Tragende Wände und Trennwände

Guten Tag,

hätte eine Frage, die zumindest am Rande mit Statik zu tun hat und bitte um Ihre Auskünfte.

Tragende Wände und Trennwände bei Einfamilienhäusern:

Tragende Wände - meist 30 oder 35 cm stark - werden zuerst errichtet, dann wird darauf die Decke aufgesetzt. Dann erst werden die Trennwände eingezogen (z. B. im Kellergeschoss). Die Trennwände sind üblicherweise nur 11 bis 15 cm stark.

Frage:

Wenn die Decke (Stahlbeton) aus irgendwelchen Gründen einige Zentimeter nachgeben sollte, weil sie z. B. sehr stark belastet ist oder weil eine tragende Wand falsch konstruiert wurde, können dann die Trennwände (im Ernstfall) ebenfalls tragende Funktionen erfüllen oder ist dies technisch/statisch unmöglich?

Warum werden Häuser sicherheitshalber nicht nur mit tragenden Wänden versehen? Ist das eine reine Kostenüberlegung, weil nicht notwendig und würde das technisch nicht funktionieren?

Vielen Dank und schöne Grüße

Hilde

liebe Hilde,

ob eine Wand trägt oder nicht kann man bei modernen Bauwerken ohne die statische Berechnung nicht endgültig erkennen. Man muss in die Statik schauen. Und man würde stets Risiken vermeiden. Wenn man etwas nicht weiß (!), und es auch nicht in Erfahrung bringen kann, dann würde man mit Tragwerken nicht rumexperimentieren. Man würde zum Beispiel nicht auf Verdacht größere Öffnungen in Wände machen. Der Begriff ‚Statischer Nachweis‘ deutet darauf hin. Es heißt nicht ‚statische Vermutung‘.
Wenn nichttragende Wände in Neubauten wenige Wochen nach Herstellung der Stahlbetondecke kraftschlüssig vermauert werden, dann werden sich die Stahlbetondecken auf den Trennwänden abstützen. Dennoch kann man diese Trennwände später entfernen. Man würde dabei schnelles/plötzliches Entfernen vermeiden. Es könnten bei einem Nachgeben der Decke natürlich Risse auftreten, zum Beispiel an Fußleisten oder auch Trennwänden in darüberliegenden Geschossen.
Sie sollten sich nicht auf Handwerker verlassen! Die sind manchmal nicht so clever. Gehen Sie mit Ihrer Statik zu einem Statiker. Nehmen Sie einen ‚Einzelkämpfer‘ ohne Mitarbeiter!!! Der macht dann vielleicht nicht gleich ein ‚Projekt‘ draus. :smile:
viele Grüße

Otto-v.Eicken

Guten Morgen,

als tragende Wände werden Wände bezeichnet, die bei der Planung des Gebäudes für den Lastabtrag berücksichtigt worden sind.

Wenn man alle Wände als tragende Wände berücksichtigen würde wären Veränderungen am Grundriss wesentlich komplizierter, weil man im ungünstigsten Fall immer das ganze Gebäude neu berechnen müsste.

Wieviel ein Bauteil trägt hängt immer von den verwendeten Baustoffen ab. Nichttragende Bauteile können auch aus Baustoffen hergestellt werden, die nicht für tragende Bauteile zulässig sind.

Im Ernstfall wird die nichttragende Wand natürlich erstmal Last abtragen, aber niemand weiss wieviel, und wann sie dann versagt. Auch die Tapete nimmt solange Last auf, bis sie irgendwann reißt.

Und wie immer der Hinweis: Im Zweifel lieber einen Statiker ihres Vertrauens suchen und keine Experimente machen, deren Folgen sie nicht einschätzen können.

Herzliche Grüße
Jochen Biegon

Guten Tag Hilde,
Im Wohnungsbau haben wir üblicherweise 18 cm dicke Betondecken, die ein Eigenwicht von 450 kg je qm haben. Somit tritt die größte Verformung der Decke unmittelbar nach dem Ausschalen der Decke ein. Es dauert dann in der Regel einige Wochen bis einige Monate bis die nichttragenden Wände gemauert werden. Für Putz, Estrich und Belag wie Fliesen rechnet man mit 125 kg je qm, für nichttragende Trennwände ebenfalls pauschal 125 kg je qm und für Verkehrslasten aus Menschen und Möbel 150 kg je qm Decke.
Durchbiegungen infolge Verkehrslasten liegen deshalb im Bereich von 1 bis 2 mm und sind unschädlich für nichttragende Wände.
Sollte eine tragende Wand aus irgendwelchen Gründen versagen würden nichttragende Wände unter Umständen belastet. Wenn Sie diese neue Last aber nicht zuverlässig auf andere tragende Bauteile übertragen können, wird die nichttragende Wand ebenfalls versagen und einstürzen. Es besteht dann Einsturzgefahrt für Teile des Hauses oder sogar für das ganze Haus.

Nichttragende Wände baut man immer dann ein, wenn sie statisch nicht erforderlich sind. Man ist so bei der Grundrissgestaltung, auch für die Zukunft, immer flexibel. Man kann dann diese Wände jederzeit entfernen, oder auch an andere Stellen versetzen.
Das erlebe ich oft in meiner Praxis, wenn junge Leute ein älteres Wohnhaus kaufen und dann für ihre Bedürfisse umbauen.
Gruß aus Hagen in Westfalen
Dipl.-Ing. Werner Kahlki
Beratender Bauingenieur

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Hallo Hilde,

selbstverständlich können alle Wände als tragende Wände ausgebildet werden. Das macht nur finanziell keinen Sinn.
Auch können 11,5 cm dicke Wände als tragende Wände herangezogen werden. Diese sind dann aber speziell nachzuweisen.

Ansonsten sollten tragende Wände an die darüber liegenden Decken elastisch angeschlossen werden, damit keine ungewollten Lasteintragungen erfolgen.
Oder die Decken erhalten eine Zusatzbewehrung damit das ungewollte Auflager keinen Schaden an der Decke anrichtet.

Viele Grüße

Jürgen Hartleib
Architekt

Guten Morgen,

vielen Dank erstmal.

Was genau ist unter dem Begriff „kraftschlüssig“ zu verstehen?

Ist damit gemeint, dass eine an sich nicht tragende Trenn-Wand (Ziegel) mit Spannung unter die Decke gemauert sein muss, damit sie der Decke auch Widerstand bieten kann, also die Decke stützen kann, falls tragende Teile versagen sollten?

Gruß, Hilde

liebe Hilde,

es gibt unterschiedliche nichttragende Trennwände. Gemauerte Wände, bei denen die oberste Fuge unter der Decke vermörtelt ist, wären ‚Kraftschlüssig‘ eingebaut. Man könnte den Mörtel dort aber auch weglassen… die Wand fällt dennoch nicht um. Es gibt auch Rigips-Trennwände. Die können gar keine Vertikallast abtragen.
Keinesfalls dienen nichttragende Wände als Notnagel für das Versagen von tragenden Bauteilen. Man geht nicht davon aus, dass tragende Bauteile versagen. Und man untersucht solche Fälle nicht. Man würde eher stabiler bauen: zum Beispiel in Erdbebengebieten. In Japan ist beim Erdbeben fast kein Haus umgefallen! In anderen Ländern fallen ganz Stadtviertel um…
Grüße
Otto-v.Eicken