Umgang mit wiss. Literatur aus der DDR?

Hallo ihr,

sagt mal, was haltet ihr von diesem Absatz hier:

„Unter den verwendeten Materialien befindet sich auch eine Schrift aus der DDR, nämlich „Die Rechtsverhältnisse in den römisch-germanischen Grenzprovinzen in der Niedergangs-periode der antiken Sklavenhaltergesellschaft“ von G. Härtel. Auch wenn anzunehmen ist, dass die weltanschauliche Ausgangsbasis Härtels sich von der eines westlichen Autors unterscheidet, werden seine Forschungsergebnisse in dieser Arbeit als gleichwertig betrachtet. Dahinter steht die Annahme, dass der Standpunkt des Autors sich zwar auf die Auswahl der Quellen auswirken könnte, dass die Quellen selbst jedoch korrekt wiedergegeben werden.“

Es geht darum, dass ich was über die Korruption im Alten Rom schreiben soll, aber nur wenig Material finde, und deshalb nicht gerne einen Artikel aussortiere, nur weil der Autor aus dem Ostblock kommt.

Wie geht man überhaupt mit Sekundärliteratur aus der DDR um? Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht …

Meine Überlegung war ungefähr so: „Der kann von mir aus ein überzeugter Kommunist sein - über die alten Römer wird er ja wohl was Sinnvolles geschrieben haben.“

Also meine Fragen sind nun:

  • Seht ihr das genauso? D.h. würdet ihr so einen Artikel als gleichwertig betrachten?
  • Würdet ihr überhaupt so einen Absatz wie den obigen einfügen, oder ist das unangebracht, weil man sich hier quasi für etwas entschuldigt, das ohnehin gleichwertig ist und für das man sich nicht entschuldigen müsste?

Ich dachte halt, ich schreibe was dazu, weil das mit der „antiken
Sklavenhaltergesellschaft“ einem sofort als kommunistische Terminologie ins Auge springt und man das ja nicht einfach kommentarlos stehen lassen kann.

Schöne Grüße

Petra

Hi

Es geht darum, dass ich was über die Korruption im Alten Rom
schreiben soll, aber nur wenig Material finde, und deshalb
nicht gerne einen Artikel aussortiere, nur weil der Autor aus
dem Ostblock kommt.

warum solltest Du auch. Die waren und sind doch nicht blöd.

Wie geht man überhaupt mit Sekundärliteratur aus der DDR um?
Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht …

Lesen, bewerten, verwursten. Genauso wie „Westliteratur“.

Meine Überlegung war ungefähr so: „Der kann von mir aus ein
überzeugter Kommunist sein - über die alten Römer wird er ja
wohl was Sinnvolles geschrieben haben.“

Davon würde ich auch ausgehen

Also meine Fragen sind nun:

  • Seht ihr das genauso? D.h. würdet ihr so einen Artikel als
    gleichwertig betrachten?

Was spricht realistisch betrachtet dagegen

  • Würdet ihr überhaupt so einen Absatz wie den obigen
    einfügen, oder ist das unangebracht, weil man sich hier quasi
    für etwas entschuldigt, das ohnehin gleichwertig ist und für
    das man sich nicht entschuldigen müsste?

Ich würde es weglassen.

Ich dachte halt, ich schreibe was dazu, weil das mit der
„antiken
Sklavenhaltergesellschaft“ einem sofort als
kommunistische Terminologie ins Auge springt und man das ja
nicht einfach kommentarlos stehen lassen kann.

Warum nicht?

Es WAR doch damals eine Sklavenhaltergesellschaft…
Und wenn es dir eh blos um die darin angeführten Quellen geht, und Du seine Schlußfolgerungen nicht übernimmst, dann ist das Wurscht.

Ausser Du hast deutliche Anzeichen dafür, dass die Quellen selber verfälscht wurden.

Und jetzt noch mal eine Anmerkung ganz allgemeiner Art: Wer zur Hölle verwirft Sekundärquellen, blos weil einem die Politische Überzeugung (bzw die angenommene Politische Überzeugung) des Autors nicht in den Kram passt. Ich empfinde so etwas als kontraproduktiv.

Und ein Marxistischer Ansatz zur GeschichtsDEUTUNG (das muss ja nicht die leninistische Richtung sein)ist immer noch legitim…

LG
Mike

Hallo,
ja, da wirst du deine „Quelle“ noch kritisieren müssen, im Sinne von bewerten.
Das solltest du aber auch bei jeder „Westquelle“ so machen. Vielleicht fällt dir ja in Auseinandersetzung mit der Perspektive der kommunistischen Dialektik auch das ein oder andere versteckte, unhinterfragte Paradigma der westlichen Wissenschaft auf.

Gruß
Werner

Hallo du,

sagt mal, was haltet ihr von diesem Absatz hier:

„Unter den verwendeten Materialien befindet sich auch eine
Schrift aus der DDR, nämlich „Die Rechtsverhältnisse in den
römisch-germanischen Grenzprovinzen in der Niedergangs-periode
der antiken Sklavenhaltergesellschaft“ von G. Härtel. Auch
wenn anzunehmen ist, dass die weltanschauliche Ausgangsbasis
Härtels sich von der eines westlichen Autors unterscheidet,
werden seine Forschungsergebnisse in dieser Arbeit als
gleichwertig betrachtet. Dahinter steht die Annahme, dass der
Standpunkt des Autors sich zwar auf die Auswahl der Quellen
auswirken könnte, dass die Quellen selbst jedoch korrekt
wiedergegeben werden.“

Die Vorposter haben es schon angedeutet:
Mit einem solchen Text bekundet der Verfasser – auf naive Weise –
seine eigene ideologische Voreingenommenheit.

Nescio

Guten Tag,

also wenn du den Artikel verwenden willst, solltest du aufjedenfall Forschung über den Autor betreiben, um eben seine Intention sicherherausfiltern zu können. Es könnte ja schließlich auch sein, dass er einiges Sarkastisch meint etc…
das ist der absoloute Tipp beim Umgang mit sekundär Quellen, Hintergrundwissen über den Autor und die Zeit in der er gelebt hat. Denn das kann die Aussage in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Hallo,

Die Vorposter haben es schon angedeutet:
Mit einem solchen Text bekundet der Verfasser – auf naive
Weise –
seine eigene ideologische Voreingenommenheit.

Ok ok … mittlerweile habe ich eh viel zu viel Text und werde diesen Absatz einfach löschen.

Anscheinend färbt es ab, wenn man sich zu lange und zu oft mit der amerikanischen Kultur beschäftigt. -> Kommunisten = ganz furchtbar böse :wink:

Übrigens, nebenbei bemerkt: Den „Pauly“ muss ich in der Ausgabe von 1884 verwenden, weil irgendjemand den Band 1 versteckt hat …

Schöne Grüße

Petra

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Vorsicht!
Generell halte ich einen solchen Absatz für überflüssig und unprofessionell, denn dein Gutachter weiß schließlich vermutlich von den Schwierigkeiten, die mit wissenschaftlichen Texten, die in der DDR verfasst wurden, einhergehen.
Tatsächlich muss man mit solchen Materialien aber sehr bedacht umgehen, denn schließlich unterlagen alle Publikationen einer strengen ideologisch geprägten Zensur. Gerade in den Geisteswissenschaften kam es daher häufig dazu, dass die Vermittlung von Fakten zwar meist nicht verfälscht wurde, die Meinungsbildung des Lesers aber immerhin durch Verlagerungen von Schwerpunkten und gezielten Auslassungen gewissermaßen in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde. Auch wenn es bei dem genannten Text um ein Thema geht, dass zeitlich weit vor Marx und Lenin anzusiedeln ist, so ist durchaus nicht auszuschließen, dass etwa in den Handlungen von beschriebenen historischen Persönlichkeiten frühsozialistische Züge erkannt und mehr oder minder offenkundig dargelegt und diskutiert werden. Denn man darf nicht aus den Augen verlieren, dass beim Bildungsprozess stets die Ausbildung des Lernenden zur sozialistischen Persönlichkeit im Vordergrund stehen sollte. Die Vorsicht, die beim Umgang mit derartigen Texten geboten ist, basiert dabei durchaus nicht auf der Vorurteilsbelastung durch die westlich geprägte Gesellschaft (oder gar nur die USA), sondern in erster Linie auf Empirie und auf Begleitmaterial zum Unterricht an Schulen und Universitäten in der DDR, in denen diese Zielsetzung ganz offiziell gefordert wurde.
Statt eine rechtfertigende Erklärung einzubauen würde ich an deiner Stelle also lieber den Text auf Herz und Nieren prüfen bevor er in die Literaturliste aufgenommen wird. So kann die Arbeit mit ihm jederzeit mit gutem Gewissen begründet werden. Prüfen sollte man auf jeden Fall die historische Korrektheit der dargelegten Fakten, die Sachlichkeit des Schreibstils (nicht verwenden, wenn die Formulierungen sehr enthusiastisch oder gar parteiisch wirken) und ob Worte wie marxisitsch-leninistisch oder Sozialismus verwendet werden. Viel Erfolg wünsche ich dir weiterhin!