Umgang miteinander in aktuellen Kinderbüchern?

Hallo,
kürzlich fiel mir ein übriges „Hanni und Nanni“ in die Hände, das ich selber als Kind gelesen habe. Ich war neugierig und habe es gelesen. Und war ziemlich entsetzt. Denn mir war als Kind nie bewusst gewesen, wie schrecklich hier der Umgang der Kinder untereinander dargestellt ist und vor allem, wie vollkommen unkritisch. Heute würde man es wohl „dissen“ nennen, was da in jedem Kapitel geschieht, und zwar auch und vor allem durch die doch „sympathischen“ Hauptprotagonistinnen (irgendeine aus der Klasse benimmt sich daneben und wird dann sofort von den „Guten“ massiv abgewertet, beschimpft, geschnitten, ausgeschlossen usw., schließlich lernt sie daraus oder bekommt ihre gerechte Strafe.
Verständnis, Befragen der Hintergründe, Integrationsbemühen oder gar Selbstkritik - Fehlanzeige. Es ist mir ein Graus, dass ich sowas auch meinen (heute erwachsenen) Kindern zu lesen gegeben habe. Ich bilde mir ein, dass die heutige Kinderbuchlandschaft da anders ist. Stimmt das? Wenn ja, wäre die Welt tatsächlich ein Stückchen besser geworden :smile:

Servus,

hast Du nie was von Astrid Lindgren in die Hände gekriegt?

Die Sachen von der weisen alten Frau waren eine bessere Schule u.a. was Sozialverhalten betrifft als alles, was jemals bei Beltz und Gelberg erschienen ist. Allen voran natürlich die Bullerbü-Kinder, aber auch die Schulen der Vermeidung von unangebrachten Verbeugungen Pippi Langstrumpf und Karlsson vom Dach.

Zum Tod von Astrid Lindgren gab es eine wunderschöne Zeichnung - ich weiß nicht mehr, wo sie erschienen ist: Die kleine alte Dame mit einem Handköfferchen am Eingang zum Himmelreich, am Empfang sitzt hinter einem großen alten Schreibtisch Pippi Langstrumpf und fragt die etwas verdutzte Astrid Lindgren: „Was hattest denn Du gedacht, wie der liebe Gott aussieht?“

Kurzer Sinn: Frag nicht zu viel nach „aktuellen“ Sachen - die Messlatte liegt ziemlich hoch: Besser als Astrid Lindgren muss man erstmal sein, das macht keiner mal eben so.

Schöne Grüße

MM

Kinderbücher sind wie der Name schon sagt für Kinder bestimmt. Kinder nehmen die Wirklichkeit anders wahr, als Du es mit Erwachsenensicht interpretierst. Auch die wohlbehütesten Kinder haben Ängste, sind untereinander nicht immer fair, erproben halt die Wirklichkeit. Im Buch. Und sie wissen in der Regel , dass es einen Unterschied zwischen dem Inhalt eines Buchs und der Wirklichkeit aus Erwachsenensicht gibt… wenn sie sich nicht sicher sind, probieren Sie aus, Was denn nun stimmen mag. Das ist ihr Recht als Kind.
Ich halte es gar nicht für falsch, Kinder auch mit gemeinem oder nicht hinnehmbarem Verhalten in Büchern oder anderen Medien zu konfrontiieren. Ist aus ihrer Sicht ja Bestandteil ihres Alltags.
Auch heutige Kinderbücher beinhalten kritische Themen. Allerdings oft mit Unterbelichtung der Fragen, die ein kleines Kind so an die Welt hat. Sehr häufig werden Lösungswege als Ergebnis aufgezeigt, die mehr mit dem pädagogischen Impetus wohlwollender Erwachsener zu tun haben, als mit den Fragen an die Welt aus Sicht von Kindern.
Der Inhalt auch von alten Büchern ist mit Sicherheit dann nicht schädlich, wenn Eltern mit den Kindern darüber reden.
LG
Amokoma1

Warum? Weil man nicht mehr Neger (Verzeihung @anon73739668) sagt? Oder weil Prinzessinnen ein nicht hinnehmbares Klischee ist?
Mein Sohn hat die Märchen der Gebrüder Grimm vorgelesen bekommen, die Geschichten von Astrid Lindgren, die Geschichten von Philip Ardagh (Schlimmes Ende) und er hat sie allesamt geliebt. Ich finde die alten Geschichten nach wie vor sehr unterhaltsam und auch pädagogisch wertvoll.
Schau dir mal den Struwelpeter an. Es wurde nicht mit Strafen gedroht, sondern mit drakonischen Folgen, die allesamt nachvollziehbar waren. Wenn ich mir heutige (bestimmt nicht alle) Kinderbücher anschaue, muss ich öfters mal den Kopf schütteln ob der Naivität oder auch der pädagogischen Wertvollheit (gibt es das Wort?) Kinder sind sehr phantasiebegabte Wesen. Sie wollen Geschichten, wo das Böse besiegt wird. Das wollen übrigens auch Erwachsene.
Dein Beispiel Hanni und Nanni war schon seinerzeit kein wirklich „pädagogisch“ wertvolles Machwerk und ist heute ganz bestimmt nicht der Maßstab, an dem sich eine bessere Welt messen lässt.

Soon

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Ich glaube nicht, dass es Andrea darum ging. In den Hanni & Nanni Büchern wird nicht nur dieses Verhalten beschrieben, sondern als das richtige dargestellt. Außerdem handelt es sich da gerade nicht um wirklich ernsthafte Probleme, sondern mehr das Äquivalent, was bei Erwachsenen in Groschenromanen zu finden ist. Die Mädchen haben Problemchen im Internat und in den Ferien geht’s heim ins heile Elternhaus. (Sollte ich da einige ernsthaftere Themen vergessen / überlesen / nie gelesen haben, so bitte ich um Verzeihung: es ist lange her und davon ist nichts hängengeblieben).

Mir haben die eigentlich nie gefallen, diese ganze Mädchen-Internat-Atmosphäre war nie meins. Ich habe Kinderbücher gelesen, die für die Generation vor mir gedacht war (oder 2), weil es diese Bücher bei uns zu Hause gab: Erich Kästner, Kurt Held, Lisa Tetzner. Dort wurden richtige Probleme angesprochen (nicht die Pseudo-Dinger von Enid Blyton).

Heute ist z.B. Eoin Colfer angesagt, höre ich - die Artemis Fowl Bücher sind Bestseller. Ich mag sie nicht, aber auch da werden ernste Probleme angeschnitten, wenn ich mich recht erinnere (alledings ins einem Fantasy-Setting). Bevor er zu der Reihe kam hat er ein Buch geschrieben, Benny und Omar, was ich wirklich gut finde und dort geht es um tatsächliche Probleme: die Probleme des Waisen Omar im Vergleich zu den erste-Welt-Problemen von Benny (die aber so geschildert sind dass sie auch ernst genommen werden).

Meine Jungs lasen mit Begeisterung (die ich teilte) Brian Jacques Redwall Series. Da geht es zwar um Waldtiere (die in einer Abteil wohnen und gegen Wanderratten, Marder und Füchse kämpfen), aber als Vorbilder sind die Mäuse, Hasen, Dachse und Maulwürfe ganz gut zu gebrauchen.

Zusammengefasst: es gab schon immer gute Kinderliteratur, das waren nur nicht unbedingt die Bestseller.

Grüße
Siboniwe

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Ich glaube, alt und modern ist der falsche Maßstab (siehe meine Beispiele). Es gibt gute und schlechte Literatur und gute und schlechte Kinderliteratur. Enid Blyton habe ich nie zur ersteren gerechnet (z.B. kann man vieles von Astrid Lindgren auch als Erwachsener lesen und genießen, auch die Bücher von Erich Kästner und Lisa Tetzner gehören dazu - Hanni und Nanni und die fünf Freunde tut sich ein Erwachsener höchstens aus Kindheitsnostalgie an.

Grüße
Siboniwe

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Bücher und auch Filme, auch solche über Kinder, werden von Erwachsenen gemacht. Und die übermitteln, teils absichtlich, teils aber auch unbewusst, die jeweiligen Erziehungs- und Umgangs-Ideale der jeweiligen Zeit mit.

Guck dir doch mal auf Youtube die Verfilmung von Kästners „Dopeltem Lottchen“ von 1955 und die von 1994 an. Sowohl das Verhalten der Kinder untereinander als auch der Umgang zwischen Kindern und Erwachsenen, sondern sehr unterschiedlich.

Wir liegen doch gar nicht auseinander! Hanni .
und Nanni haben meine Wohnung nie betreten. Mir geht es um Freiheit für Kinder auch für vermeintlichen Schund oder Kitsch ( allerdings in weitgesteckten Grenzen)

Da bin ich voll bei dir. Deshalb schrub ich ja auch pädagogisch wertvoll in Anführungszeichen.
Man kann auf keinen Fall von dieser Art Kinderliteratur auf die aktuelle Situation schließen.

Soon

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… sind sehr unterschiedlich.

1000 % Zustimmung! In meiner analogen Umgebung gibt es leider niemanden, der die hohe Qualität Lindgrenscher Werke wahrnehmen kann, freue mich daher, so einen Text wie deinen zu lesen!

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Natürlich ist das alles von übel. Aber so weit musst du gar nicht in die Vergangenheit schauen - auch TKKG ist ganz üble Scheiße.

Das Problem ist, dass Kinder noch heute nach diesen Maßstäben erzogen werden und selbst auch so denken. Grade in der Grundschule ist das immer wieder ein Problem - wer anders ist, hat es schwer. Denn kleine Kinder sind, salopp gesagt, Arschlöcher. Das legt sich erst mit der Pubertät wieder, wenn anders sein zumindest für einige cool wird, aber bis dahin hat mans schwer, wenn man nicht den allgemeinen Normen genügt.

Die Frage dürfte aber sein, wieviel davon biologisch verankert ist und wie viel gesellschaftlich vorgelebt wird. Die von die angesprochenen Bücher genügen allerdings dieser Vorstellung - nur nicht auffallen, nicht nicht selber denken, schön mitlaufen - die unser Schulsystem und unsere Wertvorstellungen prägen.

Vollkommene Zustimmung. Ich bin im Zuge einer Entrüpelungsaktion einer Schublade über alte TKKG-Cassetten gestolpert. Habe ich damals geliebt. Also reingehört und nach ungefähr 5 min ausgeschaltet, da es vor absolut überflüssigen Vorurteilen nur so wimmelte.

(Mit gerade wieder blauen Haaren, Löchern in der Hose, einigen Piercings und Tattoos wäre ich da übrigens direkt die Täterin…, TKKG hat mich zum Glück nicht für alle Zeiten versaut)

Ich glaube nicht, dass es Andrea darum ging. In den Hanni & Nanni Büchern wird nicht nur dieses Verhalten beschrieben, sondern als das richtige dargestellt.

Das hast du genau richtig erfasst, danke.
Natürlich hast du recht, dass es schon immer gute und schlechte Kinderliteratur gab und gibt. Ich rede hier aber ausdrücklich nicht von dem, was man gute Literatur nennt.

Dann geht meine Frage wohl eher dahin, ob es immer noch aktuelle Kinderliteratur, ähnlich wie Enid Blyton im Bestseller-Schund-Bereich, gibt, wo Ausgrenzung und Abwertung nicht nur vollkommen unkritisch behandelt, sondern sogar als gutes und richtiges Verhalten dargestellt ist,nach dem Motto: So lange es dem Zweck dient, ein Kind fertig zu machen, das sich unfair verhalten hat, ist es richtig. (Auch das sollte damals ja wohl eine Art Pädagogik sein!)

Oder ob eben heutige qualitativ ähnliche Bücher, auch wenn sie inhaltlich ebenso flach sind, pädagogisch was anderes vermitteln. Ich hoffe halt letzteres.

So isset!
Obschon es wirklich auch gute neue KiBü gibt.