Hallo Yolanthe,
die Frage ist keineswegs trivial und auch unter den Gelehrten herrscht ein Glaubens- und Geschmackskrieg.
Aus typografischer Sicht ist es am sinnvollsten, sich die Funktion einer Leerzeile bzw. des Einzuges zu verdeutlichen. Was Du erreichen möchtest ist, daß ein neuer Absatz deutlich als solcher zu erkennen ist. Das soll auch dann funktionieren, wenn die letzte Zeile des vorigen Absatzes nahezu die volle Länge einer Zeile hat. Würde man garnicht trennen (also weder Leerzeile noch Einzug), so würde man erst während des Lesens feststellen, daß sich dort ein Einschnitt befindet und würde u.U. sogar stolpern, weil ein Sinneinschnitt erfolgt, aber kein typografischer Einschnitt. Man denkt, man liest im gleichen Absatz weiter und wundert sich dann, wieso da kein Absatz gemacht wurde. Sowas in der Art.
Typografische Anforderung ist es also, den Sinneinschnitt deutlich und unmißverständlich zu kennzeichnen. Dies ist aber im Fließtext sowohl durch eine Leerzeile als auch durch den Einzug gegeben. Es gibt keinerlei Grund, zusäztlich zu einer Leerzeile noch einen Einzug zu machen oder umgekehrt zusätzlich zu einem Einzug noch eine Leerzeile. Man trägt ja normalerweise auch im Auto nicht zum Sicherheitsgurt noch einen Motorradhelm. Es gibt Situationen, in welchen das angebracht ist, aber das sind i.A. besondere Umstände und das läßt sich auch typografisch direkt übernehmen. Für normale Texte reicht entweder der Einzug oder die Leerzeile völlig aus, wobei es natürlich auch wieder auf die Ausführung ankommt. Die Leerzeile sollte deutlich als solche zu erkennen sein. Wer mit 1,5fachem Zeilenabstand arbeiten muß (freiwillig sollte man eigentlich immer mit weniger arbeiten!), sollte nicht einfach den Zeilenabstand der letzten Zeile auf 2 erhöhen. Dies liefert effektiv eine halbe Zeile mehr Luft und das ist nicht deutlich genug; man schwimmt auf der Seite. Besser ist es, wenn man wirklich das Äquivalent einer vollen Leerzeile einfügt. Nach Ralf Turtschi ist eine Verkleinung auf 0,9 oder 0,8 einer Leerzeile perfekt.
Das mit den mehrfachen Auszeichnungen gilt übrigens auch für den Kapitelanfang. Wenn die Kapitelüberschrift ordentlich gestaltet wurde, zeigt sie deutlich und ganz unmißverständlich, daß hier ein neues Kapitel anfängt. Es ist aus diesem Grunde eigentlich widersinnig, noch zusätzlich den ersten Absatz mit einem Einzug zu beginnen. Ist allerdings die Gestaltung der Überschrift so schlecht gelöst, daß sie nicht als solches heraussticht, kann es für den Leser hilfreich sein, wenn der erste Absatz eingerückt wird. Das ist aber eigentlich eine Notlösung und zeugt von schlechter typografischer Gestaltung.
Die Kombination von Leerzeile und Einzug findet man daher häufiger bei Leuten, die von Typo wenig oder keine Ahnung haben. Es ist merkwürdigerweise ein extrem weit verbreiteter Hang von Laien, typografische Betonungen doppelt und dreifach vorzunehmen. Überschriften sind ein weiteres Beispiel. Überschriften in Standard-Seminarbeiten sind immer größer als der Text und Fett, möglichst zusäztlich auch noch kursiv. Im Fließtext? Welchen Sinn hat die dreifache Auszeichnung? Auch hier gilt wieder: Wenn die Gestaltung gut ist, dann reicht es aus, wenn die Überschrift deutlich größer ist als der Fließtext. Andersherum kann man Überschriften niedrigerer Ebenen, welche die Größe des Fließtextes haben, durch Fettsatz vom Fließtext abheben. So herum wird meines Erachtens ein Schuh draus. Natürlich kann es auch wiederum typografische Gründe geben, es anders zu machen; meist führt aber Unwissenheit zu diesen multiplen Auszeichnungen.
Grüße,
Christian