Trotz Kastration starker Sexualtrieb beim Hund

Hallo!

Unser 2 Jahre alter mittelgroßer Mischlingsrüde ist kerngesund, aber scheint trotz Kastration, die vor 6 Monaten stattfand, immer noch einen starken Sexualtrieb zu haben.
Mittlerweile konnten wir andere Ursachen für seine Aufgeregtheit draußen ausschließen (z.B. die Schilddrüse). Das unentwegte Schnüffeln gilt wohl nur der Auffindung eines Weibchens. Tja, und so rennt er von einem zum nächsten Hund und ward nicht mehr ansprechbar
Da kann der Hundetherapeut auch nicht viel machen (vor allem da auch Superleckerlis nicht ziehen) :confused:

Was kann man da noch machen???

Liebe Grüße

BABSI

Das Problem liegt im Kopf
Hallo,

die Abnahme sexuell motivierter Verhaltensweisen nach einer Kastration geschieht allmählich. Warum das so ist, weiß niemand mit Sicherheit. Fakt ist, dass der Testosteronspiegel bereits 6-8 Stunden nach der Kastration auf kaum messbare Werte sinkt. Dennoch dauert es in aller Regel mehrere Monate bis zu einem Jahr, bis sich auch das Verhalten ändert. Das lässt den Rückschluss zu, dass Testosteron nicht die einzig relevante Größe in Bezug auf das Sexualverhalten von Rüden ist.

Es gilt zudem als sicher, dass viele Verhaltensänderungen nach einer Kastration auf dem Placeboeffekt beruhen: Die Besitzer sind von der (positiven oder negativen) Wirkung der Kastration überzeugt und betrachten ihren Hund mit anderen Augen. Nicht selten intensivieren sie gleichzeitig ihre Erziehungsmethoden, weil sie sich durch die Kastration in ihrem erzieherischen Bemühungen unterstützt fühlen. Die Erfolge der Erziehung werden dann der Kastration zugeschrieben.

In den meisten Fällen sind Verhaltensweisen von Hunden aber nicht wirklich durch Kastrationen zu beeinflussen. Selbst bei hypersexuellem Verhalten von Hunden (welches bestimmte Rassen verstärkt zeigen), geht man inzwischen davon aus, dass die Hauptursache ein erzieherisches Defizit ist.

Viele Hunde zeigen das exzessive Bespringen von Artgenossen, weil sie enorm unter Stress stehen. Nicht selten geht mit diesem eine Unterbeanspruchung des Hundes einher. Dem Hund fehlt oft eine Beschäftigung, die ihn auslastet (und damit ist nicht nur das Bewegungsbedürfnis gemeint), in erster Linie aber eine Politik der klaren Ansagen.

Hunde haben Stress, wenn die Führung fehlt. Und während manche Hunde in die Aggression gehen, kompensieren andere über das exzessive Bespringen von Artgenossen (und nicht selten auch von Menschen und Gegenständen).

Heißt: Euer Problem ist nicht mit Leckerchen und Ablenkung zu managen. Ich würde dem Vierbeiner eine Schleppleine verpassen, und ihm jeglichen unkontrollierten Freilauf bis auf weiteres verbieten. Stattdessen würde ich beim Spaziergang über lange Strecken jegliches Geschnüffel unterbinden, indem ich den Hund mit einem Ruck an der Leine (ein Geschirr verhindert, dass das auf den Hals geht), dazu zwinge, sich an mir zu orientieren.

Er wird dabei nicht gerufen und schon gar nicht gelockt. Du gehst, und der Hund hat dir zu folgen. Und das mit seiner vollen Konzentration. Tut er es nicht, wird es unbequem. Ich würde dabei mit einer 5-Meter-Leine arbeiten, die dem Hund einen gewissen Spielraum lässt und ihm die Chance gibt, zu realisieren, wohin und in welchem Tempo du gehst.

Sei drastisch. Wenn er die Nase nicht vom Boden nimmt, hol ihn zur Not von den Füßen, remple ihn an oder laufe ihn über den Haufen. Und nein: Das ist nicht grausam. Es ist die angemessene Antwort auf das respektlose Verhalten, dass der Hund derzeit dir gegenüber zeigt. Wärst du ein Hund, bekäme er deine Zähne zu spüren.

Versucht er, einen Hund zu bespringen, remple ihn so an der Schulter an, dass er runterfliegt oder (je nach Größe) packe ihn am Rückenfell und zerre ihn mit einem Donnerwetter runter. Und das immer, sobald er auch nur daran denkt.

Fordere seinen Respekt ein. Indem er sich dir unterordnet, wird er ein großes Stück von seinem Stressverhalten verlieren. Freilauf kriegt er bis auf Weiteres nicht mehr. Wenn du ihm unterwegs erlaubst, ein Weilchen zu schnüffeln (was er ja auch immer mal wieder braucht), fordere trotzdem immer wieder zwischendurch seine Aufmerksamkeit, indem du ihn mit einem kurzen Ruf zum Weitergehen aufforderst und das SOFORT durch die Leine unterstützt. Er muss lernen, dass es keinen Diskussionsspielraum gibt.

Der Großteil eures Spaziergangs wird aber - wenn die Sache Sinn machen soll - in den kommenden Wochen daraus bestehen, dass er dir folgt. Wenn du dir besonders für den Anfang anspruchsvolles Gelände suchst (einen Wald mit liegenden Baumstämmen z.B), geht das leichter und macht vermutlich vor allem dir mehr Spaß.

Das Ganze muss mit einem häuslichen Erziehungsprogramm einhergehen. In diesem Fall tatsächlich auch mit den üblichen Verdächtigen: Runter von der Couch, raus aus dem Bett, am ständigen Folgen hindern und immer mal wieder aufstehen lassen, wenn er irgendwo rumliegt.

Schöne Grüße
Jule

Hi Jule,

glücklicherweise versucht der Kleine keineswegs jeden zu bespringen, weder Hund noch Mensch. Er saugt aber regelrecht die Gerüche draußen ein und schnorchelt dabei so komisch, er will die Gerüche richtig aufsaugen. Wenn er Hunde sieht, dann ist er nicht mehr zu halten und jammert und jammert wenn man ihn nicht läßt.

Wir haben heute auch versucht mit ihm am Fahrrad zu fahren. Das war ein extrem schwieriges Unterfangen. Der Gute zog so stark, dass ich nicht mal treten musste. Nach der Tour war er kein bißchen müde, obwohl völlig untrainiert.

Unsere große Hündin ist mittlerweile das komplette Gegenteil: draußen gelassen und allgemein ruhig, gehorsam, reagiert auf Leckerlis und kommt sogar vom Schnüffeln an anderen Hunden auf Abruf zurück. Sie läuft mittlerweile sogar perfekt am Fahrrad ohne zu ziehen. Bei ihr haben die Erziehungsmaßnahmen sofort gegriffen.

Hallo Babsi,

Was kann man da noch machen???

Ich nehme dich mit diesem Satz beim Wort

so rennt er von einem zum nächsten Hund

Wenn ihr ihm das wirklich erlaubt, wundert mich sein Verhalten nicht.

Gerade ein Hund der draußen / bei Hundekontakten sehr aufgeregt ist, bekommt von mir nicht die Möglichkeit sich selbst „auf den Weg zu machen“.

Ich erlaube ihm -oder eben auch nicht- wann er Kontakt aufnehmen darf.
Das darf er dann z.B. nur, wenn er sich vorher anständig verhält.
Z.B. absitzen/ablegen und das dann eine gewisse Zeit ruhig durchhalten.
Dreht er dann auf wenn er hindarf, muss er wieder zu mir. (Ist er nicht ansprechbar sichere ich das „Kommen“ mit einer Schleppleine an der ich ihn notfalls zu mir holen kann).

Wenn man das eine Weile konsequent durchzieht sollte sich sein Verhalten ändern.

Das unentwegte Schnüffeln gilt wohl nur der Auffindung eines
Weibchens

Nicht zwingend, „der Hund liest Zeitung“. Dabei informiert er sich was im Revier denn so los ist.
Oftmals ist das extreme Schnüffeln auch antrainiert.

Beispiel: Hund zieht schnüffelnd nach rechts - Mensch folgt nach rechts.
Hund zieht schnüffelnd nach links - Mensch folgt nach links.
Natürlich bleibt der Mensch so lange geduldig dabei stehen bis Hund fertig geschnüffelt hat.

Sicher darf mein Hund schnüffeln -aber nicht dauernd und bis zur Ekstase!

Wenn ich von A nach B will hat sie mitzugehen. Ich halte nur an wenn sie Pieseln oder Kacken muss -großartig rumgeschnüffelt wird dann nicht.
Dafür gibt es natürlich auch Gassirunden bei denen sie schnüffeln kann bis zum Umfallen.

Viel Erfolg

Trashi

Hallo,

Wenn er Hunde sieht, dann ist er nicht mehr zu halten und jammert und jammert wenn man ihn nicht läßt.

Genau da könnte ein Knackpunkt liegen: Wenn man ihm immer wieder nachgibt, hat er gelernt, dass sich das Theater lohnt.

Heißt: Solange er jammert, bleibt ihm der Kontakt verwehrt. Dafür geht’s ein Stück mit dir an der Leine weiter. Sobald er sich auf dich konzentriert und sich nicht mehr auf den anderen Hund fixiert, lass ihn sitzen, halte seine Aufmerksamkeit bei dir und gib ihn erst dann frei. Das Ganze auch nicht immer, er muss wissen, dass nicht jede Hundebegegnung auch bedeutet, dass er Kontakt haben darf.

Möglicherweise stammt aus diesem Verhalten, das gerne mal in Welpenstunden gelehrt wird, seine große Gier nach anderen Hunden.

Wir haben heute auch versucht mit ihm am Fahrrad zu fahren. Das war ein extrem schwieriges Unterfangen.

Ich halte das Laufen am Fahrrad nicht für die ideale Beschäftigung. Man züchtet sich dadurch schnell Leistungssportler. Gerade bei Hunden, die nicht runterkommen, würde ich nicht dazu raten. Stattdessen such dir lieber Aufgaben, die den Hund auf dich konzentrieren und sein Hirn beanspruchen. Das macht ihn zigfach müder und lastet ihn mehr aus, als 40 Kilometer am Rad zu laufen.

Agility könnte ich mir vorstellen, vielleicht aber auch Suchspiele. Hier muss man gucken, ob es gelingt, den Hund auf die Aufgabe zu konzentrieren und ihn vom eigenmächtigen Schnüffeln abzuhalten. Wenn das gelingt, könnte das aber besonders für ein solches Nasentier eine wirklich guter Job sein.

Schöne Grüße
Jule

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Hi Jule

Genau da könnte ein Knackpunkt liegen: Wenn man ihm immer
wieder nachgibt, hat er gelernt, dass sich das Theater lohnt.

Das Gejammere passiert meist auf dem Spaziergang um den Block, da kann man den Hund sowieso nicht plötzlich ranlassen, dazwischen liegt eine Hauptstraße.

Heißt: Solange er jammert, bleibt ihm der Kontakt verwehrt.
Dafür geht’s ein Stück mit dir an der Leine weiter. Sobald er
sich auf dich konzentriert und sich nicht mehr auf den anderen
Hund fixiert, lass ihn sitzen, halte seine Aufmerksamkeit bei
dir und gib ihn erst dann frei. Das Ganze auch nicht immer, er
muss wissen, dass nicht jede Hundebegegnung auch bedeutet,
dass er Kontakt haben darf.

Das werde ich ausprobieren. Die anderen Leute werden aber wahrscheinlich sehr überrascht sein, wenn ich dann etwas später doch mit Hund angelaufen komme :wink:

Möglicherweise stammt aus diesem Verhalten, das gerne mal in
Welpenstunden gelehrt wird, seine große Gier nach anderen
Hunden.

Oh, da kann ich nichts zu sagen, da wir ihn im Alter von 1,5 Jahren bekommen haben. 1 Jahr lebte er im span. Tierheim. Was davor war, wissen wir nicht.

Liebe Grüße

BABSI

Kein Fall für eine Kastration
Hallo,

nach allem, was ich mittlerweile gelesen habe, bin ich ziemlich überzeugt davon, dass das Verhalten deines Hundes nichts, aber auch gar nichts, mit Hormonen zu tun hat. Und aus diesem Grund wird die Kastration auch keine Besserung bringen.

Dein Hund hat in seiner Prägungs- und Sozialisationsphase ein Leben geführt, das sich primär an Artgenossen orientiert hat. Menschen spielten darin keine nennenswerte Rolle. Dass er sich jetzt nach wie vor mehr für andere Hunde als für Menschen interessiert, ist völlig logisch. Zuhause wird er vermutlich ganz zutraulich sein, aber draußen bist du ihm schnuppe.

Wenn der Hund aus dem Tierschutz stammt, sind Kastrationen ja häufig gefordert. Umso schlimmer, wenn das unter der Vorspiegelung geschieht, der Hund würde dadurch sein Verhalten zum Positiven ändern.

Sollte es sich auch noch um einen Jagdhund/ Jagdhundmischling handeln, dient der extreme Naseneinsatz möglicherweise auch noch dem Zweck, Jagbares zu finden. Und wenn er auf der Straße gelebt hat, könnte Essensbeschaffung insgesamt wichtig sein.

Die Kastration hat auf keine dieser Motivationen Einfluss. Du wirst einfach nur eine Menge erziehen müssen und dabei vermutlich nur mäßig erfolgreich sein, denn bestimmte Erfahrungen lassen sich nicht mehr umkehren, sondern bestenfalls mäßigen. Das ist in aller Regel der wahre Preis für die meisten Südländer.

Schöne Grüße
Jule

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