Liebermann und der französische Impressionismus
Servus,
das kommt jetzt drauf an, ob der Schullehrer strikt positivistisch nur das hören will, was man unmittelbar auf L’s Bildern sehen kann, oder ob er erlaubt, auch Hintergrund und Zusammenhang herzunehmen.
Der wesentliche Unterschied ist meiner Ansicht nach, daß Liebermann sich im Lauf einer schrittweisen persönlichen Entwicklung dem Impressionismus angenähert hat und dabei die programmatische Auffassung der französischen Impressionisten vom radikalen, provokanten „Befreiungsschlag“ gegen den akademischen Neoklassischen Realismus nicht teilte; sich von diesem auch nie ganz löste und sich (jung) mit naturalistischen Darstellungen befasste - bedeutende französische Vertreter des Naturalismus findet man umgekehrt neben dem nicht gut schubladisierbaren Gustave Courbet kaum.
Liebermann wurde in Paris von den Impressionisten die kalte Schulter gezeigt, er fand vor Ort keinen persönlichen Kontakt mit ihnen (das hatte freilich auch damit zu tun, daß er nach dem nationalen Trauma von 1870/71 der „häßliche Deutsche“ war).
Der Protest der Impressionisten war bald verdaut, und deren vom Sujet emanzipierte Malerei in Farbe und Licht ließ sich eben doch wieder ohne weiteres übers Sofa hängen. An dieser Stelle treffen sie sich mit den Naturalisten wieder, die auch nur sehr vorübergehend mit der Darstellung von „ungehörigen“ Sujets (aber mit Mitteln der traditionellen akademischen Malerei) Anstoß erregten. Die während des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts geführte Diskussion um Form vs. Inhalt von Malerei war spätestens mit diesen beiden (malerischen) „Revolten“ geboren, Liebermann bekennt sich nicht zum einen oder zum anderen Lager; freilich hat er so einen Knaller wie den „Zwölfjährigen Jesus im Tempel“ (ursprünglich barfuß und mit kurzer, kniefreier Tunika - später übermalt) nachher nicht wieder gelandet.
Technisch findet man bei Liebermann erst sehr spät (zu einer Zeit, als der französische Impressionismus keinerlei provokante Rolle mehr spielte) und kaum vollständig die Auflösung von grafischen, plastischen Formen und der klassischen Raumgliederung in Farbe, Fläche, Licht. Die Auseinandersetzung mit Schwarz (man kann ausführlich diskutieren, ob Schwarz eine Farbe ist - für die französischen Impressionisten war Schwarz Tabu) macht auch einen wichtigen technischen Unterschied aus.
Als Beispiele für Liebermanns „deutschen“ Weg aus der akademischen Malerei des 19. Jahrhunderts würde ich „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ (1879), „Biergarten“ (1884), „Die Papageien-Allee“ (1902), „Am Strand von Noordwijk“ (1908) hernehmen.
Schöne Grüße
MM