Umgang mit Neffen/Schwester

Hallo Ihr Wissenden,

ich ziehe mir ja immer gern die Probleme anderer an (um wahrscheinlich von meinen eigenen abzulenken), aber ich mache mir wirklich Sorgen um meinen Neffen.

Er wird jetzt 21 Jahre, wurde mit 15 ob „Verhaltensauffälligkeiten“ (und Delikten) aus seiner (Vorzeige-)Familie genommen, war Monate in einer Kinderklinik und anschließend im betreuten Wohnen.

Dadurch hat er es aber auch geschafft, seinen Realschulabschluss zu machen, hat eine Lehrstelle und eine eigene Wohnung.

Sein Verhältnis zu seinen Eltern ist „natürlich“ gestört. Er fühlt sich bis heute abgeschoben und bettelt um die Liebe und Anerkennung, die seine beiden jüngeren (Vorzeige-)Geschwister bekommen.

Er hat schon sehr unter dem Tod meines Vaters gelitten - und dann ist letztes Jahr auch noch mein Mann gestorben, zu dem er einen tollen Zugang hatte.

Er war in den letzten Monaten immer wieder hier zu Besuch (auch mit seiner Freundin oder über Weihnachten); er hat mich und meine Mutter „adoptiert“. Er hat sich sogar in den Kopf gesetzt, hierher zu ziehen.

Ich habe ihn in den letzten Monaten immer wieder auch finanziell unterstützt (es aber eingestellt, weil ich merkte, dass es ihm letztlich nicht gut tut), er ist mir gegenüber sehr offen (ich wusste auch, dass er Drogen nimmt), nimmt von mir auch Kritik an…

Oh je - so viel Hintergrund: Er ist jetzt wieder in einer Klinik - in einer Entzugsklinik. Die (Vorzeige-)Eltern wollen das nicht wahrhaben und wehren jede Verantwortung für seinen Zustand ab.

Da ich ja eher der „Konfrontationsmensch“ bin und meine Schwester eher der „Harmonietyp“, verweigert sie das Gespräch mit mir - und natürlich mit ihrem Sohn. Aber genau das benötigte er! Er will einfach nur einmal hören, dass er nicht der alleinig Schuldige für seine Situation ist. Seine Eltern verweigern ihm auch die Akteneinsicht in die Unterlagen von damals - aber das ist jetzt hier kein rechtlicher Aspekt, sondern ein „emotionaler“.

Ich bin ja froh, dass er jetzt in der Klinik ist, aber ihm fehlt einfach der emotionale Rückhalt. Ich versuche, ihm gegenüber so ausgewogen wie möglich zu sein, sage ihm immer, dass meine Probleme mit seinen Eltern mir gehören und nicht seine seien.

Ich kann ihn leider so gut verstehen, will aber eben auch nicht die Fronten zwischen ihm und seinen Eltern verstärken - im Gegenteil!

Meine Schwester und mein Schwager unterstellen mir, dass ich ihren Sohn nur auf meine „Seite“ ziehen will - ich wüsste dafür zwar keinen logischen Grund (ich kann mit meiner Zeit und meinem Geld auch etwas „Besseres“ anfangen), aber so scheint es zu sein.

Was wäre ich froh, wenn mein Neffe wieder einen einigermaßen normalen Umgang mit seinen Eltern pflegte.

Hindere ich ihn daran? So kommt es mir manchmal vor. Bin ich für seine „verletzte Seele“ vielleicht doch zu offen und ehrlich und ihm damit gar keine „Unterstützung“?

Aber er sucht so krampfhaft nach emotionalen Halt, dass er auch in jeder Freundin gleich seine Ehefrau sieht, immer wieder betont, dass er nie und nimmer so mit seinen eigenen Kindern umginge.

Ich mache mir Sorgen - auch, dass Ihr „Augenkrebs“ ob des langen Beitrags bekommt! :smile:

Danke fürs Durchhalten und liebe Grüße

Kathleen

Hallo Kathleen,

beim Lesen sind mir ein paar Gedanken gekommen, ich schreib sie einfach mal hin, auch mit em Risiko, daß diese „falsch“ sein könnten.

Zuerst mal zu Deinem Text:

Er wird jetzt 21 Jahre, wurde mit 15 ob
„Verhaltensauffälligkeiten“ (und Delikten) aus seiner
(Vorzeige-)Familie genommen, war Monate in einer Kinderklinik
und anschließend im betreuten Wohnen.

Sein Verhältnis zu seinen Eltern ist „natürlich“ gestört. Er
fühlt sich bis heute abgeschoben und bettelt um die Liebe und
Anerkennung, die seine beiden jüngeren (Vorzeige-)Geschwister
bekommen.

Die (Vorzeige-)Eltern wollen
das nicht wahrhaben und wehren jede Verantwortung für seinen
Zustand ab.

Da ich ja eher der „Konfrontationsmensch“ bin und meine
Schwester eher der „Harmonietyp“, verweigert sie das Gespräch
mit mir - und natürlich mit ihrem Sohn. Aber genau das
benötigte er! Er will einfach nur einmal hören, dass er nicht
der alleinig Schuldige für seine Situation ist.

Meine Schwester und mein Schwager unterstellen mir, dass ich
ihren Sohn nur auf meine „Seite“ ziehen will

Ich habe versucht, das zu zitieren, was für mich wesentlich erscheint.

Wie wäre es mit folgendem Denkmodell, das ich aus eigener (schechter) Erfahrung kenne? Ich versuche, es auf diese Situation anzuwenden.

„Die Welt ist so, bzw. hat so zu sein, wie sie sich die (Vorzeige-)Familile vorstellt. Alles was anders ist, ist dann logischerweise „falsch“. Vor diesem Hintergrund sind von den handelnden Personen aus der Familie auch keine Fehler gemacht worden. „Natürlich“ können die Fehler dann nur von „den Anderen“ gemacht werden.
Deshalb ist es auch nicht notwendig „etwas einzusehen“, da man selbst hat ja „Alles richtig“ gemacht.“
Von daher ist mit dem zu rechnen, was landläufig „Beratungsresistenz“ genannt wird.

Ich stecke selbst in einem ähnlichen Teufelskreis und habe keine Ahnung, wie er aufzulösen wäre.

Gruß
Jörg Zabel

Hallo Kathleen,

nimm’s mir nicht krumm, aber lese ich da nicht eine klitzekleine Parteinahme für die eine Seite heraus?

Weil du schreibst, dass deine Schwester für die bedauerliche Entwicklung und jetzige Situation des jungen Mannes jegliche Verantwortung ablehnt, meine ich jetzt. Aber inwiefern sich der Knabe nicht eventuell vielleicht doch ein wenig auf seine Eltern zubewegen könnte, indem er ein Mindestmass an seinem eigenen Anteil an der ganzen Misere doch zumindest nicht leugnet (und nicht etwa alles kurzerhand auf mangelnde Liebe und Anerkennung der Vorzeigefamilie schiebt), so dass sich nach hoffentlich erfolgter therapeutischen Hilfe in der Klinik (und natürlich zuvorderst deiner Unterstützung) beide Seiten ein wenig in der Mitte treffen können?

Ist nur so ein Gedanke von aussen. Ob das so zutrifft, vermag ich natürlich nicht zu beurteilen.

Schönen Gruß

Annie

Liebe Annie,

nimm’s mir nicht krumm,

Dir doch nicht! :smile:

aber lese ich da nicht eine
klitzekleine Parteinahme für die eine Seite heraus?

Ja, ich stehe tendenziell eher hinter meinem Neffen - da hast Du Recht. Aber auch nur vor dem Hintergrund, dass ich bis heute der Meinung bin, dass die Eltern schon sehr früh die Unterschiede zwischen den Kindern zu sehr hervorgehoben und einen enormen Leistungsdruck auf den Ältesten ausgeübt haben.

Außerdem habe ich eine Schwäche für Außenseiter! :smile:

Weil du schreibst, dass deine Schwester für die bedauerliche
Entwicklung und jetzige Situation des jungen Mannes jegliche
Verantwortung ablehnt, meine ich jetzt.

Du musst wissen, dass meine Schwester Pastorenfrau ist. Die beiden anderen Kinder sind super in der Schule, spielen Musikinstrumente, engagieren sich in der Gemeinde…Ihr Ältester passte nun wirklich nicht in ihr „Harmoniekonzept“. Ja, da bin ich parteiisch!

Aber inwiefern sich
der Knabe nicht eventuell vielleicht doch ein wenig auf seine
Eltern zubewegen könnte, indem er ein Mindestmass an seinem
eigenen Anteil an der ganzen Misere doch zumindest nicht
leugnet (und nicht etwa alles kurzerhand auf mangelnde Liebe
und Anerkennung der Vorzeigefamilie schiebt), so dass sich
nach hoffentlich erfolgter therapeutischen Hilfe in der Klinik
(und natürlich zuvorderst deiner Unterstützung) beide Seiten
ein wenig in der Mitte treffen können?

Bitte verstehe mich nicht falsch: Ich nehme meinen Neffen nicht grundsätzlich in Schutz. Ich sage ihm auch, dass er nicht alles auf seine Eltern abwälzen darf, er auch anfangen muss, für sich (ohne auf die Anerkennung seiner Eltern zu hoffen) sein Leben gestalten soll, nicht in jeder Freundin gleich eine Ehefrau zu sehen, ich eben auch nur Tante bin, aber nicht seine Mutter etc.

Liebe Grüße

Kathleen

Lieber Jörg,

„Die Welt ist so, bzw. hat so zu sein, wie sie sich die
(Vorzeige-)Familile vorstellt. Alles was anders ist, ist dann
logischerweise „falsch“. Vor diesem Hintergrund sind von den
handelnden Personen aus der Familie auch keine Fehler gemacht
worden. „Natürlich“ können die Fehler dann nur von „den
Anderen“ gemacht werden.
Deshalb ist es auch nicht notwendig „etwas einzusehen“, da man
selbst hat ja „Alles richtig“ gemacht.“
Von daher ist mit dem zu rechnen, was landläufig
„Beratungsresistenz“ genannt wird.

das ist ja leider auch meine Annahme, obgleich ich ja in letzter Zeit immer nur die Seite meines Neffen mitbekomme, sie aber durch vorherige Erlebnisse mit meiner Schwester (für mich) bestätigt wird.

Ich stecke selbst in einem ähnlichen Teufelskreis und habe
keine Ahnung, wie er aufzulösen wäre.

Ich hoffe, das können jetzt die Therapeuten in der Suchtklinik. Aber ich frage mich eben, inwiefern ich meinem Neffen mit meiner kritischen Haltung wirklich eine Hilfe bin?!

Er nimmt sich auch immer alles so zu Herzen. Das ist ja eigentlich ein schöner Zug, wenn es sich letztlich nicht gegen ihn richtete.

Liebe Grüße

Kathleen

Hallo Kathleen,

dass Eltern manchmal in eine Situation geraten, in der es keine gute Kommunikation mehr mit ihren Kindern gibt, kommt gar nicht selten vor. Phasenweise während der Pubertät passiert das sogar ziemlich häufig.

In meinen Augen ist das Beste, was dann geschehen kann, dass das Kind eine andere, verantwortungsvolle Bezugsperson findet, die es auffängt und die Lücke füllt, die durch den Riss in der Eltern-Kind-Beziehung entstanden ist. Als mit dem Erreichen des 13. Lebensjahrs die Kommunikation mit meiner jüngsten Tochter zunehmend schwieriger wurde und zeitweise ganz erstarb, beruhigte es mich ungemein, dass die Mutter ihrer besten Freundin ihr Vertrauen genoss. Natürlich plagte mich auch die Eifersucht ein bisschen - aber unterm Strich war ich heilfroh, dass mein Tochterkind nicht ganz „verloren“ und auf sich selbst angewiesen war.

So ähnlich sehe ich das auch bei deinem Neffen. Du füllst einen Platz aus, den seine Eltern freigemacht haben - aus welchen Gründen auch immer. Würdest du dich zurückziehen, bliebe er nach meiner Einschätzung leer, denn die Eltern können ihn ganz sicher nicht einfach so mit sich besetzen.

Wenn er aus seiner Therapie zurückkommt, braucht er jemand, auf den er zählen kann. Diese Person scheinst du zu sein - und es könnte fatal werden, wenn du dich zurückziehst. Darüber kannst und musst du möglicherweise nachdenken, wenn dein Neffe sein Drogenproblem nicht in den Griff kriegt. Im Augenblick schiene es mir aber der falsche Zeitpunkt.

Ich denke auch, dass du dich bei einem 21-Jährigen seinen Eltern gegenüber nicht rechtfertigen musst. Er hat dich gewählt, du hast ihn nicht aus dem elterlichen Nest gerissen. Seine Wahl zu akzeptieren, wäre auch ein Stück Akzeptanz des Sohnes als erwachsener, eigenverantwortlicher Mensch.

Letztere könnte sowohl den Eltern als auch der Tante guttun :smile:.

Schöne Grüße
Jule

Hallo Kathleen,

Du machst dir die richtigen Gedanken.

Dein Neffe macht eine mehr oder weniger „klassische Karriere“ des Revoluzzers gegen (s)eine ach so tolle Familie.

Du hast ja selber gemerkt, dass finanzielle Unterstützung keinen Wandel gebracht hat und er erneut in Drogenproblemen gelandet ist.

Sein Problem wird die fehlende Anerkennung in er Familie sein. Du kannst vielleicht ersatzweise ihn in seinen Fähigkeiten bestärken. Aber dann musst du auch ehrlich sein, was seine Defizite betrifft.

Vielleicht solltest du auch das Verhältnis zu deiner Schwester klären,
auch dies bezüglich, dass sie nicht nur „böse“ ist.

LG

Hallo,

mir persönlich fallen da zwei Dinge auf:

Erstmal muss dein Neffe für sich einsehen, das er bei seiner Familie die Liebe die er sich erhofft, nie bekommen wird. Das kann eigentlich nur eine gute Therapie leisten-. Denn wenn er das für sich erkannt hat, fällt eibe Riesenlast ab und er erkennt, das nur er für sein Leben verantwortlich ist. Natürlich spielen bei Süchten und anderen psychischen Problemen auch die Familie und das soziale Umfeld eine Rolle. Aber ab einem gewissen Alter ist es jedem selber unterstellt, was er daraus macht. ! (Nicht das das einfach wäre).

Das andere ist, das - auch wenn mir Deine Schwester nach Deinem Posting nicht wirklich sympathisch ist - sie mir auch ein wenig leid tut. Stell dir mal vor, dein Kind wäre früh auf eine schiefe Bahn gekommen und drogensüchtig. Wie würde es Dir da gehen ? Was würdest du dir wünschen und wie reagieren? Viele Eltern weisen da die Verantwortung von sich, eigenes Versagen einzugestehen ist sehr , sehr schwer . und das bei den eigenen Kindern!!

Schlussendlich würde ich meiner Schwester sagen, das ich im moment einfach etwas leisten kann, was sie als Eltern eben nicht leisten können und ihnen nahelegen, eventuell eine Familienaufstellung bzw psychologische beratungsstelle mit Dir aufzusuchen, um die Situation zu klären. Das sollte ihr als Pastorenfrau ja nicht fremd sein.

Und ansonsten sei für Deinen Neffen da, aber hole dir bitte auch Hilfe. Suchtkranke sind sehr speziell, und da gibt es sehr gute Selbsthilfegruppen, die dich beraten können. Einfach damit du für Dich auch weißt, was gut und falsch ist ihm gegenüber.

Schicke dir ganz viel Kraft!

Lg

Brenna

Hallo Brenna,

Schlussendlich würde ich meiner Schwester sagen, das ich im
moment einfach etwas leisten kann, was sie als Eltern eben
nicht leisten können…

Je nachdem wie das Verhältnis der beiden ist, könnte sie damit aber auch zusätzlich Öl ins Feuer gießen.

Ich würde aber grundsätzlich auch daran festhalten, den Jungen zu unterstützen, seine Familie vermag das wohl leider nicht zu leisten.

Gruß
wildpferd

Hallo wildpferd und alle anderen,

Ich würde aber grundsätzlich auch daran festhalten, den Jungen
zu unterstützen,

natürlich werde ich für ihn weiterhin da sein. Erst gestern Abend rief er mich wieder an und weinte nur, weil ihn mal wieder ein „Freund“ beklaut haben soll.

Bei ihm ist wirklich das Problem, dass er jeden „adoptieren“ will/jeden gleich als Freund sieht.

Ich habe ihm dann die Nummer meines Rechtsanwalts gegeben, der ihn dann beruhigen konnte.

Jetzt geht es ihm wieder „viel“ besser (wie lange das wohl anhält?) und fragt gleich, ob ich nächsten Monat zu seinem Geburtstag komme (seine Eltern lüde er auch nicht ein, sie kämen ja ohnehin nicht).

Und genau in diesen Momenten wird mir mulmig!

Ich werde es wegen meiner Arbeit höchstwahrscheinlich ohnehin nicht schaffen hinzufahren (ist nicht um die Ecke, sondern ca. 400 km Entfernung), aber ich käme mir auch komisch vor.

Viele Grüße

Kathleen