Trauerarbeit

Guten Tag,
wie bewältigen nicht religöse Menschen ihre Trauer?
Der Amoklauf von Winnenden hat vor der Schule, im Ort und im Umkreis Trauerrituale hervorgerufen, die als tief religiös zu bezeichnen sind. Die Trauergottsdienste in der Stadt und im Umkreis waren bestens besucht und auch die offizielle Trauerfeier mit den Spitzen des Staates findet in einer Kirche statt und nicht irgendwo im Freien mit Tschingderassassa und Trompetenschall. Vor der Schule wurden mit Blumen und Kerzen auch Texte niedergelegt, die häufigste Frage dabei war nach dem „Warum“, aber auch nach Gott:„Wo warst Du, Gott“, mit der Gegenfrage aus Gottes Sicht „…und wo wart ihr?“. Der Amokläufer wurde nicht ausgegrenzt oder verdammt, auch für ihn gab es eine Gedenkkerze und der Tenor der abgelegten Schriften war: er ist doch einer von uns, er wurde nicht so geboren; es wurde höchstens Zorn artikuliert : „…Jetzt hast Du Deinen Ruhm, war es Wert, uns sowas anzutun!“ Jenseits- und Auferstehungsglaube mögen die Trauer und das Entsetzen abmildern, wie aber trauert ein nicht religiöser Mensch, ohne diese religiösen Hilfskonstruktionen. Wie tröstet er sich bzw. bewältigt er den Schmerz? Vor Ort wurden die traumatisierten Schüler und andere Mitbetroffene überwiegend durch Kath. oder Ev. Seelsorger betreut, man kann sich die Basis ihrer Arbeit vorstellen, wie aber arbeitet ein weltlich ausgerichteter Psychologe?

Nachdem in diesem Bord viele Experten über Gott, Papst und die Christenheit herziehen und als Mumpiz ablehnen, würde mich ganz besonders deren Meinung bzw. Trauerpraktiken interessieren.

Vielen Dank!

Wolfgang D.

Hallo,

wie bewältigen nicht religöse Menschen ihre Trauer?

Nachdem in diesem Bord viele Experten über Gott, Papst und die
Christenheit herziehen und als Mumpiz ablehnen, würde mich
ganz besonders deren Meinung bzw. Trauerpraktiken
interessieren.

ich glaube das auch nicht religiöse Menschen nicht viel anders trauern als welche die es sind, nur suchen sie keine „Antworten“ bei „Gott“ oder einem andern höherem Wesen, sondern trauen mit/bei Familie und Freunde (machen gottgläubige ja auch). Es geht auch in kirchlichen Trauerfeiern nicht allein um Gott, es geht, meines erachtens, mehr um das Beisammensein und dem suchenden Gespräch zum mitleidenden.
Es geht in solchen Fällen auch nicht darum ob man einer religion angehört oder nicht, ob man glaubt oder nicht sondern um gemeinsam diese Zeiten zu überstehen.

lg

Hallo,

ich glaube das auch nicht religiöse Menschen nicht viel anders
trauern als welche die es sind, nur suchen sie keine
„Antworten“ bei „Gott“ oder einem andern höherem Wesen,
sondern trauen mit/bei Familie und Freunde (machen
gottgläubige ja auch).

Da möchte ich Dir aber mal lauthals widersprechen. Grundsätzlich schätze ich die Bereitschaft nach einem Verlust „ordentlich“ zu trauern als denkbar gering ein. Es gibt wenig Verständnis von Außen für die Trauernden. Auch die Bereitschaft des Einzelnen, Schmerz, Wut und Angst in sich zuzulassen sind nicht besonders groß. Das Gefühl allein gelassen zu sein überwiegt und damit auch die Angst, die o.g. Gefühle gar nicht aushalten zu können. Somit wird nach Kräften verdrängt.

Religiöse oder besser noch kirchlich angebundene Menschen trauern meiner Beobachtung nach deutlich gesünder. Es ist immer noch unsagbar schmerzvoll, jemanden zu verlieren, aber der Prozeß des Akzeptierens der Tatsache als solche scheint, und ich kann das gut nachvollziehen, bei diesen Menschen durch ihren Glaubenshintergrund leichter zu sein. Wenn ich überzeugt bin davon, daß nach meinem Tod ein liebevoller und verzeihender Gott auf mich wartet, wenn ich daran glaube, daß meine Verstorbenen gut aufgehoben sind, wenn ich durch meinen Glauben auch nur ein Fünckchen Sinn empfinde, bin ich bei Weitem getrösteter als all die, die so sehr davon überzeugt sind, das „danach gar nichts mehr kommt“.

Es geht auch in kirchlichen
Trauerfeiern nicht allein um Gott, es geht, meines erachtens,
mehr um das Beisammensein und dem suchenden Gespräch zum
mitleidenden.

Das ist richtig. Aber diese Gespräche finden in kirchlich/religiösen Zusammenhängen wenigstens statt und das auch noch vor dem Hintergrund des Glaubens.

Es geht in solchen Fällen auch nicht darum ob man einer
religion angehört oder nicht, ob man glaubt oder nicht sondern
um gemeinsam diese Zeiten zu überstehen.

Nochmal: auch hier beobachte ich, daß gerade die Menschen, die Kirche und Religion meist vehement ablehnen, deshalb keinesfalls immer automatisch einen anderen guten Zusammenhalt haben.

Beste Grüße

Avera,

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Die Zeremonien und Anteilnahmen sind stützend und auch belastend, aber nach ein paar Tagen vorbei.
Die Trauer um einen geliebten Menschen kann immer wieder zurückkommen, über Jahrzehnte.
Sei froh, daß Du das noch nicht erlebt hast!

LG

Gitta

Hallo!

Wenn ich überzeugt
bin davon, daß nach meinem Tod ein liebevoller und
verzeihender Gott auf mich wartet, wenn ich daran glaube, daß
meine Verstorbenen gut aufgehoben sind, wenn ich durch meinen
Glauben auch nur ein Fünckchen Sinn empfinde, bin ich bei
Weitem getrösteter als all die, die so sehr davon überzeugt
sind, das „danach gar nichts mehr kommt“.

Du magst das so empfinden. Als Atheist sehe ich das naturgemäß anders. Verzeihen können mir meine Schandtaten nur meine Mitmenschen. Wenn sie das nicht tun, habe ich es verbockt. Selbst wenn Gott existierte, wäre seine postmortale Absolution bedeutungslos, ebenso ob dieser Gott meint, einem mir nahestehenden Verstorbenen irgendetwas verzeihen zu müssen oder nicht (es scheitert aber schon an seiner Existenz).
Den Glauben an irgendeine Form der Existenz nach dem Tode betrachte ich als Versuch, die Endgültigkeit des Todes nicht akzeptieren zu müssen. Ich bitte, das keinesfalls wertend zu verstehen, aber meiner Ansicht nach ist das letztlich eine Form der Realitätsverweigerung. Ich versuche, den Tod als das zu akzeptieren, was er nach meiner Überzeugung ist, nämlich das Ende der Existenz eines Menschen. Wenn ich bei einer Trauerfeier religiöse Ausführungen höre, nehme ich sie als Gedankenbilder, als Umschreibungen, als Texte mit viel Raum für Interpretationen, aber nicht als etwas, was einen unmittelbaren Bezug zu einer dies- oder jenseitigen Realität hat. Ich habe die Erinnerungen, ich habe das, was der Verstorbene geschaffen hat, aber der Mensch selbst ist unwiderruflich weg.

Nochmal: auch hier beobachte ich, daß gerade die Menschen, die
Kirche und Religion meist vehement ablehnen, deshalb
keinesfalls immer automatisch einen anderen guten Zusammenhalt
haben.

Der Zusammenhalt kann in der Nähe zueinander, im gegenseitigen Verstehen, im Erinnern, im Trösten, im Reden, im Schweigen Ausdruck finden. Viele Menschen brauchen dazu weder eine Kirche noch eine Religion.
Grüße, Peter

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Hallo,

Du magst das so empfinden.

Von mir habe ich gar nicht gesprochen.

Ich versuche, den Tod als das zu akzeptieren, was er nach meiner Überzeugung ist

Das ist schön und gut und völlig legitim. Es hat nur wenig mit dem zu tun, um das es geht.

Ich habe die Erinnerungen, ich habe das, was der
Verstorbene geschaffen hat, aber der Mensch selbst ist
unwiderruflich weg.

Aber was Du garantiert nicht hast, sind Rituale und eine Gemeinde, die Dir durch ihre gemeinsame Glaubensbasis einen gewissen Halt gibt und Verständnis entgegen bringt.

Nochmal: auch hier beobachte ich, daß gerade die Menschen, die
Kirche und Religion meist vehement ablehnen, deshalb
keinesfalls immer automatisch einen anderen guten Zusammenhalt
haben.

Der Zusammenhalt kann in der Nähe zueinander, im gegenseitigen
Verstehen, im Erinnern, im Trösten, im Reden, im Schweigen
Ausdruck finden.

Das ist richtig, wenn Menschen da sind, die den Trauernden unterstützen, dann kann das sein.

Viele Menschen brauchen dazu weder eine Kirche noch eine Religion.

Das ist auch eine interessante und wahre Aussage. Viele menschen brauchen das alles nicht, aber noch mehr Menschen haben es nicht, wünschen sich aber insgeheim etwas, an das sie sich „halten“ können. Aber das ist eine andere Diskussion.

Beste Grüße

Grüße, Peter

Hallo!

Ich versuche, den Tod als das zu akzeptieren, was er nach meiner Überzeugung ist

Das ist schön und gut und völlig legitim. Es hat nur wenig mit
dem zu tun, um das es geht.

Doch, genau darum geht es hier. Der erste Satz und die entscheidende Frage im Ausgangsposting lautet „wie bewältigen nicht religöse Menschen ihre Trauer?“ Es geht hier nicht darum, wie toll die Religion diese Fragen betrachtet, sondern darum, wie Menschen ohne Religion damit umgehen. Und meine Antwort, die ich leider auf einige Erfahrung stützen kann - ich habe auch schon nahestehende Menschen verloren - lautet: Sie bewältigen den Tod nicht anders wie religiöse Menschen. Sie vermeiden nur, sich in unhaltbare religiöse Erklärungsmodelle zu flüchten. Die Abwesenheit der Religion stellt kein Problem und schon gar kein Defizit dar.

Aber was Du garantiert nicht hast, sind Rituale und eine
Gemeinde, die Dir durch ihre gemeinsame Glaubensbasis einen
gewissen Halt gibt und Verständnis entgegen bringt.

Solche Rituale brauche ich nicht. Ich finde eher, dass sie vom Wesentlichen ablenken. Es gibt genug Möglichkeiten, Verständnis und Halt außerhalb religiöser Gemeinden zu finden, ich habe in den Jahrzehnten meines Daseins hier zumindest keinen Mangel feststellen müssen.

Viele
menschen brauchen das alles nicht, aber noch mehr Menschen
haben es nicht, wünschen sich aber insgeheim etwas, an das sie
sich „halten“ können. Aber das ist eine andere Diskussion.

Das habe ich nicht bestritten (wobei es egal ist, wieviele vom einen und wie viele vom anderen überzeugt sind).
Grüße, Peter

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Hallo Peter,

Das ist schön und gut und völlig legitim. Es hat nur wenig mit
dem zu tun, um das es geht.

Doch, genau darum geht es hier. Der erste Satz und die
entscheidende Frage im Ausgangsposting lautet „wie bewältigen
nicht religöse Menschen ihre Trauer?“ Es geht hier nicht
darum, wie toll die Religion diese Fragen betrachtet
,

Damit zeigst Du deutlich Deine Haltung Religon, Kirchen und Glauben gegenüber. Das ist ok.

sondern
darum, wie Menschen ohne Religion damit umgehen. Und meine
Antwort, die ich leider auf einige Erfahrung stützen kann -
ich habe auch schon nahestehende Menschen verloren - lautet:
Sie bewältigen den Tod nicht anders wie religiöse Menschen.

Ich wiederhole an dieser Stelle nochmals, der Unterschied ist geradezu eklatant, zumindest wenn es sich bei der einen Gruppe nicht nur um diese Art Kirchgänger handelt, die zwar noch Kirchensteuer zahlen, aber ansonsten alle paar Jahre mal zu Weihnachten in die Kirche gehen.

Sie vermeiden nur, sich in unhaltbare religiöse
Erklärungsmodelle zu flüchten. Die Abwesenheit der Religion
stellt kein Problem und schon gar kein Defizit dar.

Für Dich nicht, für viele andere schon. Und dieses Defizit tritt besonders in den schwierigsten Momenten des Lebens auf, wozu Verlust durch Tod ja wohl gehört.

Aber was Du garantiert nicht hast, sind Rituale und eine
Gemeinde, die Dir durch ihre gemeinsame Glaubensbasis einen
gewissen Halt gibt und Verständnis entgegen bringt.

Solche Rituale brauche ich nicht. Ich finde eher, dass sie vom
Wesentlichen ablenken. Es gibt genug Möglichkeiten,
Verständnis und Halt außerhalb religiöser Gemeinden zu finden,
ich habe in den Jahrzehnten meines Daseins hier zumindest
keinen Mangel feststellen müssen.

Das heißst, Du feierst auch deinen Geburtstag nicht, nicht Weihnachten, benutzt keine Grußfomeln und wünscht auch niemasl jemandem „Gute Besserung“? Das sind auch alles Rituale, die zwar vielleicht nichts mit Relgion zu tun haben. Was ich aber bei Dir wahrnehme ist eine allgemeine, stark ausgeprägte Abneigung allem religiösen gegenüber.

Vielleicht belassen wir es dabei, daß Du Deine persönlichen Erfahrungen gemacht hast und daraus Deine Schlüsse ziehst. Ich habe ebenfalls meine persönlichen Erfahrungen gemacht und blicke außerdem auf sechzehn Jahre Berufserfahrung zurück, bei der ich täglich mit diesem Thema zu tun habe. Daraus leite ich meine Beobachtungen ab und ziehe meine Schlüsse.

Beste Grüße

Avera

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Hallo Avera!

Doch, genau darum geht es hier. Der erste Satz und die
entscheidende Frage im Ausgangsposting lautet „wie bewältigen
nicht religöse Menschen ihre Trauer?“ Es geht hier nicht
darum, wie toll die Religion diese Fragen betrachtet
,

Damit zeigst Du deutlich Deine Haltung Religon, Kirchen und
Glauben gegenüber. Das ist ok.

Ich habe mich auch nicht darüber mokiert, als du schriebst, dass „Religiöse oder besser noch kirchlich angebundene Menschen deutlich gesünder“ trauern oder dass „Gespräche (im Zuammenhang mit Tod) in kirchlich/religiösen Zusammenhängen wenigstens stattfinden“ usw. Dem kann ich auch nicht zustimmen. Aber gut. Du hast aber insoweit recht, als ich Religion für einen Irrtum halte und manche Aspekte von Kirchen ablehne (dazu weiter unten noch was).

Sie bewältigen den Tod nicht anders wie religiöse Menschen.

Ich wiederhole an dieser Stelle nochmals, der Unterschied ist
geradezu eklatant,

Ich hatte in diesem Zusammenhang auch schon sehr intensiv mit Vertretern beider Gattungen zu tun. Diese Erfahrung habe ich nicht gemacht.

Sie vermeiden nur, sich in unhaltbare religiöse
Erklärungsmodelle zu flüchten. Die Abwesenheit der Religion
stellt kein Problem und schon gar kein Defizit dar.

Für Dich nicht, für viele andere schon. Und dieses Defizit
tritt besonders in den schwierigsten Momenten des Lebens auf,
wozu Verlust durch Tod ja wohl gehört.

Nochmals: es geht bei der Ausgangsfrage darum, wie Nichtreligiöse das sehen und nicht wie Religiöse das sehen. Ich vetrete den Standpunkt eines Nichtreligiösen. Ich sehe hier kein Defizit.

Das heißst, Du feierst auch deinen Geburtstag nicht,

Feiere ich.

Weihnachten,

Feiere ich nicht.

benutzt keine Grußfomeln und wünscht auch niemasl
jemandem „Gute Besserung“? Das sind auch alles Rituale, die
zwar vielleicht nichts mit Relgion zu tun haben.

Das wiederum tu ich alles. Ich habe ausdrücklich von „religiösen“ Ritualen gesprochen, die ich nicht mache. Ich bin trotzdem in der Lage, ein geordnetes, kultiviertes Sozialleben zu führen :wink:

Was ich aber
bei Dir wahrnehme ist eine allgemeine, stark ausgeprägte
Abneigung allem religiösen gegenüber.

Ich lehne Religion ab, weil ich von der Nichtexistenz Gottes überzeugt bin, aber ich empfinde weitestgehend keine Abneigung (außer gegen ganz üble Spinnereien). Im Gegenteil, es interessiert mich. Sonst würde ich mich nicht damit beschäftigen und hätte wohl kaum während meines Jusstudiums - obwohl ich schon genug Wahlfächer beisammen hatte - zusätzlich das Fach Kirchenrecht belegt und abgeschlossen. Ich versuche zu verstehen, warum andere Menschen an Gott/Götter glauben, und es geht mir darum, Religionen und Kirchen als faktische soziale und politische Elemente des Zusammenlebens einzuordnen.

Vielleicht belassen wir es dabei, daß Du Deine persönlichen
Erfahrungen gemacht hast und daraus Deine Schlüsse ziehst. Ich
habe ebenfalls meine persönlichen Erfahrungen gemacht und
blicke außerdem auf sechzehn Jahre Berufserfahrung zurück, bei
der ich täglich mit diesem Thema zu tun habe. Daraus leite ich
meine Beobachtungen ab und ziehe meine Schlüsse.

Auch ich blicke - leider - auf eine sehr reichhaltigen Erfahrungsschatz zurück. Auf die Ausgangsfrage gibt es keine richtigen oder falschen Antworten, belassen wir es also dabei, das wir verschiedene Standpunkte einnehmen. Das bedeutet aber nicht, dass dich deine Ansichten nicht respektiere.
Grüße, Peter

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Hallo Wolfgang,

wie bewältigen nicht religöse Menschen ihre Trauer?
Der Amoklauf von Winnenden hat vor der Schule, im Ort und im
Umkreis Trauerrituale hervorgerufen, die als tief religiös zu
bezeichnen sind.

Sind sie das?

Die Trauergottsdienste in der Stadt und im
Umkreis waren bestens besucht und auch die offizielle
Trauerfeier mit den Spitzen des Staates findet in einer Kirche
statt und nicht irgendwo im Freien mit Tschingderassassa und
Trompetenschall.

Mein einer Großvater ist in meinem Geburtsjahr verstorben. Daran habe ich keine Erinnerung. Mein anderer Großvater und eine Großmutter waren tief religiös und starben beide im heutzutage normalen Alter jenseits der 90.

Ihre katholische Beisetzung war jeweils die reinste Katastrophe: Aus Anlass des Todes meines Großvaters hielt der Geistliche der Einfachheit halber dieselbe Rede, die er kurz zuvor bei der Beerdigung eines anfang-20-jährig verunglückten Motorradfahrers gehalten hatte.

Aus Anlass des Todes einer meiner Großmütter hielt er gar keine Rede mehr, weil er den Termin verschwitzt hatte und sowieso mit 30-minütiger Verspätung zur Beerdigung erschienen war.

Meine verbliebene Großmutter, die auch die Beisetzung ihrer Gegenschwieger miterlebt hat, ist nun 101 Jahre alt und will sich ohne religiöse Zeremonie anonym beisetzen lassen.

Ich habe vor, es ihr gleich zu tun.

(…) wurden mit Blumen und Kerzen
auch Texte niedergelegt,

Nettes Ritual, möglicherweise würde sogar ich das so machen.

wie aber trauert ein nicht religiöser Mensch, ohne
diese religiösen Hilfskonstruktionen. Wie tröstet er sich bzw.
bewältigt er den Schmerz?

Ich denke oft an meine Großeltern, deren Beerdigung ich miterlebt habe, zumal mein Arbeitsplatz hier in Köln in nächster Nähe ihrer vorletzten Wohnung liegt, wo ich sie als Schüler oft besucht habe, bevor sie entschieden, ihren Lebensabend bei meinen Eltern in Hessen zu verbringen, wo ich zur Schule gegangen bin.

Ich kann mich nicht vergleichen mit Jugendlichen, denen durch einen Psychopathen die gleichaltrigen Freunde weggeschossen wurden, aber Wehmut über die Sterblichkeit meiner Großeltern, Eltern und meiner selbst überkommt auch mich häufig, wenn ich auf dem Weg zum Mittagstisch am vorletzten Wohnort meiner Großeltern vorbeilaufe, insbesondere, seit ich mich nach 24 Jahren bewusster Entscheidung dagegen Anfang dieses Jahres nun doch aufgerafft habe, einen HIV-Test zu machen und jetzt Schwarz auf Weiß habe, was ich schon immer geahnt habe, nämlich: dass auch ich sterblich bin, möglicherweise schneller als mir lieb ist.

Nachdem in diesem Bord viele Experten über Gott, Papst und die
Christenheit herziehen und als Mumpiz ablehnen, würde mich
ganz besonders deren Meinung bzw. Trauerpraktiken
interessieren.

Du merkst: Von diesem Satz fühlte ich mich durchaus angesprochen.

Gruß Gernot

wie bewältigen nicht religöse Menschen ihre Trauer?
Der Amoklauf von Winnenden hat vor der Schule, im Ort und im
Umkreis Trauerrituale hervorgerufen, die als tief religiös zu
bezeichnen sind. …

(1) Dieser und die folgenden Sätze klingt ein wenig so, als müßte man davon ausgehen, die dort Trauernden seien nicht religiös. Warum eigentlich? Sicher werden nicht alle von ihnen der Kirche angehören, und etliche (viele?) möglicherweise außer zu den großen Festen kaum einen Gottesdienst besuchen. Aber das bedeutet nicht, daß sie nicht religiös wären.
Und wenn der Staat eine offizielle Trauerfeier anberaumt und diese in einer Kirch stattfindet, dann deshalb, weil die Mehrheit der Betroffenen aus der christlichen Tradition kommt und auch in ihr lebt (wenn auch unterschiedlich intensiv).

(2) Natürlich gibt es auch Menschen, die jeglichen Glauben an einen Gott (mit Einfluß auf unser Leben), ein Leben nach dem Tod… grundsätzlich ablehnen und ein anderes Weltbild vertreten. Die trauern zunächst aber genauso wie gott-gläubige Menschen. Der Verlust eines lieben Menschen (ähnlich auch des Arbeitsplatzes bei Kündigung, des Sicherheitsgefühls bei einem Überfall…) löst zunächst eine Krise aus. Und die muß bewältigt werden, egal ob man an Gott glaubt oder nicht.
Im Trauerfall gehört das Abschiednehmen wohl oder übel mit dazu. Das kann alleine am Sarg oder nach der Beisetzung am Grab oder der Urnenwand geschehen - oder in einer Trauerfeier mit Ansprache, Musik… ähnlich den christlichen Trauergottesdiensten und Beisetzungen. Die Ansprache mit Erinnerung an den Verstorbenen steht meist im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu einer christlichen Predigt, die darüber hinaus natürlich die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod und Gottes Trost verkündigen würde, wird ein weltlicher Redner für die Hinterbliebenen sicher andere Worte wählen - je nach dem, was die ihm im Vorgespräch über sich und ihre Weltsicht erzählt haben.
Viele Rituale sind nicht speziell christlich: Blumen ins Grab zu werfen, kann auch für Atheisten eine passende Geste sein, um Anteilnahme zu zeigen und sich zu verabschieden. Auch Kerzen als Zeichen sprachloser Anteilnahme oder Betroffenheit sind nicht auf den christlichen Kontext beschränkt.
Der dreimalige Erdwurf oder Weihwasser dagegen würden außerhalb einer christlichen Beerdigungszeremonie etwas seltsam wirken :wink:.

Gruß, Martinus…

Anonyme Beerdigung

Meine verbliebene Großmutter, die auch die Beisetzung ihrer
Gegenschwieger miterlebt hat, ist nun 101 Jahre alt und will
sich ohne religiöse Zeremonie anonym beisetzen lassen.

Ohne auf die Form (freier Redner, Trauergottesdienst…) eingehen zu wollen - die spannende Frage, die dabei im Raum stehen bleibt, ist: Was ist mit den Hinterbliebenen, die einen Rahmen für ihren Abschied und einen Ort zum Trauern brauchen? Man wird diese Spannung vermutlich nicht lösen können, weil die einen das Selbstbestimmungsrecht der Verstorbenen, die anderen das Recht der Hinterbliebenen auf Abschied und Trauer höher werten.
In Ihrer Familie wurde offensichtlich darüber gesprochen, so daß man davon ausgehen sollte, daß auch die künftigen Hinterbliebenen damit einverstanden sind. Bitter wird es dann, wenn solche Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Familie getroffen werden.

Gruß, Martinus…

Hallo Martinus,

Was ist mit den Hinterbliebenen, die einen
Rahmen für ihren Abschied und einen Ort zum Trauern brauchen?

warum?

Wer sagt, dass man einen bestimmten Ort zum Trauern braucht?

Und warum muss das die Stelle im Boden sein, wo die Knochen des Verstorbenen langsam verrotten?

Seit meine Großmutter - bei welcher ich aufgewachsen bin - vor nunmehr 30 Jahren verstorben ist, war ich nur noch ein einziges Mal an ihrem Grab - und zwar anlässlich der Beerdingung meines Großvaters.

Trotzdem ist sie mir in Gedanken noch sehr präsent - besonders an den Orten, an die Erinnerungen an sie verknüpft sind. Irgendein Friedhof ist das nicht.

Und was die Angehörigen dabei angeht: Selbst wenn ein Mensch anonym bestattet zu werden wünscht, ist es doch seinen Angehörigen unbenommen, um ihn zu trauern. Tatsächlich ist das meiner Ansicht nach sogar sehr viel leichter, wenn man dies privatim tut, als bei einem der unseligen Massenauflaufe in den Kirchen mit anschließendem Leichenschmaus, bei denen die Heuchelei und Unsensibilität fröhlich Urständ feiern.

Beste Grüße

=^…^=

Hi

… ich habe doch mein Gedächtnis?

Freilich kann ich nicht davon sprechen wie es ist, jemanden durch einen Amoklauf zu verlieren.

Aber eine Trauer ohne Rituale ist durchaus möglich.

Als meine Urgroßmutter starb, war ich nach empfinden meiner Eltern noch zu jung für eine Beerdigung. Ich war also nicht dabei, weiß nicht, wo sie begraben liegt, etc.
Dennoch erinnere ich mich an sie im besten Sinne. Sie fehlt mir, aber ich weiß eben, dass ich sie nicht zurückbekomme.

Als mein Opa starb, gab es einen knappen Gottesdienst des lokalen ev. Pfarrers. Keiner von uns ist evangelisch, meinem Großvater war seine Religion auch herzlich egal, er wollte nur nicht viel Tamtam. Hier kannte ihn keiner, wir hatten ihn wegen seiner Krankheit zu uns geholt.
Dennoch gab es eine schöne und nicht zu langatmige Rede, der Pfarrer verstand was von Rhetorik und im Prinzip bestand sie aus Lücken, die jeder der Anwesenden mit persönlichen Erinnerungen füllen konnte.

Nach der Beerdigung fuhr die Familie nach Hause, aber ich ging lieber allein zu Fuß, trotz des Regens (warum regnet es bei Beerdigungen eigentlich ständig?).
In diesen 15 Minuten hatte ich genug Zeit mir selbst meine Gedanken zu machen und mit der Sache abzuschließen.
Er wurde anonym bestattet, zu Anfang lag noch eine Schale auf dem Grab, später nicht mehr und wenn ich ehrlich bin, ich würde den Ort im Leben nicht mehr wieder finden.

Ich erinnere mich bei einigen Gelegenheiten an ihn, die ganz verschieden sein können - bestimmte Tage, Situationen, oder beim Watchmen gucken. Ich finde es auch vollkommen okay, dabei Tränen zu vergießen, aber dann ist auch wieder gut. Man sollte den Tod eines Menschen nicht die guten Erinnerungen überschatten lassen.

Schwieriger wird die Trauer natürlich wenn ein recht junger Mensch aus dem Leben gerissen wird.
Als ein Freund von mir bei einem Autounfall starb, war ich auch sehr geschockt und brauchte 1-2 Tage, um das überhaupt zu begreifen - dass er nicht mehr da war, dass man ihn nicht mehr anrufen konnte, dass er fort war.

Da seine Familie mich nie leiden konnte, durfte ich nicht zur Beerdigung. Mir hat das überraschend wenig ausgemacht, ich machte meinen Abschied für mich selbst und es galt ähnliches wie bei meinem Opa:
Ja, ich bin traurig, dass er gestorben ist. Nein, ich finde es nicht fair, dass ich zumindest schon 22 geworden bin und er nicht einmal volljährig wurde. Die Welt ist nicht fair, doch Tod und Unfälle kann man nicht wirklich ändern. Also konzentriert man sich besser auf die Aspekte, die man ändern kann, und auf die schönen Erinnerungen.

Ob er noch irgendwo weiterlebt, oder nicht, weiß ich nicht. Ich habe so meine eigenen Theorien, aber was immer es ist: Ich weiß, dass er nicht gewollt hätte, dass ich mich darüber kaputt machen, oder dass dies irgendjemand seiner Familie tun sollte.
Er war immer lebenslustig, also erinnere ich mich genau an diese schönen Momente, und das hilft ungemein.

Dafür muss ich weder Räucherstäbchen anzünden, noch auf einen Friedhof gehen, oder ähnliches.

Ich muss auch nicht beten, denn ich weiß nicht, ob es ihm jetzt gut oder schlechter geht- aber warum sollte ich davon ausgehen, dass es ihm NICHT gut geht?

lg
Kate

Wer sagt, dass man einen bestimmten Ort zum Trauern braucht?

Ich habe keine Ahnung,wer DAS sagt - ich war’s nicht :wink:.

Ich habe gefragt, was mit denen ist, die einen Ort (ein Grab, einen Gedenkstein, was auch immer) brauchen. Und solche Menschen gibt es eben auch. Ebenso wie es welche gibt, für die es wichtig ist, den/die Verstorbene(n) noch einmal zu sehen, um den Tod begreifen zu können, während andere sich das verbitten, um die Toten so in Erinnerung behalten zu können, wie sie gelebt haben.

Es gibt nicht „die eine Art“ zu trauern, sondern so, wie es verschiedene Menschen gibt, gibt es auch verschiedene Trauerbedürfnisse. Und was den einen hilft, für sie unverzichtbar ist, mag anderen ein Hindernis werden. Alle über einen Kamm (nach dem Motto „ich brauch das nicht, dann brauchst du das auch nicht“) scheren zu wollen, wird vielen Menschen und ihren Bedürfnissen nicht gerecht. Auch nicht, anderen einreden zu wollen, was mir geholfen hat, ist auch für dich unverzichtbar!

Gruß, Martinus…

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Hallo Martinus,

Meine verbliebene Großmutter, die auch die Beisetzung ihrer
Gegenschwieger miterlebt hat, ist nun 101 Jahre alt und will
sich ohne religiöse Zeremonie anonym beisetzen lassen.

Bitter wird es dann, wenn solche Entscheidungen
ohne Rücksicht auf die Familie getroffen werden.

ich weiß nicht, in wie weit meine Großmutter das überhaupt mit anderen in unserer Familie besprochen hat.

Gut möglich, dass sie ausgerechnet mich und nicht meine Tante, die sich am meisten um sie kümmert, vor einigen Jahren darum gebeten hat, sie zum Bestattungsunternehmen zu begleiten, um Nägel mit Köpfen zu machen, weil sie genau wusste, dass ich ihre Entscheidung nicht hinterfragen würde.

Die Art und Weise, wie die Beerdigungen meiner anderen Großeltern gelaufen sind, war übrigens bei ihrer Entscheidung vermutlich nur der letzte Auslöser.

Die eigentliche Motivation war wohl eher praktischer Art:
An meiner Großmutter (die nie wieder geheiratet hat) waren nach dem Tod meines Großvaters (wie gesagt schon in meinem Geburtsjahr) 20 Jahre Grabpflege hängen geblieben und sie war es wohl irgendwann leid, insbesondere, nachdem die zuerst noch bestehende Tradition gebröckelt war, die ganze Familie an Allerheiligen in Köln zu versammeln.

Meine Eltern kümmern sich schon um die Pflege des Grabes meiner anderen Großeltern an ihrem letzten Wohnort in Hessen. Wenn ich meine Eltern besuche, gehe ich auch manchmal über den Friedhof mit ihnen.

Die intensiveren Erinnerungen und Gefühle kommen bei mir aber hoch, wenn ich in der Mittagspause an deren vorletzten Wohnort hier in Köln vorbeigehe.

So wird es bei meiner anderen Großmutter wohl auch sein, wenn ich mal wieder durch den Kölner Stadtwald spaziere, was bis vor einem halben Jahr noch mit ihr zusammen möglich war, schon jetzt aber nicht mehr ist.

Dass es für meine Großmutter -wenn es so weit ist- eine würdige Trauerfeier geben wird, wenn auch keine religiöse, steht für mich außer Frage: Meine Kusine hat schon vor einigen Jahren aus Anlass der anonymen Beisetzung ihres Vaters (ganz ohne Beteiligung von Geistlichen) die in meinen Augen beste Trauerrede gehalten, die man sich vorstellen kann, ganz einfach, indem sie erzählt hat, wie ihr Vater sie und sich selbst einmal in Lebensgefahr gebracht hat – und wieder heraus.

Das stand ja auch irgendwie in der fatalistischen Tradition von Hiob 1,21:
Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen

Wahrscheinlich ist an meiner Kusine auch irgendetwas von dem evangelischen Religionsunterricht hängen geblieben, in den sie ihre Eltern von Anfang an gehen ließen, obwohl sie sie katholisch hatten taufen lassen.

Gruß Gernot

Danke für die vielen Meinungen. Ich konnte hierin eine große Schittmenge in der Art der Trauerbewältigung erkennen!

Wolfgang D.