Uriduct (Doxazosin)

Hallo, ich nochmal wg. urologischer Sache,

hat jemand Erfahrung mit oben genannten Mittel gesammelt?
Besonders was die Nebenwirkungen auf den Kreislauf angeht, würde mich mal interessieren. (Schwindel, niedriger Blutdruck, Kopfschmerz, Abgeschlagenheit sei das häufigste)

Habe 2mg verordnet bekommen, aber erst drei Wochen nur 1 mg, damit man sich daran gewöhnt, und nicht ‚aus den Latschen kippt‘.

Mir graust davor, denn ich wollte nicht um die Weihnachtszeit wie ein alter Hund lasch neben den Ofen liegen…
Mir wurde zwar gesagt, es sei gut verträglich, besonders in der Dosierung, aber das sei halt individuell unterschiedlich.(hier handelt es sich um einen alpha-1 Rezeptorenblocker, dies sei wohl auch ‚besser‘ als nur die alpha-Blocker)

Habe gestern die erste Tablette genommen, und sitz nun hier mit seichten Schwindel, wobei ich nicht weiss, obs vom Wetter kommt, oder vom heissen Bad gestern…*hüst*

viele Grüsse,
Nicole

Hallo Nicole,

Alpha-1-Blocker sind für ihre „first-dose-syncope“ bekannt, d.h. insbesondere nach der esten Einnahme kommt es durch die Blockade der Alpha-Rezeptoren zu einer Aufweitung der Arterien mit Strömungswiderstandverlust und Blutdrucksenkung -> Schwindel (weshalb die Mittel nicht nur zur Entspannung des Alpha-1-gesteuerten Blasenschließmuskels - Stichwort Restharnreduzierung - zum Einsatz kommen, sondern auch gegen Bluthochdruck verwendet werden). Nach einigen Stunden wird das dann kompensiert durch erstens leicht erhöhten Puls zur Steigerung der Auswurfleistung, zweitens durch Wassereinsparung in der Niere (über eine Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems) mit konsektuiv erhöhtem Blutvolumen. Beides zusammen hebt den Blutdruck wieder an.
Im Moment also viel Trinken und nur langsam aus Betten und von Stühlen Aufstehen, sonst legst Du Dich womöglich noch flach :wink:

Bei Reizblase kommt das Mittel eher nicht zum Einsatz, bei Frauen allenfalls bei einer Detrusor-Sphincter-Dyssynergie. Hast Dus denn auch mal mit Anticholinergika versucht?

Oliver

Danke! (und noch Fragen)
Hallo Oliver,
erstmal vielen Dank für Deine kompetente Antwort!

Der Schwindel hat sich gelegt, und wenn es nur in der Anfangsphase auftritt, bin ich ja beruhigt.
Mich hat es nur ‚überrascht‘, dass ich auf dem Fahrrad heute morgen ziemlich fertig war. (Schwindel, Schweissausbruch
oh. besondere Anstrengung)

Folgender Begriff sagt meinen laienhaft beschränkten Medizinverständnis gar nichts: Detrusor-Sphincter-Dyssynergie.
Hm, und soweit ich meinen Urologen richtig verstanden habe, liegt hier wohl weniger eine Reizblase vor, sondern
(Achtung, mal grob bäuerlich umrissen) eine Störung in der Schliessmuskulatur, etwas, was die Funktion der Harnröhre
stört, und somit immer Restharn zurück bleibt.
Es wurde erst vermutet, dass ich den Prozess bewusst auslöse, aber das scheint nicht zu sein. (obwohl ich mich schon
frage, nicht ‚richtig zu ticken‘; hatte vor ca. 8Jahren eine heftige Nierenbeckenentzündung, vielleicht habe ich ja hier was
verschleppt)
Also verschrieb er mir dieses Mittel, um erstmal zu sehen, ob es was bringt (in ca. 6 Wochen Uroflowmetrie nochmal zur Überprüfung).

Hm, da ist noch was, was mich interessieren würde: wenn der gewünschte Erfolg eintritt, wird doch sicherlich die
Medikamenteneinnahme verlöschen; verfällt dann die Muskulatur nicht in den Urzustand zurück? Oder läuft dann alles
trotzdem seinen normalen Gang?

Was ist Anticholinergika? Sagt mir nämlich nichts. :smile:

Gruss,
Nicole

Hallo Nicole,

zuerst mal Fehlerkorrektur: Ich meinte nicht eine Detrusor-Sphincter-Dyssynergie, sondern eine Detrusor-Blasenhals-Dyssynergie. Das ist es wohl, worunter Du (der Therapie nach zu schließen) leidest.

Prinzipiell funktioniert das beim Pinkeln so:

Die Wandmuskulatur der Blase (der sog. Detrusormuskel) kontrahiert sich, gesteuert über einen willkürlich auslösbaren Reflex des vegetativen Nervensystems. Ist der Reflex einmal aktiviert, so kontrahiert sich die Harnblase unhaltbar bis zum Ende, was erklärt, warum man nicht mehr so einfach aufhören kann (also nur die Auslösung ist willkürlich, der Reflex als solcher läuft eben automatisch ab). In den Synapsen des Detrusors wird Acetylcholin verwendet, d.h. mit Pharmaka, die den Acetylcholinrezeptor blocken (Anticholinergika), kann man den Blasenmuskel ruhigstellen, was z.B. bei der Reizblase zum Einsatz kommt, wo der Muskel hyperreagibel ist. Wenn ich Dich aber richtig verstanden habe, bleibt bei Dir nach dem Urinieren ein Restharn in der Blase zurück, das Problem ist also entweder 1. eine mangelnde Kontraktionsfähigkeit des Detrusors (da wären dann natürlich Cholinergika und nicht etwa o.g. _Anti_cholinerkika angebracht) oder 2. ein Hindernis in der Ausflußbahn, was wiederum a) eine anatomischen Enge der Harnröhre sein kann (bei Frauen eher Narben nach Infektionen, bei Männern in allererster Linie die Prostata) oder b) eine manglende Relaxierung der Blasenschließmuskeln.

Die Urodynamik dient dazu, diese Störungen gegeneinander zu differenzieren. In Deinem Fall relaxieren offenbar die Schließmuskeln nicht richtig. Deren gibt es zwei, deren Aktivität man dann während der Urodynamik mit Hilfe eines Beckenboden-EMGs plus Harnröhrendruckmessung differenzieren kann: Einen äußerem Sphincter, welcher lediglich ein ringförmig verstärkter Teil der Skelettmuskulatur des Beckenbodens ist und als solcher mit der Willkürmotorik bewußt geöffnet oder geschlossen werden kann, und einem inneren Schließmuskel, der von einem verstärkten Teil der Blasenmuskulatur um den Blasenhals herum gebildet wird. Er besteht wie jener Detrusor aus glatter Muskulatur und wird ebenfalls durch das vegetative Nervensystem kontrolliert - allerdings nicht über Acetylcholin- sondern über Alpha-1-Rezeptoren.

Normalerweise wird dieser Blasenhalsmuskel i.R. des Urinierreflexes automatisch (sprich: während der Kontraktion des Blasendetrusormuskels) entspannt. Manchmal funktioniert das aus unbekannten Gründen aber nicht so ganz (meist junge Männer ohne organische Erkrankung). Dann kontrahiert sich der Detrusor also gegen den Widerstand des inneren Schließmuskels („Detrusor-Blasenhals-Dyssynergie“), und die Blasenentleerung kann, falls dem Detrusor zum Schluß des Urinierens die Luft ausgeht, unvollständig sein -> Restharn. Therapie ist dann logischerweise die pharmakologische Relaxierung mit Alpha-1-Blockern.

Noch der Vollständigkeit halber: Wenn der aüßere, willkürlich innervierte Sphincter gegenarbeitet, spricht man von der „Detrusor-Sphincter-Dyssynergie“. Diese kann durch einen bewußten (oder auch unbewußten) Versuch des Harnanhaltens geschehen, oder bei Lähmungen z.B. bei Querschnitt oder Multiple Sklerose, wo ja die gelähmte Muskulatur konstant (spastisch) angespannt ist und nicht mehr willkürlich (= vom Großhirn her, zu dem ja die Verbindung unterbrochen ist) kontrolliert (entspannt) werden kann. Da gibt man dann keinen Alphablocker, sondern einen anderen Typ Muskelrelaxans, der speziell auf Skelettmuskulatur wirkt (Dantrolen).

Und das alles kann man dann wie gesagt mit Urodynamik und gleichzeitigem EMG gegeneinander differenzieren, und bei
dir muß, der Therapie zufolge, die Blasenhalsdyssynergie vorliegen.

So, jetzt weißt Du, warum der Alphablocker den Restharn beseitigen sollte und damit auch den Nährboden für Infektionen :wink: Die Nebenwirkungen erklären sich übrigens dadurch, daß nicht nur der Blasenhals, sondern auch die Muskulatur der Arteriolenwände über Alpha-1-Rezeptoren reguliert wird. Die Gefäße stellen sich also weit, als Folge fällt der Druck vor den Arteriolen, sprich: der „Blutdruck“. Wenn dann Verbraucher wie die Muskeln noch zusätzlich Blut aus den Arterien abzapfen (z.B. beim Radeln oder auch nur plötzliches Aufstehen), so fällt der Blutdruck noch weiter, anstatt durch eine Widerstandserhöhung der Arteriolen anzusteigen. Aber es greifen dann ja recht schnell die im letzten Posting genannten Kompensationsmechanismen. Das Radeln solltest Du so lange sein lassen. Und auch das Besteigen hoher Gegenstände wie Schemeln oder Leitern.

Zur Prognose denke ich einfach mal, daß sich der pathologische Schließmuskelkontraktionsreflex von alleine wieder verlernen dürfte, d.h. wenn Du in ein paar Wochen/Monaten das Präparat wieder probeweise absetzt (am besten ausschleichen, im Zweifel ist das auch für den Kreislauf - reaktiver Bluthochdruck - besser), dann dürfte mit etwas Glück wieder alles tun :wink:

Oliver

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Durchblick gefunden :smile:
Wow, vielen vielen Dank, Oliver, jetzt habe ich zum erstem mal so richtig Durchblick in der Sache! (in Betracht auf das übermässig gefüllte Wartezimmer beim Urologen, und dessen gestressten Gesichtsausdruck, wollte ich nicht noch mehr Theoriekram aus ihn rauslocken)

Durch die Urodynamik bestätigte sich auch sein vermuteter Befund. (diese Dyssynergie, von der Du schriebst)
Und, na ja, was soll ich sagen, wenn man dann genauer nachhakt, wird man mit Fachbegriffen vollgebombt, und schon zur Tür rausgeschoben, weil der Nächste wartet. :smile:

Nochmals vielen Dank für die ausführliche fachlich fundierte Antwort, und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!

Nicole

Hallo, Oliver!

Pathophysiologisch perfekte Ausführung! Aber bist Du sicher, daß wir das auch alle verstanden haben mit dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und der Detrusor-Sphincter-Dyssynergie?

Gruß ins Schwabenländle!

Heidi

Hallo Heidi,

naja, die Dyssynergie ist ja mittlerweile weiter unten erklärt, und nach einer Erklärung des RAAS hat bisher glücklicherweise noch keiner gefragt :wink:

Grüße in den bayrischen Wald,

Oliver