Thema Nationalsozialismus / schuld der deutschen?

Hi Elke

so weit sind unsere Positionen nicht voneinander entfernt.
Nur werde ich hellhörig, wenn ich aus der Generation meiner
Eltern höre: Wir haben nichts gewusst.
Es gehört auch ein Nichts-Wissen-Wollen dazu.

Die Großeltern einer Schulfreundin haben neben dem Konzentrationslager Mauthausen gewohnt.
Nach einem Besuch mit der Schule in diesem Konzentrationslager haben meine Schulfreundin und ich die beiden gefragt, ob sie denn damals nichts gewußt hätten.

Die beiden meinten, daß man schon mitbekommen hatte, daß im Lager schlimme Dinge vor sich gingen. Auch wenn große Geheimhaltung angesagt war. Aber der Geruch war nicht zu ignorieren und ab und zu sind auch Gefangene geflohen und wurden wieder eingefangen. Auch das konnte nicht unbemerkt bleiben.
Auf unsere empörte Nachfrage - mit 11 Jahren ist die Welt so schön schwarz und weiß - warum sie denn nichts unternommen hätten, haben sie uns nur lange angesehen und gemeint, daß nicht jeder Mensch zum Helden geboren ist. Man hatte einfach Angst, um die Familie, die Freunde… da hat man die Augen verschlossen.
Damals war mir diese Haltung vollkommen unverständlich.
Heute überlege ich mir, was ich getan hätte, wenn ich so bei die beiden neben einem Konzentrationslager gewohnt hätte
Die Antwort ist schlicht: Ich weiß es nicht.
In der Theorie ist natürlich einfach: Aufstehen und gegen die Ungerechtigkeit protestieren. Aber ob man das in Falle eines Falles tatsächlich durchziehen würde.

Gruß
Edith

Hallo,

daß
nicht jeder Mensch zum Helden geboren ist.

Mir geht es weniger darum, ob die Menschen Heldenhaftes dagegen getan haben. Aber es zu wissen (oder zumindest fast zu wissen) und nichts tun und zuzugeben, dass man zu feige ist/war, ist was anderes, als einfach die Augen zuzumachen und zu sagen: ich hab nichts gewusst.

Heute überlege ich mir, was ich getan hätte

Ich möchte nirgends den Eindruck erwecken, als würde ich von mir glauben, ich wäre damals zur Heldin mutiert. Sehr wahrscheinlich nicht.

Aber das Wissen über eigene Unzulänglichkeiten sollte nicht in vorauseilender Entschuldigung enden.

Ich schäme mich heute noch für ein paar Dinge, die ich in Südafrika nicht getan habe. Vielleicht werden sie von einigen anderen, die ich getan habe, aufgewogen. Das darf ich aber nicht selbst beurteilen.

Gruß
Elke

Hi

Aber es zu wissen (oder zumindest fast zu
wissen) und nichts tun und zuzugeben, dass man zu feige
ist/war, ist was anderes, als einfach die Augen zuzumachen und
zu sagen: ich hab nichts gewusst.

Ich rechne es den mittlerweile verstorbenen Großeltern hoch an, daß sie so ehrlich zu uns waren. Sie haben dazu beigetragen, daß ich schon damals damit begonnen habe, zu erkennen, daß die Dinge meist nicht so einfach - so schwarz-weiß sind, wie sie im ersten Blick erscheinen.

Heute überlege ich mir, was ich getan hätte

Ich möchte nirgends den Eindruck erwecken, als würde ich von
mir glauben, ich wäre damals zur Heldin mutiert. Sehr
wahrscheinlich nicht.

Ich habe mich übrigens nicht an Deinen Artikel gehängt, weil Du diesen Eindruck bei mir erweckt hast, sondern weil es der letzte Artikel des Teilthreads war und die Antwort da auch hinpaßte.

Ich schäme mich heute noch für ein paar Dinge, die ich in
Südafrika nicht getan habe. Vielleicht werden sie von einigen
anderen, die ich getan habe, aufgewogen. Das darf ich aber
nicht selbst beurteilen.

Im Endeffekt muß wohl jeder mit seinem Gewissen klarkommen, wenn es um Dinge geht, die man getan oder nicht getan hat.

Gruß
Edith

Keine geschichtliche Tatsache ist absolut
Hallo smalbop,

keine geschichtliche Tatsache ist

absolut.

Keine, ich meine im Sinne des philosophischen und wissenschaftlichen Begriffs von „absolut“. Dazu gehören selbst die einzigartigen Geschehnisse, die wir mit unserer Religion („wir“=bin Christ, röm.-kath.) verbinden. Absolut ist gerade der Teil an der Geschichte, der nicht einfach Geschichte ist, sondern überzeitlich. Wenn Du diesen Begriff von Absolutheit nicht teilen willst, so muss ich anmerken, Du schreibst nicht über Geschichte, sondern über Religion. Ich aber glaube nach der meinigen.

Lediglich in der Gesamtschau ist der Holocaust einzigartig.

Natürlich diskutieren wir nicht nur Absolutheit, sondern auch schlicht und einfach Singularität. Diese ist in unserem Kontext genau zu umschreiben, weil schon sehr viele vermeldet haben, es gehe um Singularität, mancher aber etwas anderes darunter verstehen möchte.

der Relativierung nicht zugänglichen

Du meinst der Relativierung was gegenüber? Selbst wenn ich den Begriff „Holocaust“ ausspreche, relativiere ich ihn bereits gegenüber meinem Leben. Ich würde sonst die Kniebeuge machen und nicht weiter fragen, was das überhaupt sei. Das kann zwar gesund sein (denn ich befasse mich dann nicht mit etwas Makaberem), ist aber nicht sehr wissenschaftlich.

Ich glaube, was viele mit Relativierung verwechseln, ist, wenn der
eine den Satz sagt „Der Holocaust ist eine Singularität der
Geschichte“ und der andere ihn vervollständigt mit „wie jeder andere
Völkermord auch“.

Nach streng philosophischem Begriff der Relativität erachte ich dies als Relativierung. Warum sollte es theoretisch keine sein? Hätten wir eine Religion, wäre es einfach, der eine Mord wäre im Verhältnis zu den andern etwa was eine Gottheit gegenüber einer Trinität. Aber wissenschaftlich geht auf so ein Paradox nicht ein, wer einen Begriff von Relativität und Absolutheit hat.

diejenigen Dinge, soweit es sie gibt, herauszuschälen, die es bei
keinem anderen Völkermord gegeben hat

würde etwa bedeuten: die Motive in den Gesamtzusammenhang stellen und zu benennen, inwiefern dies grotesk sei, Tatwaffe und Brutalität des Vorgehens, Opferzahl und Art der Durchführung zueinander ins Verhältnis zu setzen: Normalerweise wird einem dabei schlecht, darum hat die „Absolutheit“ in salopper Umgangssprache schon ihre Bedeutung, aber eben nicht im wissenschaftlichen Kontext.

„Völkermord auf dem neuesten Stand der Technik“

mag eine Singularität darstellen

Das ändert nichts am Grad der moralischen Verwerflichkeit solchen
Handelns und hat auch nichts mit Relativieren zu tun

genau, also ist das auch noch kein Argument für Absolutheit

Und diese Betrachtungsweise ändert trotzdem auch nichts an der
absoluten Größe „Holocaust“

natürlich ändert sie nichts, wenn sie gar nicht auf die Absolutheit eingeht, jedoch woher kommt dann diese?

„Singularität“ könnte ja umschrieben werden, wie Du es z. B. im Ansatz gemacht hast (bspw. neueste Technik als ein singuläres Tatbestandsmerkmal erwähnt). Ob dann aber Kollektivschuld vorliegen kann und welche Kollektive dahinterstehen, hängt auch von weiteren Tatbestandsmerkmalen ab, die klar zu benennen sind, weil sonst der Begriff Singularität leer bleibt und im Extremfall Glaubenssache ist.

Wenn ich g l a u b e, und darum übrigens enerviere ich mich als Theologe über die Sache, wenn ich glaube, dann kann ich natürlich auch sagen „Kollektivschuld“ ebenso wie „Zauber“ oder „undefinierbare Singularität“. Ich bleibe einfach stehen wie vor dem Begriff „Gott“. Ich meine allerdings, wenn ich vor „Tod“ ebenso stehen bliebe, käme ich gar nicht zu „Gott“. Daher sollten wir fähig sein, auch bei makabren Themen den Gottesglauben zu behalten. Sonst kannst Du zwar sagen „absolut“, aber Du hast über die Tat kein Wissen, sondern Religion.

Kollektivschuldthesen, egal wann und auf wen gemünzt,
sind Schwachsinn

glaube ich auch (intuitiv), kann ich aber nicht belegen, und Goldhagen ist im Wesentlichen erst dann widerlegt, wenn die Sache belegt wird.

Gruss
Mike

Hallo

so weit sind unsere Positionen nicht voneinander entfernt.

Ich weiß, das sollte auch kein Kontra sein.
Ich denke nur mit dem Wissen um die Grausamkeiten stehen wir auf einer Position, welche es tatsächlich unmöglich macht zu glauben, das niemand was gewußt haben wollte.

Aber für die meisten Deutschen Trifft das zu, denn das was wir heute mit dem NS Regime verbinden, was wir über die SS Verfügungstruppen oder die Wanseekonferenz wissen, beeinflußt unsere Wahrnehmung und wirft unwillkürlich Zweifel auf.

Aber so ein Wissen hatten die damals Menschen nicht. Sie hatten auch keine Erfahrungen, welche dem Holocaust oder dieser Mordhysterie ähnlich waren, als das sie all das aufhorchen ließe.

Nur werde ich hellhörig, wenn ich aus der Generation meiner
Eltern höre: Wir haben nichts gewusst.
Es gehört auch ein Nichts-Wissen-Wollen dazu.

Natürlich. Abgesehen von der Tatsache, das die Ereignisse oft das vorstellbare prengen, ist das „nicht wollen“ auch ein natürlicher Schutzmechanismus. Welcher Schauspieler, Arzt oder welche Bäuerin hätte sich so etwas ausdenken können ? Das Volk der Dichter und Denker … ein Volk der Schlächter und Henker ??? Da setzt natürlich auch eine Abwehrhaltung ein. Die hat sogar dann eingesetzt, als man diese Leute in Buchenwald herumgeführt hat und zur Entsorgung der Leichen eingeteilt hatte. So etwas konnte man nicht glauben …

Ich habe in den 80er Jahren in Südafrika gelebt.
Du glaubst gar nicht, was die Menschen dort nicht wissen
wollten über die Behandlung von nicht-weißen Südafrikanern.

Ich weiß, ich habe damals in der Schule Unterschriften für Nelson gesammelt. Aber das ist auch eine andere Zeit, denn in dieser medialen Welt, vernetzt und computerisiert KANN sich niemand mehr sagen er weiß nichts. Das war früher anders. Heute bleibt der Welt kein Fitzelchen mehr verborgen … es kann sich ein paar Tage verstecken, oder ne Woche doch das war es dann schon. :wink:

Gruß Parzival

Hallo Mike,

keine geschichtliche Tatsache ist

absolut.

Keine, ich meine im Sinne des philosophischen und
wissenschaftlichen Begriffs von „absolut“.

Um darauf antworten zu können, müsste ich erst mal meine theologisch-philosophisch vorgebildete Ehefrau befragen. Ich bitte also um etwas Zeit.

Dazu gehören selbst
die einzigartigen Geschehnisse, die wir mit unserer Religion
(„wir“=bin Christ, röm.-kath.) verbinden. Absolut ist gerade
der Teil an der Geschichte, der nicht einfach Geschichte ist,
sondern überzeitlich. Wenn Du diesen Begriff von Absolutheit
nicht teilen willst, so muss ich anmerken, Du schreibst nicht
über Geschichte, sondern über Religion. Ich aber glaube nach
der meinigen.

Ich nach derselben.

Lediglich in der Gesamtschau ist der Holocaust einzigartig.

Natürlich diskutieren wir nicht nur Absolutheit, sondern auch
schlicht und einfach Singularität. Diese ist in unserem
Kontext genau zu umschreiben, weil schon sehr viele vermeldet
haben, es gehe um Singularität, mancher aber etwas anderes
darunter verstehen möchte.

Wenn schon nicht jedes geschichtliche Ereignis absolut ist, würdest du ihm dann wenigstens den Status einer Singularität zugestehen? Bzw. unter welchen Voraussetzungen?

der Relativierung nicht zugänglichen

Du meinst der Relativierung was gegenüber? Selbst wenn ich den
Begriff „Holocaust“ ausspreche, relativiere ich ihn bereits
gegenüber meinem Leben. Ich würde sonst die Kniebeuge machen
und nicht weiter fragen, was das überhaupt sei. Das kann zwar
gesund sein (denn ich befasse mich dann nicht mit etwas
Makaberem), ist aber nicht sehr wissenschaftlich.

Die ganze Fragestellung, ob es überhaupt erlaubt und zulässig ist, den Holocaust als einen Völkermord unter vielen zu sehen, ist weniger von wissenschaftlichen Motiven getrieben als vielmehr von solchen des Moralismus.

Ich glaube, was viele mit Relativierung verwechseln, ist, wenn der
eine den Satz sagt „Der Holocaust ist eine Singularität der
Geschichte“ und der andere ihn vervollständigt mit „wie jeder andere
Völkermord auch“.

Nach streng philosophischem Begriff der Relativität erachte
ich dies als Relativierung. Warum sollte es theoretisch keine
sein? Hätten wir eine Religion, wäre es einfach, der eine Mord
wäre im Verhältnis zu den andern etwa was eine Gottheit
gegenüber einer Trinität. Aber wissenschaftlich geht auf so
ein Paradox nicht ein, wer einen Begriff von Relativität und
Absolutheit hat.

Da haben wir in der Tat unterschiedliche Definitionen des Relativierens. Am tu quoque ist so lange nichts schlimmes, wie es nicht dazu dient, eigene Schuld aufzuwiegen, sondern nur einer streng wissenschaftlichen, nicht-moralisierenden Wahrheitsfindung dienen soll. Nur verwenden es leider meistens den Apologeten. Das meine ich auch mit absolut: Dass andere auch Verbrechen begehen, ändert meine Verbrechen nicht ein bisschen zum besseren. Sie bleiben absolut böse.

diejenigen Dinge, soweit es sie gibt, herauszuschälen, die es bei
keinem anderen Völkermord gegeben hat

würde etwa bedeuten: die Motive in den Gesamtzusammenhang
stellen und zu benennen, inwiefern dies grotesk sei, Tatwaffe
und Brutalität des Vorgehens, Opferzahl und Art der
Durchführung zueinander ins Verhältnis zu setzen:
Normalerweise wird einem dabei schlecht, darum hat die
„Absolutheit“ in salopper Umgangssprache schon ihre Bedeutung,
aber eben nicht im wissenschaftlichen Kontext.

Das mag wie gesagt sein, dass ich mich hier der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes bediene. Doch ist das Thema etwas zu wichtig, um es allein den Philosophen zu überlassen.

„Völkermord auf dem neuesten Stand der Technik“

mag eine Singularität darstellen

Das ändert nichts am Grad der moralischen Verwerflichkeit solchen
Handelns und hat auch nichts mit Relativieren zu tun

genau, also ist das auch noch kein Argument für Absolutheit

Und diese Betrachtungsweise ändert trotzdem auch nichts an der
absoluten Größe „Holocaust“

natürlich ändert sie nichts, wenn sie gar nicht auf die
Absolutheit eingeht, jedoch woher kommt dann diese?

Kommt sie denn - in deinem Sinne?

„Singularität“ könnte ja umschrieben werden, wie Du es z. B.
im Ansatz gemacht hast (bspw. neueste Technik als ein
singuläres Tatbestandsmerkmal erwähnt). Ob dann aber
Kollektivschuld vorliegen kann und welche Kollektive
dahinterstehen, hängt auch von weiteren Tatbestandsmerkmalen
ab, die klar zu benennen sind, weil sonst der Begriff
Singularität leer bleibt und im Extremfall Glaubenssache ist.

Ist es überhaupt von Belang, ob der Holocaust singulär in diesem Sinne war? Wird nicht jeder Völkermord mit den den Tätern eben zu ihrer Zeit und in ihrem Umfeld zu Gebote stehenden Mitteln verübt - mal mitteleuropäisch-industriell, mal zentralafrikanisch-improvisiert - und dokumentiert - mal preußisch-akribisch, mal schlampig-osmanisch? Und ist nicht trotzdem jedes Opfer gleich viel wert? Oder gibt es „schlimmere“ und „weniger schlimme“ Völkermorde? Ich habe manchmal den Eindruck, dass man sich vor lauter Beschäftigung mit den Unterschieden zwischen den Tätern und Taten diese Frage zu wenig stellt.

Wenn ich g l a u b e, und darum übrigens enerviere ich mich
als Theologe über die Sache, wenn ich glaube, dann kann ich
natürlich auch sagen „Kollektivschuld“ ebenso wie „Zauber“
oder „undefinierbare Singularität“. Ich bleibe einfach stehen
wie vor dem Begriff „Gott“. Ich meine allerdings, wenn ich vor
„Tod“ ebenso stehen bliebe, käme ich gar nicht zu „Gott“.
Daher sollten wir fähig sein, auch bei makabren Themen den
Gottesglauben zu behalten. Sonst kannst Du zwar sagen
„absolut“, aber Du hast über die Tat kein Wissen, sondern
Religion.

Ich hoffe, dass ich meine Meinung trotzdem verdeutlichen konnte: Es ist völlig egal, wer Täter und wer Opfer ist und auf welche Weise ein Völkermord begangen wird. Was zählt, ist das Ergebnis, nämlich die Toten. Wer da nach Unterschieden im Detail sucht, der, bitte entschuldige die Ausdrucksweise, wühlt in der Scheiße und sortiert sie nach Geruch.

Kollektivschuldthesen, egal wann und auf wen gemünzt,
sind Schwachsinn

glaube ich auch (intuitiv), kann ich aber nicht belegen, und
Goldhagen ist im Wesentlichen erst dann widerlegt, wenn die
Sache belegt wird.

Muss mich nochmal wiederholen: Die Behauptung kollektiver Schuld steht nicht am Ende bei der Aufarbeitung eines Völkermords, sondern steht an seinem Anfang, denn sie ist zunächst notwendige Voraussetzung für die Tatmotivation. Insofern sind die Anhänger von Kollektivschuldthesen aller Art ihrer eigenen Denkweise folgend viel eher auf die Anklagebank zu setzen als auf den Richterstuhl. Goldhagens Thesen sind es schlicht nicht wert, dass wir uns den Kopf über sie zerbrechen, denn Goldhagen ist ein geistiger Brandstifter.

Gruß
smalbop

Goldhagen, Kollektivschuld, Propaganda
Hallo smalbop,

Wenn schon nicht jedes geschichtliche Ereignis absolut ist, würdest
du ihm dann wenigstens den Status einer Singularität zugestehen?
Bzw. unter welchen Voraussetzungen?

Singularität ist ein Etikett, das dann auf die Flasche kommt, wenn Vergleiche hinken. Dies ist auf eine gewisse Weise bei jedem geschichtlichen Ereignis der Fall, da jedoch nicht in jedem Fall der Vergleich stört, bekommt das Wort seine Anwendung, falls jemand den Eindruck hat, der Vergleich hinke in störender Weise. Wenn also etwa jemand sagt, das einzige schwarze Schaf in der Herde sei eben schwarz und gehöre somit nicht dazu, dann bezeichnet er das Schaf als singulär, weil z. B. die schwarze Wolle gesondert zu scheren ist; wenn das Gegenüber kommt und ruft, das schwarze Schaf müsse doch das gleiche Gras fressen wie die weissen, dann legt er Wert darauf, dies sei keine Singulariät.

Ein Ereignis bezeichne ich somit als singulär, wenn es relativ unvergleichlich ist innerhalb des Gedankenaustausches, bzw. wenn ich ihm bestimmte einzelne Merkmale des Vergleichens entziehe. Erst wenn ich ihm alle entziehen würde, wäre das Ereignis absolut.

In gewissem Sinn ist jeder Fall ein Einzelfall. Solange der Mensch aber glaubt, durch die Sprache sich annähern oder eben vergleichen zu können (per Analogie oder Namensnennung usw.), solange hat auch jede Sache eine kleinere oder grössere Beschreiblichkeit - und sei sie im Extremfall auch nur durch „unbeschreiblich“ wiederzugeben.

Die ganze Fragestellung, ob es überhaupt erlaubt und zulässig ist,
den Holocaust als einen Völkermord unter vielen zu sehen, ist
weniger von wissenschaftlichen Motiven getrieben als vielmehr von
solchen des Moralismus

Das ist zu bestätigen, allerdings lege ich Wert darauf, festzusetzen, was hier unter „Moralismus“ zu verstehen ist. Ich denke das ist wohl ein Gemisch von Moral, Politik, Diskurs und Menschenverstand. - Vielleicht ist hier ein kleines Timeout im Sinne des „Redens über das Reden“ angebracht. Wir befinden uns im Geschichtsbrett. Es ist kaum zu bezweifeln, dass dieses sowohl Elemente der Geschichtsphilosophie (Wissenschaftstheorie usw.) und der Geschichtswissenschaft als auch Elemente der Politik und des einfachen Diskurses enthält. „Moralismus“ hat hier zwar seinen Platz, aber er ist grundsätzlich zu kennzeichnen, ebenso wie die anderen Elemente von Zeit zu Zeit gekennzeichnet werden müssen, dann schreibt man nämlich ein bisschen weniger aneinander vorbei. Bleibt die Anmerkung, dass es manchmal im Leben richtig ist, aneinander vorbeizuschreiben, damit man einander nicht „verabsolutiert“.

Dass andere auch Verbrechen begehen, ändert meine Verbrechen nicht
ein bisschen

aber es ändert die Konsequenzen, die Du daraus ziehst

Kommt sie denn

Ich kann sie nicht finden, d. h. keinerlei eigentliche Absolutheit (in meinem Sinn) feststellen, solange die betrachtete Sache in Kategorien der Moral passt. Streng genommen kommt sie erst, wenn die Sache buchstäblich „jenseits von Gut und Böse“ ist. Also etwa wenn es um Gott geht. Einen Grenzfall haben wir, wenn es um den Tod geht, also auch hier in unserem Fall zum Teil, weil es hier zum Teil auch um den Tod geht. Ich setze aber die Grenze mit ganz bestimmtem Grund nicht diesseits des Todes, sondern jenseits des Todes.

Es ist völlig egal, wer Täter und wer Opfer ist und auf welche Weise
ein Völkermord begangen wird

Sag das zu einem Menschen, der gerade mitten im friedlichsten Dasein von einer Horde Hunnen überfallen wird und sich jetzt angeblich nicht gegen sie verteidigen soll, weil „Krieg“ ja „Völkermord“ sei.

Die Krux ist, dass jeder, auch der aggressivste Angreifer, sich irgendwo und irgendwie legitim auf das Selbstbehauptungsrecht stützen kann und unter irgend einem Blickwinkel (der r e l a t i v auf die Angelegenheit gerichtet wird) nichts als seine Existenz verteidigt.

Natürlich kann man hier einwenden, es gehe dann nicht gegen das Volk der Hunnen, sondern nur gegen die Kompanie, die gerade über den nächsten Hügel steigt. Aber eine andere Kompanie kommt nach, ist es da a b s o l u t verwerflich, auch vor dieser einen Wall aufzuwerfen?

notwendige Voraussetzung für die Tatmotivation

genau daran ist herumzuanalysieren. Wenn ich also „rechte“, d. h. die Motive abwäge, kann etwas relativ zu meinen Prämissen herauskommen: die Motive waren relativ schwerwiegend oder vernachlässigbar, relativ berechtigt oder unberechtigt und relativ präsent oder unterschwellig.

Dabei ist die Propaganda zwar nicht allmächtig, jedoch in bestimmtem Kontext durchaus tonangebend, und das auch ohne eigentliche Gehirnwäsche, weil sie Bedürfnissen Ausdruck verleiht.

Goldhagen ist ein geistiger Brandstifter

klingt nicht „absolut“ unangemessen, ist mir aber noch zu wenig detailliert. Hatte nicht Deutschland gewisse Dinge erlebt und gehört, die in andern Ländern so nicht abliefen? Waren hier nicht auch Dinge im Spiel, die ins 19. Jahrhundert (zum beginnenden Antisemitismus) zurückreichen? Gab es nicht einige Ereignisse, die zusammengenommen ein gemeinsames Schicksal Deutschlands in Bezug auf die Juden zur Besonderheit mit eigener Qualität machen, mit einer Qualität, die es sinnvoll erscheinen lässt, den Deutschen eine Besonderheit in Bezug auf die Juden zu unterstellen? Zustandegekommen durch viele Ereignisse wie Ausländerproblematik (jüdische Flüchtlinge aus Polen in den 20ern), jahrhundertelangen Antijudaismus bei Christen, Rolle der Banken vor und während 1. Weltkrieg, antisemitische Politik vor 1900 und Säkularisierung inkl. Erfolgen der Evolutionslehre?

Wenn ein Deutsches „Antisemitismusgen“ herausgefunden werden kann, kann es auch entschlüsselt werden. Nicht gesagt ist damit, ob es als Begriff brauchbar ist und wieviel es aussagt, bzw. was daraus für die Moral folgt. Mag es verwerflich sein, wenn ich meinen Feind umbringe. Mag es verwerflich sein, wenn ich jemanden aufgrund der Herkunft benachteilige. Beides zugleich ist ja immer noch ein Schritt mehr: also wenn ich jemanden benachteilige und dann auch noch zu meinem Todfeind mache, dann habe ich mehr als einen Schritt gemacht.

Meines Erachtens muss Goldhagen also genau unterscheiden (was er ja streckenweise auch tut): die Deutschen zu welchem Zeitpunkt? Wann haben sie das Gen? Und wie wird es aktiviert (schrittweise)? Woher ist es gekommen? Was rechtfertigt seinen Namen?

Gruss
Mike

Thema Nationalsozialismus / schuld der deutschen?
Goldhagen hat ja mal gesagt das das nationalsozialistische
Deutschland nur mit nackter Gewalt beherrscht wurde falsch
sei.Und das nicht jede Diktatur aus Terror besteht.

Das unterschied Hitler von Stalin: Wer sich unter den Nazis unauffällig verhielt der konnte ganz gut und unbehelligt in Frieden leben, während Stalin seine Landsleute terrorisierte, niemand war vor seinen Gulag sicher, nicht einmal seine engsten und treuesten Mitarbeiter. Das Berufsverbrechertum diente in D als Kapo in den KZ, eine deutsche Frau konnte sich also ohne Gefahr durch die verdunkelte Stadt bewegen (wenn sie nicht gerade im Bombenhagel umkam). Für viele Deutsche hatte der NS-Staat also etwas kuscheliges. Dazu die schicken Uniformen, die Aufmärsche mit viel Tamam, die täglichen Sondermeldungen von einem großen Sieg zum anderen - wir Deutschen waren wieder wer! Der Glaube an die Wunderwaffen bewirkte noch Endsiegphantasien, obwohl der Feind schon im Nachbardorf war, und viele Jugendlichen noch zu den Fahnen eilten um ja nicht den Endsieg zu verpassen. Das Volk war also eingelullt und zu blöde um zu erkennen, was los war.

Wolfgang D.

Der Krieg hat eben eigene Gesetze
Hallo Wolfgang D.,

eingelullt

ja

zu blöde

nein.

Ich lasse mich doch auch einlullen, wenn es nur ein Ziel gibt. Angenommen, es regnet in Strömen, ich ohne Schirm in der Pampa und will zum Unterstand. Also werden sämtliche Reserven auf das Ziel ausgerichtet, auch wenn es gestern im gleichen Regen hiess: anhalten, auf der Strasse campieren und fast erfrieren. Die Erfahrung dessen gibt mir dann die Motivation fürs Laufen. Selbst wenn ich beim Laufen noch mehr friere und langsam das Gefühl von Sterben kriege, laufe ich doch weiter, wenn ich den Entschluss nun mal gefasst habe, sofern die Erfahrung auch nur einigermassen existentiell war.

Sprich: Ein Volk, das nach dem 1. WK genug gebeutelt worden ist, wird nicht so schnell kapitulieren. Man mag leichtgläubig, mit gemischten Gefühlen und für unbekannte Interessen in den Krieg gezogen sein, es gab doch nur Sieg oder Tod.

Die Einstellung zu den Juden war dazu gewissermassen das Vorgeplänkel: Ein Krieg mit dem immer gleichen unbewaffneten Verlierer. Diese Optik ist für jeden bequem, der den anderen Krieg vor Augen hat. Man brauchte nur den Feind in diesem Verlierer zu suchen. Man erblickte ihn bekanntlich nicht nur in der internationalen Finanzwelt, die angeblich die Fäden in der Hand hatte und schon den ersten Weltkrieg insgeheim verschuldet haben sollte, sondern man erblickte ihn in den Juden schlechthin. Man hatte einen Sündenbock, und das heisst im Krieg eben noch ganz anderes als im Frieden.

Gruss
Mike

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Thema Nationalsozialismus / schuld der deutschen?
Goldhagen hat ja mal gesagt das das nationalsozialistische
Deutschland nur mit nackter Gewalt beherrscht wurde falsch
sei.Und das nicht jede Diktatur aus Terror besteht.

Das unterschied Hitler von Stalin: Wer sich unter den Nazis
unauffällig verhielt der konnte ganz gut und unbehelligt in
Frieden leben,

Ausser Du hattest rein zufällig die falschen Eltern.

während Stalin seine Landsleute terrorisierte,
niemand war vor seinen Gulag sicher, nicht einmal seine
engsten und treuesten Mitarbeiter.

Klar, Röhm und Co wurden auch gleich erschossen, war doch viel besser :smile:

Das Berufsverbrechertum
diente in D als Kapo in den KZ, eine deutsche Frau konnte sich
also ohne Gefahr durch die verdunkelte Stadt bewegen (wenn sie
nicht gerade im Bombenhagel umkam).

Richtig: Eine DEUTSCHE Frau!

LG
Mike

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Hi

Sieh es mal nüchtern. Das Volk hat damals eine Politik
gewählt, die es damals für die richtige hielt. Das Volk war
begeistert von Ideen, die es für die einzig richtigen hielt.

DAS Volk hat schon mal gar nicht die einzig richtige Politik gewählt. Das Resultat der letzten freien Wahlen von Weimar spricht dagegen, und selbst nach den Wahlen 1933 wurde die NSDAP nicht mit absoluter mehrheit gewählt. dass das Ermächtigungsgesetzt durchkam, war nur den Hasenfüßigen Politdeppen der Zentrumspartei zu verdanken.

Diese Politik hat das Land letztendlich ins Verderben geführt.
Die Nachwehen gibt es heute noch, ersichtlich aus ebendiesen
obigen Antworten. Den Holocaust kann man böser Zunge in diesen
Sinne als den größten Kolleteralschaden am Untergang des
deutschen Volks und Kultur (und uns ebenso) sehen. Für mich
ist das Judentum Teil davon (gewesen).

Na ja… Der Holocaust war sicher kein Kollateralschaden (ein unbeabsichtigter Nebeneffekt) sondern die Eliminierung der Juden war ein zentraler und definierender Teil der NS-Ideologie.

Das war damals eben normal, daß
man „gegen Juden was hat“,

Falsch!

so wie es heute normal ist für
Umweltschutz zu sein und gegen Atomkraftwerke und deutsche
Flaggen was hat, das Binnen-I toll zu finden, die dummen
kriegsgeilen Amerikaner nicht zu mögen und jede MigrantInnen
zu fördern koste es was es wolle, außer Israelis natürlich,
die sind böse. Sprich öffentlich dagegen und du bist eine
persona non grata!

Ach ja, man wurde also damals (vor der Machtergreifung) wegen Pro-Jüdischen Äusserungen genauso verfolgt wie heute, wenn man für Atomkraft und die USA eintritt.
Da könntest Du recht haben…
Man wird nämlich nicht verfolgt, oder übersehe ich da was.

Ich würde soweit gehen zu sagen, daß die typisch deutsche
Mentalität (und auch unsrige) daraus besteht, sich auf ein
bestimmtes Set an Ideen festzulegen und diese für das Schöne,
Wahre und Gute zu halten.

Schmarrn!

Selbst noch, wenn der eigene
Untergang so nahe ist. Wer dagegen ist, wird fertiggemacht.

Noch Schmarriger

So
funktioniert Diktatur, da braucht man keine Gewalt.

Ich frage mich jetzt ernsthaft, ob Du in irgendeinem antideutschen Paralleluniversum lebst.

Goldhagen natürlich recht. Und es wird wieder passieren. Und
dann wird es wieder niemand gewesen sein.

Daniel Goldhagens Werk wurde von nicht nur Deutscher Seite als „just a bad Book“ bezeichnet. Als eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust ist diese Arbeit praktisch wertlos und wird als Kuriosität in die Bibliotheken eingehen.

Mike

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