Umgang mit Jähzorn

Hallo,

wir haben eine achtjährige Tochter. Sie ist ein Schatz, kann sehr lieb
sein, ist sehr begabt, Beste in der Klasse, sehr ehrgeizig, kann sich
in die Klasse einfügen, ist beliebt und hat viele Freundinnen, wird von vielen
bewundert, ist in der Schule sehr ruhig, fleißig und angepasst, kann
ruhig sitzen und sich konzentrieren; obwohl es ihr in der Schule
eigentlich oft langweilig sein muss, denn sie konnte schon fliessend
lesen als sie in die Schule kam und gehoert zu den Ältesten.

Zu Hause ist sie aber andereseits auch ein wenig anders.
Auch oft sehr lieb usw., aber sie zeigt daheim auch ihre andere Seite:
Denkt meist in erster Linie an sich selbst und ihren eigenen Vorteil,
ist leicht eifersüchtig auf den kleinen Bruder, kann recht
grob sein, kann beim Essen nicht ruhig sitzen, quengelt bis zum Gehtnichtmehr wenn sie etwas will, kennt
manches Mal ihre Grenzen nicht. Was ich aber vor allem anstrengend
finde, sind ihre Wutanfälle (Sternzeichen Löwe :wink:) Sie ist manchmal
echt ein kleiner Vulkan, schreit wie am Spieß, und das aus nichtigsten Anlässen. Wenn sie mal drin ist
bringt ruhiges Reden gar nichts mehr, da sie nur noch rumschreit und
nicht mehr zuhört. Wenn sie sich wieder beruhigt und ausgeschmollt hat ist sie wieder fröhlich und alles ganz normal.

Sie war immer schon ein eher anspruchsvolles Kind, schon als Baby;
jetzt mal im Vergleich mit ihrem Bruder. Sie brauchte immer
Beschaeftigung, langweilte sich schnell, hat oft geschrieen und war
ein intensives Schnullerkind - sie brauchte den Schnuller dringend um
mal runterzukommen und sich zu beruhigen. (Leider ist sie fuer den
Schnuller schon seit ein paar Jahren zu gross :wink:)
Irgendwie gehört also wohl dieses etwas unausgeglichene einfach zu
ihrem Charakter. Sie macht es nur halt ihrer Umgebung und vor allem
auch sich selbst damit oft schwer. Ich glaube, dass sie sich in der
Schule sehr beherrscht, zu Hause muss sie halt das Andere auch mal
rauslassen.

Nun ist es so, dass ich mir etwas Sorgen mache, wie das wohl so weiter
geht. Aus dem Trotzalter ist sie ja wohl raus. So langsam finde ich,
sie koennte diese Wutanfälle etwas mehr sein lassen? Mein Problem ist,
dass ich dann den Zugang zu ihr nicht mehr finde. Meist kann ich
selbst relativ ruhig bleiben, aber wenn sie es übertreibt und die
Grenzen überschreitet, wird sie auch mal auf ihr Zimmer geschickt,
oder es kommt auch mal vor, dass ich dann selbst wütend auf sie werde
und ihr das auch deutlich zeige…

Ich bitte euch um Vorschläge, wie ich damit umgehen könnte. Ich habe
einfach das Gefühl, dass ich vielleicht anders mit ihr umgehen muss.
Ich wünsche mir, dass sie mit der Zeit diese Wutanfälle nicht mehr so
braucht, oder dass ich eine Möglichkeit finde, so damit umzugehen,
dass sie sich nicht so schrecklich unverstanden fühlt.

Vielleicht sollte ich ein Beispiel erzählen.
Also z.B. gestern: Wir machen immer Mittagspause, d.h. wir Eltern
schlafen eine Stunde und die Kinder sind jeder fuer sich in einem
Zimmer, kleiner Bruder im Wohnzimmer, sie in ihrem eigenen Zimmer, und
jeder beschaeftigt sich allein (sie macht wochentags Hausaufgabe und
liest sonst fast immer). Die Pause ist
mir heilig, weil ich den Mittagsschlaf dringend brauche, ich lege also
grossen Wert darauf nicht gestört zu werden.
Die Kinder verbringen die Pause gerne gemeinsam, aber das klappt nur in den seltensten Fällen; fast immer werden wir dann gestört, weil sie
irgendwann schreiend durchs Haus rennen. Letztes Mal wo wir es mal
wieder versucht haben hat es wieder nicht geklappt, also habe ich (wie vorher
angekündigt) durchgesetzt, dass es erst im Januar das naechste Mal probiert wird.
Es kam also gestern wieder die Bitte die Mittagspause gemeinsam zu
verbringen, ich sagte nein; die Beteuerungen dass es diesmal
funktionieren würde haben mich keineswegs überzeugt.
Folge: Wutanfall, Riesengeschrei, die Ankündigung dann einfach aus dem
Zimmer zu gehen usw. Als ich nochmal in ihr Zimmer kam und mit ihr
drüber reden wollte, ließ sie mich keine zwei Worte reden ohne aus
vollem Hals „GEH RAUS!!!“ zu brüllen.

Die Mittagspause verlief ruhig, danach war wieder alles in Butter.

Diese Wutanfälle stressen uns alle, und ich sehe jetzt schon die
Pubertät vor mir, Hilfe…

Ich suche kein Patentrezept, sondern verschiedene Ideen und
Gedankenanstöße, wie ich damit besser umgehen könnte. Danke fürs Lesen
dieses langen Textes!

Matilda

Hallo Matilda,

unsere zweite Tochter ist sieben Jahre alt und verhält sich ähnlich wie Deine Tochter.

Sie fing mit 13 Monaten zu trotzen an - und hörte sozusagen nie wieder auf mit Wutanfällen schlimmster Art. In der Öffentlichkeit ist sie dagegen meistens ein schüchterner Engel :wink:.

Nach vielem Suchen, unzähligen Erziehungsratgebern, ratlosen Erzieherinnen (denn im Kindergarten war sie ja der Engel, uns glaubte niemand), gebetsmühenartigen „Das-Kind-testet-seine-Grenzen“-Ratschlägen, die uns alle keinen Schritt weitergebracht haben, stießen wir dann irgendwann auf Hochbegabung und, nochmal viel später, auf ADS (denn auch ADS-Kinder können sich in bestimmten Situationen hervorragend konzentrieren ).

Seit unsere Tochter eine Verhaltenstherapie macht, wir regelmäßige Gespräche mit der betreuenden Therapeutin führen und ein Elterntraining gemacht haben, hat sich vieles gebessert. Schwer ist es zwar trotzdem, aber man sieht Land.

Schau mal hier: http://eigen-sinn.bei.t-online.de/.

Wichtig: Natürlich kann ich hier nur berichten, dass es bei uns ganz ähnlich zuging. Das ersetzt aber keine seriöse Diagnostik - mehrere Stunden, nicht eine halbe Stunde beim Kinderarzt !

Viele Grüße,

Inselchen

Hi Ihr zwei,

ich kann nur bestätigen, was Inselchen sagt, irgendwann kommt Land in Sicht. Ich habe zwei von dieser Sorte, die in völlig unterschiedlichen Situationen, ohne (be-)greifbaren Grund komplett austicken (und das schon immer konnten) - meine zwei allerdings auch bei anderen. Das macht es nicht wirklich besser. (Therapie u.ä. hatten wir auch - zwei Jahre lang - war auch echt gut!)

Land kommt insofern- jetzt sind wir soweit: meine Kleine (8) sagt: lass mich jetzt, sonst flipp ich wieder aus (o.k. - Wenn ich dann weitermache, erfahrungsgemäß, bin ich selber schuld - wenn ich sie wirklich eine Zeit lang in Ruhe lasse, kommt sie wieder zur Ruhe und redet dann auch mit mir); Meine Große (10) verschwindet in ihrem Zimmer - ruhig - oder sie tobt, schreit und weint unter Umständen - kommt dann wieder und redet mit mir oder schreibt mir einen ellenlangen Brief!.

Der verzweifelte Streit verliert sich, und damit kann man besser damit umgehen.

Leider muß ich sagen, daß ich (40)(auch heute noch) vor lauter Zorn die Wand hoch gehen könnte und auch ich ziehe mich dann zurück.

DIE Frage ist dann nach geraumer Zeit immer: geht’s wieder?

Diese Rückzugsmöglichkeit ist für jede von uns inzwischen super wichtig.

Und so lassen wir uns dann mittlerweile - und beruhigen uns dann…

Also wünsche ich Euch immer gute Nerven

Liebe Grüße

Uschi

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Hallo,

Ich bitte euch um Vorschläge, wie ich damit umgehen könnte.

Na mal sehen…

ist sehr begabt, Beste in der Klasse, sehr ehrgeizig,
kann sich in die Klasse einfügen…fleißig…denn sie konnte schon
fliessend lesen als sie in die Schule kam und gehoert zu den Ältesten.

Vielleicht fehlt ihr insgesamt die Herausforderung, was sich dann Zuhause als Zorn bemerkbar macht.

Bekommt sie außerhalb der Schule Förderung?
Allerdings sollte man dabei beachten, dass das Kind auch Freizeit braucht und die Woche nicht verplant ist.

Macht sie Sport? Bewegt sie sich viel? Vielleicht braucht sie mal einen Ausgleich zum ewigen sitzen?

Ich habe einfach das Gefühl, dass ich vielleicht anders mit ihr :umgehen muss.

Wenn sie hochbegabt ist, ist mit Sicherheit ein Umdenken erforderlich.
Wurde sie schon auf Hochbegabung getestet?

Vielleicht wäre es gut einen Platz zum Abreagieren einzurichten. Ein Platz, an dem man nicht gestört wird und es niemanden stört. Ein Platz, an dem man scheien, boxen und treten kann. Große Sitzsäcke, Kissen, Matten, Boxsäcke, Bälle u.ä. sind dafür geeignet.
Sie ist in einem Alter, in dem man lernen muss, mit Wut klarzukommen. Wut ist nichts schlimmes und nichts, was man nicht ausleben darf. Man muss nur lernen, wie/wo man Wut abbaut.

Lass deiner Tochter ihr Zimmer als Rückzugsgebiet. Vielleicht könnt ihr vereinbaren, dass du anklopfst, wenn die Tür geschlossen ist und erst dann hereinkommst, wenn sie „herin“ sagt. Kann aber sein, dass sie dafür noch etwas zu jung ist … ansonsten hilft auch ein Türschild - wenn dieses an der Tür hängt ist Zutritt verboten. Dann sind auch die Geschwister gewarnt, die dieses Türschild ebenso respektieren sollten.
Viele Kids sind Fans dieser Schilder.

Diese Wutanfälle stressen uns alle, und ich sehe jetzt schon
die Pubertät vor mir, Hilfe…

Immer mit der Ruhe…

Gruß
Tato

Hallo Matilda,

einen einfachen Aspekt möchte ich gerne hier loswerden:
Wut und Jähzorn ist etwas normales, vorallem bei kindern. Doch mit der Wut umzugehen ist eine Leistung für sich, die erlernt bzw. beigebracht sein will, also zum größten teil Erziehungsaufgabe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten auf die Wut seiner kinder zu reagieren. Es ist z.B. verkehrt auf die Wut des kindes selbst mit Wut zu reagieren oder sie zu ignorieren oder durch Nachgeben zu reagieren. So wird das kind nicht lernen im Umgang mit anderen seine Wut in den Griff zu bekommen, oder gar versuchen die Wutausbrüche als Druckmittel zu verwenden. Am besten wäre es als Elternteil die Wut auszuhalten, denn auf die Reflexion kommt es an, damit das kind einen Gegenpart erfährt, der gleichzeitig deren Emotionen reguliert. Das kann sehr anstrengend sein. Das kenne ich auch. Wenn kinder wütend werden, dann kommen Enttäuschungsgefühle hoch, die sie durch ihren Verstand nicht einordnen können. Dazu sind wir Eltern da, dem ärger einen Namen zu geben, zu trösten, bei der kompromiss-Suche zu helfen, darauf aufmerksam zu machen und entgegenzuwirken wenn andere (vorallem Familienmitglieder und nicht zu letzt man selbst) unter der Wut zu leiden haben. Sich als Elternteil den Wutausbrüchen zu stellen, bedeutet der ausgelebten Egozentrik ein wenig die Spitze zu nehmen.
Wenn kinder erlernen mit ihrer Wut umzugehen, dann hat wieder ein Stück weit ihrer emotionellen Intelligenz und sozialer kompetenz an Wert zugenommen.

Es mag zwar für viele Verhaltensauffälligkeiten gute regulierende Medikamente und therapien geben, aber meiner Ansicht nach ist ein Abwarten, wie sich das kind entwickelt (eben manchmal zu lange) nicht vermeidbar, wenn man nicht auf jede kindliche „Fehl“-Entwicklung mit ärztlicher Versorgung reagiert. Solche Reaktionen der Eltern können nämlich ebenfalls erzieherisch sein - so oder so. Wie gesagt, das ist meine Sichtweise dazu.

viele Grüße
claren

hallo matilda,

ich kenne die situation, die du beschreibst aus eigener erfahrung: unsere mittlere tochter (7) ist in der schule ungeheuer lieb, beliebt, hilfsbereit und eine zeigt hohe sozialkompetenz. was an sich doch schoen ist. zuhause wiederum ist sie sehr oft das genaue gegenteil: uebellaunig, motzig-patzig und schon die falsche sockenwahl am morgen kann ausgedehnte wutanfaelle zur folge haben.

nun ist es nicht so, dass uns eltern derlei ausfaelle kalt lassen, es haengt immer von der tagesverfassung ab, wie wir damit zurecht kommen. aber grundsaetzlich sehen wir dies so, dass es eigentlich gut ist, wenn unser kind sein zuhause als einen bereich empfindet, in dem es sich so verhalten darf und die grenzen von verhalten ausprobieren kann. und dass es hier trotzdem geliebt und verstanden wird. man stelle sich den umgekehrten fall vor:wink:

auf diese weise weise koennen wir meistens ganz gut damit klarkommen.

ich wuensche euch viel energie,
herzliche gruesse,
matti.

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Hallo Martin,

aber grundsaetzlich sehen wir dies so, dass es
eigentlich gut ist, wenn unser kind sein zuhause als
einen bereich empfindet, in dem es sich so verhalten darf und
die grenzen von verhalten ausprobieren kann. und dass es hier
trotzdem geliebt und verstanden wird. man stelle sich den
umgekehrten fall vor:wink:

Das ist so schön formuliert, dass es mir beinahe die Tränen
in die Augen treibt :wink:

Denn, wie Nietzsche schon treffend bemerkte (Götzendämmerung,
Sprüche und Pfeile - 6):

Man erholt sich in seiner wilden Natur am besten von 
seiner Unnatur, von seiner Geistigkeit ...

Grüße

CMБ

Umzug ins Frauenbrett
Hallo Martin und alle die mir geantwortet haben,

erstmal vielen Dank für die Antworten. Mir ist aufgefallen, dass offenbar vor allem die Eltern von Töchtern ähnliche Probleme haben und ich habe zu diesem Thema einen neuen Thread im Frauenbrett gestartet, weil ich es sehr interessant finde, der Frage nachzugehen, wie es kommt, dass vor allem Mädchen dieses explosive Wutverhalten zeigen. Vielleicht kommt ja der/die eine oder andere von euch mit?

Viele Gruesse,

Matilda