, das Technikum, ist so dermaßen weltberühmt – schon vor über 100 Jahren kamen Menschen bis aus Japan zum Studium.
Goethe war Ilmenau eng verbunden.
Ilmenau, Dresden und mehrere andere ostdeutsche Hochschulen, gerade die naturwissenschaftlich-technischen, genießen international und traditionell hohes Ansehen. Und zwar schon ewig.
Sachsen und Thüringen bestritten vor über 130 Jahren 70% der Industrieleistung und des maschinellen Fortschritts des Deutschen Reiches als in Bayern noch auf dem Bärenfell geschlafen wurde. Die herausragende Stellung des gegenwärtigen Ostdeutschlands endete *nach* dem 2. Weltkrieg, hauptsächlich wegen der enormen Reparationen und Demontagen, die die Sowjetunion der DDR abverlangte.
Beispielsweise sind bis zum heutigen Tag in Sachsen noch nicht alle ehemals demontierten Eisenbahngleise wieder auf zweispurige Strecken ausgebaut - so haben die Sowjets im kulturellen und industriellen Herz Deutschlands geplündert.
Und dann der Anschluß der neuen Länder 1990. Anstatt langfristig die Region wirtschaftlich aufzubauen, stülpte der Westen dem sozialistisch verwalteten Osten stur 1:1 sämtliche Bürokratie über, Gesundheitssystem, Bildungssystem, Verwaltungssystem, Grundgesetz, Sozialversichungssystem, deindustrialisierte bis 1994 im Eilzugtempo die Region auf 20% des Niveaus von 1988, erdrosselte den aufkeimenden Mittelstand, ließ auch keinen neuen zu(*) –
und dergleiche Westen wundert sich dieser Tage proletenhaft, warum Ostdeutschland hinter Polen zurückgefallen ist.
Oder wo das Geld hinverschwunden ist.
Wie dumm kann ein Volk denn sein?
Oder ist gerade dieses Verhalten - abseits der überragend gescheiterten Spitzenmanager und Banker - nicht der beste Beweis gegen das gegliederte Schulsystem?
Ignoranz, Uneinsichtigkeit, Überheblichkeit, Schuld auf andere schieben, Geschichtsverdrängung, Desinteresse, Bildungslücken von hier bis Jerusalem
Und dann das beste: Die vielen Arbeitslosen im Osten sind nur zu faul zum Arbeiten und die Arbeitslosenquoten von 20, 25, 27 Prozent sind gar nicht wahr.
Die Reaktion Deines Freundeskreises paßt doch perfekt in das Bild, wie die Deutschen innerdeutsch miteinander umgehen.
Viele Grüße
(*) Der Mittelstand trägt erfahrungsgemäß zu allergrößten Teilen die Volkswirtschaft.