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" Tschaikowski, Sextett f. 2 Violinen, 2. Violen und 2 Violoncelli, d-Moll, op. 70 "Souvenir de Florence"
Komponiert 1890, überarb. 1892, Nadjeschda von Meck gewidmet.
Allegro con spirito – Adagio cantavile e con moto – Allegretto moderato – Allegro vivace
T.s „Erinnerung an Florenz“ teilt mit den Sextetten von Brahms das Schicksal, bedeutend zu sein, aber selten aufgeführt zu werden. Das Problem liegt in der Besetzungserweiterung: Es gibt zu wenige Werke für 6 Solostreicher, als dass es zu ständigen Ensembles dieser Art kommen könnte, und ebenso selten finden sich 2 gleichwertige Partner, die ein eingespieltes Streichquartett homogen zu ergänzen vermögen. Dabei bietet gerade dieses Werk alle Voraussetzungen zur Popularität: hohe Ausdrucksintensität, eingängige Melodik und kunstvoll ausgewogene kammermusikalische Durcharbeitung. Sein Untertitel verweist auf den Entstehungshintergrund: T. arbeitete 1889/90 in einem Florentiner Hotel an seiner Oper „Pique Dame“, und nach seiner Heimkehr entstanden dann in Russland diese musikalischen Nachklänge an die Stadt, die ihm ans Herz gewachsen war. Allerdings könnte der Titel mehrfach falsche Erwartungen wecken: Weder gibt es irgendwelche konkreten programmatischen Ansätze, noch finden sich folkloristische Italien-Zitate. Es handelt sich vielmehr eindeutig um absolute Musik, um einen 4sätzigen Instrumentalzyklus nach klassisch überliefertem westeuropäischem Muster, der freilich als äußerst persönlich gefärbtes Stimmungsbild unverwechselbare Züge aufweist.
Der weiträumig angelegte und thematisch ebenso unmittelbar eingängige wie dicht verarbeitete Kopfsatz lebt von 2 prägnanten Einfällen, dem tänzerisch melancholischen Hauptthema (Halbe b, Viertel a, ¾-d mit Vorschlagnote D usw.) und einem sehnsüchtig singenden Seitensatz (9/4-fis, Halbe e, ¼-Ais, 5/4-H, ¼-cis, 6/4-H, an- und abschwellend).
Ständig, auch während des Gesangthemas, ist dabei ein kleines Bewegungsmotiv aus dem 1. Thema präsent, das dem ganzen Satz gleichsam als rhythm-motivische Klammer dient.
Der langsame Satz ist ein hochromantisches Ständchen: Ein tiefmelancholischer Gesang über leise gezupfter Begleitung, zunächst in der Geige, dann im Duett mit der Bratsche: Halbe-A, Viertel gis, Halbe A, punkierte Achtelfigur von oben nach unten, ruhige 3-Viertel-A und dann 2-einhalb-taktige Achtelperiode, am Ende eine Halbe a) umrahmt einen kurzen Abschnitt, der mit seinen Tremolo-Passagen deen nächtlichen Serenadencharakter ängstlich und fast gespenstisch verfremdet.
Der dritte Satz vertritt das übliche Scherzo; seine wehmütige Melodik ist russisch getönt,. Im trioartigen Mittelteil beschleunigt sich bei gleichem Grundmetrum die Bewegung zu unruhiger Verspieltheit in kleinen Notenwerten, woraufhin dann in der Reprise des A-Teils eine Verknüpfung beider rhythmischer Prinzipien erfolgt.
Auch das Finale klingt russisch- folkloristisch inspiriert und steigert sich in seiner springlebendigen Lebhaftigkeit über ein eingeschobenes Fugato bis zum Stretta-Schluss. Dabei halten sich, wie auch im Kopfsatz, kammermusikalisch durchsichtige und orchestrale Klangfülle berührende Passagen die Waage und nützen wirkungsvoll die Sechserbesetzung aus."
(aus: Reclams Kammermusikführer, S. 719-721)
Herzliche Grüße
Thomas Miller