Hallo Mikhael,
im Buddhismus kennt man bestimmte Gruppen von Gelübden, die man auf sich nimmt.
Zunächst zum Theravada, also dem Buddhismus, wie er in Sri Lanka und Südostasien heimisch ist.
Allgemein verbindlich für alle, die sich als Buddhisten verstehen, ist eine Gruppe von fünf moralischen Regeln, idR pancasila (‚fünf Sittlichkeiten‘) genannt. Die korrekte Bezeichnung für diese Regeln ist sikkhapada, etwa „Stufen der Übung“. Es handelt sich also nicht um ‚Gebote‘, sondern um Verhaltensweisen, in denen man sich übt - und bei denen es folgerichtig auch unterschiedliche Grade der ‚Geübtheit‘ gibt.
Die erste dieser Regeln lautet (in der Formulierung als Gelübde):
Panatipata veramani sikkhapadam samadiyami - etwa:
„Ich nehme die Übung auf mich, mich des Tötens zu enthalten.“
Dies wird allgemein so verstanden, dass damit auch das Töten von Tieren gemeint ist. Dies erhellt u.a. auch daraus, dass der Aspekt „Rechter Lebenserwerb“ des achtfachen edlen Pfades so ausgelegt wird, dass u.a. der Beruf des Schlachters diesem Aspekt buddhistischer Praxis widerspricht.
Andere Gruppierungen von Regeln (dasa-sila, 10 Sittlichkeiten, und attha-sila, acht Sittlichkeiten) ergänzen diese fünf Regeln um weitere fünf (bei Novizen und Mönchen) auf 10 oder um drei (für Laien an vier Tagen im Monat) auf 8, wobei bei letzterer Gruppierung die siebte und achte Regel des 10er-Satzes zu einer zusammengefasst werden - es wird also lediglich die 10. der Mönchsregeln nicht beachtet (kein Kontakt mit Geld oder Edelmetallen). In jedem Fall ist und bleibt die Regel des Nicht-Tötens die erste und wichtigste.
Das bedeutet freilich keine Verpflichtung zum Vegetarismus (auch wenn dieser bei Mönchen die Regel ist). Tiere zu essen, die von Anderen (z.B. einem muslimischen Schlachter) getötet wurden, wird allgemein als akzeptabel angesehen. Mönche sind sogar dazu verpflichtet, das ihnen gespendete Essen zu verzehren, auch wenn es Fleisch enthält. Dazu gehört allerdings als Voraussetzung, dass sie weder aus eigener Kenntnis noch durch Mitteilung durch andere wissen, dass das Tier speziell für sie geschlachtet wurde. Selbst eine begründete Vermutung, dass dies so ist, erfordert (oder erlaubt) schon die Ablehnung. Natürlich darf bei der Essensspende erst recht nicht speziell um Fleisch gebeten werden.
Im Mahayana-Buddhismus ist dies sehr ähnlich, doch kommen hier noch die sog. Bodhisattva-Gelöbnisse hinzu, die sowohl von Mönchen als auch von Laien abgelegt werden können (nicht müssen, versteht sich). Die tibetische Tradition der Bodhisattva-Gelübde ist sehr komplex und mir nicht in den Einzelheiten bekannt. Die ostasiatische Tradition folgt im Allgemeinen dem Mahayana-Brahmajala-Sutra mit 10 Haupt- und 48 Nebengelübden. Das erste Hauptgelübde lautet:
_Ein Schüler des Erwachten [Buddha] soll nicht selbst töten, Andere ermutigen, zu töten, durch förderliche Mittel töten*, Töten loben, sich als Zeuge am Töten erfreuen oder durch Beschwörungen oder üble Mantras töten.
Er darf nicht die Ursachen, Bedingungen, Methoden oder das Karma des Tötens schaffen und soll nicht absichtlich irgendein Lebewesen töten.
Als ein Schüler des Erwachten sollte er den Geist des Mitgefühls und kindlichen Respekts nähren und sich stetig um geeignete Mittel bemühen, alle Wesen zu retten und zu schützen. Wenn er stattdessen darin versagt, sich selbst zu zügeln und ohne Gnade fühlende Wesen tötet, so begeht er ein Parajika-Vergehen**._
Anmerkungen:
*Töten mit ‚förderlichen Mitteln‘ bedeutet, Anderen das Töten von Wesen zu erleichtern. Darunter fällt z.B. die Teilnahme als Treiber an einer Treibjagd - aber auch etwa der Transport von Schweinen zum Schlachthof.
**Ein Parajika-Vergehen führt automatisch zum Ausschluss aus der Gemeinschaft der Schüler Buddhas.
Ergänzend zu diesem ersten Hauptgelübde tritt hier noch das dritte Nebengelübde, das strikte vegetarische Ernährung vorschreibt. Die Empfehlung vegetarischer Ernährung findet sich auch in anderen Mahayana-Sutren, insbesondere im Lankavatara-Sutra, das diesem Thema ein ganzes Kapitel widmet.
In manchen Mahayana-Traditionen (z.B. im Soto-Zen) gibt es eigene Formulierungen der Bodhisattva-Gelübde, die sich im Geist jedoch nicht von denen des Brahmajala-Sutra unterscheiden.
Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich noch klarstellen, dass all die genannten Regeln und Gelübde nicht mit den Mönchsregeln identisch sind - sie sind (bis auf die Bodhisattva-Gelübde) jedoch in ihnen mit enthalten. Der Regelkanon umfasst für Mönche 227 und für Nonnen 311 Einzelregeln (Theravada-Tradition) bzw. 253 und 364 (Mulasarvastivada-Tradition in Tibet und Mongolei) oder 250 und 348 Einzelregeln (Dharmaguptaka-Tradition in Ostasien). In den sog. Kamakura-Schulen des japanischen Buddhismus (Tendai, Shin, Nichiren, Zen …) wurden diese Vinaya-Regeln allerdings völlig durch die Bodhisattva-Gelübde sowie spezielle Klosterregeln (shingi) ersetzt.
Freundliche Grüße,
Ralf