Suizid bei Klienten bzw. Patienten, Konsequenz für Therapeuten

Hallo,

Ich habe mal eine Frage, welche mich interessiert.

Was passiert wenn sich ein Klient das Leben nimmt also suizid begeht, mit dem Psychotherapeuten?

Wird das irgendwie geprüft, was da in der Therapie los war? Oder nicht?

Bitte NUR ausschließlich Antworten von Menschen, die es wissen, am besten mit quellenangabe der Information oder ähnliches. Keine Spekulationen. :wink:

Vielen Dank schonmal

Saturn

1 Like

Ich bin Psychotherapeut in Österreich. Die rechtlichen Feinheiten mögen in Deutschland etwas anders sein, aber grob dürfte meine Antwort hinkommen.

Wenn wir einen Verdacht auf eine bevorstehende Suizidhandlung haben, dann müssen wir das a) unbedingt in der Dokumentation vermerken und b) gegebenenfalls eine geeignete Stelle einschalten, z.B. den Amtsarzt (auch das muss dokumentiert werden).

Der Rest ist das Rechtliche: man kann Strafanzeige gegen den Psychotherapeuten erstatten, man kann eine Zivilklage gegen ihn in die Wege leiten (also etwa Schadensersatz fordern). Bei beiden Schritten (wobei ich mir rechtlich da nicht ganz sicher bin; die Verschwiegenheit ist bei der Psychotherapie ziemlich stark geschützt und deshalb kompliziert geregelt, so dass es immer auch auf den konkreten Fall ankommt, um den es geht) dürfte der Psychotherapeut die Dokumentation herausrücken müssen (diesen „offiziellen“, relativen kleinen Teil seiner Dokumentation; seine sonstigen Aufzeichnungen muss er mit Sicherheit nicht herausrücken, wenn er das nicht will). Aus der kann dann evtl. erschlossen werden, ob dem Therapeuten ein Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann, d.h. ob er von der konkreten Suizidalität des Klienten vor dem Suizid gewusst haben kann oder -objektiv gesehen- wissen hätte müssen kraft seines beruflichen Wissens oder natürlich auch, ob schwerwiegende Behandlungsfehler inklusive Versäumnisse begangen wurden.

Als Grundsatz: Wenn der Therapeut von einer bevorstehenden Suizidhandlung wusste oder kraft seines Wissensstandes wissen hätte müssen, dann muss er rechtlich etwas dagegen unternommen haben. Hat er das nicht, hat das auf jeden Fall Konsequenzen für ihn.
Die Frage ist halt, ob er gewusst hat oder wissen hätte müssen. Dass er von einer grundsätzlichen Suizidalität des Klienten gewusst hat, reicht natürlich nicht, weil ja viele Klienten suizidal sind. Also ein Hinweis in der Dokumentation auf das Vorliegen von Suizidalität allein ist sicher nicht ausreichend, um dem Therapeuten ein Fehlverhalten vorwerfen zu können.

Generell kann man natürlich auch erstmal das direkte Gespräch mit dem Therapeuten suchen oder auch indirekt über dessen Berufsvertretung bzw. die entsprechenden Beschwerde- und Ombudsstellen.

Gruß
F.

Okay, vielen Dank für die ausführliche Antwort.

Dann ist das doch eigentlich alles ziemlich schwammig oder nicht? Der Therapeut kann ja auch die Aufzeichnungen „fälschen“. Oder eben verändern usw. usw…

Kriminalistisch kann man das wohl schon feststellen, wenn nachträglich die Dokumentation verändert wurde (Trockungszustand der Kugelschreiber-Farbe oder was weiß ich). Entsprechend lautet die Vorgabe, dass immer zeitnah dokumentiert werden muss, so dass eingrenzbar ist, zu welchem Zeitpunkt welchen Angaben festgehalten worden sein müssen und nicht der Therapeut die Dokumentation immer erst ad hoc anlegt, wenn einer sie einsehen will.

Gruß
F.

Sehr interessant. Es gibt auch Therapeuten, welche ihre Aufzeichnungen erst nach der Stunde anfertigen. Da ist das ja nochmal anders… Aber das führt hier zu weit.

Danke, meine Frage wurde beantwortet. :slight_smile:

Lg

Das Problem ist nur, dass die Antwort von FBH an einer Stelle ziemlich falsch ist. Als Psychotherapeut müsste er es eigentlich besser wissen. Es ist erschreckend, wenn dem nicht so ist.

Es gibt praktisch keine Einschränkungen mehr, was die Dokumentation betrifft. Früher gab es das mal, dass bei der Dokumentation so genannte subjektive Teile vor dem Patienten und im Fall des Suizids vor den Angehörigen verheimlicht werden konnten. Das ist besonders von Psychoanalytikern lange Zeit verteidigt worden. Damit wurde das Interesse und Wohl des Patienten sehr niedrig eingestuft. Pauschal gab es das Argument, dass dies angeblich aber auch zu seinem Wohl passieren würde. Psychotherapeuten konnten so in einer geschützten Blackbox arbeiten, in der praktisch keine Kontrolle von außen möglich war. Das hat sich inzwischen zum Glück geändert.

In Deutschland gibt es praktisch keine subjektive Dokumentation mehr, der Psychotherapeut hat Einsicht zu gewähren und zwar vollständig. In Österreich ist es nicht wesentlich anders.

http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/patientenrec-2.html
https://www.psychotherapie.at/psychotherapeutinnen/rechtsinformationen/psychotherapiegesetz/psychotherapiegesetz-16a-16b

„dürfte der Psychotherapeut die Dokumentation herausrücken müssen (diesen „offiziellen“, relativen kleinen Teil seiner Dokumentation; seine sonstigen Aufzeichnungen muss er mit Sicherheit nicht herausrücken, wenn er das nicht will).“ Stimmt also ganz sicher nicht.

1 Like

Du verbreitest hier Falschinformationen.

Höchstpersönliche Aufzeichnungen, wie etwa Hypothesen, Interpretationen, Beobachtungen, durchgeführte und geplante Vorgangsweisen, die die behandelnde Person auf Basis ihrer methodischen Ausbildung formuliert, subjektive Reflexionen etc. sind getrennt geführte Bestandteile einer Dokumentation sein, die weder verpflichtend sind noch einer Einsicht durch PatientInnen oder sonstige Dritte unterliegen (vergleichbar einem Tagebuch).
http://intern.sfu.ac.at/english_program/SS2015/Reven/SFU_Psychotherapiewissenschaft%20SS%2012%20Unterlagen.pdf

Das ist aktueller Stand und Michael Kierein ist nicht irgendein Prof., sondern der für die berufsrechtliche Ausbildung alleinzuständige Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums.

Wie gesagt: Möglich, dass die Situation in D so dermaßen anders ist (glaube ich zwar eher nicht), aber in Ö ist sie definitiv so, wie ich sie dargestellt habe.

Gruß
F.

Das ist der Normalfall.
Ich beispielsweise schreibe in der Stunde selten irgendetwas mit.
Wenn dann nur anfangs, wenn ich merke, dass es Klienten verunsichert, dass ich nicht schreibe.

Falls es (dich oder Mitleser) interessiert, was in die einsehbare Dokumentation maximal kommen soll … das ist mein eigenes Dokumentationsraster, das so gestaltet ist, dass es die (österreichischen) gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Da ist letztlich in der Tat nicht viel rauszulesen (durch copy&paste etwas unübersichtlich hier).

Gruß
F.


Grunddaten

Vorname ……

Name ……

Adresse ……

Telefon ……

E-Mail ……

Geburtsdatum ……

SVNR ……

Krankenversicherungsträger ……

Beruf/Arbeitgeber: …………

Gesetzliche/r VertreterIn ……

Adresse ……

Telefon ……

E-Mail ……

Behandlungsvertrag und erfolgte Aufklärungsschritte

Beginn der Behandlung:

Ende der Behandlung:

Vereinbartes Honorar:

Bezahlmodus:

Behandlungssetting:

Behandlungsfrequenz:

Behandlungsmethode:

Aufklärung über die Tonbandaufnahmepflicht der KBs:
Einverständnis erteilt [ ] ja [ ] nein [ ] mündlich [ ] schriftlich

Art, Dauer und Umfang der Behandlung:

Zu erwartende Gesamtdauer der Behandlung:

Kassenfinanzierung:

Aufklärung über Möglichkeiten der Kassenfinanzierung (Hinweis auf ‚Versorgungsmodelle‘ usw.)

Absagemodus:

Urlaubsregelung:

Aufklärung über die Verschwiegenheitsverpflichtung:

Aufklärung über die Dokumentationsverpflichtung und das Patientenrecht der Einsichtnahme:

Aufklärung über den Status ‚in Ausbildung unter Supervision‘:

Aufklärung über die Supervisionsverpflichtung:

Kooperation mit anderen, an der Behandlung beteiligten Personen/Institutionen:

Vereinbarungen mit dem/r Gesetzlichen Vertreter/in:

Sonstige Vereinbarungen:

Verlaufsdokumentation

Konsultationen von Berufsangehörigen oder Angehörigen anderer Gesundheitsberufe
Datum : Fachrichtung: Anmerkung:

Supervision
Datum: Supervisor/-in: Anmerkung:

Kontakt mit anderen an der Behandlung beteiligten Personen
Datum: Person: Anmerkung:

Übermittlung von Daten und Informationen an Dritte, insbesondere an Krankenversicherungsträger
Datum: Person/Institution: Art der Information: Anmerkung:

Allfällige Empfehlungen zu ergänzenden ärztlichen, klinisch-psychologischen, gesundheitspsychologischen oder musiktherapeutischen Leistungen oder anderen Abklärungen
Datum: Person/Institution Anmerkung:

Einsichtnahmen in die Dokumentation:
Datum:

Erstgespräch(e)
Datum:

Vorgeschichte der Problematik:
(insbesondere relevante Ereignisse im Sinne des § 16a, Abs. 1, Pkt. 1 PthG in der Biographie des/r Patienten/-in; evtl. mit Z-Diagnosen des ICD-10)

Bisherige therapierelevante Diagnosen:

In Empfang genommene therapierelevante Befunde und Dokumente
Datum: Art:

Mitteilungen über therapierelevante frühere oder neu auftretende Erkrankungen:

Diagnose(n) nach ICD-10 oder DSM-5:

Ausgehändigte Dokumente
Datum: Art:

Danke. Das ist alles enorm viel. Ich denke auch immer, dass man sich das alles doch gar nicht merken kann, was in der Stunde besprochen wird.
Lg

Die Situation in Deutschland ist definitiv anders. Vielleicht bemühst du dich mal, Links auch zu lesen!

In jedem Fall hast du in so einer heiklen Angelegenheit nicht für Deutschland irgendwelche Glaubensfragen zu Wissen zu erheben! Zumal auch noch in der Ausgangsfrage betont wurde, dass nur auf Basis von Wissen und nicht auf Basis von Spekulation geantwortet werden soll.

1 Like

Hab ich gelesen und für völlig unverständlich befunden, warum du mir gerade diese beiden Links vorsetzt:

  1. Du hast. den Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie verlinkt, dessen Mitglied ich bin, und wolltest mir offenbar mittels eines Internetlinks zu meinem eigenen Berufsverband etwas über die rechtlichen Gegebenheiten in meinem Berufsfeld erzählen.
    Echter Brüller :wink:

  2. Dein Link zu Deutschland (Stand 2012) bestätigt meine Aussagen über das Vorliegen eines einsichtnahmefähigen und eines nichteinsichtnahmefähigen „höchstpersönlichen“ Teils der Dokumentation („Die Musterberufsordnung hingegen nehme die Einsichtnahme in die persönlichen Aufzeichnungen des Therapeuten über seine emotionale Erlebnisweise des therapeutischen Geschehens (subjektive Daten) grundsätzlich vom Einsichtnahmerecht aus.“)
    Sollte dem Stand 2017 mittlerweile anders sein, dann kannst du mir das gern nachvollziehbar belegen.

Gruß
F.

P.S.: Die Temperaturen sind in den letzten Tagen hier im Süden gesunken, aber dass jetzt schon wieder „Schnee“ fällt, ist arg trollig.