Servus Ralf,
ich habe gelesen, dass die katholischen Christen im
Mittelalter Arbeit als eine Strafe Gottes angesehen haben,
nachdem die Menschen aus dem Paradies vertrieben worden sind
und deshalb nur so viel gearbeitet haben, wie nötig war.
ich fürchte, da hast Du Falsches gelesen. Es ist noch keine
hundert Jahre her, dass sich die Menschen krummgearbeitet
haben, nur um nicht zu verhungern.
Meine Markierung soll zeigen, dass ich den Widerspruch zwischen Tim und Dir nicht finden kann (abgesehen davon dass „Mittelalter“ und „vor hundert Jahren“ nicht zusammenpassen).
Übrigens könnte Tim ein Werk wie Hannah Arendt - Vita Activa oder vom tätigen Leben gelesen haben, in dem Tims Satz zwar so vermutlich nicht fällt, aber der Sache nach durchaus ähnlich drin steht.
@Tim:
beispielsweise:
So ist bis zum Beginn der Neuzeit die Vorstellung der Vita activa [lies hier vereinfacht: Arbeit] immer an ein Negativum gebunden; sie stand unter dem Zeichen der Un-ruhe, sie war nec-otium, a-scholia
S. 25 (Piper, 1999)
danach wurde das Verhältnis umgekehrt, otium wurde der moralisch verwerfliche Mangelzustand von negotium, das neuzeitliche Animal laborans siegte über den alten Homo faber, das heißt Arbeiten über Herstellen, das Tier über den Menschen (der Mensch schickt sich an, sich in die Tiergattung zu verwandeln, von der er seit Darwin abzustammen meint)
oder:
Vor allem bei Thomas von Aquin hören wir, dass Arbeit eine Pflicht für diejenigen ist, die sonst keine Mittel haben, sich am Leben zu erhalten, aber die Pflicht ist, sich am Leben zu erhalten, nicht, zu arbeiten; wenn man sich durch Betteln seinen Lebensunterhalt verschaffen kann, umso besser
S. 404
Arendt sieht Thomas gerade nicht dem bekannten Pauluswort zu folgen, und nicht Arbeit als Strafe Gottes in Folge der Erbsünde aufzufassen; stattdessen sieht sie bei ihm ein direktes Zurückgehen auf Aristoteles, hinter die Kirchenväter und Paulus.
Man kann diesen Deinen Satz „Arbeit als Strafe Gottes“ ja auch zweifach auffassen,
- als eine Art conditio humana, mit der man sich unter der Prämisse der Selbsterhaltung eben arrangieren müsse (so wie Thomas das hier tut) oder
- als Imperativ (so wie angeblich das Paulus-Wort: wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!, das freilich auch alles andere als dieses blindwütige Arbeitsgebot der protestantischen Ethik ist).
Ich habe nun wirklich keine Ahnung von Theologie, aber trotzdem meine Privatmeinung … man möge mich korrigieren:
ich sehe spontan drei verschiedene Arbeitsethiken im Christentum:
-
das Arbeit-zum-Leben-Prinzip, bei dem wohl der Imperativ der Selbsterhaltung vom Christentum geschärft wurde und das auf alle Menschen ausgeweitet wurde, das aber im Kern auf die griechische Antike zurückgeht mit seiner Haltung „Arbeit ist Edlen nicht würdig, sie ist für Unfreie“.
-
das Paulus-Prinzip, das m.E. im Kern einer vorhandenen römischen Arbeitsethik entspringt, die sich mit der christlichen Erbsünderhetorik verbindet.
-
die protestantische Ethik, die m.E. die einzig genuin christliche ist (solange man sie nicht besser gleich im Sinne Marx’ vom Kopf auf die Füße stellt und als bloßen Überbau der „ursprünglichen Akkumulation“ betrachtet).
Viele Grüße
Franz