„Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren“

Hallo!

Welches war das Anliegen der 68er Studentenbewegung, als sie sich gegen
die Bildungsautoritäten wandten. Welche Gründe gab es speziell für dieses
Thema? Worüber genau beschwerten sich die Studenten?

Grüße, Jenna

Hallo,

http://de.wikipedia.org/wiki/68er

Gruß

=^…^=

Universität, Humboldt, 68
Hallo Jenna,

ein auf den zweiten Blick hochaktuelles Thema betraf die Studienordnung. Damals konnte man in den Geisteswissenschaften das Studium nur mit dem Dr.phil. abschließen (daher relativen sich auch die gelegentlich bespöttelten 16 Semester Studienzeit des Dr. Helmut Kohl); Ausnahme war auch damals das Staatsexamen für den Gymnasialdienst, die anderen Lehrer wurden ohnehin an Pädagogischen Hochschulen ausgebildet.

Da man damals noch eine Universität Humboldtscher Prägung hatte, gab es keine Beschränkungen. Man hörte, was man interessant fand, auch außerhalb der eigenen Fakultät, besuchte die Seminare, die einen weiterbrachten, wechselte öfteres die Universität, und wenn man meinte, genug studiert zu haben, suchte man sich einen Doktorvater. Das Rigorosum war dann für viele die erste Hochschulprüfung ihres Lebens.

Klar, dass auf diesem Weg viele verloren gingen. Freiheit ist Risiko!

Konsequenz war die Einführung eines „Zwischengrades“ analog zum 1. Staatsexamen: der Magister Artium. Und um den Studium Struktur und den Studenten Anleitung zu geben, wurden bestimmte Veranstaltung ausgewählt, die man mindestens besucht haben sollte, wenn man ein ordentliches Studium absolvieren wollte. Dies wurde dann „bescheinigt“ durch Seminarscheine.

So weit, so gut. Was daraus geworden ist? Mit der Freiheit ging auch die Selbständigkeit. Heutige Studenten glauben, das Studium bestünde nur aus den Plichtveranstaltungen (seit Bologna ist das wohl auch so), die Schäfchen, die auf dem Weg zum Magister verloren gegangen sind, sollen durch den „Gesellenbrief“ aufgefangen werden.

Die alte Universität, so fehlerbehaftet - Stichwort Ordinarienuniversität - sie gewesen sein mag, hat doch hervorragenden akademischen Nachwuchs ausgebildet. Sie ist über '68, Massenbetrieb und Bologna abgeschafft worden zu Gunsten einer Berufshochschule. Jetzt bin ich gespannt, wann ein neuer Humboldt dieser Idee unter welchem Namen auch immer zu neuer Blüte verhilft.

Skeptisch und optimistisch:
Andreas

Danke, den Artikel hatte ich gelesen und daraus das Zitat. Mir ging es mit meiner Frage um den kritisierten Bildungsbereich. Da ich nicht aus dieser Zeit stamme und niemanden kenne, den ich befragen könnte, kann ich mir nichts darunter vorstellen.

LG, Jenna

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Hallo Andreas,

Vielen Dank für deine Antwort!
Habe ich das richtig verstanden: die Studenten wollten ein durchorganisierteres Studium (und aus diesen Forderungen entstand
der Magister Artium)?

Grüße, Jenna

Nein, das sind zwei Punkte: strukturierteres Studium und ein Abschluss vor dem Doktorexamen, auf Augenhöhe mit dem Diplom oder Referendarsexamen.

Andreas

Hallo Jenna,

zumindest grib dargestellt ist das hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Unter_den_Talaren_%E2%8…

Angesichts des Zitats ebenda „Der Ordinarius für Islamkunde Bertold Spuler rief daraufhin den Studenten zu: „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“ scheinen sie nicht so unrecht gehabt zu haben

Ralph

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Hi DataEditor,

danke!

… also deswegen tragen die deutschen Studenten auf ihrer Abschlussfeier keinen Talar!
Hatte mich immer gefragt, warum wir diese Tradition nicht haben.

Grüße, Jenna

Hallo,

Angesichts des Zitats ebenda „Der Ordinarius für Islamkunde
Bertold Spuler rief daraufhin den Studenten zu: „Sie gehören
alle ins Konzentrationslager!“ scheinen sie nicht so unrecht
gehabt zu haben

Hatte man später auch noch. Der Rektor der Maximiliansuniversität in München hat uns (Studenten der Theaterwissenschaft) 1979 nach einer Versammlung, in der es

  1. um eine verbotene Vorlesung von Franz Xaver Kroetz ging (er sollte zu seinen Theaterstücken sprechen, aber ihm wurde das, weil DKP-Mitglied verboten)
    und
  2. um extremen Platzmangel in unserem Studiengang ging (innerhalb von drei Jahren waren die Studentenzahlen damals von unter 100 auf über 1000 geklettert und die Vorlesungen fanden immer noch in den gleichen Räumen statt) -
    dass man uns am besten alle die Haut abziehen solle, dann gingen noch ein paar mehr hinein.
    (1. und 2. Thema hatte nichts miteinander zu tun, aber das erste Thema hatte ihn wohl so verbittert, dass er beim 2. sich zu dieser, damals viel persiflierten Aussage hinreißen liest).

Gruß
Elke

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Hallo,

ich möchte dir die Bundeszentrale für politische Bildung empfehlen, die zu vielen Themen kostenlose oder sehr preiswerte Infos anbietet, so auch zu 1968: http://www.bpb.de/themen/UEZYL5,0,0,Die_68erBewegung…

Es grüßt
Wil

Da man damals noch eine Universität Humboldtscher Prägung
hatte, gab es keine Beschränkungen. Man hörte, was man
interessant fand, auch außerhalb der eigenen Fakultät,
besuchte die Seminare, die einen weiterbrachten, wechselte
öfteres die Universität, und wenn man meinte, genug studiert
zu haben, suchte man sich einen Doktorvater. Das Rigorosum war
dann für viele die erste Hochschulprüfung ihres Lebens.

Klar, dass auf diesem Weg viele verloren gingen. Freiheit ist
Risiko!

Und wieviel verloren ging! Nur so zur Erläuterung. Ich saß in meinem ersten Studiensemestedr freitags nicht brav in der Chemievorlesung, wo ich eigentlichtlich hingehörte, sondern hörte mir bei Lützeler eine Vorlesung über französischen Impressionismus an.

Und heute? Meine jüngste Tochter hält den „kategorischen Imperativ“ für eine Dienstanweisung der Bundeswehr.

Man möchte heulen.

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Servus Jenna,

die Feiern mit Talar und Doktorhut, wie man sie im angelsächischen Bereich oft auf Bildern sieht, habe ich (Studium in München in den 60igern, Promotion in den 70igern) nie erlebt. Wenn man wollte, konnte man zu Semesterbeginn an einer Feier teilnehmen, wo der Lehrkörper in ‚Tracht‘ erschien.

Der Muff, von dem in dem bekannten Zitat die Rede ist, zeigte sich aber über lange Zeiträume und bedurfte keiner Textilien als Heimat. Der Begriff der ‚Ordinarien-Universität‘ fasst IMO am besten zusammen, was damals bekämpft wurde: die Uni, ihre Strukturen, die Definition der Wege und Ziele der dort versammelten ‚Akademiker‘, waren in der Hand der Lehrstuhlinhaber. Form und Inhalte des Studiums definierten und bestimmten die Lehrstuhlinhaber.

Die Studentengeneration, die damals an die Universitäten kam, war von den alliierten Siegern des 2ten Weltkrieges sorgfältig und systematisch auf die politischen und philosophischen Inhalte der ‚freiheitlich-demokratischen Grundordnung‘ hingetrimmt worden. Sie fanden an den Unis oft reaktionäre Altlasten vor, Menschen, die ihr Gesellschaftsbild in der nach-wilhelminischen Zeit erworben hatten und denen nun von den Rotzlöffeln aus der Nachkriegszeit die Definitionsmacht bestritten wurde. Selbst ‚liberale‘ Hochschullehrer verstanden nicht, wovon die Rede war, als die ersten Studenten mitreden wollten und auch nachfragten, was die Herrschaften in der Nazizeit wohl so gelehrt und gemacht hatten. Der akademische Talar wurde als Symbol zünftiger Gestrigkeit verstanden.

Leider war der frische Wind, der - als Ergebnis der Auseinandersetzungen - später einige Jahre lang durch die Universitäten blies, nicht von langer Dauer.

Gruß

Kai Müller (Jahrgang 1941)

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Hallo Kai,

danke für deine Erklärung!

Also ging es den Studenten, die das Bildungssystem kritisierten, vor allem um die Aufarbeitung der Nazi-Zeit, weil die Bildungsautoritäten noch in ihren alten Ideologien gefangen waren.

Wie muss man sich den Einfluss der Amerikaner auf die Schüler/ Jugendlichen denn vorstellen (bevor diese an die Universitäten kamen) ?
Über welche Weg geschah dies? In den Schulen?

Grüße, Jenna

Hallo Wil,

danke! Hab gerade reingeschaut.

Ganz toller Link!!

Grüße, Jenna

Hallo Kai,

danke für deine Erklärung!

Also ging es den Studenten, die das Bildungssystem
kritisierten, vor allem um die Aufarbeitung der Nazi-Zeit,
weil die Bildungsautoritäten noch in ihren alten Ideologien
gefangen waren.

Servus Jenna,

es war natürlich zum einen die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit, zum anderen aber auch das Bild von einer anderen akademischen ‚community‘, das wir zu entwickeln begannen. Dass ‚akademische Freiheit‘ mehr bedeutet, als Inhalte und Bedingungen für Forschung und Lehre autonom und ohne gesellschaftliche Verantwortung zu definieren, wurde damal neu und anders diskutiert. Dieser Zielkonflikt war älter als der Nationalsozialismus.

Wie muss man sich den Einfluss der Amerikaner auf die Schüler/
Jugendlichen denn vorstellen (bevor diese an die Universitäten
kamen) ?
Über welche Weg geschah dies? In den Schulen?

Vielleicht magst Du Dir z. B. dieses Suchergebnis anschauen:

http://www.google.de/search?client=opera&rls=de&q=gy…

Hieraus kann man sehen, dass zumindest die amerikanischen Besatzer Einfluss auf die Jugend (und ihre Organisationen) nahmen. Es sind auch - trotz Personalmangels - nicht alle wieder Lehrer geworden, die es einst gewesen sind:

http://www.google.de/search?hl=de&safe=off&client=op…

Ganz persönlich erinnere ich mich noch gut an die Lust, mit Selbstbewußtsein verantwortlich beim Aufbau eines Rechtsstaates und einer neuen Gesellschaft mitmachen zu wollen.

Gruß

Kai Müller