Torpedierung der Wilhem Gustloff und der helfenden T36 - Kriegsrecht

Moin,

habe heute auf Phoenix ganz kurz eine Reportage über die Torpedierung/Versenkung der Wilhelm Gustloff gesehen. Daraufhin las ich den Wiki Artikel dazu. Darum wird als „verlustreichster Schiffuntergang“ ja relativ wenig Wind gemacht im Vergleich zur Versenkung der Bismarck oder Admiral Graf Spee, die als reine Kriegsschiffe unterwegs waren und weniger Tote zur Folge hatten. Aber das nur nebenbei.

Mir war bis jetzt die Geschichte dazu anders bekannt, nämlich dass die Wilhelm Gustloff voll beleuchtet und klar als Lazarettschiff gekennzeichnet unterwegs war. Nun die Frage in bezug zum Kriegsrecht: wenn das so gewesen wäre, hätte das russische U-Boot dann trotzdem angreifen dürfen? Kann denn sicher nachgewiesen werden, dass das russ. U-Boot wusste, dass sich kampfbereite Truppen an Bord befanden?
Wie ist das kriegsrechtlich einzuordnen, dass das herbeieilende T 36, welches „Schiffsbrüchige“ aufnahm, auch angegriffen wurde?

Wenn das alles einwandfrei - insofern man im Krieg davon überhaupt reden kann - ablief, hat dann jemand Informationen, warum der Kommandant des U-Bootes unehrenhaft entlassen worde?

Vor allem, ob der Angriff durch’s Kriegsrecht gedeckt war, würde mich interessieren. Vlei gibts dazu auch noch andere Quellen, als wiki?

Ich hab versucht, es möglichst wertungsfrei zu formulieren. Mir gehts hier nur um die rechtliche Frage.

Vielen Dank für eure Mühe schon mal und ein schönes Wochenende! :smile:

Cheers Topper

Mir war bis jetzt die Geschichte dazu anders bekannt, nämlich
dass die Wilhelm Gustloff voll beleuchtet und klar als
Lazarettschiff gekennzeichnet unterwegs war. Nun die Frage in
bezug zum Kriegsrecht: wenn das so gewesen wäre, hätte das
russische U-Boot dann trotzdem angreifen dürfen?

Zum einen vorweg: Russland hatte damals das geltende Kriegsvölkerrecht nicht ratifiziert (weswegen unter anderem russischen Kriegsgefangenen deutscherseits Kriegsgefangenenrechte verweigert wurden).
Bei Wikipedia gibt es ja bereits eine klare rechtliche Wertung, die ich nur darum ergänzen würde, dass die Gustloff auch dann ein legitimes militärisches Ziel gewesen wäre, wenn sie als Lazarettschiff gekennzeichnet gewesen wäre, denn sie hatte ja die Angehörigen der 2. U-Bootlehrdivision an Bord, wurde also als Truppentransporter eingesetzt.

Kann denn sicher nachgewiesen werden, dass das russ. U-Boot wusste, dass
sich kampfbereite Truppen an Bord befanden?

Irrelevant. Die Gustloff war ein Kriegsschiff und damit legitimes militärisches Ziel.

Wie ist das kriegsrechtlich einzuordnen, dass das herbeieilende T 36, welches :„Schiffsbrüchige“ aufnahm, auch angegriffen wurde?

Genauso: militärische Ziele - egal ob Personen oder Material - dürfen jederzeit bekämpft werden. Die Zivilisten an Bord sind dann der oft genannte Kollateralschaden.
Dafür haben ja Kombattanten ein umfassendes Schädigungsrecht, was aber eben auch bedeutet, dass sie jederzeit von gegnerischen Kombattanten geschädigt werden dürfen.

Das ist übrigens genau die Transferleistung, die hierzulande vielen Menschen arge Probleme bereitet, denn zu töten ist eben ethisch eine klare Grenze, die für Soldaten in einem bewaffneten Konflikt aber eben - rechtlich - nicht existiert. Siehe dazu Diskussion um die Bombardierung der Tanklaster bei Kunduz.

Gruß Andreas

Zum einen vorweg: Russland hatte damals das geltende
Kriegsvölkerrecht nicht ratifiziert (weswegen unter anderem
russischen Kriegsgefangenen deutscherseits
Kriegsgefangenenrechte verweigert wurden).

Russland hätte also machen können, was es will? Hat es das denn mittlerweile ratifiziert?

Bei Wikipedia gibt es ja bereits eine klare rechtliche
Wertung, die ich nur darum ergänzen würde, dass die Gustloff
auch dann ein legitimes militärisches Ziel gewesen wäre, wenn
sie als Lazarettschiff gekennzeichnet gewesen wäre, denn sie
hatte ja die Angehörigen der 2. U-Bootlehrdivision an Bord,
wurde also als Truppentransporter eingesetzt.

Darauf zielte ja auch eine meiner Fragen ab: konnte das U-Boot bzw. der Kommandant sicher sein, dass einsatzfähige Truppen an Bord waren?

Kann denn sicher nachgewiesen werden, dass das russ. U-Boot wusste, dass
sich kampfbereite Truppen an Bord befanden?

Irrelevant. Die Gustloff war ein Kriegsschiff und damit
legitimes militärisches Ziel.

Lt. dem Artikel (zumindest lese ich das so) war die Wilhelm-Gustloff kein Kriegsschiff, sondern ursprünglich ein KdF Schiff, welches zur Evakuierung genutzt wurde. Reicht es denn, wenn Flugabwehrgeschütze an Bord sind, es als Kriegsschiff zu klassifizieren?
Rhetorische Frage: wenn es tatsächlich lediglich ein Lazarettschiff gewesen wäre, hätte es nicht angegriffen werden dürfen, oder?

Wie ist das kriegsrechtlich einzuordnen, dass das herbeieilende T 36, welches :„Schiffsbrüchige“ aufnahm, auch angegriffen wurde?

Das ist übrigens genau die Transferleistung, die hierzulande
vielen Menschen arge Probleme bereitet, denn zu töten ist eben
ethisch eine klare Grenze, die für Soldaten in einem
bewaffneten Konflikt aber eben - rechtlich - nicht existiert.
Siehe dazu Diskussion um die Bombardierung der Tanklaster bei
Kunduz.

Was meinst du mit „Transferleistung“?

Tach

Russland hätte also machen können, was es will? Hat es das
denn mittlerweile ratifiziert?

Nicht nur die Sowjetunion, sondern alle Länder die mit ihr im Krieg sind. Das nennt sich Allbeteiligungsklausel.
Das Russische Kaiserreich hatte den Vertrag ja unterzeichnet, die SU weigerte sich aber dies bis 1955 anzuerkennen.

Darauf zielte ja auch eine meiner Fragen ab: konnte das U-Boot
bzw. der Kommandant sicher sein, dass einsatzfähige Truppen an
Bord waren?

Das ist egal. Jedes Schiff unter feindlicher Fahne war ein legitimes Ziel, außer es handelte sich um ein Hospitalschiff. Diese Schiffe mussten aber klar ersichtlich gekennzeichnet sein und deren Namen allen Parteien bekannt gemacht werden.

Lt. dem Artikel (zumindest lese ich das so) war die
Wilhelm-Gustloff kein Kriegsschiff, sondern ursprünglich ein
KdF Schiff, welches zur Evakuierung genutzt wurde. Reicht es
denn, wenn Flugabwehrgeschütze an Bord sind, es als
Kriegsschiff zu klassifizieren?

Kriegsschiff nicht, aber zumindest ein bewaffneter Transporter und damit ein legitimes Ziel.

Rhetorische Frage: wenn es tatsächlich lediglich ein
Lazarettschiff gewesen wäre, hätte es nicht angegriffen werden
dürfen, oder?

Laut Haager Konvention nicht, aber die SU hatte diese ja nicht anerkannt…

Lg,
Penegrin

Der Eck Prozess
Servus,

falls du dich für das Thema U-Bootkrieg und Rechtslage interesierst, solltest du dir mal den Eck-Prozess anschauen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Eck-Prozess

Soweit ich weiß, ist das der einzige Fall, in dem eine U-Bootbesatzung vor ein Kriegsgericht gestellt wurde.

Lg,
Penegrin

Russland hätte also machen können, was es will? Hat es das
denn mittlerweile ratifiziert?

Jein, gegenüber den Russland bestand in der allgemeinen Lesart keinerlei Verpflichtung die Standarts der Haager Landkriegsordnung einzuhalten.
Und da die Sowjetrussen sie selbst nicht anerkannt haben, haben sie auch nicht danach handeln müssen. Mitunter deshalb sind auf deutscher Seite hundertausende russische und auf russischer Seite hundertausende deutsche Kriegsgefangene unter schlimmsten Bedingungen zu Tode gekommen.

Darauf zielte ja auch eine meiner Fragen ab: konnte das U-Boot
bzw. der Kommandant sicher sein, dass einsatzfähige Truppen an
Bord waren?

Brauchte er nicht. Das Schiff war das primäre Ziel.

Irrelevant. Die Gustloff war ein Kriegsschiff und damit
legitimes militärisches Ziel.

Lt. dem Artikel (zumindest lese ich das so) war die
Wilhelm-Gustloff kein Kriegsschiff, sondern ursprünglich ein
KdF Schiff, welches zur Evakuierung genutzt wurde.

Die Gustloff wurde ab Kriegsbeginn zum Lazarettschiff, später zum Kriegsschiff, zunächst als Wohnschiff und später auch als Truppentransporter. Dementsprechend war sie dann auch Marinegrau gestrichen und jederzeit und überall legitimes militärisches Ziel.

Reicht es denn, wenn Flugabwehrgeschütze an Bord sind, es als
Kriegsschiff zu klassifizieren?

Nein, aber Flugabwehrgeschütze selbst und die Mannschaften, die sie bedienen wären automatisch wieder legitimes militärisches Ziel, von daher dürften sie auch bekämpft werden.

Rhetorische Frage: wenn es tatsächlich lediglich ein
Lazarettschiff gewesen wäre, hätte es nicht angegriffen werden
dürfen, oder?

Wenn sie entsprechend markiert gewesen wäre und der angreifende U-Bootkommandant das erkannt hätte, hätte sie nach dem damaligen Kriegsvölkerrecht - was die Sowjetrussen ja nicht ratifiziert haben - grundsätzlich nicht angegriffen werden dürfen.
Warum nur grundsätzlich? Weil mit den Angehörigen der 2. U-Bootlehrdivision militärische Ziele an Bord waren, die bekämpft werden durften. Wenn der U-Boot Kommandant davon ausgegangen wäre - und davon war in der damaligen Lage auszugehen -, dass auch nicht verwundete Wehrmachtsangehörige/Kombattanten an Bord waren hätte er auch ein Lazarettschiff Gustloff angreifen dürfen.

Was meinst du mit „Transferleistung“?

Ich meine damit, dass im Krieg bzw. in bewaffneten Konflikten für Kombattanten bestimmte rechtliche Grenzen nicht existieren. Ein Kombattant hat ein umfassendes Schädigungsrecht und darf militärische Ziele grundsätzlich immer und überall bekämpfen. Egal ob der gegnerische Soldat schläft oder das gegnerische Patrouillenboot gerade Schiffbrüchige aufnimmt.
Krieg ist unethisch, Krieg ist grenzenlos. Und um hier wenigstens ein klein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen gibt es das Humanitäre Völkerrecht (früher Kriegsvölkerrecht). Und weil es Krieg ist setzt man bewaffnete Streitkräfte ein, nicht die Feuerwehr, nicht das THW, nicht die Polizei.

Versteh mich nicht falsch, ich will dich nicht belehren, ich sehe nur, dass du Fragen stellst, die mich sehr an die immernoch recht aktuelle Tanklasterbombardementdiskussion erinnern und hole deswegen etwas weiter aus. :wink:
Frei nach dem Motto: Wie kann man nur so viele Menschen töten?

  • Ganz einfach, man schießt selbst, drückt auf einen Knopf oder lässt drücken.
    Warum?
  • Weil man von seiner (politischen) Führung - damals wie heute - in den Krieg befohlen wurde und einen klaren Auftrag hat.
    Zivile Opfer sind da - damals wie heute - mit einkalkuliert, so hart das klingen mag. Das möchten aber hierzulande viele weder hören, noch wissen. Unter anderem auch viele, die selbst im Bundestag sitzen und entsprechende Entscheidungen getroffen haben.

Gruß Andreas

1 Like

Kriegsschiff nicht, aber zumindest ein bewaffneter Transporter
und damit ein legitimes Ziel.

Die Gustloff war ab November 1940 ein Kriegsschiff der Kriegsmarine und wurde als Wohnschiff und Truppentransporter genutzt.

Gruß Andreas

Danke für deine ausführliche Antwort. Mir ging es wie gesagt wirklich nur darum, ob der Angriff kriegsrechtlich legitim war. Dass es in Kriegen nie fair zugeht und fast immer mit unlauteren Mitteln gekämpft wird, war mir durchaus bewusst. Georg Schramm hat dazu mal sinngemäß in einem seiner Auftritte gesagt, als es darum ging, wie hinterhältig doch die Afghanen die US-Soldaten bekämpfen mit ihrer Guerilla Taktik, dass es durchaus legitim und auch menschlich ist, einen übermächtigen Feind, dem man eigentlich hoffnungslos unterlegen ist, aus dem Hinterhalt anzugreifen. Man möge mir diesen Schachtelsatz verzeihen. :smile:

Versteh mich nicht falsch, ich will dich nicht belehren, ich
sehe nur, dass du Fragen stellst, die mich sehr an die
immernoch recht aktuelle Tanklasterbombardementdiskussion
erinnern und hole deswegen etwas weiter aus. :wink:
Frei nach dem Motto: Wie kann man nur so viele Menschen töten?

  • Ganz einfach, man schießt selbst, drückt auf einen Knopf
    oder lässt drücken.
    Warum?
  • Weil man von seiner (politischen) Führung - damals wie heute
  • in den Krieg befohlen wurde und einen klaren Auftrag hat.
    Zivile Opfer sind da - damals wie heute - mit einkalkuliert,
    so hart das klingen mag. Das möchten aber hierzulande viele
    weder hören, noch wissen. Unter anderem auch viele, die selbst
    im Bundestag sitzen und entsprechende Entscheidungen getroffen
    haben.

Ich musste jetzt kurz überlegen, welches Ereignis du meinst. Aber ich denk, ich hab’s. Ich hatte das schon in Gedanken verbannt, da ich die Äußerungen aller Politiker zu diesem Thema für absolut sinnfreie Polemik halte, die nur der eigenen Profilierung dient, denn von denen war keiner vor Ort.

Gruß Andreas

Dass es in Kriegen nie fair zugeht

…habe ich nie behauptet. Würde ich auch nie sagen.

und fast immer mit unlauteren Mitteln gekämpft wird, war mir durchaus bewusst.

Wieso mit „unlauteren Mitteln“? Das habe ich nie gesagt. Im Gegenteil, der Sachverhalt ist völlig klar. Da ist nichts unlauter und nichts unfair: Ein militärisches Ziel wird angegriffen und vernichtet. Dass dabei Kollateralschaden entsteht ist weder „unfair“ nocht „unlauter“, sondern unethisch, aber so sind Kriege nunmal.

Georg Schramm hat dazu mal sinngemäß in einem seiner Auftritte
gesagt, als es darum ging, wie hinterhältig doch die Afghanen
die US-Soldaten bekämpfen mit ihrer Guerilla Taktik, dass es
durchaus legitim und auch menschlich ist, einen übermächtigen
Feind, dem man eigentlich hoffnungslos unterlegen ist, aus dem
Hinterhalt anzugreifen.

Kommt immer darauf an. Zum einen sind die wenigsten Talib Afghanen, zum anderen greifen sie vorrangig Zivilisten und gerne auch militärisches Sanitätspersonal an, halten sich nicht an das Humanitäre Völkerrecht und stellen sich damit außerhalb des internationalen Rechts für bewaffnete Konflikte. Von daher sind diese Herren nichts anderes als Straftäter.

Das Beispiel Afghanistan ist eher geeignet aufzuzeigen, dass das Humanitäre Völkerrecht kaum geeignet ist in asymmetrischen Konflikten für ethische Mindeststandards und eine Begrenzung des Leids zu sorgen, weil sich die „armen Unterlegenen“ nämlich an keine Regeln halten.

Gruß Andreas

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Wenn du Standard nicht immer mit t schreiben würdest…

ansonsten sehr präzise Beschreibung.

Hallo,

Russland hätte also machen können, was es will? Hat es das
denn mittlerweile ratifiziert?

Nicht nur die Sowjetunion, sondern alle Länder die mit ihr im
Krieg sind. Das nennt sich Allbeteiligungsklausel.

Die wurde meines Wissens aber 1929 aus der Genfer Konvention gestrichen (bzw. in der Überarbeitung und für die neue Konvention zur Behandlung Kriegsgefangener gar nicht erst aufgenommen).

Nur für die Haager Landkriegsordnung galt sie theoretisch noch. Allerdings hat sich m. W. auch das deutsche Reich nie explizit darauf berufen und damit implizit die Gültigkeit auch dieser Konvention anerkannt.
Diese waren bereits im 2. WK Teil des Völkergewohnheitsrechtes geworden (was allerdings erst rückwirkend offiziell festgestellt wurde).

Gruß
Werner