Systematik in Bibliotheken

Hallo Büchereiexperten,

kann mir jemand erklären, weshalb Unibibliotheken ihre Bücher prinzipiell anders zu sortieren und mit Signaturen/Notationen zu versehen scheinen als Stadtbibliotheken und Co? Alle mir bekannten öffentlichen Büchereien, die nicht zu einer Uni gehören, benutzen die Allgemeine Systematik für Öffentliche Bibliotheken, in der Großbuchstaben für bestimmte Fachbereiche stehen (zum Beispiel D für Heimatkunde, O für Sprache, X für Hauswirtschaft…) und dann mithilfe von Kleinbuchstaben und Zahlen weiter untergliedert wird (Xeo 2 wäre dann „Kochen und Backen“ …).

Das ist doch eigentlich ganz einleuchtend und sinnvoll, aber warum ist mir noch keine Unibibliothek untergekommen, die es auch so macht? Im Prinzip sind doch alle Fachbereiche abgedeckt, die einem so unterkommen könnten (und falls nicht, sind ein paar Buchstaben noch frei …), und auch die größere Menge an Büchern kann das Problem nicht sein, da diese Art der Notation doch auch Abertausende verschiedener Signaturen ermöglicht. Wäre es nicht schön und übersichtlich, wenn sich einfach jede Bibliothek an dieses System halten würde?

Dazu kommt, dass es ganz offensichtlich auch kein konkurrierendes, einheitliches Unisignatursystem gibt - oft sind die Bücher in einzelnen Bibliotheken einer Uni schon unterschiedlich sortiert, aber auch die „großen“ UBs differieren … in meiner derzeitigen sind die Bücher überhaupt nicht nach Fachbereichen sortiert, sondern scheinen einfach in der Reihenfolge der Anschaffung aufgestellt zu werden, so dass Medizin neben Anglistik neben Sportwissenschaft zu finden ist. Anderswo habe ich zwar eine Sortierung nach Fachbereichen gesehen, die aber nicht mit den bekannten Buchstaben gemacht wurde, sondern mit einleuchtenden Abkürzungen („soz“, „jur“ …) am Anfang der Signatur. Und wahrscheinlich gibt es noch zig andere Systeme irgendwo.

Ist das bloß Tradition, oder gibt es einen sinnvollen Grund dafür, der mir nur nicht auffällt?

Grüße
Sonja

Hallo!
Der Punkt ist der, daß die ASB von der Differenzierung nicht allzu sehr in die Tiefe geht. Für die sehr spezialisierte Literatur, die wissenschaftliche Bibliotheken anschaffen, reicht sie nicht aus. Daher haben die wissenschaftlichen Bibliotheken eigene Systematiken entwickelt, die mit Hilfe von Schlüsselungen etc. eine deutlich höhere Differenzierung ermöglichen. Sehr weit verbreitet ist die RVK (Regensburger Verbundklassifikation)
http://de.wikipedia.org/wiki/Regensburger_Verbundkla…
; andere Häuser haben Systematiken Marke Eigenbau, die meist wesentlich älter sind als die ASB. Hier abzubrechen und etwas neues zu bauen ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung, die Bibliotheken nicht gerne unternehmen, da dies eine komplette Umarbeitung des Bestandes erfordert.
Was Du auch noch angesprochen hast, ist die sogenannte „numerus currens“-Aufstellung, bei der die Bücher nach Eingang und ohne systematische Ordnung einfach ins Regal gestellt worden. Sie ist bei Magazinbibliotheken dominierend, wo man sich die Sachen bestellt, und hat ihren Grund in schlichter Platzökonomie. Systematische Aufstellung setzt voraus, daß man Neuzugänge an die richtige Stelle einordnen muß, daher muß Raum zum Rücken bleiben, was bei einer reinen nC-Aufstellung nun nicht der Fall ist. Hier erfolgt die inhaltliche Erschließung rein virtuell durch Beschlagwortung und Vergabe von Notationen im Katalog, die sich auf den Büchern selber nicht weiter niederschlägt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Numerus_Currens

Hallo,

wow, mit einer so schnellen und umfassenden Antwort hatte ich gar nicht gerechnet :smile:

Der Punkt ist der, daß die ASB von der Differenzierung nicht
allzu sehr in die Tiefe geht. Für die sehr spezialisierte
Literatur, die wissenschaftliche Bibliotheken anschaffen,
reicht sie nicht aus.

Okay, ich dachte, man könnte im Zweifel vielleicht noch ein paar Zeichen dranhängen (Xeo 2 B wäre dann Nusskuchen oder so …)

Sehr weit verbreitet ist die RVK (Regensburger
Verbundklassifikation)
http://de.wikipedia.org/wiki/Regensburger_Verbundkla…
andere Häuser haben Systematiken Marke Eigenbau

Ich glaube, ich bin bisher nur Eigenbausortierungen begegnet; die oben kannte ich noch nicht.

Systematische Aufstellung setzt voraus, daß man
Neuzugänge an die richtige Stelle einordnen muß, daher muß
Raum zum Rücken bleiben, was bei einer reinen nC-Aufstellung
nun nicht der Fall ist.

Ja, das macht Sinn, obwohl ich es in einer Freihandbibliothek nicht gerade benutzerfreundlich finde. Jedenfalls bin ich gespannt, auf was für merkwürdige Systeme ich in meinem Leben noch so stoßen werde :wink:

Grüße
Sonja

2 Like

Hallo,

Jedenfalls bin ich
gespannt, auf was für merkwürdige Systeme ich in meinem Leben
noch so stoßen werde :wink:

ich empfehle http://www.oclc.org/dewey/

viele Grüße
Geli

Hallo Sonja,

ich wusste gar nicht, dass es da ein einheitliches System gibt. Aber wenn schon genormt, warum benutzt man dann kein Intuitives?

In unseren Berliner Stadtbibliotheken (wohlgemerkt: Stadtbibliotheken!) werden Signaturen vergeben, die sich aus einer Abkürzung des Hauptgebiets (L = (schöngeistige) Literatur, S = Sprache, No = Noten, Pä = Pädagogik u.s.w.), einer Zahl zur weiteren Untergliederung (Science Fiction; afrikanische Sprachen; Klavier zu vier Händen; allgemeine Didaktik), den ersten 3 oder 4 Buchstaben des Familiennamens des Autors und einer laufenden Nummer zusammensetzen. Bei identischen Exemplaren kommt dann noch ein kleiner Buchstabe hinten dran.
Diese Systematik finde ich sofort einsichtig; ich köme niemals auf die Idee, Sprachen unter O zu suchen statt unter S. Warum macht man so was?

Liebe Grüße
Immo

Hallo Vokietis,

ich wusste gar nicht, dass es da ein einheitliches System
gibt.

es ist auch nicht einheitlich.
Es gibt Systematiken, die mehrheitlich von Bibliotheken benützt werden.
Zum Beispiel die bereits im Posting weiter unten erwähnte RVK für wissenschafliche Bibliothek in Bayern, oder die ASB für öffentliche Bibliotheken.

Aber wenn schon genormt, warum benutzt man dann kein
Intuitives?

Sei mir nicht böse. Aber Intuition ist etwas, das nicht standardisiert werden kann. Jeder Mensch denkt sich intuitiv etwas anderes aus, wenn Du ihn Bücher sortieren lässt.
Anekdote aus dem Bibliothekarsalltag: eine mir bekannt Stadtbücherei wurde nach dem 2. Weltkrieg mangels Fachpersonal von einem ehemaligen Apotheker geleitet.
Er sortierte alle Bücher, weil er das aus seiner Apotheke so kannte in den Regalen von unten links nach rechts oben.
(Kennst Du aus den meisten Bibliotheken wahrscheinlich eher nicht)

In unseren Berliner Stadtbibliotheken (wohlgemerkt:
Stadtbibliotheken!) werden Signaturen vergeben, die sich aus
einer Abkürzung des Hauptgebiets (L = (schöngeistige)
Literatur, S = Sprache, No = Noten, Pä = Pädagogik u.s.w.),
einer Zahl zur weiteren Untergliederung (Science Fiction;
afrikanische Sprachen; Klavier zu vier Händen; allgemeine
Didaktik), den ersten 3 oder 4 Buchstaben des Familiennamens
des Autors und einer laufenden Nummer zusammensetzen. Bei
identischen Exemplaren kommt dann noch ein kleiner Buchstabe
hinten dran.
Diese Systematik finde ich sofort einsichtig; ich köme niemals
auf die Idee, Sprachen unter O zu suchen statt unter S. Warum
macht man so was?

Berlin hat diesen Ansatz, andere Systematiken eben einen anderen, nämlich alphabetisch und bei dieser Verteilung der Wissensgebiete landete Sprache eben bei O.

Es ist nicht wirklich wichtig, wie man eine Systematik erstellt. Es ist nur wichtig, dass sie in sich soweit stringend angewendet wird, dass Bücher zu einem Thema immer miteinander im Regal landen.
… und es wäre natürlich der Idealfall, wenn zu allen Öffnungszeiten der Bibliothek/Bücherei wenigstens eine Person anwesend wäre, die die vor Ort verwendete Systematik kennt. Nichts schlimmer, als eine Bücherei, in der Leser, die sich nicht von selbst zurechtfinden, ohne Hilfe herumirren.

viele grüße
geli

4 Like