Tempi

nachdem ich die meisten eurer empehlungen zu dvoráks 9. quergehört habe, stellt sich mir folgende frage, liebe experten.

machen denn komponisten keine vorgaben, wie schnell eine musik zu spielen ist? ich habe mir das immer eingebildet. nun spielt aber bernstein das largo im obengenannten werk in 18 minuten, harnoncourt ist nach 12 min. fertig. ein doch gewaltiger unterschied. oder kennt ihr noch größere unterschiede?
mein erlebnis der beethovenschen symphonie nr 9 vor jahren in neubrandenburg, in der das werk in 59 minuten „hingerotzt“ wurde, will ich mal nicht in die wertung einbeziehen.
zumal dort die klassische aufstellung der musiker verändert war, was zu einem breiigen klangbild führte.

tschüß

strubbel
§:o)

machen denn komponisten keine vorgaben, wie schnell eine musik
zu spielen ist? ich habe mir das immer eingebildet.

Hi, Strubbel,

die Musiker haben i.d.R. schon Vorgaben gemacht. Eine „Maßeinheit“ gab es allerdings erst nach der Erfindung des Metronoms. Von Beethoven wird beispielsweise behauptet, er habe, nachdem das Metronom erfunden wurde - muß also in seiner Zeit passiert wein - seine Stücke sämtlich nachträglich mit Metronom- Zeitdaten versehen. In der Tat sind in allen Noten zu Beethovens Musik auch Angaben zu den Tempi. Insoweit kann ich das mit deiner 9. Sinfonie nicht verstehen. Vielleicht wollte der Dirigent zeitig Feierabend machen?

Gruß
Wolfgang

Hallo Strubbel,

machen denn komponisten keine vorgaben, wie schnell eine musik
zu spielen ist?

Vorgaben gibts natürlich, aber nicht immer als Metronomangabe. Die Bezeichnungen: lento, allegro, moderato also langsam, gemäßigt usw. sind keine absoluten Zeitangaben sondern lassen dem Dirigenten oder Interpreten Spielraum für das eigene Gefühl. Und da gibt es durchaus große Unterschiede im Verständnis wie langsam denn nun lento gespielt werden soll. Das ist tatsächlich eine Sache der Interpretation.

Gruß
Roland

Um die Verwirrung komplett zu machen:

Auch die Metronomangaben sind nicht immer aussagekräftig, weil teilweise „Tick“ als ein Schlag, teilweise „Tick-Tack“ als ein Schlag aufgefasst wurde.
Übergänge hierzwischen sind zeitlich und regional unterschiedlich. (Kam natürlich auch auf den „Querkopf“ des Komponisten an, welcher Auffassung er/sie sich angeschlossen hatte.) Ob auch alle Metronome geeicht waren, also auch wirklich alle das gleiche Tempo wiedergegeben haben??

Hierüber streiten sich übrigens heute die gelehrten Musikforscher.

Tatsächlich kommt es immer wieder auf die Interpretation an. Kein seriöser Musiker kann für sich in Anspruch nehmen, seine Aufnahme ist genau so wie der Komponist es wollte – genauso wie jeder Mensch eine eigene Handschrift hat.

Claus

Hallo Strubbel!

Hier Klassikfanatiker!

machen denn komponisten keine vorgaben, wie schnell eine musik
zu spielen ist? ich habe mir das immer eingebildet. nun spielt
aber bernstein das largo im obengenannten werk in 18 minuten,
harnoncourt ist nach 12 min. fertig. ein doch gewaltiger
unterschied.

Wenn keine exakten Metronom-Angaben dabei stehen, ist „largo“ nicht klar definiert, sondern lediglich langsamer als „andante“ bzw. viel langsamer als „presto“. Alles relativ.

mein erlebnis der beethovenschen symphonie nr 9 vor jahren in
neubrandenburg, in der das werk in 59 minuten „hingerotzt“
wurde, will ich mal nicht in die wertung einbeziehen.

Kannst Du aber ruhig machen, Karajan hat’s auch so lieblos runtergehudelt mit den „Berlinern“ und dafür auch noch einen Grand Prix du Disque bekommen!!!

Karl Böhm dagegen brauchte knapp vor seinem Tod um 26 Minuten länger, Walter Berry ist dabei die Luft ausgegangen, und das will was heißen!

zumal dort die klassische aufstellung der musiker verändert
war, was zu einem breiigen klangbild führte.

Da muß ich widersprechen. Ein breiiges Klangbild entsteht durch unexakte Einsätze oder unklar definierte Betonungen bestimmter Instrumentengruppen. Das liegt dann an der Unfähgigkeit des Dirigenten oder des Orchesters, oder beider …
Die „klassische“ Orchesteraufstellung wurde meines Wissens erst von Louis Spohr eingeführt, früher war das „Durcheinander“ normal. Kein Mensch hätte aber früher so etwas wie „stereo“ vermißt. Echt „stereo“ hört’s nämlich sowieso nur der Dirigent. Alle anderen im Konzertsaal kriegens mono mit mehr oder weniger Nachhall, je nach Qualität der Akustik des Saales.

Beste Grüße
Barney

ich hab noch was …
Hallo Strubbel,

nach meinen Informationen hat Dvorak ganz exakt 60 Viertel pro Minute angegeben - das entspräche auch der Bezeichnung „Largo“. Wenn man nun wissen will, wer korrekter spielt, muss man „nur“ die Anzahl der Takte dieses Satzes kennen (ich hab leider keine Angabe gefunden, aber vielleicht weiß ja wer was). Dann kann man die werkgetreue Aufführung errechnen.

> oder kennt ihr noch größere unterschiede?

Bei Opern kann das manchmal sogar eine halbe Stunde Unterschied sein. Zwischen dem Tristan von Böhm und dem von Furtwängler liegen Welten.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hi Thomas,

das ist doch auch viel schöner… die Leistung eines Dirigenten liegt doch u.a. genau darin, das Gefühl des Stückes herauszukitzeln. Und jeder Mensch interpretiert Largo eben anders. Wie langweilig, wenn alle das gleiche spielen würden, oder? Dann könnte man sich ne CD kaufen und das war’s. Der Reiz liegt doch in unterschiedlichen Interpretationen.

Genauso langweilig ist zb. Schwanensee, weil es so oft nach der immer gleichen Petipa-Choreographie getanzt wird. Da reicht einmal anschauen.

erik

Hallo Erik,

das ist doch auch viel schöner… die Leistung eines
Dirigenten liegt doch u.a. genau darin, das Gefühl des Stückes
herauszukitzeln. Und jeder Mensch interpretiert Largo eben
anders. Wie langweilig, wenn alle das gleiche spielen würden,
oder? Dann könnte man sich ne CD kaufen und das war’s. Der
Reiz liegt doch in unterschiedlichen Interpretationen.

ich stimme dir gern zu. Es war keineswegs meine Absicht, die Berechtigung zur Interpretation ablehnen. Glenn Gould spielt die Goldbergvariationen auch so, wie Bach sie nie hören konnte (und wohl auch nicht hören wollte) und dazu noch in zwei völlig verschiedenen Fassungen mit stark abweichender Dauer - und spielt es doch am besten von allen!

Ich habe lediglich versucht, den Begriff der Werktreue, der in der Diskussion doch immer wieder eine Rolle spielt, zu beleuchten und untersuchbar zu zeigen. Das impliziert meines Erachtens noch keine Wertung. Ich denke, da hast du mich missverstanden, weil wir derselben Meinung sind.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

machen denn komponisten keine vorgaben, wie schnell eine musik
zu spielen ist?

Oft ändern sie die auch wieder oder halten sich selbst nicht dran (hat man z.B. an alten Pianorollen nachgewiesen)

Gruss Mark

Hi Thomas,

nach meinen Informationen hat Dvorak ganz exakt 60 Viertel pro
Minute angegeben - das entspräche auch der Bezeichnung
„Largo“. Wenn man nun wissen will, wer korrekter spielt, muss
man „nur“ die Anzahl der Takte dieses Satzes kennen (ich hab
leider keine Angabe gefunden, aber vielleicht weiß ja wer
was). Dann kann man die werkgetreue Aufführung errechnen.

Das setzt voraus, das es keinerlei accelerandi oder riterdandi gibt (schreibt man das so?). Das wäre wohl der Tod dieser Musik. Glaube nicht, das man das so rechnen kann. Trotzdem interessanter Ansatz.

Gruss Mark

Hallo Marc,

nach meinen Informationen hat Dvorak ganz exakt 60 Viertel pro
Minute angegeben

Das setzt voraus, das es keinerlei accelerandi oder riterdandi
gibt (schreibt man das so?). Das wäre wohl der Tod dieser
Musik. Glaube nicht, das man das so rechnen kann. Trotzdem
interessanter Ansatz.

nein, so absolut ist das natürlich nicht gemeint gewesen, die Metronomangaben geben ja nur den Grundschritt an, also quasi den Durchschnitt. Diese Werte haben immer einen gewissen Spielraum.
Wollte man sich völlig daran halten, hättest du sicher Recht mit dem Tod der Musik.

Herzliche Grüße

Thomas Miller