Übersetzung indirekter Rede mit Konjunktiv I/II

Hallo,

zur Zeit besuche ich an der Uni einen Übersetzungskurs in der Anglistik. Die Übersetzungsrichtung geht vom Englischen ist Deutsche. Aktuell hatten wir ein paar Beispiele, die mich fraglich gestimmt hatten. Der Dozent erklärte uns die folgende Regel:
Indirekte Rede müsse im Deutschen mit Konjuntiv I übersetzt werden. Ist der Konjunktiv I mit dem Indikativ formgleich, muss der Konjuntiv II verwendet werden, damit die indirekte Rede erkennbar bleibt. Nun hatten wir den folgenden Satz:

The biggest gains will be made by companies that figure out how to adapt to the new technology, the report said.

Diesen haben wir übersetzt mit:

Die größten Gewinn würden Unternehmen erzielen, die herausfänden, wie man sich an diese Technologie anpassen könne, heißt es in dem Bericht.

Ich habe zwei Verben dick markiert, weil sich meine Frage auf den Modus bezieht, in den diese zu übersetzen sind. Die ersatzweise Verwendung des Konjunktiv II für I bei Formgleichheit mit dem Indikativ (hier: herausfänden) kann ich ja noch verstehen. Doch frage ich mich: ist die Verwendung einer Konjunktivform an dieser Stelle überhaupt nötig? Schließlich ist das, was da in einem Nebensatz steht, ja nichts, was konjunktivisch als indirekte Rede wiedergegeben werden müsste, sprich: nichts, das sozusagen „bezweifelt“ werden müsste. Ich finde, das zukünftige Erzielen wird ja behauptet und steht somit in Frage. Aber gilt das auch für das Herausfinden und das Anpassen-Können?

Und wenn ja, weshalb ist das so, und wie lautet die Regel dazu?

Ich bin gespannt auf eure Meinungen.

Beste Grüße
Majoogily

Hallo,

sie ist nicht nur nicht nötig, sondern sogar falsch. Und zwar nicht nur, weil es mit der Vorgabe im englischen Satz nicht kompatibel ist. Der komplette Relativsatz „die …“ ist ein attributiver Nebensatz, der als solcher eine genauer bestimmte spezielle Gruppe von existierenden Unternehmen bezeichnet. Es kann sich daher natürlich nicht um einen Irrealis handeln. Und um einen Konditionalsatz („wenn sie … herausfänden …“) handelt es sich in der Vorgabe ja erst recht nicht.

Und weiter: Das „könne“ im durch das Relativadverb „wie“ eingeleiteten sekundären Relativsatz ist aus demselben Grund ebenfalls falsch. Zumal auch genaugenommen von „können“ dort nichts steht. how to do sth., also „wie man etw. macht“ kann im Dt. aber durchaus - unnötigerweise - zu „wie man etw.machen muss“ oder „wie man etw. machen kann“ erweitert werden.

Also:
Die größten Gewinne würden Unternehmen erzielen, die herausfinden , wie man sich an diese neue Technologie anpasst, heißt es in dem Bericht.

Oder eben:
Die größten Gewinne würden Unternehmen erzielen, die herausfinden , wie man sich an diese neue Technologie anpassen kann, heißt es in dem Bericht.

Gruß
Metapher

Hallo Metapher,

vielen Dank für die Antwort!
Der Dozent bezog sich bei seiner Erklärung auf eine Stelle im Duden 9, in der es heißt:

(…) Das soll nicht bedeuten, dass mit dem Konjunktiv in der indirekten Rede immer eine Distanzierung verbunden ist. In manchen Kommunikationsbereichen wie etwa der journalistischen Berichterstattung, in der Sachverhaltsschilderung in juristischen und polizeilichen Texten und in vielen Wissenschaftssprachen ist die Verwendung des Konjunktivs in der indirekten Rede der Standardfall. Um weitere untergeordnete Sätze deutlich als indirekte Rede zu kennzeichnen, setzt man sie ebenfalls in den Konjunktiv:

Die Pressesprecherin sagte, der Standortwechsel sei notwendig, weil sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens geändert habe. Der neue Standort, der mit einer besseren Infrastruktur ausgestattet sei, werde eine Expansion erlauben.

Wenn man hier hingegen einen Wechsel zum Indikativ vornehmen würde (Der neue Standort, der mit einer besseren Infrastruktur ausgestattet ist, wird eine Expansion erlauben), könnte der Eindruck entstehen, dass der Schreiber selbst die Verantwortung für die Faktizität übernimmt.

Es handelt sich hier allerdings um einen kausalen Nebensatz. Spielt das eine Rolle?
Mir sind aktuell die Regeln nicht ganz zur indirekten Rede vertraut.
Die erwähntest die Begriffe Irealis und Konditionalsatz. Was genau ist denn das Entscheidungskriterium, auf Basis dessen man eine Entscheidung für oder gegen die Verwendung der Konjunktivform eindeutig treffen könnte?

Beste Grüße
Majoogily

Hi Majoogily,

grammatisch eindeutig ist bei der indirekten Rede zunächst nur, daß im Hauptsatz des Zitates der Konj. I (ersatzweise Konj. II, ersatzweise „würde“+Infintiv) stehen muss. Wenn das Zitat selbst noch Nebensatzkontruktionen enthält, steht oft auch ein deutscher Muttersprachler auf dem Glatteis.

Dein Duden-Zitat „Um weitere untergeordnete Sätze deutlich als indirekte Rede zu kennzeichnen, setzt man sie ebenfalls in den Konjunktiv“ sollte man nicht als „bedingungslos“ missverstehen. Der Duden ist nicht normativ, sondern rezeptiv.

Um es kurz zu sagen: Der Konjunktiv in den Nebensätzen ist dann notwendig, wenn der Zitierende sich von der Aussage distanzieren will. Aber wenn es gar nichts zu distanzieren gibt, weil der Inhalt auf der Ebene des Zitierenden wie auch auf der Ebene des Zitierten gleichemaßen „real“ bzw. „wahr“ ist, dann ist es nicht mehr eine Frage der Grammatik, sondern der Semantik oder auch des Stils.

In dem Duden-Beispielsatz handelt es sich

Es spielt zumindest in diesem Satz eine Rolle: In dem „weil“-Satz wird etwas gesagt, was nur für die ztitierte Person eine Begründung ist. Sie gibt es als Begründung an, aber das muß nicht für den Zitierenden gelten und folglich auch nicht für den Leser. Daher ist hier der Konjunktiv obligatorisch.

Ein Kriterium liegt also zumindest im Vergleich dessen, was in der Realität des Zitierten und in der des Zitierenden faktisch ist. Anders gesagt: Wie steht der Sprecher zu dem, was er zitiert? Siehe dazu auch → hier.

Beim attributiven Relativsatz, der sich ja auf ein Substantiv bezieht und nicht auf ein Verb, dürfte das meist einfach aus dem Sachverhalt zu entscheiden sein, insbesondere beim restrictive clause (wie in deinem Beispiel: „companies that figure out …“):

Der Sicherheitsdienst sagte, er habe alle Besucher, die heute gekommen sind, informiert, wo der Notausgang ist.

Hier wäre die Version des Duden nach dem Motto „alles in den Konjunktiv“ zwar nicht falsch, aber absurd und stilistisch grausam:

Der Sicherheitsdienst sagte, er habe alle Besucher, die heute gekommen seien, informiert, wo der Notausgang sei.

Gruß
Metapher

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Hallo Metapher,

nochmals vielen Dank für die Darlegungen. Was Du schreibst, leuchtet mir ein.
Auch ich sehe das als eine Frage der Semantik. Was Du schreibst, deckt sich mit den Gedanken, die ich dazu hatte, die ich allerdings nicht so gut ausformulieren konnte.

Ich werde das mal an meinen Dozent weitergeben. :slight_smile:

Beste Grüße
Majoogily

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„an meinen Dozenten“ bitte. :wink:

hi Majoogily,

danke fürs Feedback.

Da du schreibst:

würde mich interessieren - wenn es nicht zu indiskret ist - welche deine Muttersprache ist. Und welche die deines Dozenten.

Gruß
Metapher

Wir sind beide deutsche Muttersprachler!

Beste Grüße
Majoogily