Wenn Du mich kennen würdest, würdest Du mich nicht von anderen
Spiessern - Generation Golf- unterscheiden können. Meine
Einstellung ist eigentlich zutiefst konservativ (darf ich das
nach meinen Postings laut sagen?); aus der Erkenntnis, dass
der Ausgleich einer ‚Solidargemeinschaft‘ die Gesellschaft
zusammenhält, bin ich für diesen Ausgleich (ich will
keinesfalls ‚amerkanische Verhältnisse‘). Es muß zwischen
Sieger und Besiegten immer einen gerechten Ausgleich geben,
bei dem sich beide in die Augen gucken können. (Gäbe es den
zwischen dem Westen und dem ‚nahen Osten‘, gäbe es vermtl.
keine Anschläge) Und es muß auch diesen Wettbewerb/kampf
geben, denn sonst kann sich nicht das Beste gegen das
Zweitbeste durchsetzen.Das heist nicht, das ich nicht mit sozialistischen Ideen
liebäugle, aber die realen Verhältnisse bestimmen das Leben.
Und die sind anders. Und Veränderungen -wie Du sie willst, so
sympatisch sie auch sein mögen- geschehen erst, wenn es eine
Mehrheit für Ihre Umsetzung gibt, und zwar nicht, weil das
dieser Mehrheit durch wen auch immer -Politiker oder
Terrorist- gesagt wird, sondern weil es ihr ein echtes
Bedüfnis ist, heißt, sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen
leidet.
Hallo Winnie,
die einen spüren den untragbaren Leidensdruck früher, die anderen später; die einen stärker, die anderen schwächer. „Der eine sagt: „Okay, das unterschreib ich mit.“ Der andere fragt: „Ist es so recht?“ Und so unterscheidet sich, der „Freie“ von dem Knecht.“ Das eben war ein Zitat. Ich hörte es aus dem Mund meines Vaters. Natürlich dachte der im Rahmen seines Klassenbewußtseins. Daher habe ich „der Freie“ soeben in Anführungszeichen gesetzt.
Einen Teil deines Textes habe ich - aus Zeitgründen - gelöscht.
Das heißt, ich werde später darauf eingehen.
Ich komme aus einer großbürgerlichen Familie. Mein Vater war Großbürger. Meine Mutter ist kleinbürgerlich. Aber im Verlauf ihrer langen Ehe hat viel vom Denken meines Vaters auf meine Mutter abgefärbt. - Problematischer sind Inzuchtbeziehungen. Weil dann der Mensch, der in sie hineingeboren wird, die Menschen außerhalb seiner Kreise nicht oder nur sehr schwer verstehen kann. Die meisten Kleinbürger denken, ein Reicher sei so „normal“ wie sie. Hätte halt nur mehr Geld. Das ist ein Iltum. Mein Großvater hatte ein Schild an seinem Geschäft. Darauf stand: „Sächsisch-königlicher Hoflieferant“. So ein Schild durfte nur der an seinem Geschäft anbringen, bei dem mindestens eine Person aus dem Hochadel eingekauft hatte. Ob nur ein paar Socken oder eine Krawatte oder zehn Anzüge war egal. Aber der Einkauf mußte tatsächlich gewesen sein. Andernfalls war das Schild strafbare Hochstapelei. Und. Für einen Mantel im Geschäft meines Großvaters wäre mein derzeitiges Monatseinkommen zu gering. Meine Eltern verließen 1949 mit meinem Bruder und mir die „Ostzone“. Aber, ich will jetzt nicht schwätzen, dir nur den Hinweis geben, daß ich früher und schmerzhafter als andere unter der Herrschaft der Spießer (Helmut Schmidt, Helmut Kohl usw. usw.) gelitten habe.
Spießer/Spießbürger das bei der Verteidigung einer Stadt mit Spießen bewaffnete Fußvolk, auf das die, die sich ein Pferd leisten konnten, herabsahen: im davon übertragenen Sinn heißt das Wort in der noch heutigen Bedeutung: langweiliger fader Mensch, der nicht über seine Klasse und nicht über seine engere Heimat hinausdenken kann.
Ein Anführer der Bauernaufstände hieß Götz von Berlichingen, einer meiner besten Freunde heißt Markus von Schillingsfürst. Ingo, Tom Cat, Arne sind Nürnberger Großbürgersöhne.
Als ungefähr 10jähriger las ich in der Bibliothek meiner Eltern in einem Buch über chinesische Geschichte den Satz: „Man setzt sich an die Spitze einer revolutionären Bewegung, um sie in die Hand zu bekommen.“ - Ob unsere Bewegung revolutionär ist und meine Freunde und ich revolutionär-reaktionär mit an der Spitze stehen, werde ich heute nicht erörtern.
Evokation (lat.) jemand anklagen, vorladen, seine Schwächen und Fehler öffentlich erörtern
Relevant (lat.) von Belang, erheblich, wichtig
Reduktion (lat.) Zurückführung, Verringerung, Herabsetzung
Habitus (lat.9 äußere Erscheinung, Gestalt, Aussehen, Haltung, Benehmen
korrelieren (lat.) in Wechselwirkung aufeinander bezogen
Selektion (lat.) Auswahl
Soziologie (lat.) Gesellschaftswissenschaft
Ich setzte diese Worterklärungen an den Anfang des folgenden von mir zitierten Textes, weil du ihn dann fließender lesen kannst.
"Wenn richtig ist, daß der Kleinbürger in Wirklichkeit und nicht nur im Kopf des Soziologen ein „Bürger im Kleinen“ ist, wird deutlich, was man verlöre, gäbe man im Sinn einer objektivistischen Erfassung der Wirklichkeit den Begriff Kleinbürger auf. Hier wie anderswo konzentrieren die gesellschaftlichen Begriffe in besonders evokatorischer Weise ein Maximum an soziologisch relevanten Merkmalen. Und, die objektivierende Reduktion, so brutal sie auch sein mag, hat nichts gemein mit Klassenverachtung, die in so vielen Schriften über die Kleinbürger hervorsticht, diese traditionellen Sündenböcke ästhetisierender Prophetien und bevorzugten Zielscheiben politischer Verdammung: stattdessen bringt die Soziologie jene Habitusmerkmale, die - wie „Ehrgeiz“ oder „Kleinlichkeit“ - sehr oft von einer Art Klassenrassismus gebrandmarkt werden, in Zusammenhang mit den objektiven Bedingungen, aus denen sie hervorgehen. Wer sich weniger widerwärtige „Tugenden“ leisten kann und ein angenehmeres Profil bietet, vergißt leicht, daß die Eigenschaften, die er verurteilt, unvermeidlich mit den Mechanismen individuellen Aufstiegs korrelieren, also mit der Selektion angepaßter Individuen, und tut so, als ob „Laster“ und „Tugenden“ der Kleinbürger (die - muß man wirklich daran erinnern? - als solche doch nur in den Grenzen der herrschenden „Moral“ erklärbar sind) immer nur den Akteuren und nicht auch den Strukturen anzulasten wären, als hätten die Strukturen ihnen Freiheit gelassen.
Pierre Bourdieu: „Die feinen Unterschiede“; suhrkamp 1983, S. 530
Politik Führung und Erhaltung eines Gemeinwesens; Staatskunst; aus griech. politika „Staatsangelegenheiten“, zu polis „Stadt, Stadtstaat, Staat“
rechts die politische Gesamtheit aller Gruppen und Personen, die eine gegenwärtige oder frühere Machtpyramide und die so strukturierte Gesellschaft wollen (und/oder als unvermeidbar sehen)
links die politische Gesamtheit aller Gruppen und Personen, die mehr Freiheit, Gleichheit und gegenseitige Verantwortlichkeit wollen
Die Unterscheidung zwischen links und rechts geschah nach der französischen Revolution durch die Sitzverteilung in der Delegiertenversammlung
Winnie, du verstehst unsere Texte besser, wenn du erkennst, daß sie in unserem internen Kreis und in Jahrzehnten entstanden sind. Und, wo dir Erfahrungen fehlen, wo du einen Text nicht intuitiv erfassen kannst, mußt du an die Stelle des Wissens den Diskurs (lebhafte Erörterung), die Stimmenthaltung oder das Vertrauen setzen.
Ich z.B. lehne in der Regel juristische und/oder metaphysische Diskussionen ab. Vorrangig: aus zeitlichen Gründen. Zweitrangig, weil mir Informationen fehlen. Auch widerstrebt mir die Lieblingsbeschäftigung der Kleinbürger: das Beurteilen und Verurteilen. Was „falsch“ oder „richtig“ ist, muß zuerst einmal jeder selber wissen. Ich kooperiere wo ich übereinstimme, und wo ich nicht will oder kann, sage ich: macht es ohne mich oder auch nicht. - Für endlose Diskussionen ist z.B. in einem Bürgerkrieg keine Zeit und kein Platz.
Ich stehe in einen Weltbürgerkrieg. Wenn du ihn nicht oder anders siehst, ist das für mich kein Problem. Vorausgesetzt, daß du mich mit deiner Sichtweise nicht überlastest. Wie du dich kleidest, welches Auto du fährst usw. usw. interessiert mich - in der Regel - überhaupt nicht.
Du verstehst unsere Texte vor allem zum Thema Religion - besser und/oder schneller, wenn du mehr auf Strukturen achtest. - Ob ich Bauer-König, Chef-Lehrling, Guru-Schüler, Arbeiter-Vorarbeiter sage, ist nämlich nicht das Wesentliche. Es sind Rollenspiele, keine starren Positionen.
Ich könnte noch viel schreiben, aber auch mein Kapital (Zeit, Materie, Kraft usw.) ist nicht grenzenlos.
Berlin wurde ja aber auch nicht an einem Tag bebaut.
Wir lebern hier auf einer Baustelle.
Hegel begann seine Philosophie mit dem Satz: „Wenn wir die Vergangenheit betrachten, also: die Geschichte, dann sehen wir sofort und zuerst Ruinen.“
Dein Freund Peter