Hallo Steffi,
Denn all das [die Probleme des Kindes] sind nachgeordnete Probleme,
die sich individuell oder gesellschaftlich lösen ließen.
Da muß ich dir widersprechen.
Ok, wenn du "Lösen " im Sinne von „ungeschehen machen“ verstehen willst, stimmt es natürlich nicht, dass die Probleme lösbar sind. Sie sind aber trotzdem nachgeordnet und nicht ausweglos.
Mütter müssen ihre Kinder nicht töten, ungeliebte Kinder können (Ersatz)Eltern finden, die sie lieben und materielle Not muss nicht bis zur Würdelosigkeit reichen (den Punkt warum ein Kind würdelos aufwachsen sollte hab ich allerdings nicht wirklich verstanden), wenn man die entsprechenden Hilfen in Anspruch nimmt.
Damit wird aus einer Schwangerschaft und Kindheit unter schwierigen Voraussetzungen kein Himmel auf Erden, aber das ist sowieso niemandem garantiert.
Meine Mutter hat mich nach einem jugendlichen „Versehen“ trotz
schlechter Umstände ausgetragen, weil es damals keine
wirkliche andere Alternative gab. Das hatte sehr negative
Auswirkungen auf mich. Letztlich habe ich dennoch einen guten
Weg gefunden, was aber nicht deinen angedachten Lösungen zu
verdanken ist, sondern einigen wenigen Menschen, die meinen
Weg kreuzten. Ich habe Glück gehabt.
Hier kann ich nun gar keinen Widerspruch mehr zu dem Erkennen was ich sagte. Welche Lösung habe ich denn angedacht? Das muss unabsichtlich passiert sein, denn ich habe keine Lösung für das Problem ungewollter Schwangerschaften.
Aus meiner Sicht geht es sehr wohl um das Wohl des Kindes.
Die Nachteile, die ein Kind dadurch erfährt, das es in eine
schlechte Situation hinein geboren wird, sind nicht voll
ausgleichbar. Auch nicht bei einer Adoption als Säugling,
wenngleich das die beste Möglichkeit ist.
Ja, das stimmt, aber die Lösung jemanden zu seinem eigenen Wohl prophylaktisch zu töten, ist nun wirklich einfach logisch absurd.
Wenn jemandem unerträgliches Leiden droht und er am besten noch zu erkennen gibt, dass er den Tod als Ausweg sucht, dann könnte ich es noch nachvollziehen, dass man jemanden zu seinem eigenen Wohl tötet, aber wir reden hier nicht von unerträglichem Leiden. Nimm doch einfach dich als Beispiel. Meinst du man hätte dir dein Leben ersparen sollen?
Außerdem leidet eine Frau während der Schwangerschaft und dann
ihr Leben lang um ein Vielfaches mehr, wenn sie ihr Kind erst
9 Monate trägt, bevor sie es abgibt.
Das nehme ich für viele Fälle auch an.
Und diese Qual fühlt wahrscheinlich auch das ungeborene Kind.
Das halte ich dagegen für … pure Spekulation. *
Ich würde nie eine Frau verurteilen, die abtreibt weil die
Umstände ihr und dem Kind kaum positive Zukunftschancen
lassen.
Hab ich das getan?
Ich behaupte aber, dass die Gründe im Interesse des Kindes zu handeln nicht ausreichend durchdacht oder sogar (unbewusst) vorgeschoben sind.
Im Interesse des Kindes zu handeln wird gesellschaftlich eher akzeptiert und ist scheinbar moralisch höherwertig. Damit kann die Frau sich gegen gesellschaftlichen Druck besser verteidigen oder Ansprüche dritter zurückweisen. Sie muss sich dann selbst und ihre ganz persönlichen Voraussetzungen, Ängste und Bedürfnisse nicht zur Diskussion stellen, sondern kann über diese mehr oder weniger fiktive Person sprechen, der zuliebe sie angeblich handelt. So wird aus der Ablehnung des Kindes, die u. U. schuldbesetzt ist, dann sogar noch eine besondere Form der Zuwendung. Das sind aber psychologische Entlastungsstrategien. Die unausgesprochene Wahrheit liegt woanders.
Dass die Frau so vor geht, ist auch nicht ihre Schuld, denn die Wahrheit würde von ihrer Umwelt und der Gesellschaft häufig nicht akzeptiert. Andere Menschen sagen zwar oft, es sei allein die Entscheidung der Frau, machen aber auf mehr oder weniger subtile Weise deutlich, wie diese Entscheidung auszusehen hat. Daraus folgen vielfältige Ängste mit denen die Frau oft allein bleibt.
Außerdem hat die Frau ja auch noch Wertvorstellungen verinnerlicht, die vielleicht ihren eigenen Bedürfnissen zuwiderlaufen, so dass sie in einem inneren Konflikt steht, den sie in ihrem Interesse nur lösen kann, indem sie gewissermaßen den „inneren Feind“, der ihr sagt sie dürfe das, was sie braucht nicht tun, mit seinen eigenen Waffen schlägt.
Da ist dann vielleicht eine Stimme die ihr Sagt:
„Es ist ganz schlecht sein Kind zu töten!“ und „Eine Frau muss ihr ungeborenes Kind lieben!“
Dagegen kann ein:
„Ich will das aber nicht!“ oder „Ich habe Angst davor!“ nicht bestehen.
Also holt sich die Frau innere Verstärkung und treibt den unwillkommenen Anspruch auf Liebe zu dem „Bauchbesetzer“ mit dem
„Es ist doch im Interesse des Kindes!“ zurück. Hiermit kann sie gleichsam für sich in Anspruch nehmen, der Forderung nach Mutterliebe doch eigentlich zu entsprechen.
Die überwältigende Mehrheit der Menschen will aber auch im bittersten Elend nicht sterben, warum sollten auf einmal jedes Jahr über hunderttausend ungeborene Kinder lieber sterben wollen, als unter den auch für Unterprivilegierte historisch einmalig komfortablen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland einen schwierigen Start zu haben und dann die Chance was draus zu machen?
Die Annahme hier stellvertretend die Interessen des Kindes zu vertreten bleibt schlicht sachlicher Unsinn (wenn auch psychologisch wirkungsvoll).
Ich kann nachvollziehen, wie man dazu kommt (s. o.), und es ist mir von daher auch erklärlich, warum betroffene Frauen sich dagegen vehement verwahren, diesen Weg zu erkennen, aber ich muss niemanden in diesem Irrtum bestätigen.
Letztlich tragfähiger ist das, was ich im vorigen Beitrag ausgeführt habe. Ich denke es wäre auch für die Frauen gesünder, sich nicht mit argumentativen Stellvertretern zu begnügen, sondern die Entscheidung wirklich so weit wie möglich zur eigenen zu machen.
Gruß
Werner
*kleiner Exkurs:
und selbst wenn, würde daraus logisch kein Interesse des Kindes an „Nicht-Sein“ folgen, sondern ein Interesse an „Nicht-Leiden“. „Nicht-Leiden“ setzt aber „Sein“ voraus. „Leiden“ oder „Nicht-Leiden“ sind keine Phänomene der Inexistenz. „Nicht-leiden“ kann also durch „Nicht-Sein“ nicht erreicht werden.
Oder um es anders zu sagen:
Ein Toter kann nicht leiden aber auch nicht nicht-leiden.