Unsinn oder nicht?

Hallo zusammen, hab hier was gefunden:

http://www.face-info.de/psycho-physiognomik/

Psychophysiognomik versucht, Charaktereigenschaften am Gesicht „abzulesen“.
Mir ist bekannt, dass solche Ideologien auch von den Nazis vertreten wurden, aber das hier scheint (??) etwas differenzierter zu sein.

Auf der einen Seite scheint es plausibel, dass „Gesichtsausdrücke“ einer Person sich mit der Zeit in die Gesichtszüge „einprägen“, also z.B. Lachfältchen.

Die Psychophysiognomik soll aber angeblich auch bei jungen Leuten funktionieren…
Gibt es dafür irgendwelche wissenschaftlich überprüften Hinweise, oder ist das alles Quatsch?
Fragt Bixie

Hallo,

das erinnert mich an die Phrenologie des Franz Joseph Gall, eines Arztes, der zum 1800 gelebt hat. Er hat angenommen, daß die einzelnen Bereiche des Gehirns bestimmten (Charakter-) Eigenschaften zugeordnet sind. Wenn eine Eigenschaft besonders ausgeprägt ist, so nahm Gall an, müßte der betreffende Hirnteil besonders stark entwickelt sein und der Schädel sich dort vorwölben. Schon Goethe hat dies als Afterwissenschaft erkannt.

Obwohl diese Lehre wissenschaftlich schon bald erledigt schien, wurde sie trotzdem noch mehrere Male aufgegriffen. Berühmt-berüchtigt ist hier der Psychiater Cesare Lombroso (spätes 19. Jh.), der u. a. an körperlichen Merkmalen Menschen herausfinden wollte, die seiner Annahme nach in der Zukunft wahrscheinlich zu Verbrechern würden. Sie würden einen besonderen Menschentypus repräsentieren, der degeneriert ist und zum Verbrecher geboren.

http://de.wikipedia.org/wiki/Cesare_Lombroso

Das sind dunkle Kapitel der Wissenschaftsgeschichte.

Lohnender wäre etwa die Lektüre von Paul Ekman, Gefühle lesen. Es handelt vom mimischen Ausdruck der Basisemotionen (Trauer, Ärger und Zorn, Ekel, Verachtung, Überraschung, Freude).

Grüße,

I.

Hallo!
Es wird immer Menschen geben die aus allem eine Wissenschaft machen wollen.
Der Körper vermittelt mehr Informationen als die Sprache. Es ist allerdings sehr engstirnig, zu behaupten nur am Gesicht eines Menschen seine Persönlichkeit zu ergründen.
Wie gesagt, die Gesamtheit des Menschen macht es aus sich ein Bild von ihm zu machen.
Die meisten Leute verlernen im Laufe ihres Lebens auf die Körpersprache zu achten. Aus diesem Grund wird die verbale Kommunikation immer mißverständlicher.
Gruß

Hallo Bixie,

Psychophysiognomik versucht, Charaktereigenschaften am Gesicht „abzulesen“.

Dieser Versuch hat durch Johann Caspar Lavater („Physiognomische Fragmente“ 1775) in die Psychologie und Medizin der Romantik Einzug genommen. Er wurde damals bereits (unter anderen von Christoph Lichtenberg und Goethe) verrissen und vor allem von Hegel („Phänomenologie des Geistes“, Kap. „V.A.c.: Beobachtende Vernunft - Physiognomik und Schädellehre“ 1806) widerlegt. Später wurde er durch den bereits erwähnten Franz Joseph Gall fortgesetzt und dann schließlich durch Carl Huter („Grundlegende Entdeckungen für die wissenschaftliche Psychophysiognomik“, 1910, und „Illustriertes Handbuch der praktischen Menschenkenntnis“, 1910) ins XX. Jhdt hinübergerettet, wodurch dann dieser komplette Unsinn auch seine politischen Konsequenzen zeitigte. Von Huter stammt auch die Bezeichnung „Psychophysiognomik“.

Auf der einen Seite scheint es plausibel, dass „Gesichtsausdrücke“ einer Person sich mit der Zeit in die :Gesichtszüge „einprägen“

Das ist die einzige - auch von Hegel bereits diskutierte - Form, in der sich Erlebtes(!) physiognomisch niederschlagen kann und daher interpretationsfähig ist. Aber es hat nichts mit dem zu tun, was historisch bis ca. Mitte des XX. Jhdts unter „Charakter“ verstanden wurde.

Gibt es dafür irgendwelche wissenschaftlich überprüften Hinweise

Nicht die geringsten.

oder ist das alles Quatsch?

Definitiv ja.

Gruß
Metapher

Hallo.

Wenn das alles Quatsch ist, dann frage ich mich, schon seit längerem, wieso es manchen Zeichnern, so perfekt gelingt, manche böse Charaktereigenschaften schon am Gesicht darzustellen.

Mein beliebtestes Beispiel ist da die Meerhexe Ursula in dem wunderschönen Film „Arielle“. In der noch gezeichneten Urfassung.

Es gibt aber noch massenhaft andere Beispiele.

Gruß, Nemo.

Anti-Kindchenschema
Hallo,

ich habe den Film nicht gesehen, aber gerade Bilder von der Meerhexe Ursula angesehen. Kannst Du aus ihrem Aussehen wirklich auf irgendwelche Charaktereigenschaften schließen?

Die Zeichner bedienen Klischees und beherrschen solche Dinge wie das Kindchenschema (Übertreibung bestimmter Merkmale --> besonders süß, lieb und herzig) und es gibt sicherlich ähnliche Schemata, um Typen mit schlechtem Charakter darzustellen.

Wenn es im Leben auch so einfach wäre! - Oder erkennst Du immer gleich, daß jemand z. B. aufgrund irgendwelcher physiognomischer Merkmale ein Intrigant ist? Sonst müßte man auch das Genie der Nazi-Zeichner bewundern, wie sie in ihren Propaganda-Plakaten angebliche jüdische Charaktereigenschaften so perfekt darzustellen wußten.

Die (vielleicht nur unbewußt getroffene) Annahme: Was schön ist, ist auch gut (und umgekehrt), ist ein gefährlicher Fehlschluß. Es ist auch ein grobe Ungerechtigkeit, Menschen allein aufgrund unvorteilhaften Aussehens schon schlechter zu behandeln und ihnen Böses zu unterstellen.

Grüße,

I.

Hallo,
Physiognomik ist in der Tat Quatsch. Dabei wird nicht die Gesichtsmimik analysiert sondern äußere Besonderheiten, wie z.B. die Proportionen einzelner Teile des Gesichts wie Augenabstand, Maße des Jochbeins, des Kinns, der Stirn, kleinere Normabweichungen, Stirnform usw. Daraus sollen psychische und charakterliche Eigenschaften eines Menschen abzuleiten sein.

Das ist etwas anderes als die Methoden von Cal Lightman, der ein System zur Analyse der Körpersprache und sog. Mikroexpressionen - unwillkürliche Bewegungen der Gesichtsmuskeln, entwickelte. Diese können auf die wahre und unterdrückte Emotionslage hindeuten.

Fast jeder Mensch ist mehr oder weniger gut in der Lage diese Micoexpressionen unbewusst zu lesen.

Wenn das alles Quatsch ist, dann frage ich mich, schon seit
längerem, wieso es manchen Zeichnern, so perfekt gelingt,
manche böse Charaktereigenschaften schon am Gesicht
darzustellen.

Was sollen denn ‚böse Charaktereigenschaften‘ sein? Sieht man mal von Psychopathen ab hat doch wohl jeder Mensch positive wie auch negativ bewertete Seiten, die jedoch unter entsprechend geänderten Umweltbedingungen auch die Bewertung wechseln können - Bei einem Soldaten werden andere Charakterzüge als ‚positiv‘ gesehen als bei einem Kindergärtner.

Es gibt aber noch massenhaft andere Beispiele.

Ja klar, das nennt man Cold Reading und Barnum-Effekt

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Hallo!

Wenn das alles Quatsch ist, dann frage ich mich, schon seit
längerem, wieso es manchen Zeichnern, so perfekt gelingt,
manche böse Charaktereigenschaften schon am Gesicht
darzustellen.

Sie bedienen Klischees und Vorurteile.

Aus der Existenz von Vorurteilen zu unterstellen, daß jemand, dem wir einen bösen Charakter unterstellen, auch wirklich böse ist, halte ich jedch für gewagt.

Wenn Du Dir „reale“ Schurken, Serienmörder etc. betrachtest, wirst Du häufig über die Aussage stolpern, dass man es ihnen ja gar nicht angesehen hätte. Und umgekehrt gibt es nicht wenig Leute, die darunter leiden, daß Ihnen aufgrund des Aussehens ein bestimmter Charakter zugeschrieben wrd, den sie gar nicht haben …

Es gibt da interessante Studien darüber, wie z.B. ein und dieselbe Arbeit beurteilt wird, wenn man dem Beurteiler unterschiedliche Abbildungen dessen zeigt, der die Arbeit angeblich erstellt hat.

Gruß,
Max

Gewiss sind das Klischees die längst nicht immer zutreffen.

Die Frage ist aber doch, wo solche Klischees denn eigentlich herkommen. Und warum anscheinend die Mehrheit der Menschen das gleiche Klischee hat.

Ich behaupte ja garnicht, dass das im wahren Leben immer zutrifft.

Und dass Verbrecher meistens garnicht wie Verbrecher aussehen, ist mir auch bewusst.

Wobei die Laufbahn als Verbrecher allerdings sowieso eher aus dem Umfeld als aus dem Charakter resultiert.

mfg

Hallo,

solche Klischees haben, glaube ich, denselben Hintergrund wie die Tatsache, daß wir hübsche, attraktive Personen des anderen Geschlechts als Partner bevorzugen. Es hat sich im Laufe der Evolution so entwickelt, daß wir unbewußt Merkmale von körperlicher Schönheit als Zeichen von Gesundheit und Fruchtbarkeit interpretieren und das bedeutet in weiterer Folge: gesunde Nachkommen.

Es gibt Untersuchungen darüber, daß attraktive Menschen besser und freundlicher behandelt werden als andere, weniger Attraktive. Auch in ganz anderen Situationen, wo es nicht um Beziehungsanbahnung geht.

Das habe ich gerade dazu gefunden:

http://www.profil.at/articles/1117/560/295480/wozu-s…

Wir laufen unbewußt mit der Annahme herum: „Was schön ist, ist auch gut“ - und „Was nicht schön ist, ist wahrscheinlich auch nicht gut“.

Es könnte sein, daß manche der weniger Schönen, die erleben, daß sie schlechter behandelt werden, darüber frustriert sind und verhärten, und ihrerseits nicht mehr sehr freundlich sind. Auf diesem Umweg würden solche Klischees sicherlich hin und wieder Bestätigung finden.

Für diese Bevorzugung der Schönen gibt es den Begriff Beautyism oder Beautyismus, analog zu Sexismus oder Rassismus.

Grüße,

I.

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