Das Problem liegt im Kopf
Hallo,
die Abnahme sexuell motivierter Verhaltensweisen nach einer Kastration geschieht allmählich. Warum das so ist, weiß niemand mit Sicherheit. Fakt ist, dass der Testosteronspiegel bereits 6-8 Stunden nach der Kastration auf kaum messbare Werte sinkt. Dennoch dauert es in aller Regel mehrere Monate bis zu einem Jahr, bis sich auch das Verhalten ändert. Das lässt den Rückschluss zu, dass Testosteron nicht die einzig relevante Größe in Bezug auf das Sexualverhalten von Rüden ist.
Es gilt zudem als sicher, dass viele Verhaltensänderungen nach einer Kastration auf dem Placeboeffekt beruhen: Die Besitzer sind von der (positiven oder negativen) Wirkung der Kastration überzeugt und betrachten ihren Hund mit anderen Augen. Nicht selten intensivieren sie gleichzeitig ihre Erziehungsmethoden, weil sie sich durch die Kastration in ihrem erzieherischen Bemühungen unterstützt fühlen. Die Erfolge der Erziehung werden dann der Kastration zugeschrieben.
In den meisten Fällen sind Verhaltensweisen von Hunden aber nicht wirklich durch Kastrationen zu beeinflussen. Selbst bei hypersexuellem Verhalten von Hunden (welches bestimmte Rassen verstärkt zeigen), geht man inzwischen davon aus, dass die Hauptursache ein erzieherisches Defizit ist.
Viele Hunde zeigen das exzessive Bespringen von Artgenossen, weil sie enorm unter Stress stehen. Nicht selten geht mit diesem eine Unterbeanspruchung des Hundes einher. Dem Hund fehlt oft eine Beschäftigung, die ihn auslastet (und damit ist nicht nur das Bewegungsbedürfnis gemeint), in erster Linie aber eine Politik der klaren Ansagen.
Hunde haben Stress, wenn die Führung fehlt. Und während manche Hunde in die Aggression gehen, kompensieren andere über das exzessive Bespringen von Artgenossen (und nicht selten auch von Menschen und Gegenständen).
Heißt: Euer Problem ist nicht mit Leckerchen und Ablenkung zu managen. Ich würde dem Vierbeiner eine Schleppleine verpassen, und ihm jeglichen unkontrollierten Freilauf bis auf weiteres verbieten. Stattdessen würde ich beim Spaziergang über lange Strecken jegliches Geschnüffel unterbinden, indem ich den Hund mit einem Ruck an der Leine (ein Geschirr verhindert, dass das auf den Hals geht), dazu zwinge, sich an mir zu orientieren.
Er wird dabei nicht gerufen und schon gar nicht gelockt. Du gehst, und der Hund hat dir zu folgen. Und das mit seiner vollen Konzentration. Tut er es nicht, wird es unbequem. Ich würde dabei mit einer 5-Meter-Leine arbeiten, die dem Hund einen gewissen Spielraum lässt und ihm die Chance gibt, zu realisieren, wohin und in welchem Tempo du gehst.
Sei drastisch. Wenn er die Nase nicht vom Boden nimmt, hol ihn zur Not von den Füßen, remple ihn an oder laufe ihn über den Haufen. Und nein: Das ist nicht grausam. Es ist die angemessene Antwort auf das respektlose Verhalten, dass der Hund derzeit dir gegenüber zeigt. Wärst du ein Hund, bekäme er deine Zähne zu spüren.
Versucht er, einen Hund zu bespringen, remple ihn so an der Schulter an, dass er runterfliegt oder (je nach Größe) packe ihn am Rückenfell und zerre ihn mit einem Donnerwetter runter. Und das immer, sobald er auch nur daran denkt.
Fordere seinen Respekt ein. Indem er sich dir unterordnet, wird er ein großes Stück von seinem Stressverhalten verlieren. Freilauf kriegt er bis auf Weiteres nicht mehr. Wenn du ihm unterwegs erlaubst, ein Weilchen zu schnüffeln (was er ja auch immer mal wieder braucht), fordere trotzdem immer wieder zwischendurch seine Aufmerksamkeit, indem du ihn mit einem kurzen Ruf zum Weitergehen aufforderst und das SOFORT durch die Leine unterstützt. Er muss lernen, dass es keinen Diskussionsspielraum gibt.
Der Großteil eures Spaziergangs wird aber - wenn die Sache Sinn machen soll - in den kommenden Wochen daraus bestehen, dass er dir folgt. Wenn du dir besonders für den Anfang anspruchsvolles Gelände suchst (einen Wald mit liegenden Baumstämmen z.B), geht das leichter und macht vermutlich vor allem dir mehr Spaß.
Das Ganze muss mit einem häuslichen Erziehungsprogramm einhergehen. In diesem Fall tatsächlich auch mit den üblichen Verdächtigen: Runter von der Couch, raus aus dem Bett, am ständigen Folgen hindern und immer mal wieder aufstehen lassen, wenn er irgendwo rumliegt.
Schöne Grüße
Jule